Die Wirtschaftsglosse Es muss nicht immer das Beste sein

Noch lachen sie alle: Achtenmeyer hat es auf die abgelehnten Bewerber abgesehen
Foto: CorbisAls politisch interessierter Kopf hat Achtenmeyer neulich wieder ein Buch gelesen. Es trug den verheißungsvollen Titel "Der demokratische Wandel", und Achtenmeyer sah sich schon beim Bezahlen in der Buchhandlung eintauchen in eine Welt edler Befreiungskrieger und heroischer Aufstände. Als er auf Seite 82 angelangt und noch kein einziger Held aufgetaucht war, betrachtete er das Buchcover genauer. Siehe da: Tatsächlich lautete der Titel "Der demographische Wandel". Und seither hat Achtenmeyer drei Nächte lang kein Auge zugetan, weil ihn die Frage umtreibt, wo er künftig ausreichend kluge Nachwuchskräfte für seine Abteilung finden soll.
Wie so oft liefert ihm seine Frau die Lösung. Mit tiefen Ringen unter den Augen stiert Achtenmeyer trübsinnig in die Kaffeetasse, als seine Gattin bemerkt: "Die Nachbarn haben übrigens den Turbo-Cayennne, nicht den normalen wie wir. Aber das ist schon in Ordnung, mein Schatz. Irgendwie mag ich es, dass es für Dich nicht immer das Allerbeste sein muss." Achtenmeyer will schon seinen üblichen rhethorischen Gegenangriff starten, da durchzuckt ihn die Erkenntnis wie ein Stromschlag: Warum sich im war for talents konzentrieren auf die Top Five Percent? Mal ehrlich: Diese Überflieger bringen doch nur Unruhe in seine gemütliche Abteilung. Statt sich um die zu balgen, die alle wollen, wäre es doch viel klüger und effizienter, einfach eine Stufe niedriger anzusetzen: Second Best ist Trumpf.
Im Büro angekommen, entwirft Achtenmeyer flugs die neuen guidelines fürs Recruiting: Notenschnitt um eine Stufe runter, Fremdsprachen und Auslandsaufenthalte sind okay, aber kein must mehr, und das Allerwichtigste, gewissermaßen sein ganz persönlicher Geniestreich: Geworben wird nicht mehr aufwändig auf Absolventenmessen, in Hörsälen und mit teurem Social-Media-Klimbim, sondern dort, wo einem die Zweitbesten auf dem Silbertablett präsentiert werden. Denn selbstverständlich ist Achtenmeyer bestens informiert über die Recruitingaktivitäten seiner Branchenwettbewerber. Er muss seine Personaler also nur anweisen, sich vor den Türen der Konkurrenz aufzustellen und auf die jungen Leute zu achten, die mit krummem Rücken und trauriger Miene das Gebäude verlassen, weil sie soeben eine Absage kassiert haben. Die sind dann natürlich nicht gerade die Highflyer, aber dafür sicher äußerst offen für ein Angebot, das ihr Selbstbewusstsein wieder ins Lot rückt.
Als hands-on-Manager der alten Schule probiert Achtenmeyer seine Idee gleich selbst aus. Vor dem headquarter des wichtigsten Konkurrenten kauft er sich am Kiosk eine Zeitung und einen Kaffee to go und lungert geschlagene zweieinhalb Stunden vor der imposanten Lobby herum. Was allerdings in Powerpoint so einfach schien, erweist sich in der Realität als echte Nervenprobe: Nicht ein einziger trauriger Bewerber tritt durch die Tür. Achtenmeyer will bereits aufgeben, als er einen kräftigen Schlag auf die Schulter erhält. "Mein lieber Achtenmeyer, wie schön, Sie einmal bei uns zu sehen!", dröhnt Musdorf, sein Counterpart bei der Konkurrenz, bekannt und verhasst aus zahlreichen Rabattschlachten, Marketingkriegen und Werbespot-Duellen. "Läuft wohl nicht mehr so rund bei Ihnen, was?", fabuliert Musdorf fröhlich weiter. "Aber keine Sorge: Für Sie haben wir hier immer ein schönes Pöstchen frei. Schließlich muss man nehmen, was man kriegen kann. Demographischer Wandel und so, Sie wissen schon."
Man muss die ganze Sache positiv sehen, denkt sich Achtenmeyer auf dem Heimweg: Wenn sogar Super-Musdorf sich jetzt nach Second-Bests umschaut, kann sein Konzept ja nicht ganz schlecht sein. Kein Zweifel: Im war for talents hat er eine Schlacht verloren. Aber nicht den Krieg.