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Produktion Vom Fließband zur Einzelfertigung

Linn Products im schottischen Glasgow ist ein Hersteller ausgefeilter Audio- und Videosysteme. Was die Firma von nahezu allen anderen Herstellern der Branche unterscheidet: Jeder Mitarbeiter baut allein ein Produkt in Handarbeit zusammen.
aus Harvard Business manager 1/2007

Sie haben Ihr modernes Fließbandsystem abgeschafft, um einen Prozess zu installieren, den Sie "Bauen auf einer Bühne" ("singlestage build") nennen. Warum?

TIEFENBRUN Es ist einfach falsch, dass Fließbänder besonders effektiv sind. Die Produktion am Band kann nur so schnell voranschreiten, wie es das langsamste Glied in der Kette erlaubt, beziehungsweise so schnell, wie die Mitarbeiter bei den Nacharbeiten mit der Produktion am Förderband mithalten können. Wir haben schon sehr früh ein Fließband bei uns in der Produktion installiert und haben versucht, wie eine Miniaturausgabe eines Automobilunternehmens zu produzieren. Aber sosehr ich es auch versucht habe, es gelang mir nie, den Produktionsprozess ordentlich zu synchronisieren.

Unsere Produktion heute ist sowohl altmodisch als auch durch Hightech geprägt. Bei Linn wird jedes Produkt von Hand zusammengefügt, von einem einzigen Mitarbeiter. Dieser Produktionsansatz ähnelt der Methode des Computerbauers Dell. Nur dass die Produkte von Linn weitaus komplexer sind. Es müssen dabei Hunderte von Komponenten getestet und zusammengesetzt werden.

Wie funktioniert Ihre Fertigung konkret?

TIEFENBRUN Als ich eines Tages wieder frustriert darüber war, dass es mir nicht gelang, den Produktionsprozess zu optimieren, bat ich eine Mitarbeiterin aus der Produktionslinie für Plattenspieler zu mir. Sie sollte alle dafür nötigen Teile zusammensuchen, sie zusammenzusetzen und mir das Endprodukt zeigen. Sie sah mich etwas befremdet an und zog dann los, um die Teile zu holen und zu montieren. Sie schaffte dies in 17,5 Minuten - am Förderband dauerte derselbe Vorgang 22 Minuten. Das war ein Aha-Erlebnis für mich.

Wir reorganisierten die Fabrik und stellten auf Einzelfertigung um, wobei wir Wagen benutzten, die durch einen Computer gesteuert wurden. Diese brachten das benötigte Material zu den entsprechenden Arbeitsstationen, und wir qualifizierten jeden Arbeiter in der Fabrik dafür, jedes beliebige Teil aus unserer Produktpalette herstellen zu können. Auf diese Weise konnten wir in kürzester Zeit jedes Produkt fertigen, das ein Kunde bestellt hatte.

Warum ist Arbeitsteilung bei Ihnen nicht die effizientere Methode?

TIEFENBRUN Adam Smith lehrte uns, dass durch Arbeitsteilung Wohlstand und Wert erzeugt werden. Zu Smiths Zeiten wurde Wohlstand in der Tat durch Menschen geschaffen, die sich in hohem Maße spezialisierten und so die Durchlaufgeschwindigkeit erheblich steigerten.

Aber bald wurden die extrem teuren Maschinen zum größten Engpass. Die Menschen brauchten geringere Fähigkeiten, um sie zu bedienen, und alles war darauf ausgerichtet, die Maschinen so effizient wie möglich auszulasten. Heute ist Automation billiger und leichter verfügbar, und gut ausgebildete Mitarbeiter sind wieder zur knappen Ressource geworden.

Die Herausforderung besteht darin, die Fähigkeiten und die Fantasie der Mitarbeiter optimal zu nutzen. Wir haben unseren Produktionsprozess so umgestaltet, dass unsere Mitarbeiter nicht mehr dazu da sind, auf der untersten Stufe Maschinen zu füttern, sondern die Roboter sind umgekehrt dazu da, den Mitarbeitern zu dienen. Sie sollen es ihnen erlauben, ihre Arbeit auf höchstmöglichem Niveau zu erledigen.

Mit welchem Ergebnis?

TIEFENBRUN Wenn ein Mitarbeiter ein Produkt vom Anfang bis zum Ende selbst herstellt, fühlt er sich dafür verantwortlich und kann den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und der Qualität unmittelbar erkennen.

Seit wir dafür gesorgt haben, dass jene Mitarbeiter, die ein Produkt gefertigt haben, auch für dessen Service zuständig sind, können sie auch sehen, wie glücklich beziehungsweise unglücklich ein Kunde damit ist. Auf diese Weise lernen sie wesentlich mehr, als nur Produkte zu montieren. Sie stellen dabei Verbindungen her,

auf die kein Ingenieur, Servicetechniker oder Fließbandarbeiter jemals kommen würde. Infolgedessen können sie wesentlich zur Verbesserung der Produktqualität und Innovation beitragen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

TIEFENBRUN Einer unserer leitenden Ingenieure für Aufnahmetechnik war mit 16 Jahren in unsere Firma eingetreten. Nachdem er ein Jahr für uns gearbeitet hatte, kamen wir zu der Ansicht, dass er großes Potenzial hat. Daher haben wir ihm ein Universitätsstudium ermöglicht.

Er studierte Musik und Physik. Als er zu Linn zurückkehrte, arbeitete er in unserer Produktion, und im Laufe der Jahre hat er mit zahlreichen Ideen dazu beigetragen, unsere Plattenspieler und Soundsysteme zu verbessern. Neulich gelang ihm als Aufnahmeleiter eine außergewöhnlich brillante Aufzeichnung eines Chorales in der Pariser Kathedrale Notre-Dame.

Dieser Ingenieur kennt einfach den gesamten Prozess, angefangen von dem Moment, in dem die Musik in der Kirche erklingt, bis hin zu dem Moment, in dem sie in den privaten Räumlichkeiten eines Zuhörers aus den Lautsprechern dringt.

Wir haben sehr viele Mitarbeiter hier, die so wie er über ein breites und fundiertes Wissen verfügen. Der umfassender Einblick in den ganzen Prozess ist vielleicht nicht die alleinige Basis seines Talents. Aber sicherlich ist es eine Erklärung dafür, warum er so Herausragendes leistet. n

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