Reputation Um den Ruf kämpfen
Fast hundert Jahre lang hat die Summe realer Aktiva wie Gebäude, Grundstücke und Maschinen den Wert eines Unternehmens bestimmt. Doch seit ungefähr zehn Jahren werden immaterielle Werte immer wichtiger; heute beeinflussen sie die Bewertung eines Unternehmens deutlich stärker als physische Aktiva.
Einer der wichtigsten immateriellen Vermögenswerte ist dabei die Unternehmensreputation. Führungskräfte und Investoren achten daher immer stärker auf die Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens. Denn handeln Manager und Mitarbeiter einer Firma anders, als es die breite Öffentlichkeit akzeptiert, riskieren sie in der Regel massive Probleme, die im Zeitalter der globalen Kommunikation sehr schnell dramatische Ausmaße annehmen können.
Dabei kommt es nicht allein darauf an, wie Kunden, Mitarbeiter, Aktionäre und andere Gruppen das Unternehmen rational einschätzen. Ebenso wichtig sind die emotionalen Urteile, welche die Reputation widerspiegelt. Wir haben daher ein Konzept entwickelt, wie die Einstellung von Interessensgruppen gegenüber einem Unternehmen zu messen und positiv zu beeinflussen ist. Diese Vorgehensweise haben wir bereits bei zahlreichen Firmen angewandt, etwa bei Versicherungen, Energiekonzernen und Chemieunternehmen.
Das hier präsentierte Konzept ist kein Luxus für wirtschaftlich gute Zeiten. Eine Untersuchung der 500 größten US-Unternehmen belegt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen herausragender Reputation und überdurchschnittlicher Profitabilität, ebenso wie zwischen der Einstellung
gegenüber einem Unternehmen und Erfolgsgrößen wie Umsatz und Marktanteil.
Wenn der Ruf ruiniert ist
Was passiert, wenn die Reputation leidet, zeigt das Beispiel der Commerzbank: Am 30. Dezember 2003 erhielt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats per Kurier die fristgerechte Kündigung der Betriebsrenten aller Beschäftigten zum 31. Dezember 2004. Der Vorstand der Bank wollte so einen zweistelligen Millionenbetrag einsparen. Obwohl das Vorgehen formal völlig unangreifbar war, kritisierten Beschäftigte, Gewerkschaften, Politiker und Kunden das Management massiv, einige Kunden verließen sogar die Bank.
Einen ähnlich massiven Reputationsverlust erlitt Coca-Cola, als Anfang 2004 bekannt wurde, dass der Getränkehersteller in Großbritannien im Prinzip Leitungswasser als Tafelwasser verkauft hat. Eine Halbliterflasche der Marke "Dasani" kostete immerhin 95 Pence, dieselbe Menge aus dem Wasserhahn dagegen nur bescheidene 0,03 Pence. Erst auf massiven Druck der Öffentlichkeit nahm der US-Konzern das Produkt vom britischen Markt.
Auch der Chiphersteller Intel musste einen erheblichen Vertrauensverlust hinnehmen und gleichzeitig die Macht des Internets akzeptieren lernen. Im Herbst 1994 beschwerte sich ein Kunde bei dem Unternehmen über einen Rundungsfehler bei der Berechnung der fünften Nachkommastelle durch einen Intel-Chip. Er fühlte sich von der Firma nicht angemessen behandelt und machte seinen Ärger im Internet publik. Dabei zeigte sich, dass der Rundungsfehler bei vielen Nutzern Probleme bereitete. In über 10 000 E-Mails und mehr als 20 Newsgroups wurde fortan der fehlerhafte Intel-Chip diskutiert. Diese Entwicklung zog solche Kreise, dass die Intel-Aktie in der Folge um mehrere Prozentpunkte fiel und die "New York Times" dem Konzern schließlich einen "Konsumenten-Täuschungspreis" verlieh. Erst daraufhin entschuldigte sich das Unternehmen bei seinen Kunden und tauschte die Prozessoren aus.
Was ist Reputation?
Der Begriff Reputation fasst die Einstellungen und Meinungen verschiedener Bezugsgruppen zu einem Unternehmen zusammen. Im Gegensatz zum Image werden unter Reputation ausschließlich affektive Urteile verstanden. Es geht also nicht darum, ob ein Unternehmen zum Beispiel als innovativ gilt, sondern ob es als gut oder schlecht angesehen wird. Die Reputation hat einen saldierenden Charakter; damit bündelt sie die Wahrnehmung durch Bezugsgruppen und verkürzt komplexe Informationen zu einer Firma auf einen einfachen Sinnzusammenhang.
