Selbstmanagement Welche Werte treiben Sie an?

Welches sind Ihre Werte? Wenn ich als Karrierecoach meinen Kunden diese Frage stelle, bekomme ich meistens eine von zwei Antworten. Die erste lautet: "Darüber habe ich noch nie nachgedacht". Und die zweite: "Das weiß ich genau! Meine Werte sind ...". Nach weiteren Gesprächen stellt die erste Gruppe häufig fest, dass sie sehr wohl eine Vorstellung von ihren Werten hat. Die andere hingegen realisiert, dass ihre Werte in der Regel nicht viel mehr sind als eine Auflistung von Wörtern, hinter denen keine tiefere Bedeutung steckt.
Tatsächlich ist es nicht leicht, sich über seine Ideale klar zu werden. Schließlich wird in unserer Gesellschaft nicht explizit darauf hingearbeitet, die eigenen Werte zu erkennen und anzuwenden. Die dafür benötigte Selbstreflexion wird weder in der Schule noch während der Berufsausbildung gelehrt. Auch Ihr Arbeitgeber wird in Ihrer Leistungsbeurteilung kaum berücksichtigen, ob und wie Sie Ihre Werte im Sinne des Unternehmens nutzen.
Das heißt aber nicht, dass es nicht wichtig wäre, die eigenen Überzeugungen und Treiber zu definieren und zu wissen, wie sie sich einsetzen lassen. Es liegt enorm viel Macht darin, die eigenen Ideale zu kennen: Dieses Wissen hilft Ihnen, Entscheidungen zu treffen, Ihre Karriere zu gestalten und ein glücklicheres Leben zu führen. Die folgenden Schritte unterstützen Sie dabei, sich bewusst mit Ihren Werten auseinanderzusetzen.
Schritt 1: Finden Sie Ihre Werte
Ihre Werte verstecken sich nicht in einem Wandschrank. Selbst wenn Sie Ihre Ideale noch nie explizit formuliert haben, spiegeln sie sich in Ihren Handlungen wider. Hier erfahren Sie, wie Sie diese Werte in den Vordergrund rücken.
1) Denken Sie darüber nach, was Ihnen wichtig ist
Unsere Werte sind nur eine Überschrift, unter der wir die Dinge zusammenfassen, die uns wichtig sind. Fragen Sie sich selbst: Was liegt mir am meisten am Herzen? Machen Sie eine Liste mit allen Dingen, die Ihnen einfallen. Die Liste sollte widerspiegeln, was für Sie persönlich entscheidend ist, und nicht, was andere (Ihre Familie, Freunde, Kollegen) von Ihnen erwarten könnten.
Zunächst geht es um eine grobe Übersicht, deren Inhalte später erweitert und genauer definiert werden. Ehrlichkeit ist dabei sehr wichtig. Versuchen Sie, Ihre Gedanken in so wenigen Worten wie möglich zusammenzufassen. Einige gängige Beispiele dafür sind: Familie, Geld, Komfort, Freunde, Karriere, Zeit, Freiheit, Optimismus.
2) Wählen Sie die drei wichtigsten Werte aus der Liste
Sie denken jetzt wahrscheinlich: "Aber mir sind doch alle Dinge auf meiner Liste wichtig!" Ganz sicher sind die aufgeführten Ideale alle überaus erstrebenswert. Die Frage aber ist: Welche sind Ihnen wichtiger als andere? Auch hier gilt: Seien Sie aufrichtig zu sich selbst. Wenn es Ihnen schwerfällt, sich für genau drei Werte zu entscheiden, können Sie auch zwei oder vier Werte wählen. Es kommt nicht auf die exakte Zahl an – das Ziel ist allerdings, die Liste so kurz wie möglich zu halten.
3) Ordnen Sie Ihre Werte
Überlegen Sie, ob Sie die wichtigsten Werte in eine Rangfolge bringen können. Hier gibt es kein richtiges oder falsches Vorgehen. Die Nummerierung verrät Ihnen, welchen Stellenwert die verschiedenen Elemente in Ihrem Leben haben.
Entspannen Sie sich: Dies ist keine einmalige Übung. Es kann ein paar Wochen oder Monate dauern, bis Sie herausgefunden haben, welche Werte Ihnen am wichtigsten sind. Nehmen Sie sich Zeit zum Reflektieren und Anpassen Ihrer Leitideen. Ich brauchte fast ein Jahr, um meine Werte zu finden und zu festigen. Erst nach und nach wurde mir klar, dass "Glück" und "Fairness" für mich grundlegend sind. "Freiheit" fügte ich erst später zu meiner Liste hinzu. Der Wert war so tief in mir verwurzelt, dass ich ihn nicht so schnell identifizieren konnte, wie die anderen. Auch Sie sollten sich die Zeit nehmen, um Werte zu erkennen, die sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisieren oder durch Veränderungen für Sie wichtig werden.
Schritt 2: Definieren Sie Ihre Werte
Nachdem Sie Ihre Werte kennen, sollten Sie sich die Mühe machen, mit eigenen Worten zu definieren, was sie für Sie konkret bedeuten. Sie können die Definitionen zwar im Wörterbuch nachschlagen, aber das wird Sie vermutlich nicht weiterbringen. Es ist wichtig, dass Sie Ihre persönliche Interpretation finden.
