Internationalisierung Wie sich Investitionen im Ausland lohnen
Für viele mittelständische Unternehmen ist Internationalisierung oft die einzige Möglichkeit, weiter zu wachsen. Bei Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 50 Millionen und 3 Milliarden Euro wächst das Inlandsgeschäft im Durchschnitt nur um 4 Prozent pro Jahr. Im Ausland beträgt das Wachstum dagegen durchschnittlich 10 Prozent pro Jahr. So ist es nur folgerichtig, dass gerade die großen Mittelständler mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro bereits mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland erwirtschaften. Damit haben sie einen ähnlichen Internationalisierungsgrad wie die Dax-Konzerne. Die kleineren Unternehmen erwirtschaften dagegen nur zwischen 30 und 37 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Diese Firmen haben noch ein erhebliches Wachstumspotenzial.
Das ist das Ergebnis einer umfassenden Analyse des deutschen Mittelstands, die die Unternehmensberatung McKinsey im Jahr 2005 gemeinsam mit dem Mittelstandslehrstuhl an der Universität Bremen und der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar bei Koblenz durchführte.
Im Herbst 2006 setzten die Berater und Wissenschaftler ihre Untersuchung fort. Unter der Leitung des McKinsey-Partners Jürgen Geiger und des Professors für Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneurship an der Universität Bremen, Jörg Freiling, untersuchten sie 150 mittelständische Unternehmen aus dem Anlagen- und Maschinenbau, der chemischen Industrie, der Konsumgüterbranche und dem Hightech-Bereich. Die Ergebnisse dieser Untersuchung stellen wir an dieser Stelle exklusiv vor. Sie zeigen, welche der vielen Strategien und Fähigkeiten für den Erfolg in Märkten wie China oder Russland besonders wichtig sind.
Die Studie zeigt aber auch, dass viele Mittelständler mit der komplexen Herausforderung, einen ausländischen Markt zu erschließen, nicht zurechtkommen. Denn: Nur ein Viertel der Internationalisierungsprojekte ist mit einer durchschnittlichen Umsatzrendite von 15,7 Prozent sehr erfolgreich. Der Rest erwirtschaftet Umsatzrenditen zwischen 3,5 und 4,5 Prozent - oder sogar negative.
Für viele Mittelständler sind die wichtigsten Auslandsmärkte China, Osteuropa und Russland. Die Erfahrungen der befragten Manager zeigen, dass kein Land zu einem bestimmten Zeitpunkt als Markt für ein Unternehmen erschlossen werden muss, weil es gerade Mode ist. Vielmehr müssen Manager und Mitarbeiter bestimmte Fähigkeiten zur Internationalisierung besitzen - und dann entscheiden die Bedürfnisse des Unternehmens, welches Internationalisierungsziel sinnvoll ist. Für ein nur in Deutschland tätiges Unternehmen mag es ein westeuropäisches Land sein, für ein reiferes Unternehmen dagegen Russland oder China.
Um einen großen Sprung wie den Aufbau einer Niederlassung in Asien zu bewältigen, sollte die Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens die sechs folgenden Punkte beachten. Sie fördern den Erfolg eines Internationalisierungsprojekts erheblich (siehe Tabelle Seite10).
1. Eigene Fähigkeiten und Marktumfeld analysieren
Von den vielen Fragen, die am Anfang einer Expansion ins Ausland beantwortet werden müssen, sind zwei besonders wichtig: In welchem Land sollen wir aktiv werden? Und: Welches Marktsegment sollen wir dabei besetzen? Häufig verläuft die Internationalisierung bei erfolgreichen mittelständischen Unternehmen zunächst über ein westeuropäisches Land. Später folgt ein Standort in den USA, dann einer in Osteuropa oder Asien. Der Grund für diese Entwicklung liegt im zunehmenden Schwierigkeitsgrad der Auslandsprojekte. Ein Unternehmen, das in ein Land expandiert, dessen Kultur und Markt dem deutschen ähneln, muss mit weniger Anfangsschwierigkeiten rechnen als ein Unternehmen, das gleich nach Asien expandiert. Erst mit zunehmender Erfahrung im Aufbau ausländischer Dependancen sollten Märkte wie Russland, China oder Indien erschlossen werden.
