Von den Vorzügen leistungsgebundener Vergütung Revolution auf dem Gehaltsstreifen
ROSABETH MOSS KANTER ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Harvard Business School. Zu ihren bekanntesten Büchern gehören ,,Men and Women of the Corporation" (New York: Basic Books 1979) und "The Change Masters: Innovation and Entrepreneurship in the American Corporation" (New York: Simon & Schuster 1983).
Position, nicht Leistung war in der Vergangenheit ausschlaggebend für die Höhe der Gehälter. Der Verdienst orientierte sich an der Rangordnung im Unternehmen und nicht daran, was bei der Arbeit tatsächlich unter dem Strich herauskam. Zunehmend gerät dieses System unter Beschüß. Immer mehr Spitzenmanager versuchen, aus ihren Mitarbeitern selbständige Unternehmer zu machen - das bedeutet Vergütung nach Maß der geschaffenen Werte, mit entsprechendem Risiko. Dies kann revolutionäre Konsequenzen für Unternehmen und Beschäftigte haben, wie folgende Beispiele zeigen: D Zwecks Kostenkontrolle und besserer Leistung wird die Abteilung Informationsdienste eines führenden Finanzunternehmens in einen eigenständigen Betrieb verwandelt, der seine Dienstleistungen auch außerhalb des Unternehmens verkauft. Bereits im ersten Jahr fährt die neue Firma satte Gewinne ein, und die Angestellten fragen, warum man ihnen ein festes Gehalt entsprechend ihrer Stellung zahlt und sie nicht an den von ihnen erwirtschafteten Gewinnen beteiligt. D Als Ausgleich für freiwilligen Lohnverzicht bietet ein Industriebetrieb seinen Beschäftigten Aktien an. Die Belegschaftsvertretung interessiert sich auf einmal für die Rentabilität des Unternehmens und fragt, warum die Firma so viele und so hoch bezahlte Manager hat. D Die Verwaltung einer amerikanischen Großstadt spornt zu Eigeninitiative und höherer Leistung an, indem sie Referenten, deren Abteilungen erhebliche Verbesserungen vorweisen können, kräftige Gehaltserhöhungen gewährt. Einige Jahre nach Anlaufen dieses Programms steht die Vergütung der Stadtbediensteten nur noch in geringer Beziehung zu ihrer Position in der Hierarchie. Bei den traditionellen Lohn- und Gehaltsstrukturen ist jeder Arbeitsplatz mit einem Entgeltniveau ausgewiesen, das von der eigentlichen Leistung nur wenig berührt wird. Das Gehaltsniveau beruht auf Merkmalen wie Entscheidungsbefugnis, Umsatz oder Anzahl der Mitarbeiter. Die Leistungskomponente, soweit überhaupt vorhanden, ist gering. Beinahe die einzige Möglichkeit, das Gehalt zu erhöhen, ist ein Arbeitsplatzwechsel oder eine Beförderung. Befürworter dieses Systems behaupten im allgemeinen, daß der Verdienst ebenso wie der Preis einer Ware im Endergebnis vom Markt bestimmt werden. Und funktioniert der Markt, dann müßten laut dieser Annahme Menschen in gleichwertigen Positionen im allgemeinen gleich entlohnt werden, und Leute mit vergleichbarer Ausbildung und Erfahrung wären ungefähr das gleiche wert. Doch das ist ein Fehlschluß: Denn wir wissen nur, daß Leute etwas wert sind, weil sie nur für viel Geld auf dem Arbeitsmarkt zu haben sind - und jemand ist eben so viel wert, wie er kostet. Bei dieser Logik ist es nicht weiter erstaunlich, daß sich so ungleiche Bettgenossen wie Feministinnen und unternehmerisch denkende Manager zu einer Koalition gegen das traditionelle System zusammentun, das als Inbegriff für die väterlichen Wohltaten des Arbeitgebers gilt. "Wir haben Unternehmenssozialismus und nicht Kapitalismus", klagt der Chef eines Industriebetriebs. "Wir sind so fixiert auf Gleichbehandlung, daß wir jeglichen Unternehmungsgeist zerstören." Die alten Regeln sind nicht länger haltbar. Aus vier Gründen muß die Bindung der Entlohnung an Arbeitsplatzbeschreibungen gelöst werden - sie ist ungerecht, sie verursacht unnötige Kosten, sie beeinträchtigt die Produktivität, und sie fördert kein unternehmerisches Handeln im Management.
Es ist ungerecht!
