Die Risiken aus der Produkthaftung sind größer, als Sie denken Schutz vor Schadensersatz
MARISA MANLEY hat als Rechtsanwältin vier Jahre für IBM gearbeitet und ist jetzt bei der Ginsberg Organization, einer New Yorker Makler- und Beratungsfirma, tätig. Für das Wall Street Journal, Barron's und Inc. schrieb sie über Rechtsfragen.
Das Thema Produkthaftpflicht ist aus den alltäglichen Schlagzeilen verschwunden, aber die Probleme damit sind nach wie vor aktuell. Nicht zuletzt die Prämien zur Haftpflichtversicherung belasten die Unternehmen vieler Branchen enorm. Eine Gesetzesänderung vom vergangenen Jahr, die die Haftung einschränken sollte, wurde für verfassungswidrig erklärt. Manche US- Gerichte haben sogar Standards gesetzt, wonach die Haftungsgrenzen ausgedehnt werden, selbst bei Unternehmen, die aufgrund herkömmlicher Gesetzeslage kein Verschulden getroffen hätte. Angesichts solcher Unsicherheiten bleibt uns nur eine traurige Gewißheit: In der prozeßfreudigen Gesellschaft Amerikas gibt es für Unternehmen keinen Schutz vor Klagen, immer müssen sie damit rechnen, in einen Rechtsstreit verwickelt zu werden. Kürzlich habe ich eine ganze Reihe von Prozeßakten auf die kritischen Haftungsfragen hin durchgesehen, mit denen sich alle Unternehmen auseinandersetzen müssen: Wofür haften wir? Welche Produktspezifikationen müssen wir beachten? Wie rigoros müssen wir unsere Produkte testen? Welche Verpackungsrisiken gibt es? Wie wirkt sich der Produktservice auf die Haftung aus ? Über welche Abwehrmöglichkeiten verfügen wir in einem Verfahren wegen Schadensersatz? Es gibt keinen unfehlbar sicheren Schutz vor Klagen, aber die Wahrscheinlichkeit, einen Schadensersatzprozeß an den Hals zu bekommen und ihn womöglich zu verlieren, läßt sich durch gewisse Vorsichtsmaßnahmen verringern.
Produkt-Handling
Nur im Falle, daß Ihre Ware oder Dienstleistung fehlerhaft ausgeführt ist, kann Ihr Unternehmen dafür haftbar gemacht werden. Leider ist es unmöglich, alle Fehlerquellen und damit jegliches Haftungsrisiko auszuschalten. Aber als Ziel sollte Fehlerfreiheit doch immer vor Augen stehen, um ruinösen Schadensersatzforderungen zu entgehen. Suchen Sie nach Mängeln, die Schäden verursachen könnten und beseitigen Sie sie. Legen Sie Ihre Prüfungen weit an. Jene, die auf Schadensersatz verklagt werden, sind häufig erstaunt, was an Produkteigenschaften die Gerichte alles als "Defekte" anerkennen und für was Sie alles verantwortlich gemacht werden - selbst dann noch, wenn die "Defekte" erst irgendwann in der Vertriebskette auftauchen. Um das Prozeßrisiko zu begrenzen, sollte zunächst einmal die Gestaltung des Produktes daraufhin durchgeprüft werden, was bei seinem Ver- oder Gebrauch möglicherweise passieren könnte. Bedenken Sie, daß die Gerichte ihnen hinterher ins Stammbuch schreiben, wie das Produkt hätte gestaltet werden müssen. General Motors widerfuhr das in San Francisco. Während der Fahrt in einem städtischen Bus wurde Florence Campbell von ihrem Sitzplatz in den Gang geschleudert, als der Bus an der Market-/Ecke Eigth Street eine scharfe Rechtskurve nahm. Sie versuchte sich zwar festzuhalten, aber weder ein Haltegriff noch eine Haltestange