Wo Papier dem Computer überlegen ist Marketinginstrument Druckschriften
GEORG-EUGEN WENZEL arbeitet im Bereich Marketing, Produktmanagement und Vertrieb der Drägerwerk A G in Lübeck.
Oft sind die einfachsten Mittel die wirkungsvollsten. Simple Druckschriften - Kataloge, Preislisten, Produktbeschreibungen, Dokumentationen, Gebrauchsanweisungen - spielen auch heute noch eine wesentliche Rolle im Investitionsgütermarketing und in der Entscheidungsfindung der Abnehmer. Das zeigt jedenfalls eine Erhebung des Instituts für angewandte Vertriebsforschung, das die Bedeutung des gedruckten Informationsmaterials für gewerbliche und private Kaufentscheidungen ermittelt hat (siehe Abbildung 1). Die Zahl der an Investitionsentscheidungen Beteiligten nimmt mit der Höhe der Kaufsumme und der Bedeutung einer Investition zu. Bei Kaufentscheidungen haben Druckschriften für das Einholen sachgerechter Informationen die höchste Bedeutung. In der Kombination mit anderen Kommunikationsmitteln erreichen sie optimale Wirkung. Das Informationsverhalten industrieller und privater Käufer weist Ähnlichkeiten auf, wobei mit steigenden Kosten die Übereinstimmung zunimmt und die Bedeutung des gedruckten Informationsmaterials wächst. 80 Prozent der gewerblichen Kunden bewahren die für die Beschaffungsentscheidung relevanten Unterlagen zumindest bis zum endgültigen Kauf auf. Dabei werden nicht nur Druckschriften gesammelt, sondern auch redaktionelle Beiträge aus Zeitungen und - mit zunehmender Kauferfahrung - Testergebnisse. Gedrucktes Material ist auch nach dem Kauf für die gewerblichen Käufer die wichtigste Informationsquelle. Besonders gefragt sind begleitende schriftliche Informationen vor und nach dem Beratungsgespräch. Als nützlich werden Werbedruckschriften empfunden, wenn der Inhalt die aktuellen Interessen des Empfängers abdeckt. Druckschriften, deren Aufmachung den Wünschen, Anforderungen und Erwartungen der Zielperson entspricht, werden besonders intensiv genutzt. Gewünscht werden vor allem präzise Angaben (bis hin zu Anschriften und Telephonnummern) sowie ein übersichtlich angeordneter Inhalt (siehe auch Abbildungen 2 und 3). Leider haben die bisher vorliegenden Untersuchungen nicht klären können, wie Druckschriften genutzt werden. Allzu häufig wird darauf verzichtet, das Informationsverhalten in den einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses differenziert zu analysieren. Wir helfen uns hier mit Erfahrungen, die von erfolgreichen Vertriebsleuten tagtäglich in der praktischen Arbeit gemacht werden. Die Analyse dieser Erkenntnisse sowie eine modellhafte Vorstellung von Entscheidungsprozessen in der Investitionsgüterindustrie helfen, die Grundlagen einer Druckschriftensystematik zu entwickeln.
Der Akquisiteur vor Ort
Die Entscheidungsprozesse im Investitionsgütermarketing lassen sich in einem einfachen, vierstufigen Modell darstellen, das eine handhabbare und nützliche Arbeitshilfe für den Werbeleiter und das Produktmanagement ist: * Der erste Schritt (Problemphase) besteht aus einer Problemanalyse mit der Suche nach äquivalenten Lösungen. * Im zweiten Stadium (Informationsphase) werden Daten zum Absichern der ausgewählten Alternative gesammelt. * Danach folgt die Beratungsphase, in der erörtert wird, ob eine vorgeschlagene Lösung den Interessen des Unternehmens entspricht und realisierbar ist. * Auf der vierten Stufe (Entscheidungsphase) wird die Vorentscheidung bestätigt oder abgelehnt. Personen, die Problemlösungen suchen, finden und sie durch den Entscheidungsprozeß begleiten, bezeichnen wir als Initiatoren. Es ist für den Werbeverantwortlichen wichtig, sich eine möglichst konkrete Vorstellung von dieser Zielgruppe zu machen: Wie verhält sich der Akquisiteur? Gibt es Wechselbeziehungen? Wie wirkt sich das Modell in der Vertriebsarbeit aus ? Geht man der Arbeitsweise von Akquisiteuren in der Investitionsgüterindustrie auf den Grund, so stellt man fest, daß erfolgreiche Leute fast immer in vier Stufen vorgehen. Zunächst einmal wird ein Vertriebsingenieur Vertrauen schaffen - bei allen Personen eines Unternehmens, die für eine Entscheidung in Frage kommen oder am Entscheidungsprozeß mitwirken. Er wird sein Unternehmen vorstellen, die Leistungsfähigkeit betonen, die Aktivitäten erläutern. Wir nennen dies die Entscheidungsebene 1. Sie ist wichtig, weil sie unliebsame Störungen der Entscheidungsfindung verhindert. Auch mit Druckschriften läßt sich Vertrauen schaffen: Sie können das Umfeld des Vertriebsingenieurs darstellen, Leistungsfähigkeit vorführen, Zweifel beseitigen. Geeignete Druckschriften zu diesen Themen können an alle an der Entscheidungsfindung Beteiligten verteilt werden; sie stehen während des gesamten Entscheidungsprozesses zur Verfügung, der ja mehrere Jahre dauern kann.