Reputation lässt sich auf einer dreistufigen Skala darstellen:
n Glaubwürdigkeit entsteht, wenn eine wahrnehmbare, überprüfbare Übereinstimmung zwischen den Handlungen und der Kommunikation eines Unternehmens existiert; das heißt, das Bild von der Organisation ist in sich konsistent und widerspruchsfrei.
n Vertrauen bezeichnet die Annahme, dass Handlungen und Kommunikation übereinstimmen, auch wenn sich das nicht kontrollieren lässt.
n Wohlwollen ist einem Unternehmen gegenüber dann vorhanden, wenn Abweichungen zwischen den Handlungen und der Kommunikation - selbst in Krisenzeiten - ohne einen Schaden für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen hingenommen werden.
Reputation managen
Der gute Ruf eines Unternehmens entsteht nicht von allein. Er muss gezielt aufgebaut, erhalten und verteidigt werden. Reputation muss also gemanagt werden.
Als eines der ersten Unternehmen in Deutschland hatte die Führungsspitze einer Frankfurter Großbank unserem Konzept folgend bereits Ende der 90er Jahre einen Verantwortlichen für das Reputationsmanagement direkt unterhalb des Vorstandsvorsitzenden eingesetzt. Dieser Manager stellte ein Team zusammen, dem neben Mitarbeitern aus der Unternehmenskommunikation, dem Marketing und der Marktforschung auch Vertreter der strategischen Unternehmensplanung angehörten. Dessen Aufgaben umfassten drei Bereiche:
Identifikation und Gewichtung unternehmensrelevanter Gruppen
In einem ersten Schritt ermittelte das Team, welche für das Unternehmen bedeutsamen Interessengruppen es gibt und welche Relevanz diese haben. Dabei orientierte es sich an zwei Kriterien: Zum einen analysierte es das Machtpotenzial, das den Bezugsgruppen zugeschrieben wurde. Dieses entspricht der Fähigkeit einer Gruppe, den Erfolg des Unternehmens zu beeinflussen, und wurde in die Unterkategorien Bedrohungs- und Unterstützungspotenzial
unterteilt. Zum anderen untersuchten die Teammitglieder die Bereitschaft einer Bezugsgruppe, dieses Machtpotenzial auch auszuschöpfen, beispielsweise öffentlichen oder politischen Druck zu mobilisieren.
Identifikation relevanter Dimensionen der Reputation
Die Gesellschaft akzeptiert und legitimiert unternehmerisches Handeln, nur dann, wenn das Management die grundlegenden Erwartungen der Bezugsgruppen erfüllt und einen Nutzen schafft, der dem Einsatz dieser Gruppen entspricht. So erwarten die Mitarbeiter eine angemessene Entlohnung für ihre Arbeit, die Anwohner einer Fabrik wollen möglichst wenig durch Lärm oder Abgase belastet werden.
Daher erfasste das Team der Bank systematisch die Forderungen und Ziele von Bezugsgruppen. Anders als bei zahlreichen bekannten Studien zur Reputation befragte es nicht nur Analysten und Vorstände anderer Unternehmen, sondern auch alle anderen relevanten Bezugsgruppen, wie zum Beispiel Mitarbeiter, Kunden und Journalisten. Das Team konnte so die relevanten Dimensionen der Reputation für die eigene Organisation identifizieren.
Aus den Ergebnissen dieser Befragungen wurde ein standardisierter Fragenkatalog entwickelt, der es ermöglicht, einzelne Aspekte im Fall der Großbank zu fünf Dimensionen zusammenzufassen: die emotionale Grundeinstellung zum Unternehmen, die Qualität der Dienstleistung, die Attraktivität als Arbeitgeber, der finanzielle Erfolg und die soziale Verantwortung. Beispielsweise fassten die Verantwortlichen im Bereich Attraktivität Fragen zusammen wie: Ist das Unternehmen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig? Bietet es seinen Mitarbeitern gute Aufstiegschancen? Belohnt es selbstständiges Arbeiten und Eigeninitiative?
Bestimmung des Ist-Zustandes und des Handlungsbedarfs
Das Team bat Mitglieder der verschiedenen Bezugsgruppen, die Fragen zu beantworten. Auf diese Weise konnte es die Ausprägung der einzelnen Reputationsdimensionen quantifizieren und erhielt einen Referenzwert für künftige Befragungen, die es seitdem alle zwei Jahre wiederholt.
Durch die genaue Erfassung der Einstellungen und Ansprüche der Bezugsgruppen verfügte die Großbank nun über eine Orientierungshilfe. Diese erlaubte es ihr, die strategische Unternehmensführung neu auszurichten. Etwa drei Monate nach dem Projektstart konnte das zuständige Team erste operative Maßnahmen entwickeln. Das Ziel war, einzelne Schwächen in der Außenwahrnehmung der Bank zielgruppenspezifisch zu korrigieren.