waren vorhanden. Sie stürzte und litt, abgesehen von den 18 Tagen im Krankenhaus, noch viele Jahre später unter gesundheitlichen Beschwerden. Sie verklagte GM auf Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Buskonstruktion. Während Mrs. Campbell in erster Instanz verlor, entschied der höchste Gerichtshof Kaliforniens jedoch, sie brauche lediglich den Beweis zu erbringen, daß sie sich bei Vorhandensein eines Haltegriffs wahrscheinlich nicht ernsthaft verletzt hätte. GM hatte dann zu beweisen, daß keine Fehlkonstruktion vorlag. Regreßansprüche wegen mangelhafter Konstruktion können für ein Unternehmen sehr teuer und ärgerlich werden, denn rasch kommt es dabei an den Punkt, wo es dann heißt: "Hätte man denn . . .", oder "Was wäre eigentlich geschehen, wenn . . .?" Beinahe jedes Gericht wird einräumen, daß ein Konstruktionsfehler sehr viel schwieriger zu erkennen ist als ein Fehler in der Herstellung, der ganz offensichtlich das Produkt für seinen eigentlichen Zweck unbrauchbar macht. Eines demonstriert die Geschichte des GM-Falls klar: Selbst wenn Ihr Erzeugnis genauso sicher ist wie alle Konkurrenzprodukte auf dem Markt und genau das leistet, was die Benutzer von ihm erwarten - wenn eine machbar andere Konstruktion den Unfall hätte verhindern können, ist es daran schuld. Bei jeder Konstruktionsentscheidung, die die Sicherheit Ihres Produkts berührt, ist es wichtig, die Vorteile einer konstruktiven Lösung, wie etwa bei den Kosten, der Herstellungsdauer oder -freundlichkeit, abzuwägen gegen mögliche Schadensrisiken auf Seiten der Kunden. Wenn Sie die Gestaltung Ihres Produkts beurteilen, sollten Sie auch bedenken, wie gut es den Zweck erfüllt, für den die Kunden es benutzen. Beschränken Sie Ihre Überlegungen nicht darauf, wie die Kunden Ihrer Meinung nach das Produkt verwenden sollten, sonst könnte Ihnen das Gleiche passieren wie Ford und Goodyear. 1976 brachte Ford den Mercury Cougar mit einer 425 PS-Maschine und Radialreifen von Goodyear auf den Markt. Bei einer Geschwindigkeit von etwas mehr als 100 Meilen pro Stunde platzte Shelby Leleux ein Reifen, und es kam zu einem Unfall, bei dem Leleux ums Leben kam und Floyd Dugas schwer verletzt wurde. Dugas und die Mutter von Leleux verklagten Ford und Goodyear wegen Verkaufs eines mangelhaften Produkts. Goodyear erklärte in der Beweisaufnahme, daß die Reifensicherheit nur bis zu einem Tempo von maximal 85 Meilen pro Stunde garantiert gewesen sei. Beide Unternehmen erklärten sich für schuldlos, denn Leleux habe den Wagen nicht vorschriftsmäßig gefahren. Ein Richter in Louisiana entschied anders: Da bei dem Cougar 105 Meilen pro Stunde als Höchstgeschwindigkeit angegeben worden war, hätten Ford und Goodyear damit rechnen müssen, daß manche Leute ihn auch so schnell fahren würden. Folglich wäre das Auto mit den passenden Reifen auszurüsten gewesen. Die Warnung in der Bedienungsanleitung, nicht schneller als 90 Meilen pro Stunde zu fahren, wurde als nicht ausreichend erachtet. Die Unternehmen waren regreßpflichtig. Als Hersteller sind Sie verpflichtet, Ihr Produkt so zu gestalten, daß es in jeder Weise sicher ist, m der es die Leute wahrscheinlich benutzen.