Von Jahr zu Jahr, das zeigen zahllose Befragungen in den Unternehmen, nimmt die Zahl der Beschäftigten zu, die die bestehenden Vergütungspraktiken als unfair empfinden. Insbesondere werden die Bezüge des Topmanagements als ungerechtfertigt hoch angesehen, vor allem, wenn an Führungskräfte hohe Prämien ausgezahlt werden, während das Unternehmen zur gleichen Zeit Verluste erleidet oder sich gerade erst von einer Absatzkrise erholt. Obwohl laut verschiedenen Statistiken hohe Managergehälter im allgemeinen mit einer großen Unternehmensleistung einhergehen, meinen viele Experten, daß die Bezüge in den Chefetagen überzogen sind und vom Status und nicht der tatsächlichen Leistung bestimmt werden. Gleichermaßen spricht einiges gegen ein ausuferndes Wachstum hochbezahlten Managementpersonals. Beschäftigte fragen sich, warum Führungskräfte Gewinne einstreichen sollen, die von anderen erwirtschaftet wurden. Die Mitarbeiter nehmen es übel, wenn der Chef für eine überdurchschnittliche Leistung, die von allen gemeinsam erbracht wurde, 30 Prozent mehr Geld bekommt, sie selbst aber nur sechs oder acht Prozent. Wenn Führungskräfte Prämien erhalten, weil die Gewinne so reichlich sprudeln, sollten die Mitarbeiter nicht leer ausgehen. Auf diesem Gedanken beruht die Forderung nach Gewinnbeteiligung: Alle Beschäftigten sollen von den Früchten einer gemeinsamen Leistung profitieren. Bei Gewinnbeteiligung wird normalerweise ein Teil der Nettogewinne einer Rechnungsperiode an die Beschäftigten verteilt. Der Gewinn kann in barer Münze, aber auch in Form von Investivlöhnen ausgeschüttet werden. Die Gewinnbeteiligung muß nicht alle Mitarbeiter einbeziehen. Das Gewinnbeteiligungsmodell von Lincoln Electric, dem weltgrößten Hersteller von Elektroschweißgeräten, ist besonders großzügig. Jedes Jahr zahlt Lincoln sechs Prozent des Reinertrags als Dividende auf Stammaktien aus - "die Löhne des Kapitals". Die Unternehmensleitung bestimmt eine weitere Summe als Rücklage für künftige Investitionen. Der Rest wird an die Belegschaft ausgeschüttet. Die Gewinnbeteiligung beläuft sich auf 20 bis 120 Prozent der Grundgehälter. Das Unternehmen blieb selbst in Zeiten schrumpfender Verkaufszahlen in der Rezession von 1981 bis 1983 in der Gewinnzone, zum Nutzen der Beschäftigten wie auch der Aktionäre. Insgesamt praktizieren rund eine halbe Million Unternehmen irgendeine Form von Gewinnbeteiligung, wenn man sowohl Investivlohn wie Barauszahlung berücksichtigt. Laut amtlichen Statistiken kamen 1983 in der Privatwirtschaft (ohne Kleinbetriebe) 19 Prozent der Arbeiter, 27 Prozent der technischen und kaufmännischen Angestellten und 23 Prozent der hochqualifizierten und leitenden Angestellten in den Genuß einer Gewinnbeteiligung. Bei der Beteiligung an Produktivitätszuwächsen (Gain Sharing), eine weitergehende Variante der Gewinnbeteiligung, wird versucht, den Beitrag bestimmter Gruppen von Mitarbeitern zur Gesamtleistung zu ermitteln und mit entsprechenden Prämien zu honorieren. Dabei muß, anders als bei der konventionellen Gewinnbeteiligung, meist ein kompliziertes Berechnungsverfahren angewandt werden. Die verschiedenen Gain-Sharing-Modelle beruhen alle auf zwei Prinzipien: * Die Prämien werden anhand der Gruppen- und nicht der Einzelleistung berechnet (da der Erfolg einer Abteilung oder eines Teams als Gemeinschaftsleistung betrachtet wird. * Die Höhe der Prämien und ihre Verteilung beruhen auf objektiven, meßbaren Merkmalen, die für jedermann erkennbar sind. Nach Meinung von Experten bieten einige tausend Unternehmen in irgendeiner Form eine Beteiligung an Produktivitätszuwächsen an. Von diesen Programmen profitieren bereits Millionen Beschäftigter, bei wachsender Beliebtheit. Bei Scanion, wo es wohl das älteste, bekannteste und aufwendigste Gain-Sharing-System gibt, gehen in der Regel 75 Prozent der Erträge an die Beschäftigten und 25 Prozent an das Unternehmen. Das Programm fußt auf komplexen Mechanismen und Verfahren, die genau vorgeben, wie sich die Beschäftigten auf unterschiedlichen Ebenen zu beteiligen haben - nicht nur, um diesen Prozeß zu kontrollieren, sondern auch, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Leistung und somit ausgeschüttete Gewinne zu steigern sind. Bei der Herman Miller Inc. wird Gain Sharing nicht nur als Vergütungssystem verstanden, sondern als Firmenphilosophie. Gruppen- oder belegschaftsgebundene Prämien bieten, wenn sie an hinreichend spezifischen Indikatoren ausgerichtet sind, eine weitere Möglichkeit, einen Teil der Gewinne aus guter Leistung gerechter aufzuteilen. Alles spricht dafür, daß ihr Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des Conference Board, die 491 Betriebe umfaßte, ergab: 58 Prozent der Unternehmen hatten gewinnabhängige Prämien für das Topmanagement eingeführt, jedoch nur elf Prozent eine allgemeine Gewinnbeteiligung, acht Prozent unternehmensweite, produktivitätsabhängige Prämien, drei Prozent gruppengebundene Produktivitätsprämien und weniger als ein Prozent Leistungsanreize für gemeinschaftliche Kostendämpfung. Leistungsbezogene Vergütung betrifft zum allergrößten Teil das Topmanagement und, mit einigen Abstrichen, das mittlere Management. Selbst in anreizbewußten High-Tech-Unternehmen ist Gain Sharing selten anzutreffen. Eine Befragung der Hay Association ergab: Bei gut der Hälfte der technologieorientierten Betriebe gab es individuelle Gewinnbeteiligung in Form von Barausschüttung oder Belegschaftsaktien, aber nur sechs Prozent hatten Gain Sharing oder kollektive Gewinnbeteiligung eingeführt. Fragen der Lohngerechtigkeit scheinen also auch unter dem Gleichbehandlungsaspekt angebracht. Lohngerechtigkeit hat Unternehmen schon lange beschäftigt. Es haben sich jedoch zwei weitere, komplexe Aspekte ergeben, für die es keine einfache Lösung gibt und deren Bedeutung zunimmt. Einerseits muß die Leistung der Beschäftigten dem erwirtschafteten Ertrag des Unternehmens gegenübergestellt werden. Andererseits ist zu fragen, wie sich die Leistungen von einzelnen Gruppen in einem Unternehmen messen und vergleichen lassen. Es sind daher bessere Bewertungssysteme oder neue Prinzipien erforderlich, auf die sich alle Beteiligten einigen können.