Die Erfahrungen von Wika, einem Hersteller von Lösungen zur Druck- und Temperaturmessung mit Sitz im unterfränkischen Klingenberg, decken sich gut mit den Erkenntnissen der Untersuchung. 1987 gründete das Management in Japan eine Niederlassung - und wurde von hohen Markteintrittsbarrieren überrascht. Die Kunden reagierten nicht wie erwartet, und die Kosten waren hoch. Das Experiment endete mit einem Rückzug. Jahre später, nachdem das Management viele Erfahrungen mit ausländischen Märkten in Europa, den USA und Asien gesammelt hatte, wagte Wika einen zweiten Anlauf in Japan. Dieses Mal analysierte das Management zuvor systematisch Marktpotenzial, Markteintrittsbarrieren und Wettbewerbssituation. Es war auch dieses Mal schwer. Aber das inzwischen gewachsene Unternehmen hatte genug Ressourcen und Erfahrung, um die Startschwierigkeiten zu überstehen.
Grundsätzlich kann jedes Unternehmen auf ausländischen Märkten aktiv werden. Allerdings sollte der Markteintritt nur mit klarem Wettbewerbsvorteil erfolgen - auch wenn das bedeutet, im Ausland eine andere Strategie zu verfolgen als zu Hause.
Wer zum Beispiel in Deutschland bekannt für niedrige Preise ist, wird in Ländern wie China oder Russland so nicht erfolgreich sein. In diesen aufstrebenden Märkten dominieren zwei Unternehmenstypen, die die McKinsey-Berater "Innovationschampion" und "Spezialisierer" nennen. Die sogenannten "Kostenführer"haben nur geringe Chancen.
2. Eine eigene Organisation aufbauen
Fast die Hälfte der befragten Unternehmen baut im Ausland beim Markteintritt eine eigene Organisation auf. Bei den besten Unternehmen der Studie ist der Anteil drei Jahre später auf fast 82 Prozent gestiegen. Es zeigte sich auch, dass Unternehmen mit eigener Organisation langfristig erfolgreicher sind.
Falls Gründe gegen den Aufbau einer eigenen Organisation sprechen, wie zum Beispiel die dazu notwendigen höheren Investitionen, empfehlen die Berater die Anzahl der Kooperationspartner bewusst zu begrenzen.
So kooperierte das Maschinenbauunternehmen Tecmen aus dem saarländischen Illingen beim Markteintritt in China mit einem lokalen Vertriebspartner, da dem deutschen Unternehmen die Ressourcen zum Vertriebsaufbau fehlten. Generell sollte das Management versuchen, Unternehmen mit gleicher Kultur und Größe als Kooperationspartner zu finden. Denn dann begegnen sich beide Verhandlungspartner auf Augenhöhe, und die Entscheidungsprozesse sind kürzer. Weil beide Unternehmen ein ähnliches Ziel- und Wertesystem haben, ist auch der langfristige Erfolg wahrscheinlicher.
Die Analyse der Projekte ergab aber auch, so Studienleiter Geiger, dass die Erfolgschancen eines Internationalisierungsprojekts mit jedem zusätzlichen Kooperationspartner sinken. Das liege an der zunehmenden Komplexität und den langwierigeren Entscheidungsprozessen.
3. Zu Beginn 50 Prozent Expatriates einsetzen
Wer in Russland Geschäfte machen will, braucht persönliche Kontakte und Erfahrung im Umgang mit den Behörden. In China ist es der besondere Umgang mit Geschäftspartnern, um die Vertrauensbasis zu schaffen, in Indien liegt der Fall ähnlich. Wer nicht genau weiß, wie das Geschäftsleben in der Ferne funktioniert, hat von Anfang an schlechtere Karten. Aus diesem Grund sollte ein qualifiziertes Führungsteam, so das Ergebnis der Untersuchung, aus unternehmerisch denkenden Expatriates und Kollegen vor Ort bestehen.
Die Analyse der renditestärksten Absatzprojekte ergab, dass Expatriates und lokale Mitarbeiter beim Markteintritt zu gleichen Teilen im Unternehmen arbeiten sollten. Denn die Expats wissen über Produkte und Abläufe im Unternehmen genau Bescheid, während sich die Kollegen aus dem Ausland mit den örtlichen Gepflogenheit gut auskennen.
Das Beispiel des Baustoffherstellers Knauf aus Iphofen in Bayern zeigt ein mögliches Vorgehen. Das Management wagte bereits 1993 den Schritt nach Russland. Das Unternehmen erwirtschaftet von seinen 80 Prozent Auslandsanteil am Umsatz den größten Teil in Russland. In diesem Land sind Macherqualitäten mit einer Spur Pragmatismus gefordert. Das Unternehmen suchte deshalb Expatriates mit Unternehmerqualitäten, also Durchhaltevermögen in Krisen, fähig, schnell zu entscheiden und in ungewöhnlichen Situationen flexibel zu reagieren. Die russischen Kollegen dagegen sollten den heimischen Markt sehr gut kennen, Kontakte und interkulturelle Fähigkeiten haben. Allerdings ist der Wettbewerb um gute Mitarbeiter in
den beliebtesten Märkten China und Russland sehr hoch. Statt sich an Personalberater zu wenden, setzen die Top-Performer unter den befragten Unternehmen deshalb vor allem auf informelle Netzwerke und Empfehlungen über Dritte. In China werden Mitarbeiter auch rigoros von anderen Firmen abgeworben.
4. Das Produkt an das Land anpassen
Hansgrohe, ein schwäbischer Hersteller von hochwertigen Bad- und Küchenarmaturen mit Sitz in Schiltach, erwirtschaftet 80 Prozent seines Umsatzes im Ausland. Nach langen Interviews mit Bauentwicklern und dem Anwerben chinesischer Designer entwickelte das Unternehmen eine Modellserie mit voluminösen barocken Formen für den chinesischen Markt. In Europa dagegen wird Hansgrohe mit minimalistischem Design unter anderem von Philippe Starck in Verbindung gebracht.
Die Anpassung der Produkte an das Zielland ist wichtig. Im Anlagenbau gelingt das besonders gut mithilfe von produktbegleitenden Dienstleistungen. Denn diese individuell geprägten Angebote bieten die Chance, sich gegenüber dem Wettbewerber zu profilieren. Die Produkte müssen auch nicht immer weiterentwickelt werden. Gerade in Schwellenländern sind häufig einfachere, robustere Produkte gefragt.
Allerdings, so McKinsey-Partner Geiger, werden laut Studie nur 50 Prozent der Produkte an die spezifischen Bedürfnisse des Landes angepasst - und nur bei 60 Prozent der Produkte habe es begleitende Dienstleistungen gegeben.
Es gibt auch Beispiele, wo Unternehmen erfolgreich eine eigene Entwicklungsabteilung in dem jeweiligen Land aufgebaut haben. Sie konnten so auf die marktspezifischen Bedürfnisse vor Ort am besten reagieren.