Produktgestaltung
Produktgestaltung geht über das hinaus, was Sie darunter verstehen möchten, beispielsweise gehört die Verpackung dazu. Die Center Chemical Company produzierte einen Abflußreiniger, der fast ausschließlich aus Schwefelsäure bestand. Archie Porzini versuchte, eine Flasche des Reinigers zu öffnen, aber der Verschluß klemmte. Ein Kollege mühte sich ebenfalls erfolglos. Schließlich nahmen sie eine Zange zu Hilfe, aber da löste sich der Verschluß und der Inhalt der weichen Plastikflasche spritzte Porzini in die Augen. Er erblindete und verklagte Center wegen eines mangelhaften Produkts. Er bekam Recht, nicht wegen der gefährlichen Schwefelsäure, sondern weil Käufer ein Produkt und seine Verpackung als eine Einheit ansehen. Die Verpackung muß daher genauso sorgfältig gestaltet werden wie das Produkt. Wahrscheinlich haften Sie nicht dafür, wenn jemand sich an Ihrem Produkt zu schaffen macht und möglicherweise gefährliche Veränderungen vornimmt. Warren Silverstein verklagte Walsh Press & Die Company auf Schadensersatz wegen des Verlustes einiger Finger, weil ein Walsh-Entsafter nicht richtig funktioniert hatte. Er behauptete, die Firma habe keinen ausreichenden Sicherheitsschutz in das Gerät eingebaut und die Benutzer nicht vor möglichen Gefahren gewarnt. Walsh konnte indes nachweisen, daß in den 34 Jahren, seit das Gerät das Werk verlassen hatte, von anderen daran unsachgemäß manipuliert worden war. Der Motor, die Antriebskonstruktion, die Sicherheitsabdeckung und der Schalter waren anders als von dem Unternehmen vorgegeben. Die ursprünglichen Sicherheitsvorrichtungen hatte jemand entfernt. Das Gericht entschied, ein Hersteller könne nicht für Schäden regreßpflichtig gemacht werden, die dadurch entstehen, daß Dritte ein Produkt drastisch verändern. Auch wenn Leute Ihr sicheres Produkt zusammen mit anderen Produkten verwenden, können Sie nicht für Schäden daraus verantwortlich gemacht werden. Nehmen wir den Fall der Spider Staging Sales Company, die Hebebühnen für Gerüstbau und Wartungsarbeiten herstellt. Howard Antcliffe und James Hathcock benutzten die Spider ST- 18, eine Aluminiumplattform, die von einer Elektrowinde gehoben und gesenkt wird, um am Gebäude der State Employees Credit Union in Lansing, Michigan, Arbeiten mit dem Sandstrahl auszuführen. Die beiden Männer hingen die Plattform an hölzerne, über das Dach herausragende Streben und befestigten als Gegengewicht auf der anderen Dachseite Sandsäcke. Einer der Streben brach, die ST-18 stürzte ab und Antcliffe wurde verkrüppelt. Seine Frau verklagte Spider mit der Begründung, das Unternehmen sei verpflichtet gewesen, Metallstreben zur Verfügung zu stellen. Das Gericht entschied zu Gunsten von Spider. Metallstreben waren kein Bestandteil des von Spider vertriebenen Produkts, und das Unternehmen könne nicht für Arbeitsmittel verantwortlich gemacht werden, die die Benutzer der ST-18-Plattformen zusätzlich verwenden. Diese Plattformen könnten unterschiedlich befestigt werden, Spider selbst verkaufte neun verschiedene Vorrichtungen. Aber Fachleute wie Antcliffe bevorzugen meist ihre eigenen Methoden. Die verkaufte Plattform war jedenfalls sicher, und Spider war nicht dafür haftbar zu machen, wie Antcliffe sie anbrachte. Das Gericht stellte fest, daß ein Hersteller sich nicht mit allen Seiten der Arbeit seiner Kunden befassen muß, um ihm dann zu erklären, wie er dabei zu verfahren habe.
