Generationen Was macht eigentlich ein Future Generations Commissioner?

Advokatin künftiger Generationen: Sophie Howe
Foto: PRHBm: Wieso hat Wales sich dazu entschlossen eine Future Generations Commissioner zu installieren, Frau Howe?
Sophie Howe: Weil das Parlament in Wales erkannt hatte: So wie bisher können wir nicht weiter machen, wenn wir wollen, dass unsere Kinder und deren Kinder gute Startchancen haben und einem gesunden Umfeld leben können. Deshalb hat die Regierung 2015 den Well-being of Future Generations Act beschlossen. Der Job der Future Generations-Beauftragten ist es sicherzustellen, dass bei allen Entscheidungen von Politik, Kommunen und Verwaltung auch die langfristigen Auswirkungen berücksichtigt werden. Ziel des Gesetzes ist ja unter anderem, Probleme wie Armut, mangelnde Gesundheitsversorgung und den Klimawandel zu bekämpfen. Und das funktioniert eben nicht, wenn immer nur bis zur nächsten Wahl gedacht wird.
Sophie Howe war von 2016 bis Januar 2023 die erste Future Generations Commissioner in Wales. Zuvor hatte sie als stellvertretende Polizei- und Kriminalitätskommissarin für Südwales gearbeitet. Derzeit ist sie Mitglied des walisischen Ausschusses der Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission und Vorsitzende des International Network of Institutions for Future Generations. Sie lebt mit ihrem Ehemann Ceri und ihren fünf Kindern in Cardiff.
Welches gehörte zu Ihren ersten Projekten?
Howe: Wenn Sie Themen wie gesellschaftliche Ungleichheit und Armut angehen wollen, kommen Sie am Bildungssystem nicht vorbei. Das bedeutet nicht nur eine bessere Ausstattung von Schulen – es bedeutet auch, dass die Lehrpläne überarbeitet und auf ihre Zukunftsträchtigkeit überprüft werden müssen.
Neben den akademischen Inhalten ging es uns aber auch darum, die physische wie psychische Gesundheit unserer Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Dinge wie Bewegung, gesunde Ernährung und mentales Wohlbefinden lagen uns dabei sehr am Herzen.
Und natürlich sollte Schule die Liebe zum Lernen und den Mut zur Kreativität zu vermitteln. Wie wir sehen, ändern sich die Dinge schließlich mittlerweile so rasend schnell, dass Lernen zum Lebensthema wird. Und Kreativität werden wir brauchen, denn das ist es, was wir Menschen der Technik voraus haben.
Darüber hinaus war unumstritten: Wir müssen unseren Kindern und Jugendlichen beibringen, welchen Einfluss sie bei der Schaffung einer besseren Welt spielen. Dazu müssen sie erkennen, welche Auswirkungen ihr Handeln auf andere Menschen hat – und zwar auch global betrachtet.
Der Lehrplan in unseren Schulen konzentriert sich also auf den Future Generations Act und auf die Dinge, die für unsere Kinder und Jugendlichen wirklich wichtig sind, und wie wir sie jetzt darauf vorbereiten können.
Ein Lehrplan ist eine Sache - aber wie überzeugt man Hardliner in Gesellschaft und Politik davon, dass sie sich jetzt wirklich bewegen müssen?
Howe: Tatsächlich hat das Parlament von Wales als erste vergleichbare Institution einen Klima- und Umweltnotfall erklärt. Nur so konnten wir erreichen, dass zeitnah und im Sinne des Gesetzes gehandelt wurde und wird.
Hat sich das konkret ausgewirkt?
Howe: Der Future-Generations-Act hat beispielsweise einen fundamentalen Schwenk in der Verkehrspolitik bewirkt. Wales investiert so gut wie kein Geld mehr in den Straßenbau. Insgesamt 55 Vorhaben wurden in den sieben Jahren gestoppt, in denen ich im Amt war. Stattdessen haben wir in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs investiert.
Wie haben Sie das geschafft?
Howe: Als Future Generations Commissioner hatte ich nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung, mich einzumischen. Bei allem, was die Regierung und die Kommunen in Wales umsetzen wollten, habe ich gefragt: "Moment mal, können wir bitte einmal gemeinsam schauen, ob das, was wir da vorhaben, mit dem Future-Generations-Act übereinstimmt? Welche der im Gesetz vorgeschriebenen Ziele erreichen wir dadurch?"
Und wie war das im Falle des Straßenbaus?
Howe: Ursprünglich wollte die Regierung ihre gesamte Kreditkapazität für den Bau eines 13 Meilen langen Autobahnabschnitts ausgeben. Und sie konnte mir nicht erklären, inwiefern künftige Generationen davon profitieren würden. Denn klar war: Wenn wir noch mehr Straßen bauen, führt das unweigerlich zum Anstieg schädlicher Emissionen.