Dividenden sind die Antwort
Der Konkurrenzdruck zwingt Unternehmen aller Branchen, nach neuen Wegen der Lohnkostenreduzierung zu suchen. Eine sichere Methode ist, den Lohn an die Leistung zu knüpfen - an die des Betriebs wie an die des Einzelnen. Leistungszulagen, Prämien und Gewinnbeteiligung versprechen denen, die sich wirklich einsetzen, zusätzlichen Verdienst. Das ist das Kostensenkungspotential, das die Augen der Spitzenmanager erst richtig zum Glänzen bringt. Das Prinzip, die Entlohnung dem Ertrag anzupassen, ist der Eckpfeiler einer "Beteiligungswirtschaft", wie sie von Martin Weitzman, Professor für Volkswirtschaft am Massachusetts Institute of Technology, vorgeschlagen wird. Weitzman argumentiert, daß ein Ausweg aus der Stagflation gefunden sei, wenn sich die Unternehmen dazu bereit erklärten, ihre Beschäftigten an den Gewinnen zu beteiligen. Unter anderem ergebe sich für die Betriebe ein Anreiz, neue Arbeitsplätze zu schaffen, weil zusätzliche Arbeitskräfte nur noch proportional zu ihrer erbrachten Leistung bezahlt würden (siehe Weitzman 1987). Für Unternehmen im Konkurrenzkampf sind solche makroökonomischen Konsequenzen natürlich nicht ausschlaggebend. Sie interessiert der direkte Nutzen, wenn sich die Arbeitskräfte an den Risiken von Konjunkturschwankungen (oder von schlechten Managemententscheidungen, wie die Beschäftigten hinzufügen würden) beteiligen. Ähnliche Gründe lassen auch Kapitalbeteiligung wünschenswert erscheinen, besonders in Unternehmen, bei denen durch Deregulation Kostenwettbewerb entstanden ist. Ein kürzlich veröffentlichtes Buch zum Thema Kapitalbeteiligung, "Taking Stock - Employee Ownership at Work", berichtet von mindestens sechs großen Fluglinien und 15 Transportunternehmen, die Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaften als Antwort auf Deregulation geschaffen haben (siehe Quarrey u.a. 1986). Der Autor nimmt an, daß rund eine Million Arbeitnehmer in etwa 8000 Betrieben mittlerweile am Eigenkapital ihres Arbeitgebers beteiligt sind - im Durchschnitt mit 15 Prozent. Während viele Unternehmen Kapitalbeteiligung hauptsächlich unter dem Finanzierungsaspekt sehen, besteht wenig Zweifel, daß eine gut durchdachte und durchgeführte Beteiligung zum geschäftlichen Erfolg beitragen kann. Ein Beispiel dafür ist Western Airlines. Nach Verlusten in Höhe von 200 Millionen Dollar im Verlauf von vier Jahren führte das Unternehmen das Western-Partnerschaftsmodell ein. Als Gegenleistung für Lohnverzicht und Produktivitätssteigerungen zwischen 22,5 und 30 Prozent wurden den Mitarbeitern Anteile am Eigenkapital von 32,4 Prozent, ein sinnvolles Gewinnbeteiligungsprogramm und vier Sitze im Verwaltungsrat angeboten. 1985 schüttete die Fluglinie mehr als zehn Millionen Dollar an seine 10 000 Mitarbeiter aus - jeweils 100 Dollar bar auf die Hand, der Rest als Investivlohn. Am Verkauf von Western Airlines an den Konkurrenten Delta verdienten die Beschäftigten rund 75 Millionen Dollar. Solche Modelle sind vorteilhafter als eine weitere, heftig diskutierte Alternative der Lohnkostenreduzierung - das zweigleisige Vergütungssystem, bei dem neue Arbeitskräfte zu einem geringeren Lohn als die Stammbelegschaft eingestellt werden. Wohl kaum einer findet es fair, zwei Gruppen für die gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne zu zahlen. Aber was könnte gerechter sein, als Lohn an die Leistung zu knüpfen, das Entgelt von den Erträgen abhängig zu machen? Von dem offensichtlichen Problem, daß schlecht bezahlte Arbeitnehmer sich Lohnschwankungen weniger leisten können als Bezieher höherer Einkommen und daß mehr Einsatz der Belegschaft sich nicht immer direkt auf Unternehmensgewinne auswirken, lassen sich die Befürworter einer solchen Regelung nicht beirren. Die fixe Komponente der Lohnzahlung nimmt schon jetzt in vielen US-Betrieben ab. Prämienzahlungen fördern diese Entwicklung. Eine neuere Studie des Bureau of National Affairs (BNA) zeigt, daß Einmalzulagen anstelle von generellen Lohnerhöhungen in fast 20 Prozent aller 1985 abgeschlossenen Tarifverträge (ohne Baugewerbe) vereinbart wurden. Das bedeutet eine Steigerung von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ähnliche Zahlen enthält der Lohnvergleich 1986 von Hewitt Associates, der für die Angestellten von 564 befragten Betrieben eine Zunahme der einmaligen Zulagen von sieben auf 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr feststellt. Diese Einmalzahlungen verändern nicht das Grundgehalt und berühren auch nicht Überstundenzuschläge. Sie haben genau den gegenteiligen Effekt: Lohnkostenreduzierung. Mehr als zwei Drittel der vom BNA untersuchten Prämienvereinbarungen waren mit einem Lohnstopp oder sogar Lohnverzicht verbunden.