Ausreichende Warnung
Häufig entschieden Gerichte, die über die Solidität eines Produkts zu urteilen hatten, das Fehlen einer angemessenen Warnung sei ebenso gefährlich wie ein Fehler bei der Konstruktion oder Herstellung. Die Norwich Pharmacal Company stellt Furadantin her, ein verschreibungspflichtiges Medikament gegen Harnleiterinfektionen. Norwich empfahl den Ärzten, die Patienten im Falle einer Furadantin-Therapie zu überwachen. Dr. Elizabeth Wilbur händigte Ellen McCue ein Rezept für den unbefristeten Bezug des Medikaments aus. Zwei Jahr später erkrankte Frau McCue an pulmonarer Fibrositis, einer fortschreitenden Lungenkrankheit. Auslöser: das Furadantin. Norwich beschuldigte daraufhin die Ärztin, ihre Patientin nicht ausreichend überwacht zu haben. Der Richter kam dagegen zu dem Schluß, Norwich habe die Gefahren einer pulmonaren Fibrositis bei einer Langzeittherapie gekannt, aber nicht ausreichend davor gewarnt. Er entschied, Norwich sei schadensersatzpflichtig. Die warnenden Hinweise müssen spezifisch sein. Daß allgemein gehaltene Warnungen nicht ausreichen, mußte das Management der James B. Day & Company erfahren. Das Unternehmen produziert den Möbelabbeizer Kut-Koat, der von der Firma Phil Sampson Interiors benutzt wurde. Während ein Angestellter von Sampson mit der Lösung arbeitete, entzündeten sich die Dämpfe an einem Heißwasserboiler. Das anschließende Feuer zerstörte sowohl Sampsons Geschäft als auch die benachbarten Läden von Vic's Barber Shop, Chicken Pete und Anderson Hardware. Die drei Unternehmen verklagten nun Sampson und die Hardenbergh Company, die Sampson das Kut-Koat verkauft hatte. Sampson wurde wegen Unachtsamkeit für teilweise haftpflichtig befunden, denn auf dem Etikett der Beize war auf deren Feuergefährlichkeit hingewiesen worden. Nicht vermerkt aber war, daß auch die Dämpfe feuergefährlich sind. Day und Hardenbergh mußten daher beide haften, obwohl die Angaben auf dem Etikett den gesetzlichen Bestimmungen entsprachen. (Gesetzliche Vorschriften bezüglich Etikettierung, Sicherheitsprüfung, Herstellung und selbst Ausgestaltung und Zusammensetzung stellen nur Mindestanforderungen dar.) Selbst bei einer detaillierten Auflistung aller Gefahren können Sie haftbar gemacht werden, wenn Ihre Warnungen nicht die richtigen Leute erreichen. Die Heil Company fertigt eine hydraulische Hebevorrichtung, die von Benno Truck Equipment in einen Kipplader der Firma Thomas Heard Construction Company eingebaut wurde. Während einer Reparatur des Differentialgetriebes unter der aufgebockten Ladefläche stieß Milton Marshall, ein Angestellter, versehentlich gegen ein freiliegendes Kabel. Dadurch wurde die Hebevorrichtung gelöst, die Ladefläche stürzte auf ihn herab und zerschmetterte ihm Rückgrat und Schultermuskulatur. Im darauffolgenden Schadensersatzprozeß wies Heil daraufhin, daß in der Benutzeranleitung empfohlen wurde, die Kippvorrichtung des Lkw zu blockieren, wenn jemand unter dem Wagen arbeitet. Der Richter in Louisiana befand das für nicht ausreichend. Nichts deutete daraufhin, daß Marshall je diese Anleitung gelesen hätte. Es bestand auch keine Notwendigkeit dafür, da seine Arbeit mit dem hydraulischen System nichts zu tun hatte. Heil mußte daher für den Unfall haften. Nach Auffassung des Richters hätte die schuldige Firma voraussehen müssen, daß ein Mechaniker, der kein Hydraulikexperte ist, durch das von ihr konstruierte System gefährdet werden könnte. Der beste Platz für eine solche Warnung ist wahrscheinlich eine