Im zweiten Schritt wird der Vertriebsingenieur Problemlösungen vorstellen, also Produkte, Produktgruppen, Anlagen erläutern. Je öfter er die Möglichkeit dazu hat, desto mehr potentielle Initiatoren wird er erreichen. Wir nennen diese Stufe die Entscheidungsebene 2. Hier wird über Problemlösungen informiert und gegebenenfalls Problembewußtsein geschaffen. Im dritten Stadium - der Entscheidungsebene 3 - beginnt für den Vertriebsingenieur die direkte Beratung eines Initiators. Hier werden Argumente und Beweise geliefert, Entscheidungen bestätigt, Arbeitshilfen weitergegeben. Je intensiver der Vertriebsingenieur beraten kann, desto eher kann er darauf hoffen, daß der Initiator die von ihm vorgestellte Lösung akzeptiert. Letzterer muß sich in der Beratungsphase des Entscheidungsprozesses durchsetzen. Er kann das um so besser, je intensiver er vorbereitet ist. Druckschriften liefern ihm Argumente und Beweise und bestätigen Vorentscheidungen. Sind sie optimal gestaltet, ist ein Initiator in der Lage, Darstellungen wie Tabellen oder Schnittbilder von technischen Produkten unmittelbar in die Beratungsphase einzubringen. Nach der dritten Stufe folgt beim Abnehmer die innerbetriebliche Entscheidung. Je besser der Vertriebsingenieur die Leistungsfähigkeit seines Unternehmens demonstriert hat, desto weniger Schwierigkeiten wird der Initiator haben, eine vorgeschlagene Lösung in seinem Unternehmen durchzusetzen (Entscheidungsebene 4). Danach werden die Produkte oder Anlagen dem Kunden übergeben. Die Handhabung der verkauften Produkte oder Anlagen wird sichergestellt, wenn die dafür vorgesehenen Druckschriften verständlich aufgebaut sind und damit die Vertrauensbasis erhalten bleibt. Auch dazu können Druckschriften beitragen; bei geeigneter Konzeption gewährleisten sie den richtigen Umgang mit den verkauften Erzeugnissen.
Alle Untersuchungen haben gezeigt, daß Druckschriften eine hohe Akzeptanz aufweisen. Sie werden beschafft, gesammelt, zum Entscheidungsprozeß hinzugezogen. Sie können daher zumindest in Teilbereichen den Akquisiteur bedeutend unterstützen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie ein Akquisiteur seine Arbeitszeit verwendet. Laut einer neueren Untersuchung behält der durchschnittliche Vertriebsingenieur lediglich 22,5 Prozent seiner Arbeitszeit für Gespräche, um die Kommunikationssituation und das gezielte Kaufgespräch zu verbessern. Jeder Vertriebsingenieur kann belegen, daß das Anfangsgespräch mit einem potentiellen Kunden sehr schwierig ist, wenn dieser von der Firma, die er vertritt, nie etwas gehört hat oder deren Glaubwürdigkeit bezweifelt. Der Akquisiteur vor Ort wird auch bestätigen können, daß ein Verkaufsgespräch um so effektiver ist, je stärker der Gesprächspartner Problembewußtsein zeigt. Und er wird dankbar registrieren, wenn der Kunde nach dem Verkauf Unterlagen besitzt, die weitere Besuche weitgehend überflüssig machen.
