Schlecht. Schuldig. Unzulänglich. Einsam. Treffen diese Worte einen Nerv bei Ihnen? Ich könnte mir vorstellen, dass sie das tun. In meinen Einzelcoachings mit berufstätigen Eltern habe ich diese Worte in den vergangenen Jahren häufiger gehört als alles andere. Und das war noch vor Corona.
Seit März 2020 hat sich die Aufgabe, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen, von einer komplexen, dauerhaften Herausforderung zu einem ausgewachsenen Problem entwickelt. Wir berufstätigen Eltern mussten Vollzeitjobs, Vollzeitkinderbetreuung und Vollzeit-Homeschooling hinbekommen, ohne auf unsere Unterstützungssysteme zurückgreifen zu können. Eine meiner Klientinnen kam im März 2020 aus ihrer ersten Elternzeit zurück und arbeitet seither praktisch rund um die Uhr – und zwar ohne jegliche Kinderbetreuung. Wie so viele andere Eltern auch fragt sie sich, wie lange sie das noch durchhalten kann. Andere Eltern, die zu mir ins Coaching kommen oder die ich interviewt habe, versuchen zum Beispiel verzweifelt, einen Job im Außendienst und das Homeschooling ihrer Kinder gleichzeitig auf die Reihe zu kriegen. Oder sie kämpfen darum, ihr Einkommen zu sichern, während sie rund um die Uhr ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu Hause betreuen.
Es ist sicher keine Übertreibung, wenn ich sage, dass die Situation für berufstätige Eltern heute an einem absoluten Tiefpunkt angelangt ist.
Ich kann es kaum erwarten, dass diese Pandemie endlich vorüber ist. Ich bin zutiefst dankbar für alles, was ich habe – ich bin gesund, habe eine Familie, einen Job und ein Zuhause –, und bin mir bewusst, dass andere es sehr viel schwerer haben. Trotzdem: Während ich diese Zeilen schreibe (den Laptop auf einer Ecke der Küchentheke balancierend, ein Auge auf die E-Mails meiner Klientinnen und Klienten, das andere auf meiner Siebenjährigen, die gerade einen Mathearbeitsbogen ausfüllt), wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen Ausweg aus dieser Situation – eine Fee, die mich aus dieser misslichen Lage erlöst. Wenn auch Sie mit dieser anstrengenden Kombination aus Karriere und Kinderbetreuung konfrontiert sind, geht es Ihnen sicher ähnlich.
Es ist vollkommen natürlich, niedergeschlagen zu sein und sich in die Zeit vor der Pandemie zurückzusehnen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese Gefühle und Wünsche uns zu kurzsichtigem Denken verleiten. Wir arbeiten – und wir haben Kinder. Wir müssen Mittel und Wege finden, um die Situation erträglicher zu machen und ein gewisses Maß an Kontrolle zurückzugewinnen.
Zudem sollten wir anfangen zu überlegen, wie unser Leben als berufstätige Eltern aussehen soll, wenn die Pandemie endet, auch wenn das vielleicht noch in weiter Ferne scheint. Egal wie rosig die Situation vor 2020 aus heutiger Sicht wirkt: Auch sie war nicht gut für arbeitende Eltern. In der aktuellen Situation und angesichts so vieler Unwägbarkeiten brauchen wir einen neuen, klaren Ansatz – einen, der es uns erlaubt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
In diesem Artikel werde ich beschreiben, wie "Working Parenthood 2.0" – also das Leben berufstätiger Eltern – aussehen könnte. Dabei möchte ich Ihnen ein paar einfache, praktikable Schritte zeigen. So kontraintuitiv dies klingen mag, werde ich mich hier auf individuelle Ansätze und Verhaltensweisen konzentrieren. Zwar braucht es unbedingt auch staatliche Unterstützung wie Elternzeit und bezahlbare Kitas, und ganz sicher mangelt es daran. Doch es ist extrem wichtig, dass wir uns als berufstätige Eltern auch selbst aus dem Schlamassel ziehen, anderen dabei helfen und aufhören, uns schlecht, schuldig, unzulänglich oder einsam zu fühlen. Dies ist unbedingt notwendig, damit wir den Rest der Krise überstehen und jene wichtigen, größeren Veränderungen anstoßen können, die unsere Familien, unsere Unternehmen und unser Gemeinwesen brauchen.