Stelle direkt an dem Produkt selbst. Wer aber ist nun in der Kette der Benutzer der letzte, den Sie noch vor den Gefahren Ihres Produkts warnen müssen? Jeder, von dem Sie vernünftigerweise erwarten können, daß er bei einer normalen Benutzung des Produkts damit in Berührung kommt. Nicht verpflichtet sind Sie jedoch, auf ganz offenkundige Risiken hinzuweisen. Charles Posey transportierte mit einem Gabelstapler der Firma Clark Equipment Kisten mit Heizkörpern und setzte sie in hohen Stapeln auf. Da der Gabelstapler für Benutzung in niedrigen Räumen konstruiert war, besaß er keine Überkopf-Sicherheitsstützen. Als sich die Gabel an der Kante eines Kistenstapels verhakte, fiel eine Kiste herunter und verletzte Posey schwer. In seiner Klageschrift machte er geltend, die Herstellerfirma hätte auf dem Gabelstapler einen Hinweis anbringen müssen, der die Benutzer davor warnt, ohne Sicherheitsschutz in der Nähe hoher Stapel zu arbeiten. Der Richter in Indiana wies Poseys Klage ohne Verhandlung ab. Seine Begründung: Wenn jemand in der Umgebung von hohen Stapeln Arbeiten verrichte, müsse er darauf gefaßt sein, daß etwas herunterfallen und ihn verletzen könne. Sie müssen aber sorgfältig prüfen, was "offenkundig" heißt. Eine Gefahr, die für Sie als Fachmann offensichtlich sein mag, muß dem Benutzer nicht bewußt sein. Virginia Burke verklagte die Weinfirma Almaden Vineyards wegen eines Plastikkorkens, der ohne fremde Mitwirkung aus einer Sektflasche herausschnellte, ihr Brillenglas zerbrach und sie am Auge verletzte. Almaden hielt dagegen, Sektflaschen und knallende Korken gehörten ten einfach zusammen. Der kalifornische Richter war anderer Meinung und entschied, die meisten Menschen wüßten nicht, daß ein Plastickorken mit einer Geschwindigkeit von über 50 Stundenkilometern aus einer Sektflasche herausschießen kann. Im Zweifelsfall ist es also besser, wenn Sie ausdrücklich eine Warnung etikettieren. Ebenso wichtig wie Warnungen sind detaillierte Gebrauchsanweisungen. Vergewissern Sie sich, daß Ihre Angaben auf dem Etikett genau und leicht verständlich sind. In vielen Staaten gibt es Gesetze, die Inhaltsangaben bei bestimmten Produkten vorschreiben. Wenn durch den Verstoß gegen eine Vorschrift Ihren Kunden Informationen vorenthalten werden, die ihrer Sicherheit hätten dienen können, wird eine Schadensersatzklage nicht lange auf sich warten lassen.
Was passiert auf dem
Vertriebsweg?
Sie können nie endgültig vorausbestimmen, in welche Hände Ihr Produkt schließlich gerät. Sie können sich aber absichern, wenn Sie Ihrem Vertrieb empfehlen, es nur dem Verbraucherkreis zugänglich zu machen, für den es gedacht ist. Wenn Sie wissen, daß der Händler das Produkt auch an Leute verkauft, die es besser nicht haben sollten, und wenn Sie dagegen nichts unternehmen, können Sie haftbar gemacht werden. Warnen Sie also ungewollte Benutzer, daß Ihr Produkt nicht für Sie gedacht ist. Genau dieser Schritt bewahrte die Helene Curtis Industries vor einem Zivilverfahren. Der Haarfärber New Blue von Curtis und L'Oreal Creme-Festiger von Cosmair wurden nur an Friseurläden verkauft und mit dem Hinweis versehen: nur für fachkundige Benutzung. Mrs. Hendren, eine Freizeitfriseuse, kaufte beide Produkte bei Ferrell, einem Schönheitssalon in Oklahoma, um die Haare von Marjorie Ann Pruit zu färben. Unter Mißachtung der auf der Packung angegebenen Anleitung bereitete sie eine unverträgliche Mischung, die Verbrennungen auf der Kopfhaut ihrer Kundin verursachten. Frau Pruit verklagte