Das Verhalten bestimmt die Bezahlung
Kostensenkungskampagnen sind eine Möglichkeit für Unternehmen, kurzfristig höhere Wettbewerbsleistungen zu erzielen. Doch auf Dauer ist flexible Entlohnung, abhängig von spezifischer, meßbarer Leistung des Einzelnen auf jeder Ebene, eine weit effektivere Maßnahme, den Unternehmungsgeist der Arbeitnehmer zu wecken und ihr Verhalten in die richtigen Bahnen zu lenken. Befürworter behaupten, daß kaum etwas besser wäre, um bei den Arbeitnehmern ein Bewußtsein für nützliche Handlungsweise zu fördern und ihren Einsatz entsprechend zu leiten. Ein gutes Beispiel bietet das Entlohnungssystem, das Merrill Lynch im Februar 1986 für seine 10 400 Broker einführte. Um die Broker anzuspornen, mehr Zeit und Energie für die größeren, aktiveren Kunden aufzuwenden, wurden die Provisionen für kleinere Transaktionen gekürzt. Diese Vergütungsstruktur wurde entwickelt, um neuen Produkten wie Cash Management Account gerecht zu werden, da das vorherige System wenig geeignet war, Leistung in neuen, expandierenden Bereichen, die für das Management einen Schwerpunkt darstellten, zu fördern. Provisionen und Prämien für das Verkaufspersonal sind natürlich in den meisten Branchen üblich. Doch sie spielen heute eine immer größere Rolle für das Gesamteinkommen der Arbeitnehmer. (Die Mitarbeiter im Verkauf und Kundendienst des Geschäftsbereichs Medical Systems von General Electric können mit Prämien ihr Gehalt mehr als verdoppeln.) Ebenso steigt die Anzahl der Beschäftigten, die daran beteiligt sind. Gerade in wettbewerbsintensiven, neuen Branchen lassen sich die Unternehmen immer neue Varianten von Produktivitätsprämien einfallen. PSICOR ist eine kleine Firma in Michigan, die Geräte und "Perfusionisten" genannte Spezialisten für die offene Herzchirurgie anbietet. Für Perfusionisten besteht ein großer Bedarf, und sie wechseln häufig den Arbeitsplatz. Michael Dunaway, der Firmengründer, suchte deswegen nach Möglichkeiten einer sofortigen Belohnung, weil die übliche Gehaltserhöhung von zehn Prozent zum Jahresende zeitlich zu weit entfernt schien. Anfangs versuchte er es mit spontanen Prämien von 100 bis 500 Dollar für außergewöhnliche Leistung, aber die Kontrolle darüber erwies sich als zu schwierig. 1982 hatte er die Idee einer kontinuierlichen Steigerung mit jedem Gehaltsscheck, die sich im Laufe eines Jahres auf eine mindestens fünfprozentige Erhöhung des Grundgehalts summierten, plus einer pauschalen Gehaltserhöhung um maximal acht Prozent, die am Ende des Jahres für die Gesamtleistung ausgezahlt wurde. Bei den Mitarbeitern kam das gut an, die Buchhaltung war jedoch bald von der zusätzlichen Papierarbeit heillos überfordert. Das derzeitige System bei PSICOR kombiniert vierteljährliche Erhöhungen, bis zu fünf Prozent auf das Jahr gerechnet, die allein auf Leistung beruhen, mit zusätzlichen Prämien, um spezielle Aktivitäten zu honorieren wie: höhere Arbeitsbelastung, Auswärtsaufträge, Weiterbildung et cetera. Die zusätzliche Belastung beträgt weniger als zwei Prozent und reduziert sich bei den länger als zwei Jahre Beschäftigten auf ein halbes Prozent. Selbstverständlich gibt es auch einige Betriebe, die genau entgegengesetzt vorgehen, aus anscheinend gut überlegten Gründen. Ein ehemaliger IBM-Direktor, zuständig für die Gehälter im Verkaufsbereich, erklärte: "Bei uns gab es eine Reihe von Prämien und Gratifikationen für alle nur vorstellbaren Aktivitäten unseres Verkaufspersonals. Das wurde immer komplizierter und immer weniger durchschaubar, und die Ergebnisse waren alles andere als überzeugend. Daß wir die ganze Geschichte übertrieben hatten, wurde uns erst dann klar, als wir feststellen mußten, daß die Verkaufsberater von Digital Equipment eine ernsthafte und bedrohliche Konkurrenz wurden, obwohl sie nur ein festes Gehalt bezogen." Der Trend geht aber hin zu flexibler, individueller, leistungsgebundener Entlohnung. Seine wahre Entfaltung erreicht diese Entwicklung aber nicht in den vorher beschriebenen Leistungslohnsystemen, sondern in den Versuchen, neue Wege zu finden, Arbeitnehmer zu belohnen, die sich im Betrieb verhalten, als ginge es um ihr eigenes Unternehmen.
