Personal Wie klug müssen Manager sein?
Über Persönlichkeit und Stil erfolgreicher Topmanager wird viel geschrieben. Wer für Einstellung und Entwicklung von Führungskräften verantwortlich ist, übersieht daher leicht den eigentlich entscheidenden Erfolgsfaktor: Intelligenz. Doch es fehlt an Werkzeugen, um die kognitiven Fähigkeiten zu bewerten, die es einer Person ermöglichen, regelmäßig die richtige Lösung für Probleme zu finden. Wie lassen sich solche intelligenten Personen erkennen?
Das einzig verlässliche Instrument zur Messung kognitiver Fähigkeiten war bisher der Standardtest für den Intelligenzquotienten (IQ), der aus gutem Grund in der Geschäftswelt kaum eingesetzt wird. Denn bisher gab es keine für die Bedürfnisse von Unternehmen geeignete Version. Dies sollte aber kein Grund sein, solche Tests grundsätzlich abzulehnen. Sonst verwerfen Personalverantwortliche die einzige Methode, mit der sie Toptalente zuverlässig identifizieren können.
Sicherlich ist es schön, wenn eine Führungskraft charismatisch ist und Zuversicht ausstrahlt; ein toller Lebenslauf verrät viel über Wissen und Erfahrung eines Menschen. Aber solche positiven Eigenschaften können geschäftliche Intelligenz nicht ersetzen, und sie sagen sehr wenig über die Fähigkeit eines Managers aus, den wahren Kern einer Sache zu verstehen. Kritisches Denken ist die zentrale Pflicht jeder Führungskraft in jeder Organisation; die Fähigkeit dazu hängt von seiner oder ihrer Intelligenz ab.
Natürlich gibt es viele akademisch brillante Menschen, die zwar sehr gut bei IQ-Tests abschneiden, die aber trotzdem nie einen Großkonzern leiten könnten. Das überrascht nicht, da diese Tests vor allem kognitive Fähigkeiten prüfen, die über den Erfolg in Schule oder Universität entscheiden, aber nicht in der Wirtschaft.
Dennoch haben IQ-Tests eine Prognosekraft, aus der sich einiges lernen lässt. Mit ihrer Hilfe lässt sich genau vorhersagen, wie erfolgreich jemand bei einer speziellen Tätigkeit sein wird. Dazu müssen Sie diejenigen kognitiven Fähigkeiten untersuchen, die das Ausführen dieser Aktivität direkt beeinflussen - und zwar bei der
Kritisches Denken
Seit vielen Jahren erkennen Managementforscher und -praktiker an, dass Führungskräfte kritisch denken müssen. Patricia Russo, die Chefin von Lucent Technologies, die das Unternehmen erfolgreich saniert hat, beschrieb mir gegenüber diese Fähigkeit als "gedankliche Klarheit". Zwar seien Menschen, die darüber verfügten, selten, aber wenn es gelinge, ein Team aus klaren Denkern zusammenzustellen, seien "die Möglichkeiten grenzenlos".
Andrea Jung, Vorstandsvorsitzende von Avon, hat Ähnliches beobachtet: "Klares Denken ist eine grundlegende Eigenschaft, die wir von Topmanagern verlangen. Ich habe selten einen Zusammenhang zwischen formeller betriebswirtschaftlicher Ausbildung und klarem Denken erlebt. Manche Menschen haben ein Talent dafür, andere nicht."
Russo und Jung meinen beide eine sehr spezielle Fähigkeit: die des kritischen geschäftlichen Denkens. Sie stellt die Basis für Führungsintelligenz dar. Um dieses Konzept besser verstehen zu können, lassen Sie uns eine Geschäftsentscheidung näher betrachten, bei der das Unternehmen von solidem kritischem Denken hätte profitieren können. Schauen wir uns zu diesem Zweck die Markteinführung des Segway Human Transporter an. Dieses Beförderungsmittel wird elektrisch betrieben, hat zwei Räder, die an einer Achse befestigt sind, und balanciert sich selbst aus. Sein Erfinder Dean Kamen preist es als Revolution der menschlichen Mobilität. Aber trotz dieses Rummels stieß der Segway bei den Verbrauchern nur auf mäßiges Interesse; das städtische Transportwesen hat er nicht verändert.
Hätte der Erfinder diese Entwicklung vorhersehen können? Ja, denn ein kritischer Denker hätte das Marktpotenzial für den Segway wie folgt analysiert:
Motorisierte Roller, die Scooter, gibt es bereits seit Längerem. In ihrer Funktion ähneln sie dem Segway, sie kosten aber nur einen Bruchteil. Allerdings stießen Motorscooter bislang nicht auf eine breite Akzeptanz, und die Städte haben ihre Infrastruktur nicht dieser Art des Transports angepasst. Also warum sollte der Segway Erfolg haben, wenn der Scooter gescheitert ist? Der Segway hat gegenüber dem Scooter zwei Vorteile: Die Nutzer können aufrecht stehen und sich im Gleichgewicht halten, egal ob das Beförderungsmittel fährt oder steht, und sie können rückwärts fahren. Dennoch bleibt die zentrale Frage unbeantwortet: Finden Scooter keinen breiten Zuspruch, weil ihnen diese beiden Eigenschaften fehlen? Wenn nicht, dann gibt es wenig Grund zu der Annahme, dass sich der Segway besser verkaufen wird als die Scooter. Mehr noch: Wegen der erheblich höheren Kosten könnte die Nachfrage geringer sein.