nun Helene Curtis und Cosmair wegen mangelhafter Erzeugnisse. Sie verlor den Prozeß, denn beide Firmen hatten alles unternommen, um den Verkauf auf fachlich geschulte Benutzer zu begrenzen. Frau Henderson hatte keine Ausbildung als Friseuse und ließ daher nicht die gebotene Vorsicht walten, die Fachleute üblicherweise üben. Auch andere Glieder in der Vertriebskette, wie etwa Ihre Lieferanten, können potentielle Schadensverursacher sein. Sie können Ihre Risiken aber minimieren. Für die American Radiator & Standard Sanitary Corporation gab es keinen Ausweg. Einer ihrer Boiler explodierte und führte bei Myrtle Rauch zu einem mehr als einjährigen Krankenhausaufenthalt. Obwohl die Schuld bei einem Sicherheitsventil lag, das ein anderes Unternehmen hergestellt und zugeliefert hatte, befand ein Gericht in Iowa American Radiator für schuldig und verurteilte es zu der bis dahin (1960) höchsten Schadensersatzzahlung von 90 000 Dollar. Die Begründung des Gerichts: In einem Katalog, den American Radiator an seine Händler versandte, war dieses Ventil als das richtige Ersatzteil für den Boiler aufgeführt. Das Ventil wurde unter der Ägide von American Radiator vertrieben, deswegen war das Unternehmen für etwaiges Versagen haftbar. Das Risiko läßt sich am sichersten verkleinern, wenn Sie die Einzelteile Ihrer Zulieferer überprüfen oder sich von denen genug Testdaten besorgen, damit Sie gewiß sein können, daß die Teile in Ordnung sind. Machen Sie den Griff nach den Daten der Sicherheitsüberprüfung zum Element des Geschäftsvertrages, oder schieben Sie eine Klausel ein, die Ihnen vor Abnahme der Lieferung ausreichend Zeit gewährt, die Prüfung selbst vorzunehmen. Andererseits können Unternehmen, die anderen Einzelteile liefern, auch für Mängel des Endprodukts haftbar gemacht werden. Edward Edison, der in Kalifornien bei Erdölbohrungen mitarbeitete, stürzte aufgrund eines versagenden Sicherheitsgürtels 30 Meter tief in den Tod. Seine Witwe verklagte den Gürtelhersteller, die Lewis Manufacturing Company, und die North & Judd Manufacturing Company, die das entscheidende defekte Einzelteil, den D-Ring, hergestellt hatte, mit dem der Gürtel am Bohrturm befestigt gewesen war. North & Judd hatten für ihren D-Ring vollmundig mit der Aussage geworben: "Geprüftes Sicherheitswerkzeug." Obwohl sie allerlei Prüfungen durchgeführt hatten, war nicht getestet worden, wie sich das Gewicht eines stürzenden Mannes auf die Festigkeit des Ringes auswirkt. North & Judd mußten für Edisons Tod haften. Wenn Sie Ihr Produkt prüfen, simulieren Sie am besten die denkbar schwersten Bedingungen, denen es ausgesetzt sein könnte. Die Gerichte vertreten die Auffassung, eine Produktgeschichte ohne Unfall sei keineswegs eine Garantie für ein fehlerfreies Produkt. Wenn Sie Komponenten eines anderen Produkts verkaufen, sind Sie verpflichtet, sich zu vergewissern, daß dieses Teil für die endliche Benutzung tauglich ist. Bei Schadensersatzprozessen müssen Sie sich für Ihre Kenntnis um die Verwendung Ihrer Teile durch den belieferten Hersteller verantworten und häufig auch für etwas, das Sie nicht wußten, aber eigentlich hätten wissen sollen. Informationen, die Ihr Verkaufspersonal und Ihr Management von Ihren Kunden erhalten, können für die Leute, die das Produkt entwickeln und testen, äußerst wertvoll sein. Auch der Einzelhändler kann für den Verkauf eines Produkts mit Mängeln haftbar gemacht werden. Paul Schwartz kaufte eine Schachtel Zimmermannsnägel von Macrose Lumber & Trimm Company, die