Strategieentwicklung Weg mit der "Wie-immer-Strategie"

Wer mit bekannten Methoden arbeitet und sich nur innerhalb seiner Branche umsieht, wird kaum eine innovative Strategie entwickeln. Wie Sie sich von der Vergangenheit lösen und wirklich neu denken lernen.
Foto: Steven Errico / Photodisc / Getty Images

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Um auf veränderte Umstände zu reagieren und sich Wettbewerbsvorteile auch unter schwierigen Bedingungen verschaffen zu können, ist kreatives und inspiriertes Managementdenken gefordert. Warum sieht unsere neue Strategie trotzdem häufig fast genauso aus wie die alte?

Ein Mann namens Frank hat es für mich perfekt auf den Punkt gebracht. Das ist schon 20 Jahre her, aber ich erinnere mich immer noch daran, als wäre es gestern gewesen. Ich leitete gerade ein Strategiemeeting mit 14 Führungskräften. Wir hatten ein Flipchart, ein Whiteboard und einen Bildschirm und folgten der vereinbarten Tagesordnung. Wir sammelten gerade alle Argumente, als Frank plötzlich sagte: "Ich verstehe nicht, warum wir jedes Jahr diese Strategie-Workshops haben. Am Ende kommt doch wieder die gleiche, gewohnte Strategie dabei heraus.

Es war das erste Mal, dass ich den Begriff "Business-as-usual" in diesem Zusammenhang hörte. Aber Frank hatte Recht. Seitdem habe ich dieses Phänomen bei anderen Kunden und in anderen Situationen beobachtet: die Entwicklung von neuen Strategien, bei denen am Ende wieder die gewohnte herauskommt.

Diese "Wie-immer"-Strategien sollten Ihnen ein Dorn im Auge sein. Ich zeige Ihnen, was Sie ändern können und warum Sie auf der Suche nach einer Strategie nicht mehr von "Strategieentwicklung" sondern von "Strategieentdeckung" reden sollten. Das veranschauliche ich an Beispielen von Unternehmen, die die Dauerschleife der gewohnten Strategie entkommen konnten, indem sie außerhalb ihrer Branche nach Inspiration suchten – und fündig wurden.

"Wie-immer-Strategien" vermeiden

1. Ändern Sie Ihre Denkweise

Meistens wird Strategie mit "Entwicklung" in Verbindung gebracht. Dies hat jedoch zur Folge, dass Führungsteams sich nach innen wenden: Statt nach neuen Ideen zu suchen, greifen sie auf die bekannten Methoden ihrer Branche zurück, sie versuchen aus der Vergangenheit eine zukunftsorientierte Strategie zu entwickeln.

Um diese Gewohnheit abzulegen, müssen Sie in einem ersten Schritt Ihre Denkweise ändern. Statt über das "Entwickeln" einer Strategie zu reden, sprechen sie über das "Entdecken". Dadurch suchen Sie die Antworten nicht bei den Führungskräften innerhalb des Unternehmens, sondern außerhalb, beispielsweise bei Interessengruppen.

Diese einfache Veränderung hat tief greifende Auswirkungen auf das Denken und Verhalten der Managerinnen und Manager. Sie denken nicht mehr, dass sie selbst alle Antworten haben müssen. Außerdem müssen sie keine Angst davor haben, schlecht dazustehen, wenn sie keine Lösung parat haben. Stattdessen setzt sich eine neue, forschende Denkweise durch. Die Botschaft lautet: "Es ist okay, etwas nicht zu wissen." Zusätzlich etablieren Sie so Bescheidenheit  in Ihrem Unternehmen und vermeiden Überheblichkeit.

2. Erkennen Sie Ihre Schwächen

Eine Veränderung der Denkweise ist zwar ein guter Anfang, aber für echte Strategie-Innovationen in Ihrem Unternehmen, müssen Sie mehr tun.

Nehmen wir ein Beispiel: Felix ist Vorstandsvorsitzender bei einer Krankenversicherung. Im Zuge der Pandemie sah er eine einmalige Chance. Er wollte die Kundenbeziehungen verbessern, effizienter arbeiten und die Gesundheit der Kunden fördern, indem er die virtuelle Pflege, die Beobachtung von Patienten aus der Ferne und die Beratung mit Preistransparenz zusammenbringen wollte. Das Problem: Sein Unternehmen musste dafür eine völlig neue Sichtweise einnehmen. Es waren auch neue Modelle erforderlich, wie der sogenannte "digitale Haustür"-Ansatz zur Einbindung der Kunden.