Der Segway macht Spaß. Aber ist er das Geld wert? Aus Sicht des Marktes wohl nicht. Die Köpfe hinter dem Segway mögen intelligent und
Das Beispiel Segway offenbart eine fundamentale Schwäche im Geschäftsplan des Unternehmens. Aber es reicht nicht aus, einfach nur zu analysieren, was bei einem speziellen Vorhaben gut oder schlecht lief. Um potenzielle Stars unter den Bewerbern zu entdecken, müssen wir die grundlegenden Eigenschaften verstehen, die Menschen gut oder schlecht entscheiden lassen. Wir müssen verstehen, was Führungsintelligenz ausmacht.
Intelligenz erkennen
An der Schule konzentrieren sich die Schüler auf Fächer wie Geschichte, Mathematik, Sprachen und so weiter. In ähnlicher Weise können wir Bereiche der Führungsarbeit bestimmen und die unterschiedlichen Kompetenzen definieren, die ein Manager auf jedem dieser Felder aufweisen muss. Dabei handelt es sich um drei Disziplinen: erstens das Erledigen von Aufgaben, zweitens die Zusammenarbeit mit anderen sowie drittens die Selbstbeurteilung und das entsprechende Anpassen des eigenen Verhaltens (mehr Informationen zu dieser Einteilung im Kasten Seite 32).
Wie zeigt sich Führungsintelligenz innerhalb dieser drei Bereiche?
Aufgaben erledigen
In dieser Disziplin bedienen sich intelligente Führungskräfte sechs zentraler kognitiver Fähigkeiten. Zu diesen gehört das Vermögen, zu Grunde liegende Annahmen kritisch zu prüfen und mögliche unerwünschte Folgen zu erkennen. Wir wollen uns nun anschauen, wie zwei Firmenchefs während einer Krise Aufgaben erledigt haben und welche Rolle Intelligenz dabei gespielt hat.
In den 80er Jahren verlor General Motors (GM) Marktanteile an seine effizienteren japanischen Konkurrenten. Gleichzeitig war das Verhältnis zu den Arbeitnehmervertretern sehr schlecht. Der damalige CEO Roger Smith entwickelte einen kühnen Plan, um beide Probleme zu lösen: Er ersetzte eine große Zahl der GM-Arbeiter durch Roboter. Ende der 80er Jahre hatte GM mehr als 45 Milliarden Dollar für die Automatisierung der Fabriken ausgegeben - eine Summe, die damals ausgereicht hätte, sowohl Toyota als auch Nissan zu kaufen. Trotzdem sanken der Marktanteil und der Produktionsausstoß von GM weiterhin kontinuierlich.
Smith hatte die Automatisierung für einen absolut logischen Schritt gehalten. Er zeigte bei seiner Analyse dieser risikoreichen Maßnahme einen erheblichen Mangel an Führungsintelligenz. Erstens versäumte er es, die seiner Entscheidung zu Grunde liegende Annahme in Frage zu stellen, dass der Einsatz von mehr Robotern automatisch die Herstellung der Autos verbilligt. Eine Prüfung leicht zugänglicher Daten hätte ihm gezeigt, dass der Einsatz von Maschinen hohe Investitionen und die Unterstützung hoch qualifizierter Techniker erfordert. Zweitens gelang es ihm nicht, die unbeabsichtigten Folgen seiner Entscheidung vorauszusehen. Automatisierung kann die Flexibilität einer Fabrik und somit die Fähigkeit, neue Produkte zu fertigen, erheblich einschränken. Hätte Smith die Situation sorgfältiger analysiert, hätte er möglicherweise trotzdem in die Automatisierung investiert. Aber dann hätte er dabei eventuell einen erfolgversprechenderen Weg eingeschlagen. Wie Robert Lutz, ein Topmanager von GM, später erklärte, hätten sich die Produktivitätsprobleme am besten lösen lassen, wenn der Konzern sowohl die Stärken von Menschen als auch von Maschinen genutzt hätte.
Ein Gegenbeispiel liefert D. Keith Grossman, der 1996 Chef der Thoratec Corporation wurde. Damals kämpfte der Medizintechnikhersteller ums Überleben. Grossman sollte dem Unternehmen helfen, wieder profitabel zu produzieren und sein Hauptprodukt besser zu vermarkten, ein Gerät zur Unterstützung der Herztätigkeit nach Operationen am offenen Herzen. Doch Grossman stellte sehr schnell die Grundannahme der Branche in Frage, die da lautet: Es genügt, ein einziges erfolgreiches Produkt auf den Markt zu bringen, um lukrative Geschäfte zu machen. Thoratec stand mit großen, globalen Konzernen im Wettbewerb, die sich nicht nur auf ein einziges Gerät, sondern auf die Krankheit an sich konzentrierten und für deren Behandlung sowohl Medikamente als auch Geräte anboten. Nicht nur das: Diese Konkurrenten verfügten über genügend Mittel, um Ärzte und Verbraucher zu umwerben.
Thoratecs produktzentrierte Strategie hatte eine teure unbeabsichtigte Wirkung: Sie führte zu einem schwer wiegenden Kostennachteil. Denn egal, ob das Unternehmen ein einziges Produkt oder sehr viele verkaufte, es benötigte stets die gleiche Infrastruktur, um diese Produkte herzustellen.
Grossmans Darstellung der Fakten und seine Schlussfolgerungen waren fundiert. Daher gelang es ihm schließlich, das Topmanagement des dreimal so großen Konkurrenten Thermo Cardiosystems von einer Übernahme durch Thoratec zu überzeugen. Dessen Führungskräfte akzeptierten als Teil der Vereinbarung sogar eine Bezahlung mit Thoratec-Aktien und das Managementteam des kleineren Unternehmens. Außerdem waren sie mit einer Minderheitenposition in den Aufsichtsgremien von Thoratec einverstanden. Heute prosperiert das Unternehmen und ist außerordentlich profitabel; in seiner medizinischen Nische nimmt es praktisch eine Monopolstellung ein.