Einen Anteil am Geschehen
Der Ansatz, Geschäftsbereiche eines Großunternehmens so zu führen, als ob sie eigenständige Betriebe wären, ist eine der zündendsten Ideen der US-Wirtschaft. Viele Firmen ermutigen potentielle Unternehmer, im Konzern zu bleiben, indem sie die Betreffenden für den Aufbau neuer Geschäfte wie Inhaber bezahlen. Selbst traditionsverhaftete Firmen suchen nach Möglichkeiten, neue Geschäfte mit einer Beteiligung für die Verantwortlichen aufzuziehen. "Wenn ein Mitarbeiter mit einem solchen Vorschlag an uns heranträte, bin ich nicht sicher, ob wir uns dafür begeistern würden", meint ein Bankmanager. "Aber vor zehn Jahren hätten wir ihn nicht einmal angehört, sondern gesagt, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern." In den meisten Fällen wird den Leuten ein Grundgehalt gezahlt, das ungefähr ihrem vorigen entspricht. Ein Teil der Vergütung gilt als Risikokomponente, die davon abhängt, wieviel sie für ihren Eigentumsanteil investieren. Diese Investition gilt auch als Ersatz für alle anderen Gratifikationen, Zuschläge, Tantiemen oder Sonderzahlungen, die sie an ihrem vorherigen Arbeitsplatz hätten verdienen können. Die Erträge beruhen manchmal allein auf Gewinnprozenten ihrer Unternehmen. Manchmal sind es Phantomaktien, deren Wert von den börsennotierten Aktien des Konzerns abhängig sind. Potentielle Unternehmer können in diesem System keine so großen Reichtümer erwerben, als wenn sie tatsächlich selbständig wären, aber sie gehen natürlich auch ein geringeres Risiko ein. Ein gutes Beispiel eines Großkonzerns, der versucht, von dem neuen Unternehmungsgeist zu profitieren, bietet AT&T, wo der Unternehmensgründungsprozeß kurz vor der Entflechtung in Gang kam. Derzeit bestehen sieben selbständige Unternehmenseinheiten, die jeweils von einem AT&T-Geschäftszweig unterstützt werden. Die erste Einheit entstand 1983, drei 1984 und drei weitere 1985. Die größte hat mittlerweile 90 Beschäftigte. William P. Stritzler, der zuständige Direktor für diesen ganzen Bereich, bietet den Interessenten drei Vergütungsalternativen an, die drei verschiedenen Risikofaktoren entsprechen. Bei der ersten Option bleibt die betriebsübliche Verdienst- und Gratifikationsstruktur erhalten, und die Betroffenen verdienen so viel wie an ihren alten Arbeitsplätzen. Es ist nicht weiter erstaunlich, daß sich keiner für diese Variante entschied. Bei der Option Zwei stimmen die Teilnehmer einem Einfrieren ihres bisherigen Gehalts zu und verzichten auf alle übrigen Gratifikationen, bis ihr Unternehmen in die schwarzen Zahlen kommt und die AT&T-Investitionen zurückerstattet sind (oder bis das Unternehmen eine gewisse Größe erreicht hat). Zu diesem Zeitpunkt erhalten die Beteiligten Einmalzahlungen, die maximal 150 Prozent ihres Gehalts entsprechen. Fünf der sieben Unternehmensgründungsteams entschieden sich für diese Variante. Die dritte Option, für die sich die beiden risikofreudigsten, selbstbewußtesten Teams entschieden, entspricht noch am ehesten der Situation eines selbständigen Unternehmers. Die Mitglieder beteiligen sich an der Kapitalisierung des Unternehmens durch Lohnabzüge, bis das Unternehmen anfängt, Geld zu verdienen und schwarze Zahlen schreibt. Bei den Investitionen besteht die einzige Einschränkung darin, daß der Mindestlohn nicht unterschritten werden darf, um gesetzliche Konflikte zu vermeiden und zu verhindern, daß Leute private Ressourcen einsetzen. Dafür ist es auch möglich, daß die Teilnehmer ihre Gesamtinvestition insgesamt verachtfachen. Bis heute haben die Teilnehmer zwischen zwölf und 25 Prozent ihrer Gehälter eingesetzt, und eines der beiden Unternehmen hat bereits mehrfach Tantiemen, deren Rate knapp unterhalb der Obergrenze liegt, ausgezahlt. Von dem anderen, einem Computergraphikunternehmen in der Nähe von Indianapolis, erwartet man in naher Zukunft eine Auszahlung in Höhe von 890 000 Dollar an die elf Teilnehmer. Die Zahlen beweisen, wie gut dieses Programm bei den AT&T-Arbeitnehmern ankommt. Ideen für neue Unternehmensgründungen wurden bereits eingebracht, bevor das Programm offiziell bekanntgegeben war, und allein während der Planungsphase entwickelten 300 potentielle Unternehmer Vorschläge. Etwa 2000 weitere Ideen wurden seitdem eingereicht. Das bedeutet, daß aus 250 Ideen jeweils eine realisiert wurde. Leute aus allen Führungsebenen wurden bislang gefördert, unter anderem ein Werkmeister und ein Betriebsleiter. Grundsätzlich ist das Management bereit, diese Möglichkeit auch Mitarbeitern ohne Führungsfunktion anzubieten. Der Drang nach Selbständigkeit ist bei High- Tech-Betrieben mit hohem F + E-Aufwand und bei eher traditionell ausgerichteten Firmen unterschiedlich. Die High-Tech-Betriebe zahlen im Durchschnitt niedrigere Grundgehälter, bieten jedoch größere finanzielle Anreize wie Barprämien, Aktienoptionen und Gewinnbeteilungsprogramme (siehe Schuster 1984). Unternehmerisch orientierte Vergütung breitet sich überall dort aus, wo das Management meint, daß Leistungssteigerung möglich ist, wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, eigenverantwortlich zu handeln - das trifft ebenso für High-Tech-Betriebe wie für alle anderen zu. Au Bon Pain, eine Bäckerei- und Restaurantkette aus Boston mit 30 Millionen Dollar Jahresumsatz und 40 Läden im ganzen Land, hat vor kurzem ein Partnerschaftsprogramm gestartet, das einen Großteil der Verantwortung auf die Filialleiter überträgt. Im Rahmen dieser Regelung werden Jahresumsätze von mehr als 170 000 Dollar pro Laden pari mit dem Partner geteilt. Bei diesem Trend wollen auch Erfinder nicht zurückstehen. Die Herausforderung, an eigenen Erfindungen Rechte zu erwerben, ist ein weiterer Schub in Richtung leistungsorientierter Entlohnung. Es war bisher üblich, angestellten Erfindern kleine Prämien (häufig zwischen 500 und 1000 Dollar) für erteilte Patente zu zahlen sowie nichtfinanzielle Anreize in Aussicht zu stellen, um den Erfindungsgeist weiterhin zu fördern. Diese Anreize reichen von Auszeichnungen über Beförderungen und die Benutzung von Speziallabors bis zur freien Auswahl von Forschungsprojekten und bezahlten Forschungsaufenthalten an wissenschaftlichen Instituten. Barprämien gibt es zwar häufig, sie sind jedoch selten an die Produkterträge gekoppelt. Für außergewöhnliche Innovationen bietet IBM Prämien von 10 000 Dollar und mehr; Verbesserungen von Erfindungen werden mit Beträgen von 2400 Dollar an aufwärts honoriert. Es gibt heute aber einen zunehmenden Druck von der Konkurrenz wie auch dem Gesetzgeber, Erfinder wie selbständige Unternehmer zu entlohnen und ihre Vergütung am Marktwert des Produkts auszurichten. Sie wollen ebenfalls ihren Anteil am Kuchen und eine unmittelbare Belohnung für ihren Einsatz.
