Protest auf LinkedIn "Meine Hautfarbe ist nicht politisch"

SPIEGEL: Frau Butler, wie oft waren Sie heute auf LinkedIn?
Butler: Ich kann keine genaue Zahl sagen, aber häufig. Ehrlich gesagt, verbringe ich viel zu viel Zeit auf dieser Plattform. Einerseits brauche ich es für meinen Job. Ich arbeite als Recruiterin und benutze die Plattform, um Mitarbeiterinnen für Unternehmen zu finden. Andererseits poste ich privat auf LinkedIn – hauptsächlich über Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz. Ich versuche, mindestens einmal am Tag einen Post abzusetzen. Aber ich bin da nicht so streng mit mir.
Madison Butler ist 29 Jahre alt und lebt in Austin, Texas. Als Recruiterin sucht sie Mitarbeiter für Techunternehmen. Zudem hält sie Vorträge über Vielfalt am Arbeitsplatz und berät Unternehmen dabei, möglichst inklusive Strukturen für Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Identifikation zu schaffen. Seit 2018 postet sie regelmäßig auf LinkedIn und hat inzwischen über 40.000 Follower. Ihre Beiträge drehen sich um gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und Homophobie – in der Regel mit Bezug auf den Arbeitsplatz.
SPIEGEL: Ich kannte LinkedIn bisher nur als das langweiligste soziale Netzwerk – jeder präsentiert zahm seinen Lebenslauf, wirkliche Diskussionen wie auf Twitter finden hier selten statt. Wann wurde LinkedIn das Medium für politische Diskussionen?
Butler: Ich schreibe auf LinkedIn über die Probleme der amerikanischen Arbeitswelt, wie Rassismus, Homophobie, Transphobie und Sexismus. Und über die marginalisierten Gemeinschaften, die mit diesen Problemen konfrontiert sind. People of Color, die LGBTQ-Community und andere Gruppen werden in der Arbeitswelt immer noch diskriminiert. Meine Kritiker versuchen daraus eine politische Auseinandersetzung zu machen. Ich finde aber nicht, dass Gleichberechtigung am Arbeitsplatz ein politisches Thema ist.
SPIEGEL: Warum nicht?
Butler: Ich bin eine schwarze und queere Frau, und wie viele andere habe ich Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz erlebt. Es geht dabei nicht um Politik, sondern einfach nur um Gerechtigkeit. Und deshalb ist die Diskussion nicht politisch, sondern moralisch. Meine Hautfarbe ist nicht politisch.

SPIEGEL: Wie haben Sie diese Ungerechtigkeiten persönlich erlebt?
Butler: Als schwarze Frau musste ich immer viel härter arbeiten, um zu beweisen, dass ich meine Position verdient habe. Das zeigen auch Studien. Eine schwarze Frau braucht ein Jahr, acht Monate und 16 Tage, um genauso viel zu verdienen wie ein weißer Mann in einem Jahr, der in gleicher Position arbeitet.
SPIEGEL: Sie nutzen hauptsächlich LinkedIn, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Warum gerade dieses Netzwerk und nicht Facebook, Twitter oder Instagram?
Butler: Ich verwende schon auch Twitter und Instagram. Aber auf LinkedIn hat man viel eher Zugang zu den Menschen, die die Unternehmenskultur von innen heraus ändern können: Investoren, Vorstandsmitglieder, Gründer und CEOs. Veränderung muss an der Spitze beginnen. LinkedIn ist eine Plattform, die designt wurde, um Menschen mit Unternehmen zu vernetzen. Deshalb ist es der ideale Ort, um Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz anzusprechen.
Unter den großen sozialen Netzwerken ist LinkedIn eines der ältesten. Gegründet wurde das Unternehmen 2002, im Mai 2003 ging die Seite erstmals online. Facebook beispielsweise ist erst seit 2004 zugänglich, damals noch beschränkt auf Universitäten. Twitter wurde 2006 gegründet. Das Unternehmensziel definiert LinkedIn mit dem Auftrag, »Fach- und Führungskräfte rund um den Globus zusammenzubringen, um sie produktiver und erfolgreicher zu machen«. Nutzer können einen Online-Lebenslauf mit den wichtigsten Eckdaten ihres Karrierewegs erstellen und sich direkt über die Plattform auf offene Stellen bewerben. Wie auf anderen sozialen Netzwerken können die User Fotos und Beiträge mit ihren Kontakten teilen. Seit 2016 gehört das Unternehmen zu Microsoft.
SPIEGEL: In einem Ihrer Posts kritisieren Sie unter anderem, dass Firmen mit »Black Lives Matter« für ihre Unternehmenskultur werben. Was stört Sie daran?
Butler: Viele Unternehmen werben mit Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. Sie wollen aber nicht die Arbeit investieren, um etwas zu verändern. Gleichberechtigung zu schaffen ist ein langer, schwieriger Weg. Und er hört nie auf, weil die Gesellschaft sich ständig verändert. Wer mit »Black Lives Matter« für sich wirbt, muss aber diesen Weg gehen. Ich habe das Gefühl, viele Unternehmen sind nur interessiert daran, ihre Investoren und Vorstandsmitglieder zu beeindrucken. Wirklich beweisen, dass schwarze Leben genauso viel zählen wie weiße, wollen sie nicht.
SPIEGEL: Wie reagieren die Unternehmen auf ihre Kritik?
Butler: Einige sind offen für die Kritik, andere nicht. Viele Unternehmen wissen genau, dass ihr Verhalten diskriminierend ist. Aber es ist ihnen egal. Diese Unternehmen haben viel Geld zur Verfügung, und ihre PR-Abteilungen haben eine entsprechend große Reichweite. Die Organisationen, die wirklich etwas ändern wollen, haben dagegen oft keine Chance.