Zusammenarbeit
Im Allgemeinen konzentriert sich jede Diskussion über die Fähigkeit eines Managers, andere Menschen zu führen, auf seine Persönlichkeit, Beliebtheit und sein Auftreten. Tatsächlich sind aber sechs zentrale kognitive Fähigkeiten entscheidend. Sie erlauben, die Vielschichtigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen auf intelligente Weise zu beurteilen und zu steuern. Hierzu gehört unter anderem, die Absichten anderer zu erkennen und die möglichen Folgen des eigenen Handelns zu bedenken.
Dem einstigen Boeing-Chef Phil Condit schienen diese Fähigkeiten zu fehlen, als ihn eine Serie öffentlicher Skandale überraschte. Zwar gibt es keine Belege dafür, dass Condit für die Managementfehler und die ethischen Verstöße verantwortlich war, die ihn schließlich vor einigen Jahren zum Rücktritt bewegten. Doch es ist ihm vorzuwerfen, dass er nicht erkannt hat, wie weit die Vertriebsleute gehen würden, um ihre Vorgaben zu erreichen. Vor allem entging ihm, dass ihre heimlichen Absichten ihr Berufsethos unterhöhlen konnten. Er nahm die Verkaufskultur - geprägt von dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" - nicht wahr, die sich um ihn herum entwickelte. Führende Mitglieder seines Teams waren in höchst fragwürdige Geschäftspraktiken verwickelt, die ein sozial bewussterer Firmenchef entdeckt und schon im Keim erstickt hätte. Außerdem bedachte Condit nie die möglichen Folgen, als er seinen Vertriebsleuten erlaubte, sich selbst zu kontrollieren. Im Endeffekt wurden die kurzfristigen finanziellen Gewinne, die das Vertriebsteam erzielte, bei weitem von den Kosten übertroffen, die Boeing entstanden - sowohl materiell als auch in Bezug auf den Ruf des Unternehmens.
Schauen wir uns nun Van Johnson an, den kürzlich in den Ruhestand gegangenen Vorstandsvorsitzenden von Sutter Health, einem Betreiber von Kranken- und Ärztehäusern im Norden Kaliforniens. 2001 drohten die zu niedrigen und unpünktlichen Zahlungen der Versicherung Blue Cross Sutter in den Ruin zu treiben. Die Mitarbeiter des Unternehmens verlangten daher entschiedene Gegenmaßnahmen. Doch Johnson stellte die bei Sutter vorherrschende Meinung (die auch bei anderen Gesundheitsdienstleistern weit verbreitet war) in Frage: Blue Cross sei ein böses, gieriges Unternehmen, dem es nur um seinen eigenen Vorteil gehe - auch um den Preis, lokale Gesundheitsorganisationen in die Insolvenz zu treiben. Er versuchte, die Absichten von Blue Cross zu verstehen, indem er untersuchte, wie sich dessen Geschäft (Erstatten von Ausgaben für Gesundheitsdienstleistungen) von Sutters (Erbringen von Gesundheitsdienstleistungen) unterschied. Und Johnson bedachte die möglichen Folgen eines Kampfes mit dem Versicherungsgiganten. Wenn Sutter aggressiv auftrat, konnte der Streit teuer und langwierig werden und dazu führen, dass Blue Cross Sutter von der Liste zugelassener Gesundheitsdienstleister streichen würde.
Johnson erkannte: Er musste das Thema Erstattung zwar ansprechen; er sah aber zugleich, dass das größte Problem zwischen Blue Cross und Sutter das Abstimmen der Arbeitsabläufe beider Unternehmen war. Beide Seiten machten hier Fehler. Indem Johnson eine Teilschuld an dem Problem einräumte und zudem bei den Verhandlungen nie die Perspektive der anderen Seite aus den Augen verlor, legte er das Gewicht auf Fairness, statt es auf einen Machtkampf ankommen zu lassen. In der Auseinandersetzung der beiden
Selbsteinschätzung
Effektive Manager müssen ihr Denken und Verhalten kritisch prüfen können. Dies erfordert den Einsatz von fünf zentralen kognitiven Fähigkeiten. Dazu zählt unter anderem das Vermögen, eigene Voreingenommenheiten oder eingeschränkte Perspektiven zu erkennen und Signalen nachzugehen, die möglicherweise ein eigenes fehlerhaftes Urteil offenbaren, sowie sein Handeln entsprechend zu ändern. Naturgemäß verteidigen sich Menschen, wenn sie angegriffen werden. Aber eine effektive Führungskraft muss ihre eigenen Vorstellungen kritisch prüfen, sie im Gespräch mit anderen abklopfen und sie notfalls entsprechend korrigieren können. Versäumen die Verantwortlichen dies, kann ein Unternehmen außerordentlich verwundbar gegenüber Veränderungen auf den Märkten werden.