Die Vorteile dieser Veränderungen liegen auf der Hand: höhere Effizienz, weniger Abfall (etwa von Hygieneprodukten) und höhere Kundenzufriedenheit. Der strategische Übergang würde für Felix und sein Unternehmen allerdings nicht einfach werden. Diese Schwäche erkannte er an und beschäftigte sich damit, wie er den Nachteil ausgleichen konnte. Das bringt uns zum nächsten Schritt.

3. Finden Sie Ihren Partner

Felix ergriff die Chance, über die Krankenversicherung hinaus nach Unternehmen zu suchen, die einen ähnlichen Weg hinter sich hatten und Technologien nutzen, um für Kunden wertvoller zu werden und sich einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.

Er landete bei den Marktführern im australischen Bankensektor: Die Commonwealth Bank, Westpac, die National Australia Bank und ANZ. Sie hatten eine ähnliche Veränderung durchgemacht, um an fast jedem Kontaktpunkt ein digitales Erlebnis zu bieten. Felix befasste sich mit den Banken und konnte daraus lernen, was für sie erfolgreich gewesen war und – was ebenso wichtig ist – was nicht.

Ihre Erfahrungen zeigten Felix, wie er Automatisierung nutzen konnte, um die Kundenerfahrung zu verbessern und Innovationen voranzutreiben, zum Beispiel durch die Entwicklung einer Kunden-App. Er konnte so auch herausfinden, welche technischen Fähigkeiten sein Unternehmen benötigen würde, um diese Veränderungen vorzunehmen.

In einem der größten Kosmetikunternehmen der Welt untersuchte Tony, einer der Vorstandvorsitzenden, den österreichischen Getränkehersteller Red Bull. Er war beeindruckt davon, wie effektiv Red Bull seine Zielgruppen über seine unterschiedlichen Kanäle verwaltet. Sein Unternehmen ging sogar eine Kooperation mit Red Bull ein für eine Männerpflege- und Hautpflegereihe. Daraus entwickelte sich eine Strategie, um eine gemeinsamen Zielgruppe – junge Männer – zu erreichen. Sie starteten das Projekt in der großen australischen Supermarktkette "Woolworths", um gemeinsam für das Kosmetikunternehmen und Produkte von Red Bull zu werben.

Dann ist da noch Emma, die ein sozial orientiertes Unternehmen leitet, und Menschen mit krimineller Vergangenheit beschäftigt. Das Unternehmen verpackt und liefert Lebensmittel an Büros und Fabriken. An Sozialunternehmen wird immer wieder kritisiert , dass ihnen eine tragfähige Strategie fehlt. Und auch Emma muss die Leistung ihrer Firma steigern, um erfolgreich zu sein.

Ihr Vorbild war die Automobilbranche. Emma und ihr Team ließen sich von Toyotas Strategien inspirieren und verbesserten den Kundenservice, indem sie die Genauigkeit der Auftragserfüllung, die Geschwindigkeit der Auftragsabwicklung und die Schnelligkeit der Lieferung erhöhten – alles Faktoren, die wichtig für einen Wettbewerbsvorteil sind.

Geben Sie nicht nach

Warum gehen nicht mehr Firmen diese Schritte?

Tony weist darauf hin, dass ein Hindernis die "Organisationskultur " ist. Er sagt, für Veränderungen müssten Unternehmen sich folgende Frage stellen: "Wie kommen wir aus unseren vier Wänden heraus und fangen wirklich an, uns außerhalb unserer Branche und außerhalb unseres Themengebietes umzuschauen?"

Und A.G. Lafley  beschreibt, wie er als CEO von Proctor & Gamble den internen Forderungen viel zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Er musste ständig gegen die "Anziehungskraft" des Inneren ankämpfen. Dies ist ein wunderbar anschauliches Bild für das, was die meisten Manager erleben. Jeder wird von den Aktionen und Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen beeinflusst.

Eine weitere Hürde besteht darin, dass Führungskräfte glauben, ihre Probleme seien einzigartig. Felix bezeichnet das als "Verzerrungen durch vermeintliche Einmaligkeit". Auch wenn es sicherlich feine Unterschiede zwischen einzelnen Branchen gibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass allgemeine strategische Probleme auch in anderen Branchen auftreten.

Emma spricht von einer "Illusion des Wissensstandes". Managerinnen und Manager denken, sie würden ihr Unternehmen besser als alle anderen kennen, weshalb externe Beiträge nicht hilfreich seien.

Meine Erfahrung mit Frank – von dem ich am Anfang erzählt hatte – war ein echter Weckruf. Mir wurde klar, dass strategisches Denken und Strategieentwicklung oft in einer Sackgasse enden und Führungsteams ihre altgewohnten Strategien immer wieder ausspucken. Halten Sie die Augen offen und wechseln Sie, wenn nötig, den Blickwinkel, um strategische Erkenntnisse aus anderen Branchen zu gewinnen.

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