sich als zu spröde erwiesen. Bereits beim ersten Versuch, einen Nagel einzuschlagen, zerbarst der und Splitter drangen in Schwartz' Auge. Ein Gericht in New York gab dem Kläger recht, und Schwartz kassierte für seine Verletzung Schadensersatz. Es blieb dem Einzelhändler überlassen, die Summe vom Großhändler und Hersteller zurückzufordern. Da der Einzelhändler das letzte Glied in der Verteilerkette ist, das einen Kunden zum Kaufen ermuntert, sind die Gerichte zu der Auffassung gelangt, daß es gerechtfertigt ist, wenn der Einzelhändler für die von ihm verkauften Waren haftbar gemacht wird. Vergewissern Sie sich also, bevor Sie sich ein Produkt ins Verkaufsregal stellen, ob es letztlich geeignet ist für den Zweck, für den ein Kunde es normalerweise nutzen wird. Als Händler sind allein Sie für Produktmängel verantwortlich, die Sie bei rechtzeitiger Überprüfung hätten entdecken können. Auch im Leasinggeschäft kann ein mangelhafter Service zu Schadensersatzprozessen führen. Nehmen wir den Fall von Hawk Aviation, die Flugzeugleasing in New Mexico betrieben. Eine ihrer Maschinen stürzte ab, wobei der Pilot Dr. Stanley Rudisaile umkam. Die Untersuchung ergab, daß der Wartungsmechaniker von Hawk das Öl abgelassen, aber kein neues nachgefüllt hatte. Obwohl ein routinemäßiger Preflightcheck Dr. Rudisaile gezeigt hätte, daß kein Öl vorhanden ist, wurde Hawk für schuldig befunden. Das Produkt (das Flugzeug) war gefährlicher, als es ein Kunde normalerweise erwarten mußte. In diesem wie in vielen anderen Schadensersatzprozessen konnte sich der Angeklagte nicht mit dem Hinweis auf die Sorglosigkeit des Kunden herauswinden.
Die Verteidigung
im Prozeß
Wie können Sie sich verteidigen, wenn ein defektes Produkt Ihren genauen Qualitätskontrollen doch entgeht? In direkten Produkthaftungsfällen, ausgelöst durch Konstruktionsmängel, gibt es kaum Verteidigungsmöglichkeiten. Ob Sie es mögen oder nicht, die Absicht ist, die Risiken weg von den Kunden auf denjenigen in der Verteilerkette zu verlagern, der in der Lage ist, zumindest theoretisch besser mit dem Risiko umzugehen. Immerhin 46 US-Bundesstaaten haben für die Hersteller "Strict Liability" (direkte Haftung) gesetzlich festgeschrieben, das heißt, sie müssen für Fehler bei ihren Produkten haften. Strict liability bedeutet auch, daß sie selbst dann haftbar gemacht werden können, wenn sie nach herkömmlicher Auffassung keinerlei Verschulden trifft. Diese Einzelstaatsgesetze sind nicht in allen Punkten gleich. Unterschiede gibt es, in welcher Frist der Kläger die Klage erheben muß, wieviel der Kläger seinerseits beweisen muß und welche Verteidigungsmöglichkeiten der Hersteller hat. Beispielsweise kann in Kalifornien die Tatsache, daß ein Hersteller diverse Male Produktvariationen vorgenommen hat, als Beweis gelten, daß das Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht einwandfrei war; in Louisiana ist das nicht zulässig. Die Gesetze der Bundesstaaten sind nicht nur unterschiedlich, sie sind auch flexibel. Im Jahr 1986 haben mindestens 19 Bundesstaaten ihre Gesetzgebung zur Herstellerhaftung modifiziert. Die Auswirkungen dieser Änderungen. sind zum Großteil noch nicht geprüft. Die meisten Bundesstaaten lassen bestimmte Verteidigungsschritte zu. Wenn einem Kunden Ihr Produkt und seine Gefahren bekannt sind, können Sie von der Haftung freigesprochen werden, sofern Sie beweisen können, daß sich der Kläger der spezifischen Risiken bewußt war. Nehmen wir den Fall der Emerson Electric Company, einem