Werfen wir einen Blick auf die Situation bei Rubbermaid, einem Hersteller von Haushaltswaren. 1993 gehörte Rubbermaid noch zu den am meisten bewunderten Unternehmen in den USA. Nur sechs Jahre später befand es sich in einer derart schlechten Verfassung, dass es von der auf Turnarounds spezialisierten Newell Manufacturing Company übernommen wurde. Was war geschehen? Während der 90er Jahre veränderte sich Rubbermaids Markt dramatisch, weil der Einzelhandel seinen Schwerpunkt vom Verkauf innovativer auf den preiswerter Produkte verlagerte. Der damalige Chef von Rubbermaid, Wolfgang Schmitt, war nicht bereit, sich dem Druck des Einzelhandels zu beugen. Schließlich hatte das Unternehmen seine Preiserhöhungen stets gut durchsetzen können. Und er ignorierte hartnäckig sein Team, das versuchte, ihm die Marktveränderungen zu erklären. Schmitt pochte darauf, dass der Vertrieb den Kunden eben besser erklären musste, warum Preiserhöhungen notwendig waren. Auf Grund seiner Unfähigkeit, die eigene Voreingenommenheit und den eingeschränkten Blickwinkel kritisch zu beurteilen, wischte er die entscheidenden Informationen vom Tisch, die andere ihm zu vermitteln versuchten.
Wenden wir uns jetzt einem anderen Topmanager zu, der besser mit seinen eigenen blinden Flecken umging. Tom Priselac, CEO und President des Krankenhausbetreibers Cedars-Sinai, hatte sich während seiner 26-jährigen Karriere in der Gesundheitsorganisation immer besonders darum bemüht, persönliche Beziehungen zu Managern und Mitarbeitern aufzubauen und zu pflegen. Er rühmte sich dieser Beziehungen. Aber Ende 2002 öffneten ihm die Versuche von Arbeitnehmervertretern, die Krankenschwestern von Cedars-Sinai gewerkschaftlich zu organisieren, die Augen für die traurige Realität: Er hatte zu viel zu vielen seiner Mitarbeiter keinerlei Kontakt. Die Vertreter der Gewerkschaft nutzten die wachsende Feindseligkeit und das fehlende Vertrauen zwischen den Schwestern und der Verwaltung.
Priselac startete eine aggressive unternehmensweite Initiative, um herauszufinden, warum Unternehmensführung, Manager und Mitarbeiter so weit auseinander gedriftet waren. Er bestand darauf, genau zu untersuchen, wie er zu dieser Kluft beigetragen hatte, ungeachtet dessen, was er seiner Meinung nach getan hatte, um das Gegenteil zu erreichen. Priselac wurde allmählich klar, dass er es sich zu bequem gemacht hatte. Ihm war nicht bewusst geworden, dass er keine substanziellen Kontakte mehr zu den Menschen unterhielt, die er bereits kannte, und dass er viele der neuen Mitarbeiter überhaupt nicht näher kennen gelernt hatte. Priselac begann, sich erheblich häufiger mit Mitgliedern der Aufsichtsgremien, Managern und Mitarbeitern zu treffen (sowohl unter vier Augen als auch in Gruppen). Sein Engagement machte sich bezahlt: Etwa 85 Prozent der 8000 Teilnehmer einer kürzlich durchgeführten Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit bewerteten das leitende Management als fair, ehrlich und vertrauenswürdig. Etwa 92 Prozent gaben an, sie würden anderen empfehlen, für das Unternehmen zu arbeiten - das entsprach im Vergleich zu 2002 einem Anstieg der positiven Antworten um 30 Prozent. Ende 2004 zog die Gewerkschaft ihren Antrag zurück, die Krankenschwestern zu vertreten.
Wie gelang Priselac solch eine beeindruckende Wende? Er bemühte sich aktiv, Fehler in seiner Einschätzung zu erkennen und diese abzustellen. Seine Reaktion auf die Bemühungen der Gewerkschaft konzentrierte sich explizit auf sein Verhalten, das zum Bruch mit den Mitarbeitern beigetragen hatte. Priselac unterzog seinen eigenen eingeschränkten
Was verbindet Grossman, Johnson und Priselac? Zwar wurde jeder von ihnen mit einem anderen geschäftlichen Problem konfrontiert, aber alle fanden eine Lösung, indem sie bestimmte kognitive Fähigkeiten einsetzten. Dabei handelt es sich nicht um Fähigkeiten, die Business Schools oder Trainingsprogramme für Führungskräfte vermitteln. Solche Einrichtungen oder Seminare bieten nützliche Techniken für die Entscheidungsfindung an. Die meisten Führungskräfte nutzen daher dieselben Instrumente. Selbst die besten Problemlösungsmodelle
Grenzen der Intelligenztests
Bis heute messen Intelligenztests allein die kognitiven Fähigkeiten, die ursprünglich zur Vorhersage der akademischen Leistungen von Schülern dienten. Sie sind damit eigentlich nicht für den Einsatz in der Geschäftswelt konzipiert. Dennoch lässt sich mit ihrer Hilfe, wie Untersuchungen zeigen, die künftige Arbeitsleistung mindestens so gut wie mit Kompetenzinterviews (das heute für Einstellungen und Beförderungen gebräuchlichste Bewertungsinstrument) und rund zehnmal besser als mit Persönlichkeitstests vorhersagen. Der Grund: Einige der Fähigkeiten, die für akademischen Erfolg nötig sind, entscheiden auch über die Führungsleistung.
Allerdings nutzen Personalverantwortliche in der Regel nicht IQ-Tests, um Spitzentalente ausfindig zu machen (sie mögen eine indirekte Rolle spielen, wenn sie Absolventen von Eliteuniversitäten einstellen). Die mit IQ-Tests gemessenen Fähigkeiten stellen nur einen Bruchteil der kognitiven Fähigkeiten eines Menschen dar. Manche - wie Wortschatz, mathematisches Denken oder räumliches Vorstellungsvermögen - haben fast keine Bedeutung für die Arbeit einer Führungskraft. Zudem würden die getesteten Themengebiete von Personen mit umfassender Berufserfahrung als zu akademisch oder allzu einfach empfunden - wenn sie den Test nicht gar als beleidigend ansehen.
