Was soll daran gut sein? Eine solche Frage stellen sich Menschen in Stresssituationen, Krisenzeiten oder nach traumatischen Erlebnissen häufig. "Nichts", würde man in diesen Tagen wohl als Antwort bekommen, da die Welt von einer Pandemie erschüttert wird, die Hunderttausende von Opfern gefordert hat, Menschen in die Arbeitslosigkeit treibt und die Wirtschaft in die Knie zwingt. Doch irgendwann werden wir so weit sein, uns mit den langfristigen Folgen dieser Krise zu beschäftigen und zu reflektieren, was sie mit uns als Individuen, Unternehmen und Gesellschaft gemacht hat.
Mit ziemlicher Sicherheit werden wir zu dem Schluss kommen, dass sie neben all dem Schlechten auch Gutes bewirkt hat. Posttraumatisches Wachstum (auf Englisch Posttraumatic Growth, PTG) heißt dieses Phänomen, das Psychologen wie ich seit mittlerweile 25 Jahren untersuchen.
Dabei haben wir herausgefunden, dass negative Erfahrungen starke positive Veränderungen auslösen können. So werden sich Traumatisierte beispielsweise ihrer eigenen Stärken bewusst, erkennen neue Möglichkeiten, vertiefen ihre Freundschaften, empfinden eine größere Wertschätzung für ihr Leben und erweitern ihr spirituelles Bewusstsein. Das konnten wir bei Menschen beobachten, die Kriege oder Naturkatastrophen erlebt haben, den Verlust eines geliebten Menschen oder ihres Jobs verkraften mussten, unter großem finanziellen Druck standen oder an einer schweren Krankheit oder Verletzung litten. Nach der Corona-Krise wird es vielen von uns ähnlich ergehen, auch wenn uns das derzeit noch weit weg erscheint. Als Führungskraft können Sie diese Entwicklung bei ihren Mitarbeitern unterstützen.
Wie Wachstum geschieht
Posttraumatisches Wachstum vollzieht sich meist ganz von selbst, ohne dass eine Psychotherapie oder andere Eingriffe von außen nötig sind. Sie können es jedoch mit fünf Schritten fördern: das Trauma verstehen, Emotionen regulieren, über das Erlebte sprechen, ein neues Narrativ entwickeln und anderen helfen. Als Wissenschaftler und praktizierende Psychotherapeuten konnten meine Kollegen und ich so Hunderten von Menschen helfen, gestärkt aus einer Krise hervorzugehen. Auch Sie können am Trauma wachsen. Und Sie können Ihre Mitarbeiter fachkundig begleiten, indem Sie zur Selbstreflexion und Neugier ermutigen, aktiv zuhören und einfühlsam Feedback geben. Sehen wir uns die fünf Schritte im Detail an.
Das Trauma verstehen
Um am Trauma wachsen zu können, müssen die Betroffenen zunächst verstehen, worum es sich bei der aktuellen Krise eigentlich handelt: um den Zusammenbruch unseres Glaubenssystems. So waren vor Ausbruch der Pandemie viele von uns überzeugt, sicher vor Krankheiten zu sein, die die Menschen in der Vergangenheit bedrohten. Sie glaubten, dass schlimme Dinge nur in anderen Teilen der Welt geschehen und unser Sozial- und Wirtschaftssystem auch den schwersten Stürmen standhalten würde. Nun wurden wir eines Besseren belehrt. Deshalb müssen wir jetzt neu definieren, woran wir glauben können.