Hersteller von Bandsägen für Handwerker, um Spanplatten zu schneiden. Eine dieser Sägen war für den Tod von Howard Thompson verantwortlich. Angeblich - es gab keine Unfallzeugen - stieß die Säge auf etwas, was sie nicht durchtrennen konnte, schlug zurück, traf Thompson und zertrennte seine Halsschlagader. Er starb vor Ankunft des Rettungswagens. Zur Verteidigung führte Emerson an, Thompson hätte als Holzfäller die Gefahren einer Bandsäge kennen müssen. Außerdem werde in der Gebrauchsanleitung vor der Gefahr des Rückschiagens der Säge gewarnt. Ein Gericht in Louisiana wies diese Verteidigung ab: Emerson wäre zu der weitergehenden Warnung verpflichtet gewesen, daß ein Rückschlagen unter Umständen unvermeidbar sein und ernsthafte, ja sogar tödliche Folgen haben könne. Der Richter befand, Thompson habe die Säge korrekt gehandhabt, und es gäbe keinerlei Beweis dafür, daß er gewußt habe, wie gefährlich ein Rückschlagen sei. Thompsons Witwe und seine Tochter erhielten rund 250 000 Dollar Wiedergutmachung. Vergleichen Sie diesen Fall mit dem der Wysong & Miles Company, die der Firma Metal Fabricators in Jacksonville, Florida, eine Metallpresse "Model 150" - 3 Meter hoch, 4 Meter breit und mit einem Gewicht von mehr als 10 000 kg - verkaufte. Die Monteure James Alderman, Phil Harbison und Butch Carter sollten sie installieren. Bei dem Versuch, sie zu ihrem Standort zu befördern, kippte sie um und begrub Alderman unter sich. Er erlag den Verletzungen. Aldermans Witwe verklagte Wysong mit der Begründung, daß die Presse aufgrund ihrer Kopflastigkeit leicht umkippe und deswegen eine Fehlkonstruktion sei. Wysong bestritt die Kopflastigkeit nicht, wies aber darauf hin, daß das auf alle Metallpressen zutreffe und diese Tatsache fachlich geschulten Monteuren bekannt sei. In seiner Aussage bestätigte Harbison, er, Alderman und Carter hätten von der Kopflastigkeit gewußt. Als erfahrenen Monteuren sei es ihnen aber nicht für notwendig erschienen, Wysongs Anleitung zur Aufstellung des Model-150 zu lesen. Das Gericht entschied, daß Alderman ein persönliches Risiko bei der Arbeit mit dieser Maschine eingegangen sei. Auch wenn Sie ein fehlerhaftes Produkt herstellen oder verkaufen, können Sie nur haftbar gemacht werden, wenn der Mangel zur Verletzung des Klägers geführt hat. Mildred Stammer verklagte General Motors, weil ihr neuer Chevrolet auf einen Bahndamm rollte und mit einem Zug zusammenstieß. Sie behauptete, die Automatik hätte versagt, wodurch der Motor abgewürgt worden wäre. Der Richter entschied, es sei bedeutungslos, ob der Motor laufe oder nicht. Wenn man den Fuß von der Bremse nehme und die Handbremse nicht ziehen würde, müsse ein Auto in jedem Fall einen Abhang hinabrollen. Die Automatik habe nicht den Unfall verursacht und General Motors trüge daher keine Verantwortung für Frau Stammers Mißgeschick. Niemand im Geschäftsleben ist vor Schadensersatzansprüchen gefeit. Es gibt keine absolute Garantie gegen Fehler. Wenn Sie sich aber mit der gesamten Bandbreite von Produktfehlern, die zu Fällen von Schadenshaftung führen können, beschäftigen und gezielt versuchen, unfallträchtige Unvollkommenheiten auszumerzen, können Sie das Risiko, einen Schadensersatzprozeß zu verlieren, stark reduzieren. Copyright: © 1988 by the President and Pellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in "Harvard Business Review" Nr. 5, September/Oktober 1987, unter dem Titel: "Product liability: you're more exposed than you think"; Übersetzung: Henriette Holtz.