Auch das Format klassischer IQ-Tests, Multiple-Choice-Fragen, eignet sich nicht für die
Doch trotz dieser sehr realen Mängel sind IQ-Tests noch immer ein besseres Instrument zur Vorhersage von Führungserfolg als jedes andere Bewertungsverfahren. Wenn die Verantwortlichen ganz auf Intelligenztests verzichten (mit Ausnahme der Erfassung der emotionalen Intelligenz, bei der es um Persönlichkeit und Stil geht), berauben sie sich einer wirkungsvollen Methode, um Kandidaten für eine Neueinstellung oder eine Beförderung zu beurteilen. Es ist darüber hinaus möglich, ein vergleichbares Messinstrument für Führungsintelligenz zu schaffen, mit dem sich die für Manager nötigen Fähigkeiten testen lassen - wie die Qualität von Daten zu bewerten oder die Kernprobleme bei einem Konflikt exakt zu identifizieren. Und dies alles in einem Format, welches das reale Geschäftsumfeld genauer widerspiegelt.
Führungsintelligenz erfragen
Die gängigste Interviewmethode ist die "nachträgliche Befragung" (Past Behavioral Interview, PBI). Sie beinhaltet Fragen, welche die Erfahrungen einer Person bei bestimmten Aktivitäten erfassen sollen - beispielsweise, wie diese Termine eingehalten oder Konflikte gelöst hat -, aber sie umfasst keine persönlichen Fragen. Diese Methode wurde im Laufe der vergangenen 30 Jahre als Best Practice akzeptiert, und tatsächlich erlaubt sie eine gute Leistungsvorhersage. So lassen sich mit ihr rund 25 Prozent der zwischen den Mitarbeitern bestehenden Leistungsunterschiede erklären.
Doch nachträgliche Befragungen lassen viele der Faktoren unberücksichtigt, die den Führungserfolg bestimmen. Denn diese Methode erfasst nicht, was eigentlich beabsichtigt ist. Sehen wir uns dazu zwei Punkte genauer an. Die Frage "Welche strategische Ausrichtung hat Ihr Unternehmen oder Ihr Bereich, und wie haben Sie diese weiterentwickelt?" zielt darauf ab, die strategische Kompetenz einer Person zu bewerten. Die Frage "Beschreiben Sie eine Situation, in der Sie mit einem schwierigen Kollegen zusammenarbeiten und einen Konflikt lösen mussten" soll die Fähigkeit einer Person prüfen, mit Konflikten umzugehen. Überraschenderweise kann die Fähigkeit einer Führungskraft, Strategien zu entwickeln, anhand ihrer Antwort auf die zweite Frage ebenso gut vorhergesagt werden wie anhand ihrer Antwort auf die erste Frage. Das gilt nicht nur für diese beiden, sondern auch für jede andere Kompetenzfrage.
Eine Erklärung für diesen Effekt liefern Untersuchungen von Jesús F. Salgado und Silvia Moscoso, beide Professoren an der spanischen Universität Santiago de Compostela. Bei der Antwort auf eine Verhaltensfrage in einem Interview sind
Trotz der Vorteile, die Verhaltensinterviews bieten, lassen sich mit ihnen also nur die Minimalqualifikationen eines Kandidaten erfassen. Sie eignen sich nicht dafür, Spitzentalente herauszufiltern. Natürlich stellt etwa die Berufserfahrung eines Bewerbers ein wichtiges Einstellungskriterium dar. Aber wir alle kennen erfahrene Führungskräfte, die keine Stars sind. Ebenso besitzt ein sympathischer Mensch nicht automatisch die intellektuelle Stärke einer phänomenalen Führungskraft. Kurz: Verhaltensinterviews messen Wissen, nicht Intelligenz. Wissen ist das durch Erfahrung oder eine formelle Ausbildung erworbene Inventar an Informationen. Intelligenz hingegen ist die Fähigkeit, Wissen zum Lösen von Problemen einzusetzen. Um Wissensfragen zu beantworten, müssen Menschen Gelerntes oder Erfahrenes wiedergeben, Intelligenzfragen verlangen hingegen, seine Fähigkeiten zu beweisen.
Wie also lässt sich Führungsintelligenz messen? Der beste Weg: Den Kandidaten durch geschickte Fragen zwingen, in einem Interview seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Dafür sind Fragen und Situationen vonnöten, mit denen der oder die Betreffende bisher noch nie konfrontiert wurde. Je neuer die Situation für einen Befragten ist, desto weniger auswendig gelerntes Wissen kann er bei der Antwort abspulen und desto mehr kognitive Fähigkeiten sind erforderlich, um eine Antwort zu finden.
Die Interviewform weicht von üblichen Intelligenztests ab, bei denen vornehmlich Multiple-Choice-Fragen schriftlich zu beantworten sind. Die Entwickler derartiger Tests glaubten, dass Menschen Leistungen nicht objektiv bewerten können. Aber das stimmt nicht. Der Educational Testing Service, eine gemeinnützige Organisation aus den USA, die Wissenstests entwickelt, hat kürzlich den Bewertungstest für Collegeanwärter (den Scholastic Assessment Test, kurz SAT) geändert und verlangt von den Bewerbern jetzt auch, einen Aufsatz zu verfassen. Dieser Schritt war heftig umstritten, weil dadurch ein menschliches Element in die Bewertung aufgenommen wurde. Das Beurteilungsergebnis büße, so der Vorwurf, an Objektivität ein.