SPIEGEL: Verglichen mit anderen Netzwerken hat LinkedIn relativ strenge Richtlinien, um Hatespeech zu unterbinden. Wie beeinflusst das die Diskussion?
Butler: Diese Regeln haben bisher nichts daran geändert, dass ich Morddrohungen bekomme. Außerdem kam es schon einige Male vor, dass auch meine Posts gelöscht wurden. Vor allem dann, wenn sie viele Views bekommen haben.
SPIEGEL: Wie hat die Plattform gerechtfertigt, dass ihre Posts gelöscht wurden?
Butler: Gar nicht. Ich habe damals angefragt, aber keine Antwort bekommen, warum die Posts verschwunden sind. Danach hat LinkedIn sie aber immerhin wieder hochgeladen.
SPIEGEL: Eine der Richtlinien auf LinkedIn ist, dass User ihren echten Namen angeben müssen. Sie sollen sich nicht hinter Pseudonymen verbergen können. Wie beeinflusst das die Konversation?
Butler: Leider umgehen viele Nutzer das. Sie benutzen Fake-Namen, falsche Bilder oder erfundene Unternehmen. Insofern unterscheidet sich LinkedIn eigentlich nicht von anderen sozialen Medien. Außerdem gibt es viele Menschen, die mit ihrem echten Namen und Foto angemeldet sind, und trotzdem Hass verbreiten. Und es deprimiert mich wirklich, dass diese Menschen sich offenbar wohl damit fühlen, Rassismus und Homophobie im Netz zu verbreiten – obwohl ihre Arbeitgeber zusehen können.
SPIEGEL: Daniel Roth, Chefredakteur von LinkedIn-News, sagte 2019 gegenüber der »New York Times«: »Auf LinkedIn sprechen die Menschen, als wären Sie im Büro«. Würden Sie dem zustimmen?
Butler: Ich selbst schreibe auf LinkedIn schon, als wäre ich im Büro. Aber ich habe auch viele Leute erlebt, die LinkedIn eher benutzen wie Facebook und Twitter. Ich wurde schon häufig von Männern beleidigt oder sie haben mir völlig unangemessene Nachrichten oder Bilder geschickt.
Auf LinkedIn sind vor allem die Accounts von Unternehmern reichweitenstark. Laut dem Branchenmagazin OMR hat Bill Gates die meisten Follower auf LinkedIn. Ihm folgen über 30 Millionen Accounts. An zweiter Stelle steht Virgin-Gründer Richard Branson, mit etwa 18 Millionen Followern. Auf Platz drei folgt der LinkedIn-Vorstandsvorsitzende Jeff Weiner mit fast 11 Millionen Followern. In Deutschland führt Andreas von der Heydt, Vizepräsident für Merchandising beim Tiernahrung-Hersteller Chewy, mit etwa 450.000 Followern. Platz zwei belegt der Investor und »Höhle der Löwen«-Juror Frank Thelen, dem etwa 325.000 folgen. Dritter Platz: Daimler-Boss Dieter Zetsche mit knapp über 250.000 Followern.
SPIEGEL: Sie haben über 40.000 Follower. Wie reagieren die auf ihre Posts?
Butler: Da ist alles dabei. Am meisten freue ich mich, wenn Menschen mir schreiben, dass sie sich durch die Posts gesehen und gehört fühlen. Je nach Tag und Thema meiner Posts werden sie häufig geteilt und haben dann eine Reichweite zwischen 100.000 und eine Million Views. Und da kommen dann auch andere Reaktionen. Ich werde oft rassistisch beleidigt und bekomme Morddrohungen. Einmal stand einer dieser Männer sogar vor meinem Haus.
SPIEGEL: Wie haben Sie darauf reagiert?
Butler: Erst dachte ich, das ist nur jemand, der nach dem Weg fragen will, und ich bin auf ihn zugegangen. Als er angefangen hat, mir zu drohen, war ich erst mal total geschockt. Ich habe ihm gesagt, dass ich die Polizei rufe. Dann ist er gegangen. Die Sache ist: Ich habe ja keine Kontrolle über das Verhalten dieser Menschen. Ich kann nicht verhindern, dass sie mir drohen oder bei mir zu Hause auftauchen. Aber ich kann mein Bestes geben, um mich selbst zu schützen. Ich habe mir deshalb eine Alarmanlage, eine Elektroschockpistole und Pfefferspray zugelegt. Außerdem habe ich inzwischen sechs Hunde zu Hause.
SPIEGEL: Trotz Morddrohungen und rassistischer Beleidigungen zeigt Ihr LinkedIn-Titelbild einen Schriftzug mit den Worten »Humanity wins«. Können Sie das angesichts solcher Reaktionen noch glauben?
Butler: Ja. Ich glaube, dass Menschlichkeit der Unmenschlichkeit immer überlegen ist. Ich gebe mein Bestes, um mich gegen Hass im Internet zu stellen. Dazu habe ich ein Projekt namens Rage2Rainbows gestartet. Wir wollen Menschen animieren, jedes Mal ein bisschen Geld zu spenden, wenn sie im Internet rassistisch oder anderweitig beleidigt werden. Das Geld geht an Organisationen, die sich für marginalisierte Gruppen starkmachen. So wollen wir den Hass in etwas Positives verwandeln. Ich glaube, dass wir es durch unsere kollektive Stimme schaffen können, Menschen vor Rassismus und Mobbing zu schützen. Und die Welt ein bisschen sicherer zu machen.