Worte - und Taten
Auf Grund der Analyseergebnisse stellte das Team fest, dass unter anderem in der Dimension "emotionale Grundeinstellung" erhebliche Defizite vorhanden waren. Das galt insbesondere für die Kunden, aber auch für die Mitarbeiter. Die Bank wurde als kühler Koloss, als professionell, aber wenig menschlich empfunden. Ziel war es folglich, die Bank wärmer,
freundlicher und menschlicher darzustellen, um den Aufbau von Vertrauen zu erleichtern.
Das Team entwickelte deshalb eine Personalisierungsstrategie. Der Vorstandsvorsitzende sollte verstärkt das Gesicht der Bank nach außen wie nach innen verkörpern. Dazu führte das Team unter anderem so genannte "Bank Talks" ein, bei denen alle sechs Wochen 20 per Zufallsgenerator ausgewählte Mitarbeiter aus der Zentrale die Möglichkeit haben, in kleiner Runde Probleme und Verbesserungsvorschläge mit dem Vorstandsvorsitzenden zu besprechen. Im Anschluss an die Veranstaltung gibt es einen kleinen Imbiss, sodass auch das Knüpfen von Beziehungen und der informelle Gedankenaustausch unter den Teilnehmern nicht zu kurz kommen. Der Vorstandsvorsitzende wird auf diese Weise als Person greifbarer und damit werden auch seine Entscheidungen für die Mitarbeiter nachvollziehbarer und glaubwürdiger.
Um kundenseitig die Bewertung der emotionalen Dimension zu verbessern, wurde die gerade geplante neue Werbekampagne inhaltlich entsprechend der Personalisierungsstrategie neu ausgerichtet. Zentrale Aussagen wurden umgewichtet. Neben der Positionierung über die Leistungsmerkmale flossen verstärkt Werte und Unternehmensphilosophie der Bank in die Marketingkommunikation ein.
Reputationsmanagement ist aber mehr als nur Kommunikation; denn mit diesem Instrument allein sind nicht alle Probleme zu lösen. Vertrauen und Glaubwürdigkeit lassen sich nur durch erwartungskonformes Handeln erzeugen. Daher musste auch die Bank ihr Tun an die Forderungen der Bezugsgruppen anpassen. Das zuständige Team beauftragte beispielsweise einzelne Projektteams, den Bankbesuch für die Kunden freundlicher und angenehmer zu gestalten. Ein Ergebnis war, möglichst viele der Kundengespräche nicht am Schalter oder an den Schreibtischen in der Schalterhalle, sondern in eigenen, separaten Besprechungsräumen zu führen. Die intimere Atmosphäre dort erhöht das Wohlbefinden des Kunden. Der Aufbau eines gegenseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen Kunde und Berater gestaltet sich leichter.
Derartige Maßnahmen sind natürlich häufig mit erheblichem finanziellen Aufwand verbunden. Daher muss auch das Verhältnis von Kosten und Nutzen genau bedacht und klar quantifiziert werden. Die Bank versprach sich etwa von der neuen Form der Kundengespräche sowohl eine verbesserte Kundenloyalität als auch ein verbessertes Cross Selling. Das zuständige Team entwarf daraufhin verschiedene Szenarien, welche zusätzlichen Umsätze verteilt auf unterschiedliche Kundengruppen erzielt werden müssten, um die dabei anfallenden Kosten zu decken. Diese Modellrechnungen diskutierte das Team in einem zweiten Schritt mit internen Experten und prüfte zusätzlich mit Hilfe externer Benchmarks die Realisierbarkeit. Das Ergebnis: Die Investition in vertrauensvollere Kundengespräche würde sich auch finanziell lohnen.
Die damals beschlossenen Maßnahmen haben sich bewährt. Die Reputation der Bank ist den Umfragen zufolge gestiegen; vor allem in der Dimension "Attraktivität als Arbeitgeber" hat sich der Ruf des Unternehmens deutlich messbar verbessert.
Resümee
Reputationsmanagement ist ein strategisches Führungsinstrument, das sich nicht nur auf die kommunikative Ebene beschränkt, sondern auch erheblich die Handlungsebene beeinflusst. Es erfordert, sämtliche Grundsatzentscheidungen, die einzelne Bezugsgruppen betreffen, auf ihre jeweilige Akzeptanz hin zu prüfen. Die Akquisition eines Unternehmens oder die Finanzierung über eine Kapitalerhöhung können davon ebenso betroffen sein wie die Entlassung einer größeren Zahl von Mitarbeitern oder die Gestaltung wichtiger Kundenprozesse.
Sind einzelne Entscheidungen nur gegen massiven Druck realisierbar, muss das Management sorgfältig abwägen, ob es die Unternehmensstrategie ändert oder ob es sich leisten kann, eine Rufschädigung bis hin zur offenen Ablehnung durch bestimmte Bezugsgruppen in Kauf zu nehmen. n