Das gilt auch für die Arbeitswelt. Führungskräfte tauschen Informationen in Gesprächen aus. Dabei werden Fragen gestellt und Entscheidungen getroffen. Künftige Leistung im Geschäftsleben lässt sich am exaktesten vorhersagen, wenn diese Umstände möglichst gut nachge- ahmt werden. Und menschliche Bewerter können solche Interaktionen bei weitem am besten beurteilen.
Statt auf akademische Fragen sollten sich Interviews zur Bewertung von Führungsintelligenz auf die speziellen kognitiven Fähigkeiten konzentrieren, die für die Arbeit einer Führungskraft wichtig sind: das Erledigen von Aufgaben, die Zusammenarbeit mit anderen und die Selbstbeurteilung. Die Fragen sollten keine speziellen Branchenkenntnisse oder Berufserfahrung voraussetzen. Das geforderte Wissen muss sich auf die Grundlagen der Unternehmensführung beziehen und allen Führungskräften vertraut sein. Nur dann kann ein einstellender Manager sicher sein, dass Unterschiede zwischen den Stellenbewerbern auf unterschiedliche Fähigkeiten zurückzuführen sind und nicht auf Wissen. Außerdem sollte der Personalverantwortliche nicht danach fragen, ob der Kandidat über eine bestimmte Fähigkeit verfügt. Die Fragen sollten vielmehr so abgefasst sein, dass der Kandidat mit seiner Antwort diese Fähigkeit unter Beweis stellen muss.
Nehmen wir an, Sie wollen herausfinden, ob jemand zu Grunde liegende Annahmen kritisch hinterfragen und mögliche ungewollte Folgen vorhersehen kann. Statt den Kandidaten zu bitten, über eine Situation zu berichten, in der er beides getan hat, müssen Sie eine konkrete Situation vorgeben, in der es gilt, diese Fähigkeiten einzusetzen. Dazu können Sie den Betreffenden beispielsweise mit folgender Situation konfrontieren:
Sie sind der CEO eines großen Softwareunternehmens. Sowohl heimische als auch ausländische Konkurrenten unterbieten massiv Ihre Preise. Ihr Topmanagement weiß, dass es dringend die Kosten senken muss. Ihr Chief Operating Officer kommt zu dem Schluss, dass es am besten sei, die meisten Programmierarbeiten des Unternehmens auszulagern und an ausländische Subunternehmer zu vergeben. Dadurch würden die Personalkosten deutlich reduziert. Er hat bereits einige Angebote von Dienstleistern in Indien und in Südkorea eingeholt. Welche Fragen stellen sich Ihnen angesichts dieses Vorschlags?
Ein Kandidat mit hoher Führungsintelligenz würde antworten, dass die zentrale Annahme des Vorstands bestätigt werden müsse - dass Outsourcing automatisch zu einer Verbilligung der Produktion führt. Er könnte darauf hinweisen, dass durch solch einen Schritt eventuell indirekte Kosten entstehen (Vorabinvestitionen, anschließend zusätzlicher Kundenservice und Probleme bei der Softwareentwicklung), die es zu berücksichtigen gilt. Außerdem würde er die möglichen unbeabsichtigten Folgen des Vorschlags erwähnen, etwa die Folgen, die der Einsatz weit entfernter Arbeitskräfte auf die Produktivität oder auf die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hätte.
Nehmen wir nun an, Sie wollen herausfinden, ob ein Kandidat die Führungsintelligenz aufweist, die für die Zusammenarbeit mit anderen erforderlich ist. Dann könnten Sie ihn mit folgendem Szenario konfrontieren:
Sie sind der Verkaufs- und Marketingleiter von Rinaldi Manufacturing. Sie sind erst seit einem Jahr bei dem Unternehmen, als Amanda, eine von Rinaldis Großkundenmanagerinnen, mit Ihnen über ihr Unbehagen sprechen möchte, wie Rick, ihr unmittelbarer Vorgesetzter, einen der besten Kunden von Rinaldi behandelt hat. Rick wiederum ist ihnen direkt unterstellt. Die Mitarbeiter von Rinaldi sind aufgefordert, die Hierarchien einzuhalten. Sie müssen erst einmal mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten über Probleme sprechen, bevor sie diese anderen vortragen. Sie wissen,
Ein guter Kandidat wird zugeben, bislang noch zu wenig über den Umgang mit Rinaldis Kunden zu wissen sowie darüber, warum Amanda sich dazu entschlossen hat, die Hierarchie zu missachten. Er wird die Bedürfnisse der unterschiedlichen Interessengruppen anerkennen und gegeneinander abwägen - einerseits die seiner Mitarbeiter, andererseits die der besten Kunden von Rinaldi. Und er wird die möglichen Folgen seiner Entscheidung sehen. Ob er sich nun dafür oder dagegen entscheidet, sich mit Amanda, Rick oder beiden zu treffen - in jedem Fall benötigt er eine solide Begründung für seine Wahl.
Es gibt auf die Fragen, die in den Szenarios gestellt wurden, nicht nur jeweils eine richtige Antwort. Dies zeigt, welche bedeutende Rolle der Interviewer bei der Steuerung des Bewertungsprozesses spielt. Das Interview zur Beurteilung von Führungsintelligenz misst nicht die "absolute" Qualität der von einem Kandidaten vorgetragenen Lösungen, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit, dass sein Urteilsvermögen und seine Vorgehensweise zu einem wünschenswerten Ergebnis führen. Unterschiedliche Kandidaten können sich in derselben Situation unterschiedlich verhalten; ihre Lösungen können dennoch gleichermaßen erfolgreich sein. Es bedarf geschulter Interviewer, um die Logik jeder Lösung nachzuvollziehen und Aussagen darüber treffen zu können, ob und inwieweit der Kandidat über die notwendigen kognitiven Fähigkeiten verfügt.
Test in der Praxis
Obwohl das Messinstrument für Führungsintelligenz relativ neu ist, gibt es bereits beachtliche Belege für seine Validität. Im Rahmen einer 2002 durchgeführten Studie habe ich 35 Führungskräfte aus unterschiedlichen Branchen mit Hilfe eines solchen Instruments interviewt und bewertet. Zudem habe ich ihre Kollegen, Untergebenen und Vorgesetzten gebeten, die Leistung der oder des Betreffenden einzustufen (die Befragung erfolgte anonym). Die Korrelation zwischen den Werten aus den Interviews und den 360-Grad-Leistungseinstufungen ist ein wichtiges Indiz, dass die für Führungsintelligenz erzielten Werte eine sehr gute Vorhersage des Führungserfolgs erlauben.
Im Jahr 2004 überprüfte das auf die Evaluierung von Bewertungsinstrumenten spezialisierte Evaluation Center der University of Michigan das Instrument sowie alle damit verbundenen empirischen Ergebnisse. Assistenzprofessorin Jennifer Palthe und ihre Gruppe kamen zu dem Schluss, dass die neuen Tests messen, was sie zu messen vorgeben, und im Gegensatz zu anderen Methoden real vorhandene Aspekte der Führungsleistung erfassen. Bis heute haben wir diese Interviews mit über 500 Topmanagern in 18 Ländern und 7 Sprachen durchgeführt. Sprache, Herkunftsland, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit haben für die Testleistung keine Rolle gespielt.
Die Bewertung von Führungsintelligenz ist keine magische Kugel zur Evaluierung von Führung. Wie Verhaltensinterviews können auch Tests der Führungsintelligenz rund 25 bis 30 Prozent der Leistungsunterschiede zwischen einzelnen Kandidaten vorhersagen. Aber diese Tests messen vollkommen andere Fähigkeiten als Verhaltensinterviews. Daher gibt es zwischen beiden so gut wie keine Überschneidungen. Gemeinsam vermitteln sie ein erheblich umfassenderes Bild vom Potenzial eines Kandidaten - rund 50 bis 60 Prozent seiner Leistung. Natürlich können einstellende Manager nicht über alle Eigenschaften eines Kandidaten im Bilde sein, auch nicht mit Persönlichkeitsbewertungen und Referenzen. Aber angesichts der hohen Korrelation zwischen Intelligenz und Erfolg - und der Tatsache, dass sich Intelligenztests auf Führungskräfte zuschneiden lassen - können Manager Kandidaten heute mit erheblich größerer Genauigkeit bewerten. n
Besetzen Personalverantwortliche eine Stelle, entscheiden sie sich anhand ganz verschiedener Kriterien für oder gegen einen Kandidaten: Mal fordern sie Berufserfahrung, dann ist ihnen soziale Kompetenz wichtig. Worauf kommt es wirklich an? Vor allem auf kritisches Denken, wie der Autor zeigt. Grundvoraussetzung dafür ist Intelligenz.
Kompetenzen einschätzen: Damit Manager erfolgreich sein können, müssen sie in drei Disziplinen Begabungen besitzen - beim Erledigen von Aufgaben, beim Zusammenarbeiten mit anderen und bei der Selbstbeurteilung.
Spitzentalente aufspüren: Diese Fähigkeiten lassen sich nicht mit Standardtests messen. Der Autor hat ein Verfahren entwickelt, um Manager mit ausgeprägter Führungsintelligenz zu erkennen. Er konfrontiert Bewerber in einem Interview mit Situationen aus dem Geschäftsalltag, sodass sie ihre Fähigkeiten beweisen müssen. Auf diese Weise gelingt es ihm, die Leistungen eines Kandidaten im Job vergleichsweise zuverlässig vorherzusagen.
Führungsintelligenz messen
Klassische Intelligenztests. Als der französische Pädagoge und Psychologe Alfred Binet vor hundert Jahren den Auftrag erhielt, einen Bewertungsmaßstab für akademische Intelligenz zu entwickeln, listete er zunächst die an Schulen unterrichteten Fächer wie Mathematik oder Sprachen auf. Anschließend ermittelte er die kognitiven Fähigkeiten, die ein Schüler benötigt, um die einzelnen Fächer zu meistern. Seine Arbeit lieferte die Basis für heutige Intelligenztests. Noch immer gelten diese Tests als wirkungsvollstes Instrument, das akademische Potenzial eines Kindes vorherzusagen. Wir akzeptieren also, dass die akademische Intelligenz auf einer Reihe kognitiver Fähigkeiten beruht. Doch wir gehen bis heute davon aus, dass es keine spezifische Führungsintelligenz gibt - dass also kein bestimmtes Inventar kognitiver Fähigkeiten über die Begabung für Geschäftliches oder im Führungsbereich entscheidet.
Die vorhandenen Forschungsergebnisse zeigen aber eindeutig, dass es eine definierte Gruppe von solchen kognitiven Fähigkeiten gibt. Es bedurfte nur eines Tests, mit dem sich diese Fähigkeiten isolieren ließen. Binets Beispiel folgend, nahm ich mir vor, ein Messinstrument für Führungsintelligenz zu entwickeln.
Ein Test für Führungsintelligenz. In einem ersten Schritt galt es, die Disziplinen der Führungsarbeit zu identifizieren. Wie eine Auswertung betriebswirtschaftlicher und psychologischer Literatur ergab, waren dies: das Erledigen von Aufgaben, die Arbeit mit und durch andere sowie die Selbsteinschätzung und das entsprechende Anpassen des eigenen Verhaltens. Diese drei weit gefassten Kategorien decken alle Tätigkeitsbereiche eines Managers ab. So erfordern beispielsweise das strategische Entscheiden, das Definieren des Kerngeschäfts, das Vorgeben der Richtung wie auch das Umsetzen neuer Aktivitäten die kognitiven Fähigkeiten, die zum Erledigen von Aufgaben notwendig sind. Um Konflikte voraussehen und managen, Teams führen und mit Kunden und Investoren richtig umgehen zu können, bedarf es all der Fähigkeiten, die für die Beziehung zu anderen Menschen wichtig sind. Und damit es gelingt, die Ansichten anderer einzubinden, Veränderungen im eigenen Umfeld zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren, sind die kognitiven Fähigkeiten nötig, die etwas mit Selbstwahrnehmung und -einschätzung zu tun haben. Als Nächstes stellte ich eine Liste der kognitiven Fähigkeiten zusammen, welche die angesehensten Managementforscher als entscheidend für eine effektive Führung identifiziert hatten. Die Liste war lang, enthielt aber auch einige Wiederholungen und Überlappungen. Also musste ich die wesentlichen Fähigkeiten herausarbeiten. Ich ordnete die einzelnen Eigenschaften, und interessanterweise ließen sich alle problemlos einer der drei Disziplinen zuordnen. Dies bestätigte, dass die drei Bereiche die Führungsarbeit in der realen Welt widerspiegelten.
Die einzelnen Fähigkeiten schließen die Begabung ein, wesentliche Ziele von weniger wichtigen Belangen unterscheiden zu können, mögliche Folgen vorherzusehen und die verborgenen Absichten von Menschen zu erkennen. All diese kognitiven Fähigkeiten bestimmen darüber, wie gut jemand Informationen sammeln, verarbeiten und anwenden kann, um möglichst gut ein spezifisches Ziel zu erreichen oder eine komplexe Situation zu meistern. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Fähigkeiten, die es jemandem erlauben, das höchste Niveau kritischen Denkens bei der Arbeit zu erreichen.
Anwendung. Um diese Theorie der Führungsintelligenz zu prüfen, habe ich sie auf die Leistungen realer Manager angewandt. Dabei wurde ein Muster sichtbar: Führungsstars übertreffen andere Manager bei diesen kognitiven Fähigkeiten. Doch nicht nur das: Sämtliche Begabungen waren für effektives Entscheiden erforderlich. Die meisten Führungskräfte verfügen über ausgeprägte Fähigkeiten in zwei oder drei dieser Disziplinen. Die Stars vereinen ein außergewöhnliches Können in allen dreien.
Was intelligente Führungskräfte auszeichnet
Sie erledigen Aufgaben
Dazu gehört:
n Probleme angemessen definieren können; wesentliche Ziele von weniger wichtigen Belangen unterscheiden.
n Mögliche Hindernisse voraussehen, die das Erreichen von Zielen erschweren; angemessene Maßnahmen festlegen, um sie zu umgehen.
n Die Richtigkeit von Annahmen, die einem Vorhaben zu Grunde liegen, kritisch prüfen.
n Stärken und Schwächen von Vorschlägen oder Argumenten deutlich zur Sprache bringen.
n Erkennen, was über ein Problem bekannt ist, welche relevanten Informationen noch fehlen und wie diese am besten beschafft werden.
n Alternative Aktionspläne aus mehreren Blickwinkeln betrachten, um mögliche unerwünschte Folgen zu erkennen.
Sie arbeiten gut zusammen
Dazu gehört:
n Die richtigen Schlussfolgerungen aus einem Gespräch ziehen.
n Verdeckte Absichten und Motivationen der verschiedenen beteiligten Personen und Gruppen erkennen.
n Mögliche Reaktionen von Personen auf Handlungen oder Ankündigungen vorhersehen.
n Zentrale Probleme und Perspektiven identifizieren, die für einen Konflikt ausschlaggebend sind.
n Mögliche Folgen und unbeabsichtigte Konsequenzen, die sich aus bestimmten Handlungen ergeben können, angemessen berücksichtigen.
n Unterschiedliche Bedürfnisse aller wichtigen Interessengruppen beachten und ausbalancieren.
Sie schätzen sich selbst ein
Dazu gehört:
n Sich um Rückmeldungen bemühen, die Fehler im eigenen Urteil aufdecken könnten, und angemessen reagieren.
n Sich der eigenen Voreingenommenheit und des beschränkten Blickwinkels bewusst sein; Denken und Handeln entsprechend anpassen.
n Schwer wiegende Mängel eigener Ideen oder Handlungen erkennen; diese, wenn nötig, sofort öffentlich eingestehen und einen Richtungswechsel vornehmen.
n Wichtige Schwächen der von anderen vorgebrachten Argumente benennen und immer wieder auf die Stärke des eigenen Standpunkts verweisen.
n Die Einwände anderer, falls angebracht, zurückweisen und einem vernünftigen Aktionskurs treu bleiben.
Service
Literatur
Menkes, J.: Executive Intelligence, HarperCollins World 2005.
HBm Audio
Goleman, D.: Emotionale Intelligenz.
(zu beziehen über: www.harvardbusinessmanager.de)
Kontakt
jmenkes@executiveintelligence.com
JUSTIN MENKES
ist Managing Director der Executive Intelligence Group, einer in New York ansässigen Beratungsfirma, die mit Spencer Stuart zusammenarbeitet und sich auf die Bewertung von Nachwuchsmanagern spezialisiert hat. Dieser Artikel basiert auf dem 2005 bei HarperCollins erschienenen Buch "Executive Intelligence".
© 2006 Harvard Businessmanager