Herausforderung für die Hierarchie
Wenn sich bei der Entlohnungspraxis immer mehr die leistungsorientierte Vergütung durchsetzt - ich glaube, daß das der Fall ist - , werden Kräfte freigesetzt, die das Arbeitsplatzgefüge, wie wir es kennen, verändern. Die Stadtverwaltung von Long Beach (Kalifornien) führte 1981 für das Management ein Lohn-nach-Leistung-System ein, um im Rahmen eines neuen Budgetplans eine meßbare Verbesserung des Dienstleistungsund Finanzwesens zu erzielen. Bei diesem System können die leitenden Verwaltungsangestellten bis zu 20 Prozent ihres Gehalts einbüßen oder dazuverdienen. Der Verdienst zweier gleichgestellter Dezernenten kann auf diese Weise bis zu 40 000 Dollar Differenz aufweisen. Arbeitsplatz und Dienstrang sind für die Gehaltshöhe nicht mehr ausschlaggebend. Es gibt in der Tat mindestens zwei Leute, die mehr verdienen als der Chef der Stadtverwaltung. Während ein solches System ganz offensichtlich Auswirkungen auf Produktivität und Unternehmungsgeist hat, ist der Effekt auf das Arbeitsplatzgefüge eher unterschwellig. Man trägt die Gehaltsabrechnung schließlich nicht am Namensschild mit sich. Aber es spricht sich doch herum, und einige Unternehmen müssen sich mit Eifersüchteleien auseinandersetzen. In zwei Betrieben mit eigenständigen Geschäftseinheiten, die Gewinnbeteiligung anbieten, werden diese Einheiten heftig angegriffen, weil sie angeblich unfair und schlecht durchdacht seien. Es gibt Ärger darüber, daß die an der Neugründung Beteiligten so viel Geld für maßvolle oder sogar unbedeutende Beiträge zur Gesamtleistung verdienen können, während die große Masse der Beschäftigten, die den Fortbestand des Gesamtunternehmens gewährleisten, sich mit Einkommensbegrenzungen und bescheidenen Gratifikationen begnügen müssen. In Betrieben, die selbständige Geschäftseinheiten einführen, sind Konflikte zwischen unterschiedlichen Vergütungsprinzipien selbstverschuldet. Manchmal entstehen solche Konflikte jedoch als unerwünschte Nebenprodukte, wenn Unternehmen Expansion durch Akquisitionen betreiben. Eine führende Bank stellte fest, daß sie mit dem Erwerb einer Maklerfirma auch ein völlig anderes Vergütungssystem übernommen hatte. Eine großzügige Provisionsvereinbarung ermöglichte es den Angestellten, ihr Gehalt durch Prämien zu verdoppeln, in einigen Fällen sogar zu verfünffachen. 1985 gab es fünf Personen, deren Verdienst auf diese Weise dem Grundgehalt des Unternehmenschefs entsprach, ungefähr 500 000 Dollar. Sie verdienten mehr als ihre Vorgesetzten und sogar mehr als deren Vorgesetzte, mehr als fast jeder im Konzern, mit Ausnahme von drei oder vier Spitzenmanagern - eine Situation, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Solche Diskrepanzen lassen sich nicht verhindern, noch weniger verheimlichen. "Die Leute aus der Branche wissen alle Bescheid", erzählte der Verwaltungsleiter. Um den Ansturm der Angestellten zu verhindern - jeder versucht natürlich jetzt, in den Maklerbereich überzuwechseln - , sah sich der Konzern gezwungen, Leistungsprämien für Filialleiter und ein Akkordsystem für die Bankangestellten einzuführen, das aber nicht so weitgehend sein konnte wie die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten für Manager. Obwohl dieses System einige Probleme löst, schafft es auch wieder neue. Der verantwortliche Geschäftsführer erkannte, daß die neuen Verdienstmöglichkeiten an individuelle Leistung gekoppelt sind, obwohl niemand für sich alleine arbeitet. Die Ergebnisse der Filialleiter sind von der Leistung ihrer Mitarbeiter abhängig, und das trifft auf fast alle zu mit Ausnahme des Verkaufsbereichs (und selbst dort kann Teamarbeit angebracht sein). Trotzdem wird im Bankalltag nicht Teamarbeit, sondern Einzelkampf gefördert. Das bedeutet, daß die Mitarbeiter Lösungen und gute Ideen für sich behalten, um sie zu einem späteren Zeitpunkt als eigene Geistesblitze zu verkaufen. Entlohnung für Teamarbeit wirft ganz neue Fragen und Bedenken auf. Da stellt sich das Problem der Trittbrettfahrer: Einige leistungsunwillige Teammitglieder profitieren von den Anstrengungen der produktiven Mitarbeiter. Probleme können auch entstehen, wenn Leute nicht von anderen Teammitgliedern abhängig sein wollen, besonders solche, die einen höheren Status im Betrieb haben. Es entstehen auch Probleme des Gruppenzwangs. Gewinnbeteiligungsprogramme sind dafür besonders anfällig, weil der Verdienst von der Leistung aller abhängig ist. Theodore Cohn, ein Lohnfachmann, nimmt dafür gern den holländischen Philips-Konzern als Beispiel, dessen halbjährige Prämienzahlungen bis zu 40 Prozent des Grundgehalts