Kommentar Von Chinesen lernen
China wird westlich. Diesem Irrglauben hängen viele Manager und Politiker im Westen an. Sie glauben, je wohlhabender China wird, desto mehr passe sich das formal noch kommunistische Land unserem westlichen Modell an. Das Wirtschaftssystem werde immer marktwirtschaftlicher und mit einem gewissen Timelag das politische System immer demokratischer.
Die Manager glauben an den Siegeszug der Marktwirtschaft, weil Heerscharen von westlichen Beratern in China unterwegs sind. Ob McKinsey, Boston Consulting oder Roland Berger - alle haben große Büros in den beiden Metropolen Peking und Shanghai. Ihre Consultants predigen im fernöstlichen Riesenreich westliche Managementmethoden und -philosophien.
Und sie glauben an die chinesische Verwestlichung, weil chinesische Manager geradezu gierig nach einem MBA-Titel sind. Deshalb haben inzwischen alle großen Business Schools der westlichen Welt - ob Harvard, MIT oder Wharton - in den chinesischen Metropolen ihre Campus, auf denen jedes Jahr Tausende chinesischer Führungskräfte westliches Gedankengut gelehrt bekommen.
Doch weder die Berater noch die Professoren schaffen es und werden es auch nicht schaffen, Chinas Manager auf einen strammen Westkurs zu trimmen. Diese lassen sich nicht missionieren. China wird sich nicht dem Westen anpassen. China wird seinen eigenen Weg gehen, politisch, wirtschaftlich und auch im Managementstil.
Für Letzteres sprechen auch historische Gründe. Jede wirtschaftlich aufstrebende Nation revolutionierte auch das Managementdenken. Bei jeder Zeitenwende brachten kluge Denker und Praktiker dieser Länder neue Ideen in die Büros und Fabriken.
So war es in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Amerika zur größten Industrienation mutierte. Damals kreierte Autobauer Henry Ford die Massenfertigung, und Frederick Winslow Taylor, der Vater der Managementtheorie, parzellierte die Arbeitsprozesse, um sie effizienter zu machen.
Rund 70 Jahre später veränderte der asiatische Newcomer-Staat Japan die globale Arbeitswelt und das Denken auf den Führungsetagen. Die revolutionären Stichworte damals hießen Kaizen, Just-in-time und Lean-Management.
Und nun also die Chinesen, die gerade Exportweltmeister geworden sind. Doch da schüttelt mancher den Kopf: Wie bitte? Wir im erfolgreichen Westen sollen in Fragen des Managements von den Chinesen lernen, die gerade mal drei Jahrzehnte im kapitalistischen Geschäft sind?
Die meisten westlichen Manager schauen arrogant auf die chinesischen Manager herab. Und wiederholen damit die Fehler, die sie vor ein paar Jahrzehnten gemacht haben, als sie die Japaner sträflich unterschätzten Wir sollten den Fehler nicht ein zweites Mal machen.
Steve Tappin, einst Partner beim Personalberatungsunternehmen Heidrick & Struggles, schreibt in seinem Buch "The Secrets of CEOs", dass westliche Vorstandschefs bald eine Menge von chinesischen (und übrigens auch indischen) CEOs lernen können. Seine Begründung: "Chinesische Vorstandschefs sind sehr zielorientiert und denken äußerst unternehmerisch. Sie wollen ein großes Business kreieren."
Einschätzungen, die vom britischen Institute of Leadership & Management (ilm) geteilt werden. In der Studie "The Global Management Challenge: China vs the World" kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass "China beginnt, eine unverwechselbare und äußerst effektive Managementkultur zu entwickeln". Diese sei sophisticated, sehr kommerziell, innovativ und ambitiös.
Ambitiös und zudem flexibel und schnell - auf kaum jemanden treffen diese Attribute besser zu als auf Li Shufu, Gründer und Vorstandschef von Geely. Li begann Mitte der 80er Jahre mit der Produktion von Kühlschrankteilen, dann baute er Motorräder, und Mitte der 90er Jahre verkündete er, ins Autogeschäft einzusteigen. Am 8. August 1998 rollte das erste Auto vom Band. Elf Jahre später betrug die Jahresproduktion schon 330 000 Stück. Und nun kauft Geely dem angeschlagenen Ford-Konzern auch noch Volvo ab.
Früher wurde Li belächelt, heute lacht keiner mehr über ihn. Heute lächelt die Autowelt über Wang Chuanfu. Er verkündete, dass sein Unternehmen BYD ("Build Your Dream") spätestens 2025 der weltgrößte Hersteller von Autos sein wird, die meisten davon batteriegetrieben. Wang hat Visionen, seine westlichen Konkurrenten nicht.
Chinesische Manager planen in mittel- bis langfristigen Zeiträumen. So weit reicht der Horizont westlicher Manager nicht. Ihnen ist durch das hektische Quartalsdenken die Sicht in die Ferne versperrt. Welcher CEO in Europa oder den USA denkt denn in Fünf- oder gar Zehn-Jahres-Zeiträumen?
Und chinesische Manager agieren dabei strategischer, gehen fast wie Schachspieler vor. Zum Beispiel Huawei, der inzwischen renommierte Telekomausrüster. Systematisch rollte er die Welt auf: Nach dem Erfolg auf dem Heimatmarkt ging Huawei erst mal auf Märkte in der Dritten Welt und den Schwellenländern. Nachdem er auch dort reüssiert hatte, wagte er sich erfolgreich auf die entwickelten Märkte der Industrieländer.
Chinesische Manager sind viel lernbereiter und lernbegieriger als ihre westlichen Konterparts - auch das ergab die Studie des ilm. Außerdem seien sie viel eher als ihre selbstgefälligen Kollegen im Westen bereit, Dinge infrage zu stellen und sie gegebenenfalls zu korrigieren.
"Und China ist kein CEO-Land", sagt Rolf Cremer, der deutsche Dean des CEIBS in Shanghai, der renommiertesten Business School Chinas. Die Unternehmen sind in der Tat keine One-Man-Show, sondern es wird meist im Konsens entschieden. Der Teamgedanke - auch auf Vorstandsetagen - ist in chinesischen Unternehmen deshalb viel stärker ausgeprägt.
Es gibt also viele positive und durchaus nachahmenswerte Ansätze im chinesischen Management. Westliche Führungskräfte sollten sich deshalb - auch wenn es ihnen schwerfällt - den dortigen Führungsstil vorurteilsfrei anschauen und bereit sein, gegebenenfalls von ihm zu lernen. Das heißt nicht, blindlings alles von dort zu übernehmen, aber zumindest Teile.
Das empfiehlt auch der ehemalige Headhunter Frank Gallo. Der Amerikaner kennt beide Welten, er war jahrelang China-Chef von Watson Wyatt. In seinem Buch "Business Leadership in China" entwickelt er ein neues Hybridmodell, das beide Managementstile - den westlichen und den fernöstlichen - vermischt und das jeweils Beste aus beiden Welten kombiniert.
Diesem neuen Managementmodell könnte angesichts der Verlagerung der weltwirtschaftlichen Schwerkraft nach Fernost die Zukunft gehören. Es wird also Zeit, dass sich die westliche Managerzunft damit auseinandersetzt und endlich von dem Gedanken Abschied nimmt, dass China westlich wird.