Systematik
der Druckschriften
Aus dem Gesagten ergibt sich die Matrix in Abbildung 4. Die Senkrechte enthält die verantwortlichen Herausgeber im Unternehmen. In der Waagerechten stehen Produkt-, Markt- und Themenkategorien, denen die verschiedenen Druckschriften zugeordnet sind. Durch alle gedruckten Informationen ziehen sich die Parameter der Entscheidungsebenen: Vertrauen schaffen, Informieren, Motivieren, Handhabung sichern. Für Konzeption und Herausgabe einer Druckschrift gelten bestimmte Rahmenbedingungen, die im voraus ermittelt werden: Marktzustand, Produkteigenschaften, Zielgruppe, Distributionswege, Lebenszyklen, Budgetgrößen, verfügbare Zeiten. Die Druckschriftensystematik folgt der Marketingorganisation. Die angebotenen Schriften sind nach Produkten, Märkten und Themen gestaltet und können, dem erläuterten Entscheidungsmodell folgend, für die jeweiligen Akquisitionsschritte zielgerichtet eingesetzt werden. Neben den marketingrelevanten Zielen sind Rationalisierungseffekte von Bedeutung: * Inhalts- und Sortenbereinigung durch verteilte Informationen. * Kostengünstiger Druckschrifteneinsatz durch klares Trennen der Inhalte. * Rechtzeitige, optimale Druckschriftenpflege durch Planung der Überarbeitungsintervalle. * Preiswerte Gestaltung durch standardisierte Gestaltungsraster. * Standardisierung des gesamten Druckschriftenbestands. * Optimale Wiedererkennung.
Wie sieht die Praxis aus? In unserem Falle gehören zu jedem Produkt eine Minimal- und eine Grundausstattung von Druckschriften. Die Unterscheidung von Minimal- und Grundausstattung ist produktbezogen und marktorientiert: * Produktprospekte sind zentrale Verkaufsunterlagen und enthalten alle Informationen über das Konzept und die Problemlösungen des Erzeugnisses beziehungsweise der Produktfamilie. * Kataloge, die alle Leistungsdaten enthalten, und Preislisten bilden zusammen die Bestellunterlage. * Neuheiteninformationen berichten über Neuentwicklungen und Veränderungen von Produkten; sie werden für Messen und Ausstellungen sowie für Mailingaktionen eingesetzt. Diese Druckschriften werden ergänzt durch Gebrauchsanweisungen; das ist die Minimalausstattung. In der erweiterten Grundausstattung sind Anwendungsprospekte enthalten, die Lösungen in unterschiedlichen Branchen oder Arbeitsgebieten demonstrieren. Die Grundausstattung enthält wesentliches Druckschriftenmaterial für die wichtigsten Vertriebsziele und -maßnahmen. Da dieses Material in aller Regel nicht ausreicht, werden im Rahmen von Sonderausstattungen weitere gedruckte Informationen angeboten. Die Druckschriften der Sonderausstattung berücksichtigen Anwendungsgewohnheiten sowie Produkt- und Markteigenheiten. Die Sonderausstattung ergänzt die Grundausstattung durch Geschäftsbereichsprospekte, die über besondere Arbeitsgebiete informieren. Diese Druckschriften vermitteln in erster Linie Kompetenz und Bedeutung des Unternehmens und seiner angestammten wie neuen Märkte.
In Themenbroschüren werden relevante Schwerpunkte aufbereitet. Referenzprospekte beschreiben die Leistungsfähigkeit anhand erfolgreicher Projekte. In Argumentationsprospekten werden dem Vertrieb Markt- und Verfahrensdaten zur Verfügung gestellt, die auch in der taktischen Akquisitionsarbeit nutzbringend angewandt werden können. Salesfolder unterstützen die Präsentation bei Interessenten und Kundenveranstaltungen. Sonderdrucke und Applikationsberichte geben Informationen aus Forschung und Entwicklung sowie besonderen Anwendungsschwerpunkten. Technische Manuals sind ergänzende oder verpflichtende Bestandteile des Lieferumfangs bestimmter Geräte und Leistungen und dienen dem Anwender als Serviceunterlagen. Mit Einweisungshilfen werden die Akquisiteure bei der Geräteübergabe unterstützt. Daneben sind sie für den Anwender eine wichtige Unterlage bei der Gerätewartschulung. Diese Druckschriftensystematik hilft dem Vertriebsverantwortlichen - je nach Bedarf und Akquisitionssituation - , die geeigneten gedruckten Informationen zusammenzustellen. Die Akquisiteure sollten an der Druckschriftenplanung beteiligt werden, um sicherzustellen, daß es ein Feedback zwischen Praxis und Planung gibt. Darüber hinaus müssen auch die zuständigen Techniker gezielt befragt werden.