ausmachen können: "Die Manager berichten, daß nicht einmal eine Büroklammer auf den Boden fällt, ohne daß sie sofort jemand aufsammelt. Trauerfeiern für verstorbene Betriebsmitglieder finden abends statt, damit niemand bei der Arbeit fehlen muß. Urlaubsvertretung wird immer innerbetrieblich geregelt. Fluktuation ist beinahe unbekannt." Von Lincoln Electric, deren leistungsorientierte Bezahlung ungefähr doppelt so hoch wie der durchschnittliche Fabrikarbeiterlohn ist, behauptet Cohn, daß der Gruppenzwang so stark sei, daß neue Mitarbeiter die beiden ersten Jahre im Unternehmen häufig mit dem Fegefeuer vergleichen. Kapital- oder Gewinnbeteiligungssysteme erzeugen einen weiteren Druck - die moralische Verpflichtung, sich in die Bücher sehen zu lassen, die Managergehälter offenzulegen und Einkommensunterschiede zu rechtfertigen. Solche Aspekte gewinnen an Gewicht, wenn die Beschäftigten, die sich vorher darüber nie den Kopf zerbrochen haben, auf einmal feststellen: "Es geht ja um unser Geld." Überlegungen und Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit tragen dazu bei, das System durchsichtiger und effektiver zu gestalten. Die wahrscheinlich wichtigste und für Traditionalisten am schwersten zu verdauende Frage lautet: Was passiert mit der Führungsstruktur, wenn sie nicht mehr der Verdienststaffel entspricht, wenn Mitarbeiter mehr als ihre Vorgesetzten verdienen können? Bekommt die Hierarchie Risse? Betriebspsychologen haben bewiesen, daß Respekt vor dem Chef auf einer gewissen Ungleichheit beruhen muß. Im gleichen Maße wie Einkommensunterschiede verringert sich auch die Anerkennung von Rangunterschieden: Die Mitarbeiter zeigen keine bedingungslose Ergebenheit mehr. Vorgesetzte können sich durch Kompetenz und gerechte Behandlung von Mitarbeitern immer noch Respekt erwerben, aber ihre Macht schwindet. Sobald Bewertungsgrundlagen für gute Leistung eingeführt und etabliert sind, wird der Mitarbeiter unabhängiger vom Wohlwollen seines Vorgesetzten. Erwiesene Leistung, die sich in einem höheren Verdienst als dem des Vorgesetzten äußert, bewirkt Selbstbewußtsein und größere Risikobereitschaft und führt dazu, daß gegenteilige Standpunkte vertreten und leidenschaftlich verteidigt werden. Die Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern beruhen schließlich nicht mehr auf Autorität, sondern auf gegenseitigem Respekt. Das hat positive Auswirkungen auf Vorgesetzte wie Untergebene. Wenn ein Mitarbeiter mehr als sein Boß verdienen kann, verschwindet der Anreiz, dessen Stelle einnehmen zu wollen. Die angespannte Atmosphäre, die entsteht, wenn ein ehrgeiziger Mitarbeiter den Chefsessel anstrebt, ist ebenfalls ein Ding der Vergangenheit. In den meisten traditionell geführten Unternehmen ist der Gedanke, daß Mitarbeiter mehr als der Chef verdienen, unvorstellbar und für einige Leute wohl unerträglich. Es gibt natürlich Präzedenzfälle, daß Angestellte mehr verdienen als ihre Vorgesetzten. Verkaufsrepräsentanten im Außendienst, die auf Provisionsbasis abrechnen, können mehr verdienen als die für sie zuständigen Manager; Topwissenschaftler in F + E-Laboratorien werden häufig besser bezahlt als nominell höher eingestufte Verwaltungskräfte, und Schichtarbeiter können durch Überstundenzuschläge und tariflich vereinbarte Sonderzahlungen mehr in der Lohntüte haben als ihre Vorarbeiter. Aber das ist nicht die Regel und wird nur akzeptiert als Bestandteil eines dualen Karriereplans oder als Preis, der dafür gezahlt werden muß, um ins Management aufzusteigen. Um zu demonstrieren, welche Schwierigkeiten Einkommensunterschiede in einer hierarchisch strukturierten Organisation erzeugen können, wollen wir weniger extreme Fälle unter die Lupe nehmen, bei denen das Gefalle zwischen angrenzenden Verdienstebenen verringert wird, aber nicht gänzlich verschwindet. Nivellierung wird das genannt, und Führungskräfte, die an der Hierarchie festhalten wollen, fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Bei einer Untersuchung der American Management Association kam heraus: Von 613 befragten Unternehmen, darunter 134 Konzerne mit Milliardenumsätzen, berichteten 76 Prozent von innerbetrieblichen Problemen als Folge von Lohnnivellierung. In diesen Firmen war das Lohngefälle jedoch fast genauso hoch wie in anderen Unternehmen, die keine solchen Probleme angaben. Die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Werkmeistern und den höchstbezahltesten Produktionsarbeitern betrug bei den Unternehmen mit Nivellierungsproblemen 15,5 Prozent; bei anderen Firmen betrug sie 20 Prozent, also nur wenig mehr. Am meisten freilich erstaunt, wie groß