Vor ein paar Jahren wollte ein milliardenschweres Unternehmen für Energiesysteme, nennen wir es EnerPac, im Aftersales einen Service- und Wartungsplan einführen. Das Angebot sollte eine wertvolle neue Einnahmequelle werden und war von strategischer Bedeutung. Der Schlüssel zum Erfolg würde darin liegen, das Serviceangebot nahtlos in den Vertriebsprozess zu integrieren. Und das würde – davon waren die Topmanager überzeugt – am besten gelingen, wenn Mitarbeiter aus Vertrieb und Kundenservice zusammenarbeiteten.
Topmanager wissen um die zentrale Rolle einer bereichsübergreifenden Zusammenarbeit. Mit dieser Art Kooperation wollen Unternehmen aller Größen und Branchen – von Starbucks über SpaceX bis zu kleinen Privatbanken und Brauereien – Innovationen vorantreiben, relevant bleiben und scheinbar unlösbare Probleme lösen. Mit ihr wollen sie den sich ändernden Erwartungen der Kunden gerecht werden, ihren Marktanteil bewahren, der Konkurrenz einen Schritt voraus bleiben oder zumindest mithalten. Kurz gesagt: Mit ihr wollen Unternehmen Erfolge feiern, wettbewerbsfähig bleiben und schlichtweg überleben.
Die Chefs von EnerPac bildeten hier keine Ausnahme, deshalb preschten sie mit ihrer Initiative vor. Sie riefen Vertrieb und Service zu einer Sondersitzung zusammen und erklärten die finanzielle und strategische Bedeutung des neuen Angebots. Sie erarbeiteten einen klaren Maßnahmenplan für die folgenden Wochen und Monate, entwickelten Anreize, stellten den beteiligten Bereichen einen Topmanager als zentrale Anlaufstelle zur Verfügung und sorgten für eine großzügige Finanzierung. Erst nachdem all dies geregelt war, gaben sie den offiziellen Startschuss für die Initiative – und setzten große Hoffnungen in sie.
Doch schon kurz nach dem Start gab es Probleme. Vertrieb und Service zogen einfach nicht an einem Strang. Im Gegenteil. Jeder Bereich traf wichtige Entscheidungen allein und schloss den jeweils anderen von Meetings aus, die eigentlich für beide wichtig waren. Daten und Informationen teilten sie entweder spät und zögerlich oder sie bombardierten den anderen Bereich mit so vielen Daten in so vielen unterschiedlichen Formaten, dass es praktisch unmöglich war, sich einen Überblick zu verschaffen. Projektmeilensteine wurden verfehlt, und irgendwann ging nichts mehr voran. Die Topmanager von EnerPac konnten es nicht fassen. Sie hatten sich doch so bemüht, das Projekt optimal vorzubereiten, und alle schienen von der Wichtigkeit überzeugt zu sein. Was war geschehen?
Erst mal alles blockieren
Ich habe in den vergangenen acht Jahren eingehend untersucht, welche Gründe dafür verantwortlich sind, dass bereichsübergreifende Zusammenarbeit funktioniert oder nicht. Sechs dieser acht Jahre habe ich im Rahmen meiner Promotion an der Harvard Business School drei globale Unternehmen untersucht und getrennt davon 120 Befragungen mit Managern und Mitarbeitern aus 53 Unternehmen durchgeführt, in denen unterschiedliche Bereiche zusammenarbeiten sollten, es aber nicht taten. Immer wieder stieß ich auf verblüffte Topmanager, denen schleierhaft war, warum ihre Initiativen nicht wie geplant vorankamen. Die einzelnen Fälle sind unterschiedlich, aber die Probleme lassen sich alle auf eine einzige Ursache zurückführen: Ich nenne das den "blinden Fleck" bei Kooperationsprojekten.
Beim Beauftragen und Planen bereichsübergreifender Initiativen konzentrieren sich Topmanager gern auf Logistik und Prozesse, Anreize und Ergebnisse. Das ist ja auch absolut sinnvoll. Dabei vergessen sie aber, wie die Menschen, die zusammenarbeiten sollen, darauf reagieren. Das ist besonders dann wichtig, wenn die betroffenen Bereiche Grenzen öffnen, Informationen offenlegen, Autonomie aufgeben, Ressourcen teilen oder gar zentrale Zuständigkeiten abgeben sollen, über die sie sich bislang definiert haben. Solche Pläne empfinden die Betroffenen oft als Bedrohung, scheinen sie doch anderen Tür und Tor zu öffnen, sich in ihrem Revier breitzumachen. Bedeutet diese Zusammenarbeit womöglich, dass ihr Bereich für das Unternehmen nicht mehr so wichtig ist? Was, wenn wesentliche Ressourcen und Zuständigkeiten, die sie abgeben sollen, nie wieder zurückkommen? Wie wird sich die Initiative auf ihren Ruf auswirken?
Aus Angst um ihre Sicherheit kapseln sich Bereiche, die mit anderen zusammenarbeiten sollen, oft ab und gehen instinktiv in die Defensive. Revier verteidigen und die Bedrohung minimieren, lautet die Devise. So ein Verhalten wirkt sich nicht nur auf die aktuelle Zusammenarbeit aus. Wer zuallererst sein Territorium verteidigen und Bedrohungen abwehren will, wirkt mitunter unkooperativ und wenig teamfähig. "Denen kann man nicht trauen", heißt es dann, oder "die sind falsch". Solche Einschätzungen können Kollaborationen torpedieren, bevor sie überhaupt begonnen haben.
Eine existenzielle Gefahr