Das leuchtet ein - aber inwiefern sind Sie durch den Baustopp auch den anderen Zielen des Gesetzes näher gekommen?
Howe: Die Wende in der Verkehrspolitik hat uns die Möglichkeit eröffnet, die öffentlichen Mittel anders einzusetzen - und zwar so, dass es allen Menschen, Jungen wie Alten, in Wales besser geht. Der Ausbau des öffentlichen Nachverkehrs macht es der Bevölkerung deutlich leichter, auch ohne Auto persönlichen Kontakt zueinander zu halten. Das ist wichtig, denn in Wales können sich rund 25 Prozent der Familien mit niedrigem Einkommen kein Auto leisten. Und wir wissen aus der Forschung: Freunde und Verwandte zu treffen, trägt nachweislich zum psychischen Wohlbefinden bei.
Zudem ist es jetzt viel sicherer, zu Fuß oder mit dem Rad auf den neu und gut ausgebauten Wegen unterwegs zu sein. Tatsächlich sind auch deshalb jetzt viel mehr Menschen körperlich aktiv - was ihrer Gesundheit zuträglich ist.
Und wir haben erreicht, dass jetzt auch Menschen mit wenig Geld deutlich mobiler sein können. Jetzt ist ihr Erlebnis-Radius und damit auch ihre Teilhabe am öffentlichen Leben erheblich größer.
Braucht es demnach ein Gesetz, um derlei tiefen Wandel zu ermöglichen?
Howe: Theoretisch nicht. Praktisch wäre die Transformation jedoch viel schwieriger geworden. Das Gesetz hat allen Beteiligten klar vermittelt, dass die Lage ernst ist – und das die Regierung das erkannt hat und angeht. Die Ziele, die im Gesetz formuliert sind, helfen den Verantwortlichen zudem im Alltag dabei, ihre Vorhaben zu hinterfragen. Zudem habe ich beobachtet, dass sich sehr viel Kraft entfaltet, wenn sich Menschen in langfristigen Zielen wiederfinden und sie gemeinsam im ganzen Land verfolgen. Eine solche Vision ist ungeheuer mächtig und trägt selbst über schwierige Zeiten hinweg.
Hand auf´s Herz: Würde ein solcher Wandel nicht auch ohne Future-Generations-Commissioner funktionieren?
Howe: Wenn sich alle einig sind, sich diszipliniert an die Regelungen halten und die Ziele wie eine Art Checkliste bei ihrem Handeln berücksichtigen, sicherlich. Aber manchmal sind die Entscheidungen sehr komplex. Und da ist es gut, jemanden zu haben, der die richtigen Fragen stellt und eine andere Perspektive einbringt. Zudem ist es wichtig einen Moderator zu haben, der hilft, die Ziele zu verstehen, abzuwägen und zu erreichen.
Ein großer Teil der Arbeit eines Future-Generations-Commissioners besteht daher darin, öffentlichen Institutionen Ratschläge, Unterstützung und Anleitung zu geben.
Was haben Sie dabei als größte Herausforderung empfunden?
Der Schwerpunkt meiner Arbeit lag ganz eindeutig darauf, einen kulturellen Wandel anzustoßen und zu begleiten. Wir mussten weg vom kurzfristigen Denken und hin zum Denken in langen Zeiträumen. Für Entscheidungsträger, denen jahrzehntelang beigebracht wurde, vor allem im Rahmen jährlicher Budgets zu entscheiden und innerhalb eines bestimmten Wahlzyklus zu arbeiten, ist das gar nicht so leicht.
Ist das Gesetz für Wales und seine Umsetzung auf andere Länder übertragbar?
Howe: In Schottland wird stark darüber diskutiert. Und Länder wie Litauen, Finnland, Neuseeland und Australien interessieren sich sehr dafür, was wir in Wales gemacht haben. Auch die UN arbeiten an einer entsprechenden Deklaration.
Hätten Sie das für möglich gehalten, als Sie den Job vor sieben Jahren übernahmen?
Howe: Die Arbeit war in Teilen wirklich mühsam – und etliches hat deutlich länger gedauert als erhofft. Aber am Ende bin ich immer wieder erstaunt, was wir trotz aller Widrigkeiten erreicht haben. Das macht mich auch persönlich stolz. Und was mich als Mutter von fünf Kindern wirklich freut ist: Meine jüngste Tochter lernt im Alter von acht Jahren heute Dinge über Ökologie, Gesundheit, Kreativität und Verantwortung, die sich unser ältestes Kind, das mittlerweile 23 Jahre alt ist, mühsam selbst beibringen musste.