Für "Freiheit" zum Beispiel gibt es viele Definitionen. Hier meine und die eines meiner Kunden:
Meine Definition von Freiheit: Die Fähigkeit zu tun, was ich will, wann ich es will und wie ich es will. Das gilt sowohl für die grundsätzlich bestehenden Möglichkeiten auf der Makroebene (zum Beipiel die Freiheit zu reisen) als auch für die Freiheiten auf der Mikroebene (etwa meine persönliche geistige Freiheit).
Die Definition meines Kunden: Ich möchte in meinen Handlungen und in meinen Entscheidungen unabhängig sein und keinem Mikromanagement unterliegen.
Das Beispiel zeigt: Derselbe Wert kann sehr unterschiedliche Definitionen haben
Anfangs möchten Sie vielleicht zu jedem Ihrer Werte einen Aufsatz schreiben, um ihn zu rechtfertigen und zu erklären. Sie sollten sich Ihre Werte und deren Definitionen aber leicht merken können. Versuchen Sie deshalb, die Definition so kurz wie möglich zu halten. Ein einziger prägnanter Satz reicht aus. Testen Sie sich selbst, in dem Sie sich fragen: Wenn mich jemand mitten in der Nacht wecken und nach der Bedeutung meiner Werte fragen würde, könnte ich dann antworten?
Lassen Sie sich nicht entmutigen. Weder von der Vielzahl an Bedeutungen, die ein Wort haben kann, noch von der Meinung anderer. Wenn ich erkläre, dass "Glück " einer meiner Werte ist, rollen die Leute manchmal mit den Augen. "Das ist ein leeres Wort", sagen sie dann, oder: "Das ist zu allgemein." Aber für mich hat dieses Wort eine kristallklare Definition: Glück ist die Freude an dem, was ich gerade tue.
Schritt 3: Nutzen Sie Ihre Werte
Sie wissen, dass Sie Ihre Werte erkannt und wirklich definiert haben, wenn Sie die Welt um sich herum aus dem Blickwinkel Ihrer Werte betrachten.
An diesem Punkt beginnen Sie davon zu profitieren, dass Sie Ihre Werte analysiert und definiert haben. Entscheidungen und Handlungen fallen leichter. Das kann Ihnen in Momenten Mut machen, in denen Sie ihn am meisten brauchen – denn Ihre Werte können Sie leiten und Ihnen wertvolle Einsichten vermitteln.
Hier einige Beispiele für Überzeugungen in Aktion:
Wenn einer Ihrer Werte "Fairness" ist, können Sie sich davon leiten lassen, wenn Sie einem Kollegen oder einem Angestellten Feedback geben. Es wäre nicht fair, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, wenn das Feedback für die betreffende Person hilfreich wäre. Denn: Wenn Sie ehrlich sind, eröffnen Sie Ihrem Gegenüber die Chance, sich zu verbessern oder eine Lösung zu finden.
Wenn einer Ihrer Werte "Optimismus" ist, können Sie herausfordernde Situationen besser angehen. Sie haben die Stelle nicht bekommen? Das ist in Ordnung – Sie haben immerhin die Gelegenheit erhalten, Vorstellungsgespräche zu trainieren und neue Kontakte zu knüpfen. Ihr Terminkalender ist zu voll? Das wird schon wieder – bei all den Terminen lernen Sie bestimmt viel Neues.
Wenn einer Ihrer Werte "Familie" ist, kann Ihnen das bei Entscheidungen über Ihre Karriere oder Ihren Wohnort helfen. Ihnen wird ein Job angeboten, für den Sie in die Nähe Ihrer Eltern ziehen könnten? Ein erfreulicher Grund, dieser Stelle den Vorzug zu geben vor einer am anderen Ende des Landes. Sie fragen sich, ob Sie Ihren Job wechseln sollten, weil Sie aktuell Beruf und Privatleben nur schlecht miteinander vereinbaren können? Das können Sie getrost tun, weil Sie wissen, dass Sie so mehr Zeit mit Ihren Lieben verbringen können.
Anfangs kann es schwierig sein, Ihren Alltag mit Ihren Werten in Verbindung zu bringen. Vor allem, wenn sie noch nicht klar definiert sind oder sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Zwei Übungen helfen, die Anwendung Ihrer Werte zu trainieren. In der ersten Übung geht es darum, über eine Situation nachzudenken, die Sie frustriert. Fragen Sie sich: Was verbirgt sich hinter meiner Frustration? Wird einer meiner Werte nicht erfüllt? Bei der zweiten Übung denken Sie an eine Situation, die Ihnen Freude bereitet. Welcher Ihrer Werte wird gerade erfüllt?
Erwarten Sie nicht, dass Sie sich in nur einem Tag über Ihre Werte klar werden. Dieser Prozess braucht Zeit. Und: Je nachdem welchen Lebensweg Sie einschlagen, können Ihre Werte gleich bleiben oder sich im Laufe der Zeit entsprechend Ihren Erfahrungen verändern. Deshalb sollten Sie in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob sich Ihre Vorstellungen von dem, was Ihnen wichtig ist, geändert haben. Und denken Sie daran: Diese Übung hilft Ihnen nur, wenn sie wirklich aufrichtig zu sich selbst sind.
Woran erkennen Sie, wann Sie tief verwurzelte Werte haben? Wenn Sie nicht bereit sind, bei Ihren Werten Kompromisse einzugehen.
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