
Transparenz bei Gehältern Bin ich unterbezahlt?


Bin ich unterbezahlt? Externe BewerberInnen halten auf sehr direkte Art den Spiegel vor
Foto: imago images / Westend61Beate, 35 Jahre, fragt: »Mit meinem Gehalt war ich zufrieden – bis ich meine eigene Stelle für meine Elternzeitvertretung ausschrieb. Besser hätte ich meinen Marktwert nicht checken können: Die externen Bewerber forderten alle mehr als 100.000 Euro Jahresgehalt. Ich verdiene aber gerade mal etwas mehr als die Hälfte. Waren die dreist? Oder verkaufe ich mich unter Wert? Ich leite ein kleines Team, habe BWL studiert, elf Jahre Berufserfahrung, bin seit sieben Jahren in der Firma und habe auch regelmäßig Gehaltserhöhungen erhalten. Wie soll ich mich nach der Rückkehr verhalten? Auf jeden Fall mehr fordern?«
Susan J. Moldenhauer ist Finanzwirtin und blickt auf einen 22-jährigen Werdegang in der Finanzbranche mit diversen Vertriebs- und Führungspositionen zurück. Als Karriere- und Finanzcoach unterstützt sie Menschen und Teams im Berufsleben. Ihr Herzensthema ist, Frauen zu motivieren, mit mehr Mut, Selbstbewusstsein und dem Erkennen ihres »Selbst-Wertes« ihren Weg erfolgreich zu gehen. Im Frühjahr 2022 ist ihr Buch »Kenne Deinen Wert!« bei Eden Books erschienen.
Liebe Beate,
eine sehr spannende Frage. Ich kann nachvollziehen, dass dieser Ausschreibungsprozess und dessen Ergebnisse Sie irritieren. Schon der kurze Blick auf die Gehaltsvorstellungen in den Bewerbungsunterlagen sorgt sofort für einen Schockmoment: »Ich verdiene gerade mal etwas mehr als die Hälfte!« Sie beginnen augenblicklich, sich mit den Bewerberinnen und Bewerbern zu vergleichen. Das ist nachvollziehbar, denn die Zahlen machen Dinge, Aufgaben und die Arbeitskraft von Menschen messbar – und dadurch miteinander vergleichbar. Als wäre das nicht genug, folgt gleich darauf Ihr Vorwurf an sich selbst, verpackt in der Frage, ob Sie sich nicht unter Wert verkauft hätten. Ihre Gefühle fahren Achterbahn, rauf und runter: Wut, Ärger, Enttäuschung, vielleicht auch Scham, Schwäche und Unsicherheit?
Den Schock verdauen
Liebe Beate, lassen Sie uns einmal in Ruhe nachvollziehen, was hier passiert ist: Die Konfrontation mit den Gehaltsvorstellungen der anderen Personen, die sich von extern auf Ihre Stelle bewerben, hält Ihnen auf sehr direkte Art den Spiegel vor. Jetzt sind Sie aufgefordert, um weiter bei diesem Bild zu bleiben, der Realität in das abgeschminkte Antlitz zu blicken.
Was heißt das konkret? Sie erhalten durch diesen Ausschreibungsprozess die Chance, Ihre eigene Situation zu hinterfragen. Sie können schauen, wo Sie stehen und wo Sie hinwollen, was gut läuft und was weniger gut, was Sie sich wünschen, wenn Sie wieder aus der Elternzeit zurückkommen, und was es dazu braucht. Im nächsten Schritt können Sie daraus konkrete Handlungsmöglichkeiten ableiten, die für Sie zu einer zufriedenstellenden Lösung führen könnten.
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Wunschvorstellung oder Realität?
Bevor wir zu den Lösungsansätzen kommen, noch eine Frage. Dabei sollten Sie ehrlich zu sich selbst sein: Ist es wirklich Ihr Marktwert, den Sie überprüft haben, oder haben Sie es mit den Wunschvorstellungen der Bewerberseite zu tun? Diese Gehaltsvorstellungen sagen noch nichts darüber aus, ob eine Person tatsächlich ihr Wunschgehalt erhalten wird.
Ich tippe mal darauf, dass vonseiten Ihres Arbeitgebers im Zuge des Bewerbungsprozesses noch ein gutes Stück verhandelt wird. Und damit kommen wir zu Ihrer Frage, ob die Forderungen der Bewerbenden zu dreist seien. Die Antwort ergibt sich mit Blick auf Ihre Branche, die Größe und Lage Ihres Unternehmens und der vorausgesetzten Qualifikation, den Fach- oder Spezialkenntnissen für Ihre Stelle.
Mit Blick auf Ihr Gehalt stellen sich zwei Fragen:
Bildet die Schwarmintelligenz der Gruppe der Bewerber eher Wunsch oder Realität ab? Und daraus folgend:
Wie sieht das Gehaltsband mit unterer und oberer Grenze für Ihre Position tatsächlich aus? Wie groß ist hier also der Verhandlungsspielraum – auch für Sie?
Haben Sie die Möglichkeit, hierzu Näheres über unternehmensinterne Netzwerke oder den Betriebsrat (falls vorhanden) herauszufinden?
Klarheit, Ziele setzen und kommunizieren
Kehren wir den Bewerbenden mal den Rücken mit Blick auf Ihre Situation: Wie war er denn, der Blick in den Spiegel? Haben Sie Mut, Ihren eigenen Marktwert zu checken?
Vielleicht helfen Ihnen dabei folgende Fragen:
Kann ich ableiten, welchen (Mehr)Wert ich in meinem Wirkungsbereich/für meine Abteilung/für das Unternehmen konkret erbracht habe?
Möchte ich nach meiner Elternzeit neue oder andere Aufgaben übernehmen?
Habe ich mit meinem Team erfolgreich größere Projekte koordiniert, betreut oder abgewickelt?
Habe ich entscheidende Erfahrungswerte dazugewonnen, die künftig für mehr Effizienz und noch bessere Arbeitsergebnisse sorgen?
Konnte ich bereits wichtige, umsatzstarke Kunden für das Unternehmen gewinnen oder reaktivieren?
Habe ich entscheidende Prozesse mit nachhaltiger Auswirkung auf die Wertschöpfungskette des Unternehmens optimiert?
Habe ich Ideen zur Produkt- oder Prozessverbesserung beigesteuert?
Was wünsche ich mir nach der Rückkehr aus der Elternzeit in Bezug auf die Zusammenarbeit mit meiner Führungskraft?
Welche wichtigen Herausforderungen sehe ich in meiner Branche?
Habe ich Lösungsansätze zu diesen wichtigen Fragen in meinem Wirkungsbereich entwickelt?
Wenn ich mir ein Gehalt zahlen könnte, wie hoch wäre es?
Mit der Klarheit, die Sie jetzt haben, können Sie, noch bevor Sie in Ihre Elternzeit gehen, einen Gesprächstermin mit Ihrer Führungskraft vereinbaren.
Sprechen Sie an, was Sie sich wünschen, wenn Sie wieder zurückkehren. Holen Sie sich Rückmeldungen ein zu Ihren Arbeitsergebnissen, fragen Sie nach, wie eine Weiterentwicklung nach Ihrer Elternzeit konkret aussehen könnte, und mal Hand aufs Herz: Warum sprechen Sie nicht an, was Ihnen im Zug des Ausschreibungsprozesses aufgefallen ist und wie Sie damit umgehen sollen?