Führen in Extremsituationen "Bloß keine Helden"

Ob Naturkatastrophen, ob Krisen im Geschäft - Führungskräfte müssen entscheiden. Und das unter Druck. Wie man trotzdem zur richtigen Entscheidung kommt? Ein Gespräch mit dem Managementberater Olaf Hinz.
Von Arne Gottschalck
Klare Sprache: Bruce Willis im Film "Der Schakal". In Hollywood wird dieses Einzelgängertum geschätzt. In der Realität allerdings weniger

Klare Sprache: Bruce Willis im Film "Der Schakal". In Hollywood wird dieses Einzelgängertum geschätzt. In der Realität allerdings weniger

Foto: ddp images

mm: Wenn man sich die jüngsten Katastrophen betrachtet, Japan oder das Schiffsunglück in Italien, drängt sich der Eindruck, dass in Krisensituationen Führung zumeist nicht funktioniert. Stimmt der Eindruck?

Hinz: Im Gegenteil, in den meisten Fällen funktioniert Führung in der Krise. Doch berichtet wird zumeist nur über die Fehlschläge. Diese Erfolgsquote, wenn Sie wollen, liegt aber daran, dass für Krisenfälle vieles bereits vorab geregelt ist, zum Beispiel in der Steuerungstechnik oder in Krisenstabsverfahren, in den Bereichen Energie oder Transport. Dort wird festgehalten, was der Schichtleiter in welchen Situationen zu tun hat. Über 90 Prozent der Krisenfälle sind dadurch abgedeckt.

mm: Und worin liegt der Unterschied von Führen in extremen und in normalen Situationen?

Hinz: In extremen Situationen muss man viele Informationen und Emotionen binnen kurzer Zeit aufnehmen und dabei aus dem üblichen Korsett ausbrechen.

mm: Welches Korsett?

Hinz: Aus der Logik des Misslingens und des linearen Wenn-Dann-Denkens. Wenn Sie ein Atomkraftwerk steuern und es kommt zum Störfall, ist es natürlich leicht möglich, in Panik und in Aktionismus zu verfallen.

mm: Und das bringt Fehler mit sich?

Hinz: Genau. Stattdessen müssen Sie sich aber als erstes fragen, wie viel Zeit Ihnen bis zu einer Entscheidung bleibt. Dann haben Sie den Rahmen, binnen dessen Sie mit Ihrem Team nach der besten möglichen Lösung für das Problem suchen können.

mm: Eine halbe Stunde, um mal ein Beispiel zu nennen, ist nicht wirklich viel Zeit.

Hinz: Dafür sind Sie Führungskraft und für solche Situationen trainiert. Ich gebe zu, früher war das Führen einfacher, Sie mussten als Vorstand Dinge entscheiden, von denen Sie inhaltlich sehr viel verstanden haben. Wenn Sie so wollen, Entscheidbares entscheiden. Heute agieren Sie in steter Unsicherheit. Und dass, obwohl die Menschen immer mehr wissen und besser ausgebildet sind. Aber dieses Wissen ist statisch, denn es gibt noch immer das vorherrschende Denken in statischen Modellen, zum Beispiel das legendäre "ceteris paribus" in der Ökonomie…

mm: Alles bis auf ein Parameter bleibt unverändert …

Hinz: Genau. Doch die Wirklichkeit ist dynamischer und komplexer. Rückkopplungen sind an der Tagesordnung, viele Variablen verändern sich parallel. Sehen Sie auf die Finanzmärkte, dort wird noch immer mit der Logik der Trendfolge gearbeitet. Doch das funktioniert nicht in einer Zeit, in der die Trendbrüche zahlreich sind. Diese "Wenn-Dann-Logik" muss durchbrochen werden.

mm: Zurück zu den Führungskräften - was können die tun, um dieses Dilemma zu durchbrechen?

Hinz: Sie müssen sich auf Unerwartetes vorbereiten. Im schlechtesten Fall haben Führungskräfte schwierige Situationen einmal in ihrer Ausbildung geübt und seitdem nicht mehr. Dies sollte aber immer wieder trainiert werden, so wie Piloten ja auch immer wieder in den Simulator gehen. Dann schaffen Sie sich für die Krise die notwendige Gelassenheit, um Hypothesen bilden zu können, wie sie mit der unsicheren Lage umgehen. Und ob Flugzeugträger, Kernkraftwerk, Bank oder Produzent, achtsame Routinen braucht es überall, um das Ungewisse zu managen.

mm: Aber alles kann man nicht verhindern, siehe Tschernobyl, siehe Japan.

Hinz: Stimmt, alles nicht. Tschernobyl war wohl ein klassischer menschlicher Fehler: Hybris, der Chefingenieur, hatte sich - übertragen gesprochen - gefragt, wie tief man mit dem U-Boot tauchen kann, obwohl er wusste, dass es für diese Tauchtiefe nicht vorgesehen war. Und in Japan kam es zu einer ungeheuren Naturkatastrophe, der nichts standgehalten hat.

mm: Aber?

Hinz: Man muss entscheidungsfähig bleiben, auch wenn der Handlungsdruck steigt.

mm: Sie sagen das so nonchalant - wie geht das?

Hinz: Zunächst raus aus Rolle des einsamen Retters. Das ist zwar tapfer, aber nicht klug. Klug ist es, eine Vernetzung von unterschiedlichen Typen zu schaffen und die Gruppendynamik zu nutzen. Dazu ist es wichtig, Unterschiede als Chance zu begreifen und Einstimmigkeit immer zu hinterfragen. Sie müssen also an der Zusammensetzung des Teams arbeiten, dann haben Sie in der Krise ein echtes Entscheidungsteam und keine bloße Berichtsrunde.

mm: Und woran hapert es bei den meisten Führungskräften?

Hinz: Es gibt noch immer das Idealbild des alleinherrschenden Kapitäns auf der Brücke, doch das ist überkommen. Auch auf jeder Brücke, um im Bild zu bleiben, stehen ja noch mehr Menschen, deren Expertise genutzt werden muss. Aber trotzdem wird noch allzu oft auf den einen Helden abgestellt. Wir kennen das aus dem Sport; in der Krise wird der Trainer ausgewechselt. Doch das bringt in aller Regel nur kurzfristigen Erfolg. Wirksame Unternehmensführung braucht keine Helden!

Das exklusive Netzwerk für Führungskräfte: Direkt zur manager-lounge

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren