Zur Ausgabe
Artikel 9 / 13

WIE CHINAS POLITISCHES SYSTEM DEN UMWELTSCHUTZ BEHINDERT

aus Harvard Business manager Edition 1/2011

Wenn internationale Konzerne mit Umweltproblemen in China angemessen umgehen wollen, müssen sie das dortige politische System verstehen: Wie ist die Macht verteilt und wer hat welche Motivation, etwas zu tun? Der Staat greift in alle Bereiche des Wirtschaftslebens ein. Zudem hat die politische Führung in Peking ein beängstigendes System entwickelt, um von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer unternehmerischen Marktwirtschaft übergehen zu können, ohne das Einparteiensystem aufzugeben.

Das politische System in China besteht aus fünf Verwaltungsebenen: Land, Provinz, Präfektur, Kreis und Stadt. Die Politiker einer Ebene vermitteln ihren Kollegen der nächsttieferen Ebene im Grunde Folgendes: "Wir lassen euch genügend Spielraum, damit ihr auf kreative Art und Weise das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in eurem Verwaltungsgebiet steigern könnt." Erfolg wird auf zweierlei Weise belohnt: Zum einen durch jährliche offizielle Leistungsbewertungen, die in erster Linie an das BIP-Wachstum der einzelnen Verwaltungseinheiten gekoppelt sind, und zum anderen durch persönliche finanzielle Vorteile, die das Wirtschaftswachstum für die Lokalpolitiker mit sich bringt. Sie investieren in wichtige Firmen, besetzen einflussreiche Positionen, hieven Verwandte auf Managementposten, bereichern sich durch Korruption und so weiter.

Das System hat zu einer Flut staatlichen Unternehmertums geführt, was im Laufe der Zeit die Kommunistische Partei selbst verändert hat. (Korrekterweise müsste die Partei mittlerweile eigentlich "Chinesische Bürokratische Kapitalistische Partei" heißen.) Die Parteifunktionäre aller Ebenen sind aber keine Vertreter der freien Marktwirtschaft. Sie gieren vielmehr danach, ihren politischen Einfluss geltend zu machen - im Bunde mit staatlichen und privaten Unternehmen vor Ort-, um das BIP-Wachstum in ihrem Verwaltungsbereich zu maximieren. Diese Interaktion zwischen Politik und Wirtschaft macht das System zu einer wahren Wachstumsmaschine. Die systemimmanenten Anreize motivieren Lokalpolitiker, ihre Unternehmen davor zu bewahren, sich an Umweltgesetze zu halten, die das Wirtschaftswachstum bremsen könnten. Häufig geht es sogar so weit, dass übereifrige Politiker den Unternehmen in ihrem Verwaltungsbereich vorschreiben, solche Vorschriften zu ignorieren. Um die Strafen wieder auszugleichen, die Firmen für Verstöße zahlen müssen, vertuschen Politiker die daraus resultierenden Probleme in ihren Berichten an die nächsthöhere politische Ebene. Sie nehmen auf Gerichte Einfluss, um negative Urteile zu verhindern, und sie helfen durch Steuererleichterungen, Bankkredite und anderweitige finanzielle Unterstützung den betroffenen Firmen. Als wäre dies nicht schon genug, unterstehen die Umweltschutzämter auf allen Verwaltungsebenen auch noch der jeweiligen politischen Führung dieser Ebene und nicht dem Umweltministerium in Peking.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Pekings Vorschriften zum Schutz der Umwelt meist nicht fruchten. 2005 und 2006 sollten im Rahmen einer groß angekündigten Initiative die Umweltschutzbemühungen von Lokalpolitikern bewertet werden, indem bei der Berechnung des BIP-Wachstums auch Umweltschäden berücksichtigt wurden. Das Vorhaben scheiterte an technischen Problemen und dem enormen Widerstand der örtlichen Behörden.

