Visionen statt Kennzahlen
Eine sehr interessante Feststellung, zu der Kröger auf Basis seiner Untersuchung kommt: Unternehmen, die nach dem EVA-Konzept ihre Führungskräfte leistungsorientiert entlohnen, zeigen im Schnitt eine Underperformance. Seine Erklärung könnte interpretiert werden als mangelnde Kompatibilität zwischen dem EVA-Konzept und den Unternehmenszielen.
Dieses Ergebnis kann nur diejenigen überraschen, die annehmen, allein über eine leistungsorientierte und an wenigen Zielgrößen orientierte Entlohnung lasse sich das Management motivieren und steuern. Es überrascht nicht, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass die Zusammenhänge zwischen Unternehmenserfolg und Strategie von einer Vielzahl von Erfolgsfaktoren abhängen, die sich leider nicht allein in einer handlichen Kennzahl komprimieren lassen.
Unterstellt man, dass Kennzahlensysteme in der Praxis den Zusammenhang zwischen bestimmten Erfolgsparametern und dem Gesamterfolg nur unvollständig darstellen, lässt sich daraus ableiten, dass Fehlsteuerungen programmiert sind. Wird ein Manager nur anhand bestimmter Erfolgskennzahlen bewertet, ist zu erwarten, dass er sein knappes Zeitbudget genau auf diese Größen konzentrieren wird. Andere Aktivitäten, die möglicherweise wertschöpfender sind, erhalten eine untergeordnete Priorität.
Verstärkt wird die Fehlsteuerung in Unternehmen, die kein konsistentes System der Zurechnung von Kosten und Erlösen vorweisen können. Hier besteht nämlich der Anreiz, Erlöse zu individualisieren und Kosten zu sozialisieren.
Die Vermutung liegt sogar nahe, dass bei ungeeignetem Bewertungssystem die Fehlsteuerung umso stärker wird, je höher der kennzahlenabhängige Teil des Entgelts ist. Kröger weist außerdem darauf hin, dass Aktivitäten, deren Erfolge sich erst langfristig zeigen (wie strategische Investitionen), vernachlässigt werden.
Viele Kennzahlensysteme vernachlässigen außerdem den Teamaspekt, dem sich auch das mittlere Management unterordnen muss. Übersehen wird nämlich häufig bei rein Controlling-orientierter Führung, dass Unternehmenswert auch durch unternehmensweite Zusammenarbeit geschaffen wird. Erst das abgestimmte Zusammenspiel der verschiedensten Bereiche erhöht die Wertschöpfung. Im Profifußball wird erfolgsabhängig entlohnt. Hier gehört aber auch zum Erfolg, wie mannschaftsdienlich jemand spielt. Der Vorteil des Trainers: Die Leistungen und die Mannschaftsdienlichkeit der Spieler sind nahezu vollkommen transparent, und er kann sie unmittelbar beeinflussen. Im Gegensatz dazu sind Unternehmen wesentlich intransparenter, und die Wirkung von Steuerungsimpulsen ist weniger eindeutig zu beobachten. Je größer das Unternehmen, desto weniger fällt das fehlende Mannschaftsspiel auf.
Kennzahlensysteme ersetzen keine inhaltlichen Visionen. Sie können bestenfalls Hilfsmittel sein, um Realisierungsschritte hin zu einer Strategie zu überprüfen. Und sie ersetzen nicht die notwendige Führungsarbeit. Dazu gehört das leidenschaftliche und nachhaltige Engagement des Managements für seine Visionen und das Hinführen der weiteren Führungsebenen und Mitarbeiter zu den Unternehmenszielen.
Daher ist auch nicht verwunderlich, dass Familienunternehmen die börsennotierten Konzerne im Wachstum übertrumpfen, wie im August das "Handelsblatt" wieder feststellte. Eine häufig genannte Erklärung ist, dass das persönliche Engagement der Kapitalgeber für hohe Flexibilität, hohes persönliches Engagement und eine effiziente Risikoabwägung sorgt, weil die Konsequenzen persönlich getragen werden.
Klar, es können nicht alle Unternehmen von einem "persönlichen Eigentümer" ausgestattet werden. Aber wir können mehr vom Geist solcher Unternehmen atmen. Dann können wir vielleicht ganz auf Kennzahlen verzichten und uns auf die Kernaufgaben des Managements konzentrieren.
Dirk Elsner, TxB Transaktionsbank, München