5. Strategien gegen Produktpiraten planen
Der Motorsägenhersteller Stihl aus Waiblingen bei Stuttgart kämpft seit Jahren gegen Produktpiraterie. Gerade bei Produkten, bei denen es auf Sicherheit ankommt, ist es für die Hersteller besonders unangenehm, wenn oberflächlich gut nachgemachte Produkte in schlechter Qualität auf den Markt geworfen werden. Das Stihl-Management ist gewappnet, im Gegensatz zu 80 Prozent der in der Untersuchung befragten Manager, die einräumen, auf die Gefahr der Produkt- und Markenpiraterie nicht gut vorbereitet zu sein. Sie schätzen die bestehende Gefahr allerdings derzeit nicht als besonders hoch ein. Nur Chinas Markt wird bereits als stärkere Bedrohung für das geistige Eigentum wahrgenommen. Die Mittelständler erwarten erst in zehn Jahren einen deutlichen Anstieg des Ideenklaus.
Um sich zu schützen, melden gut vorbereitete Unternehmen Schutzrechte in den Ländern an, die als Absatzmarkt infrage kommen. Außerdem überwachen die Vertriebsmitarbeiter den Markt und verfolgen, welche Patente ihre Wettbewerber anmelden. Das Stihl-Management lässt durch Detektive Produktpiraten aufspüren. Und das Unternehmen Dronco, ein Hersteller für Schleifmittel aus dem bayerischen Wunsiedel, versucht, den Innovationszyklus zu reduzieren: alle 90 Tage ein neues Produkt.
6. Kriterien für den Rückzug festlegen
Gerade für ein kleines Unternehmen ist die Anwesenheit vor Ort bei vielen Auslandsmärkten oft ein Problem. Denn laut der McKinsey-Studie ist es besonders erfolgsfördernd, wenn der häufig schon ältere Chef persönlich zu den Verhandlungen mit Kunden oder Kooperationspartnern erscheint. Ein weiterer Effekt: dass der Chef am noch jungen Standort präsent ist, motiviert die Mitarbeiter vor Ort. Die Befragung zeigt, dass dieses Vorgehen auch die Disziplin und die Integration der Nationalitäten stärkt. Die Geschäftsführung sollte 30 Prozent ihrer Zeit im Ausland vor Ort sein.
Zusätzlich zur Präsenz der Geschäftsleitung benötigen die Unternehmen ein Kontrollsystem. Bei den Top-Performern haben sich vier Kennzahlen bewährt, die vor Projektbeginn für einen festen Zeitpunkt, zum Beispiel drei Jahre nach Projektbeginn, festgelegt werden: Es handelt sich um die Kennzahlen Umsatz, Rentabilität, Marktanteil und das Investitionsbudget. Wird eine dieser Kennzahlen nicht erreicht beziehungsweise überschritten, wird das Projekt abgebrochen.
Das Unternehmen Wika hat seine Absatzprojekte vorbildlich professionalisiert. Das Management eröffnet zwei Auslandsniederlassungen pro Jahr. Ein 15-köpfiges Team in der Zentrale bereitet die Neugründungen generalstabsmäßig vor und begleitet die jungen Auslandstöchter durch die Schwierigkeiten der ersten Jahre. Die deutsche Geschäftsführung ist regelmäßig vor Ort in den Ländermärkten. Die Abbruchkriterien sind im ganzen Unternehmen bekannt: Ist etwa die Gewinnschwelle nach drei Jahren nicht erreicht, ist das Projekt zu Ende.
Fazit
Egal ob ein bestimmtes Land gerade in Mode ist oder nicht: Nur wenn Geschäftsleitung und Mitarbeiter die Voraussetzungen für eine Expansion ins Ausland besitzen, kann dieser Schritt gelingen. Besonders wichtig ist deshalb die Vorbereitung. Wer zum Beispiel mit Qualitätsproblemen in der Produktion kämpft, sollte diese erst beseitigen. Wer noch keine internationale Erfahrung besitzt, sollte sich nicht gleich an einen schwierigen Markt wie Russland oder China wagen. Zwei Länder, die großen Reiz auf Mittelständler ausüben - laut Studie plant jede zweite Firma bis 2009 Absatzprojekte in diesen Märkten. n