DIE POLITIK VERSTEHEN

Um der politischen Führung des Landes gerecht zu werden, ist anzuerkennen, dass diese durchaus versucht, durch Kooperationen vor Ort die Umsetzung der Umweltauflagen durchzusetzen. Der Staat investiert in seinem elften Fünfjahresprogramm (von 2006 bis 2010) rund 175 Milliarden US-Dollar in entsprechende Infrastruktur und Technik. Im Allgemeinen begrüßen die lokalen Politiker solche Investitionen, weil der Bau derartiger Anlagen Arbeitsplätze schafft und weitere Vorteile mit sich bringt.

So ermutigend solche Programme auch sind, die bestehende Anreizstruktur führt dennoch dazu, dass Lokalpolitiker sie nicht effektiv nutzen. Rund die Hälfte der von Peking finanzierten städtischen Kläranlagen, die während des zehnten Fünfjahresplans gebaut wurden, blieb ungenutzt, weil die Städte kein Geld in den Betrieb der Anlagen investierten. Aus demselben Grund werden im Perlflussdelta viele Abgasreinigungsanlagen nicht genutzt. Für die meisten Unternehmen ist es einfach viel billiger, die Strafen zu bezahlen, als sich an die existierenden Vorschriften zu halten.

Diese für die Umwelt nachteiligen politischen Strukturen lassen sich nur dann ändern, wenn Chinas Führung enormes politisches Kapital investieren würde, um das Anreizsystem zu reformieren. Den lokalen Behörden müssten die Funktionäre klarmachen: "Beim nächsten großen Reformschritt geht es an euer Geld."

Angesichts der vielen anderen Prioritäten, die Pekings Politiker haben, gibt es allerdings wenig Grund anzunehmen, dass sie bereit sind, dieses Thema mit Nachdruck zu verfolgen.

KEINE FREIE MARKTWIRTSCHAFT

Was können internationale Konzerne tun, um in dieser politisch gelenkten Wirtschaft erfolgreich zu sein? Sie können der politischen Führung in Peking verdeutlichen, in welchem Maße sie dazu beitragen, Chinas umweltpolitische Ziele zu erreichen, und sie dazu bringen, dies auch öffentlich zu würdigen. Solche Öffentlichkeitsarbeit kann viel bewirken, denn alle Behörden identifizieren sich gern mit den Zielen der Regierung.

Genießt ein ausländisches Unternehmen politische Anerkennung von ganz oben, ist es für Kommunalpolitiker deutlich einfacher, mit diesem Konzern zusammenzuarbeiten, anstatt einen chinesischen Wettbewerber zu bevorzugen.

Glücklicherweise gibt es im chinesischen System auch starke Anreize, dass Regionen um Auslandsinvestitionen konkurrieren. Internationale Konzerne können sich die Unterstützung lokaler Behörden sichern, wenn sie herausfinden, welche Anreize und Bedenken für die jeweiligen Verantwortlichen wichtig sind, und ihre Anträge darauf abstimmen.

EINFLUSSLOSE ZENTRALREGIERUNG

Unternehmen sollten versuchen:

◼ Wachstumschancen, Arbeitsplätze und steuerliche Vorteile zu betonen, die sich durch das vorgeschlagene Umweltschutzprojekt ergeben;

◼ der jeweiligen Behörde zu versprechen, ihre Erfolge bei der Umsetzung von Umweltstandards publik zu machen (das gibt den Behörden die Möglichkeit, sich als Unterstützer eines Ziels der Regierung zu positionieren);

ROLLE AUSLÄNDISCHER UNTERNEHMEN

◼ Fachkräfte vor Ort für Jobs auszubilden, die das Projekt schafft;

◼ Beiträge zum Naturwissenschafts- und Umweltunterricht der örtlichen Schulen zu leisten und

◼ den örtlichen Behörden anzubieten, Standortwerbung zu betreiben, indem die künftig saubere Umwelt der Region angepriesen wird.

Zur Ausgabe
Artikel 9 / 13
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren