Teamführung Führen in Zeiten der Angst

ILLUSTRATION: KATHERINE LAM
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Die CEO eines Start-ups sitzt in dem Büro, das sie erst vor Kurzem für ihr rasch wachsendes Unternehmen angemietet hat. Es ist Hauptverkehrszeit, aber auf den Straßen draußen ist es ruhig, Gleiches gilt für die 600 unbesetzten Arbeitsplätze vor ihrer Bürotür. In einer halben Stunde muss sie eine Videokonferenz leiten, um die Beschäftigten zu beruhigen. Doch sie ist selbst niedergeschlagen, verunsichert und hat ganz einfach Angst.
Unterschiedliche Versionen dieses Szenarios haben sich in den vergangenen Monaten rund um den Globus abgespielt, seit die Corona-Pandemie uns im Griff hat und die Wirtschaft herunterfährt. Gründerinnen und Gründer, Führungskräfte und Angestellte mussten fast über Nacht erfahren, wie fragil all das ist, was sie aufgebaut haben.
An einem Abend im März sagte mein Mann zu mir: "Ich habe so eine Angst, aber das darf ich die Menschen, die von mir abhängig sind, nicht spüren lassen." Er hatte stundenlang in Zoom-Konferenzen gesessen, um Teammitglieder und Kollegen zu überzeugen, dass sie diese Krise überstehen würden. Eigentlich war es an ihm, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen, dabei hatte er selbst Angst.
Wie können Sie kompetent und stark führen, wenn Ihnen selbst die Angst im Nacken sitzt? Wie inspirieren und motivieren Sie andere Menschen, wenn Ihnen der Kopf schwirrt und das Herz rast? Und wenn Sie versuchen, Ihre Angst zu verbergen, um vorgesetztengemäß souverän zu agieren – wo führt das eigentlich hin?
Das Problem
Angst gehört zum Job einer Führungskraft dazu. Doch für viele Chefinnen und Chefs ist es nach wie vor ein Tabu, psychische Befindlichkeiten zu thematisieren. Lieber kämpfen sie im Stillen - selbst in der aktuellen Pandemie, die den meisten Menschen weltweit Angst einflößt.
Die Lösung
Wenn Managerinnen und Manager lernen, souverän mit ihrer Angst umzugehen, macht sie das stärker, klarer und empathischer.
Angst an sich ist ein sehr sinnvolles Gefühl, sie bewahrt uns vor Schaden. Der US-Psychologe Rollo May schrieb 1977: "Wir müssen uns heute nicht mehr vor Säbelzahntigern und Mastodonten fürchten, sondern vor Selbstwertverlust, Ausgrenzung aus unserer Gruppe oder einer Niederlage im Konkurrenzkampf. Die Art der Angst hat sich verändert, aber das Gefühl ist in etwa das gleiche geblieben." Mit anderen Worten: Selbst wenn wir Menschen heutzutage nicht mehr von Raubtieren bedroht werden, verfolgt uns doch die Sorge um die Gesundheit unserer Lieben, die Frage, ob wir nächste Woche oder nächstes Jahr noch Arbeit haben oder ob unser Unternehmen in die Pleite rutscht – Ängste und Sorgen, die exakt dieselben neurologischen und physischen Reaktionen hervorrufen wie ein Raubtier vor uns. Der Anxiety and Depression Association of America zufolge ist "Stress eine Reaktion auf eine bedrohliche Situation. Und Angst ist eine Reaktion auf den Stress." Angst ist die Furcht vor dem, was in Zukunft passieren könnte. Manchmal ist diese Furcht begründet und manchmal nicht.
Manchmal betrifft sie etwas, was in drei Minuten stattfinden wird (zum Beispiel eine Bühne zu betreten und einen Vortrag zu halten) oder in 30 Jahren (ob wir genug Geld haben werden, um unbesorgt in den Ruhestand zu gehen). In den USA ist Angst die am weitesten verbreitete psychische Erkrankung. Jedes Jahr sind mehr als 40 Millionen Erwachsene davon betroffen. Daten des National Institute of Mental Health weisen darauf hin, dass rund 30 Prozent der Amerikaner irgendwann im Leben klinische Angstzustände entwickeln.
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Weltweit, so eine Schätzung des Institute for Health Metrics and Evaluation, Stand 2017, litten 284 Millionen Menschen unter einer Angststörung, was diese zur häufigsten psychischen Krankheit überhaupt macht. (In Deutschland leiden etwa zwölf Millionen Menschen darunter; Anm. d. Red.) Aktuelle Arbeitsplatzdaten von Mind Share Partners, SAP und Qualtrics legen nahe, dass Angststörungen auch und gerade am Arbeitsplatz verbreitet sind: Fast 37 Prozent der befragten Berufstätigen berichteten von Angstsymptomen während des vergangenen Jahres. Diese Zahlen werden durch die Pandemie mit Sicherheit noch steigen.
Die gute Nachricht für diejenigen unter uns, die seit Längerem mit Ängsten zu tun haben: Wir sind auf diese Situation bestens vorbereitet. Studien zeigen, dass ängstliche Menschen anders mit Bedrohungen umgehen, da sie verstärkt Gehirnregionen nutzen, die für Handlung zuständig sind. Im Angesicht einer Gefahr reagieren wir schnell. Und wir kommen mit unangenehmen Gefühlen besser zurecht. Wird sie umsichtig gelenkt, kann Angst uns motivieren, unseren Teams zu mehr Engagement, Produktivität und Kreativität zu verhelfen. Sie kann Hindernisse aus dem Weg räumen und neue Verbindungen knüpfen.
Angst ist also keineswegs nutzlos. In einer Wirtschaftskrise kann uns die Angst, die uns nachts nicht schlafen lässt, zu einer Lösung verhelfen, um unsere Geschäfte am Laufen zu halten. Bleibt sie jedoch unkontrolliert, lenkt Angst uns ab, raubt uns Energie und lässt uns schlechte Entscheidungen fällen. Angst ist ein machtvoller Gegner, deshalb müssen wir sie zu unserem Verbündeten machen.
Gleichgültig ob Sie eine diagnostizierte Angststörung haben oder ob dies Ihr erstes Rendezvous mit diesem intensiven Gefühl ist – Sie können weiter ein erfolgreicher Chef, eine erfolgreiche Chefin sein. Aber ich will ehrlich sein: Wenn Sie sich Ihrer Angst nicht irgendwann stellen, könnte sie Sie zu Fall bringen. Dieser Kampf ist nicht leicht, aber er kann Ihr Leben und Ihre Fähigkeit, andere Menschen zu führen, zum Positiven verändern.
Wer sich seiner Angst stellen und sie besiegen will, sollte in vier Schritten vorgehen:
Akzeptieren Sie, dass Sie Angst haben, und benennen Sie Ihre Gefühle. Erforschen Sie, was die Angst auslöst, und finden Sie heraus, ob Ihr Horrorszenario möglich und wahrscheinlich ist.
Werden Sie aktiv, und steuern Sie das, was in Ihrer Macht liegt. Für alles, was Sie nicht kontrollieren können, brauchen Sie einen Notfallplan.
Bitten Sie andere um Feedback, und sprechen Sie offen über Ängste.
Bauen Sie sich ein Unterstützungssystem auf, und stärken Sie sich selbst.
Lassen Sie uns also heute damit beginnen, in dieser besonders angstbesetzten Zeit. Der erste Schritt besteht darin, die eigene Angst näher kennenzulernen: wie sie sich zeigt und wie sie sich für Sie anfühlt. Im zweiten Schritt geht es darum, aktiv Maßnahmen zu ergreifen – im Alltag ebenso wie in schwierigen Situationen. Der dritte Schritt zeigt Ihnen, wie Sie kluge Entscheidungen fällen und andere in angstbehafteten Zeiten führen. Und der vierte und letzte Schritt besteht im Aufbau einer unterstützenden Infrastruktur, die Ihnen hilft, Ihre Angst langfristig in den Griff zu bekommen.
Schritt 1: Emotionen akzeptieren
Eine gängige Bewältigungsstrategie für Führungskräfte besteht darin, sich durch Stress, Erschöpfung und Furcht hindurchzubeißen. Das aber heißt, dass Sie Ihr Ziel trotz Ihrer Emotionen erreichen – wo es doch sehr viel besser wäre, mithilfe Ihrer Emotionen erfolgreich zu sein. Dazu müssen Sie lernen, Ihre Angst zu akzeptieren. Auch wenn das anfangs vielleicht unangenehm oder unlogisch erscheint.
Benennen Sie Ihre Gefühle
Die mehrfach ausgezeichnete Psychologin Angela Neal-Barnett, Expertin für Angst unter Afroamerikanern und Autorin des Buches "Soothe Your Nerves", ist überzeugte Anhängerin der Haltung, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Wenn Sie ein Gefühl offen benennen – indem Sie sich beispielsweise eingestehen: "Ich habe Angst" –, können Sie anfangen, sich damit auseinanderzusetzen. Sie können in Erfahrung bringen, wie die Angst Ihr Verhalten und Ihre Entscheidungen beeinflusst, was sie auslöst und ansteigen lässt. Dies wiederum gibt Ihnen Mittel an die Hand, sie besser zu bewältigen.
Niemand muss dabei sein, wenn Sie Ihre Angstgefühle aussprechen; das ist etwas ganz Privates. Nehmen Sie sich die Zeit, sich Ihren Gedanken hinzugeben. Lassen Sie die unangenehmen Gefühle zu. Spielen Sie gedanklich Worst-Case-Szenarien durch. Erlauben Sie sich die Vorstellung von der totalen Katastrophe. Weinen Sie, trauern Sie, aber wenden Sie sich nicht ab. Wie Alice Boyes, klinische Psychologin und Autorin des Buches "The Anxiety Toolkit", sagt: Je mehr Sie Ihre Angst zu unterdrücken versuchen, umso heftiger schlägt sie zurück.
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