Der moderne Manager ist viel unterwegs und verbringt daher naturgemäß viele Nächte im Hotel. Davon war an dieser Stelle ja schon des Öfteren die Rede. Sie erinnern sich, meine klugen Leserinnen und charmanten Leser, vielleicht noch an die Kleiderbügel im Seminarhotel.
Dieses Mal geht es um ein Thema, dessen Bedeutung mir Außendienstler nahegelegt haben, diese Ambulanzen der Innovation, Vermittler in die Wirklichkeit und Reporter dessen, was da draußen abgeht: Duschen. Beim Duschen kommen ja bekanntlich die besten Ideen. Aber hier geht es weniger um das Duschen als um die Duschen. Sie sind, wenn die Berichte über sonderbare Hotelnamen ("Goldener Hirsch", "Roter Hahn", "Weißer Widder"), skurrile Hängungen der Kaufhauskunst über den Betten (treppenförmig) oder zerfledderte Restbestände der Lesezirkel (mit gelösten Kreuzworträtseln) absolviert sind, der Höhepunkt.
Immer wenn ich ein Hotel betrete, sagte mir einer dieser Außendienstler, freue ich mich auf die Duschen! Sie geben mir das Gefühl grenzenloser Innovation.
Sie in-spi-rie-ren mich enorm!
Mit ihrer sinnlosen Vielfalt!
Duschen zeigen, wie selbst die einfachsten Funktionen der Welt unzählige Produktvariationen provozieren. Die harten amerikanischen Wasserschleudern, die dich fast aus der Wanne spülen. Die Event-Armaturen, bei denen es von allen Seiten schwallt und mehrere Griffe zur Regelung dienen. Man wünscht sich dann immer Partnerinnen oder Partner, die mal vorangehen, um zu sehen, was passiert. Dann diese Monoarmaturen für Wassermenge und Temperatur gleichzeitig, wobei eine Drehung nach links bei simultanem Zug nach vorn die Warmwasserschleuse öffnet. Oder umgekehrt. Weiß man nur vorher nicht. Oft weiß man auch nicht, wie die Dinger überhaupt zu bedienen sind, vor allem in kleineren Provinzhotels mit diesen plastikverfliesten Nassräumen oder nachträglich angebrachten Zellen aus dem Baumarkt, mit Armaturen, deren Herkunftsländer einem nicht einmal namentlich geläufig sind, schon gar nicht als Produktionsstandorte von Designerware. In diesen Hotels herrscht zudem immer eine geradezu modellhaft ökologische Vernetzung, wenn etwa die Toilettenspülung im Stockwerk darüber die Kaltwasserzufuhr der Dusche drosselt, in der man sich eben beregnen lässt. Mit heißer Konsequenz. Manchmal duschen alle gleichzeitig. Dann glaubt man, in einer Tropfsteinhöhle zu stehen.
Dieses Gefühl stellt sich oft auch deshalb ein, weil viele Duschköpfe unter Sklerose leiden, insbesondere die in geriffeltem Plexiglasdesign. Weißliche Ablagerungen erzeugen dann illegitime Seitenstrahlen, die ins neugierig aufwärtsgerichtete Auge pinkeln. Viele Duschköpfe hängen überdies nur matt in ihren Verankerungen und benässen allenfalls die Kacheln. Was zu innovativen Reaktionen zwingt. Entweder man hält sie mit einer Hand, oder es gibt keine Erfrischung - außer, man hat das Werkzeug dabei, mit dem man sie feststellen kann. Es sei angebracht, so meine Gewährsperson, immer einen Schraubenzieher mit sich zu führen.
Ein hervorragendes Geistestraining insgesamt, das auf eindrucksvolle Weise bestätigt: Beim Duschen und in Duschen kommen einem tatsächlich die besten Ideen.
Holger Rust
ist Professor für Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Arbeit, Wirtschaft und Karriere an der Universität Hannover. Daneben arbeitet er als Publizist und Unternehmensberater vor allem auf den Gebieten der Kommunikationskultur in Unternehmen. Wollen Sie unserem Kolumnisten Ihre Meinung sagen, schreiben Sie eine E-Mail: holger_rust@harvardbusinessmanager.de
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Nummer 201103113, siehe Seite 116 oder www.harvardbusinessmanager.de © 2011 Harvard Business Manager