die Differenzen zwischen den nächstliegenden Lohngruppen immer noch sind - mindestens 15 Prozent. Es fällt schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, daß es nicht um reale Probleme geht, sondern um eingebildete Ängste: daß die Hierarchie wegen neuer Vergütungsprinzipien zusammenbrechen könnte. Das wird bestätigt durch die Aussagen der Unternehmen, ob und wie sie gegen diese Probleme vorgehen. Zwar meinen 67,4 Prozent der Betroffenen, daß Prämien eine Lösung wären, doch bezweifeln 70, l Prozent, daß sie im Unternehmen durchgesetzt werden könnten. Und während 47,9 Prozent eine Gewinnbeteiligung für Vorarbeiter befürworten, sind gleichzeitig 67,4 Prozent überzeugt, ihre Belegschaft würde sich dazu nicht bereiterklären. Tatsächlich würden die am wenigsten akzeptierten Ansätze die Hierarchie am stärksten verändern, zum Beispiel: Verringern der Anzahl der Eingruppierungsmerkmale, Reduzieren der Lohngruppen und Zahlung von Überstundenzuschlägen an Vorarbeiter (also eine statusmäßige Angleichung an Produktionsarbeiter). Andererseits beinhalten die bevorzugten Lösungsmöglichkeiten Aufstiegshilfen wie Weiterbildung und bessere Beförderungschancen, die die Struktur der Hierarchie aufrechterhalten und dabei dem Einzelnen die Möglichkeit geben aufzusteigen.
Innovative Überlegungen
Die aufgeführten Einwände gegen die traditionelle Vergütungsstruktur gehen alle in dieselbe Richtung. Sie überschneiden sich und bestärken sich. Die Entscheidung, individuelle Leistung zu belohnen, bringt latente Kritik - "keine Lohngerechtigkeit" - erst an die Oberfläche. Ohne konkrete Möglichkeiten haben private Überlegungen allenfalls den Wert utopischer Träumereien. Werden solche Träume jedoch greifbar, wirkt auf einmal die Erklärung "so war es schon immer und so wird es auch bleiben" wie eine schlechte Ausrede für ungerechte Behandlung. Wenn neue Wege gegangen werden, um Leistung zu identifizieren, anzuerkennen und auch zu fördern, wird sich der Angriff auf Entlohnungsstrukturen über die Vergütung hinaus auf das Beziehungsgefüge im Konzern auswirken. Dabei wird an den Grundfesten der Bürokratie auf eine Weise gerüttelt, die schließlich zu heute noch gar nicht vorstellbaren Veränderungen der Hierarchie führen wird. Vorausdenkende Manager können sich und ihre Unternehmen auf die revolutionären Veränderungen der Zukunft vorbereiten. Die Umstellung auf leistungsbezogenen Lohn ist aus Gründen der Gerechtigkeit, der Kostenentwicklung, Produktivität und Marktwirtschaft sinnvoll. Es gibt einige Möglichkeiten, diesen Umstellungsprozeß effektiv zu bewerkstelligen: * Prüfen Sie die Konsequenzen einer geänderten Lohn- und Gehaltsstruktur. Wenn eine selbständige Geschäftseinheit den Beschäftigten eine Kapitalbeteiligung anbietet, sollte man dann auch den Managern des Stammkonzerns leistungsbezogene Prämien anbieten? Wenn Gewinnbeteiligung für Arbeiter eingeführt wird, sollte das auf die Angestellten erweitert werden? * Beginnen Sie, den festen Lohnanteil zu reduzieren und den flexiblen zu erhöhen. Erlauben Sie den Bereichsleitern einen größeren Handlungsspielraum in der Aufteilung des variablen Teils und erhöhen Sie die darin enthaltene Summe. Oder ermöglichen Sie einem erweiterten Personenkreis, einen Teil des Gehalts zu investieren als Gegenleistung für höhere Erträge, die sie durch eigene Leistung erwirtschaftet haben. * Verhindern Sie Eifersüchteleien und andere Konflikte, die unterschiedliche Bezüge nominell Gleichgestellter provozieren, indem Sie klare Bewertungsgrundlagen schaffen, allen gleiche Chancen einräumen, ihren Verdienst zu steigern, und einen Teil der Erträge der Topleute und Spitzenabteilungen unter den Mitarbeitern aufteilen, die zu deren Erfolg beigetragen haben. Schaffen Sie ein Gleichgewicht zwischen Prämien für Gruppen- und Individualleistung, die dem Arbeitsbereich und der Aufgabe angemessen sind. * Analysieren und durchdenken Sie das Verhältnis zwischen Bezahlung und betrieblicher Bedeutung. Bedenken Sie ebenfalls, daß betriebliche Abstufungen, die nur zur internen Koordination geschaffen wurden, nicht notwendigerweise den tatsächlichen Leistungen entsprechen, und trennen Sie die Bezahlung von Status und Rang. Seien Sie schließlich auch bereit, Lohnentscheidungen mit dem Beitrag des Einzelnen an der Gesamtleistung zu begründen und diese Begründung so häufig und vor so vielen Beteiligten wie möglich zu verbreiten. Copyright: © 1987 by the President and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in "Harvard Business Review" Nr. 2, März/April 1987, unter dem Titel "The attack on pay"; Übersetzung: Henriette Holtz.