Harvard Business manager: Herr Johnson, sollten wir bei der Arbeit weniger hilfsbereit sind?
Russell Johnson: Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir vorsichtig sein sollten, wenn wir ungefragt Hilfe anbieten. Uns wird häufig gesagt, dass es gut sei, proaktiv zu unterstützen, vor allem bei Teammitgliedern. Aber es ist wichtig zu erkennen, dass die Zeit und der Aufwand, den Sie in die Hilfe investieren – und von ihrer eigenen Arbeit abzweigen –, möglicherweise nicht gewürdigt wird.
Laut unserer Studie wird der Empfänger der Hilfe in den meisten Fällen keine Dankbarkeit zeigen. Sie werden durch die Unterstützung keine positive psychologische Wirkung erfahren. Auch 24 Stunden später werden Sie sich noch weniger beziehungsorientiert, weniger kooperativ und weniger energiegeladen bei der Arbeit fühlen.
Aber wenn ich merke, dass jemand Schwierigkeiten hat, sollte ich dann nicht trotzdem eingreifen? Anstatt darüber nachzudenken, ob allen dabei warm ums Herz wird?
Meine Co-Autoren und ich würden Ihnen raten, es sich zweimal zu überlegen. Erstens verstehen Sie als Beobachter von außen das Problem vielleicht nicht vollumfassend. Ihr Urteilsvermögen kann von Vorurteilen geprägt sein, durch Projektionen oder selektive Wahrnehmung. Wahrscheinlich müssen Sie eine Menge kognitiver Ressourcen einsetzen, um herauszufinden, was wirklich los ist, ohne Garantie, dass Sie Ihrem Kollegen tatsächlich die Unterstützung geben, die er braucht. Zweitens hätte die Person das Problem vielleicht lieber allein gelöst, um daraus zu lernen. Wenn Sie unaufgefordert dazwischenfunken, bedrohen Sie womöglich das Autonomieempfinden Ihres Kollegen, sein Gefühl, gut im Job zu sein, und Sie beschädigen zusätzlich sein Selbstwertgefühl.
In zwei Folgestudien mit rund 500 Vollzeitbeschäftigten in Nordamerika fanden wir Hinweise auf beide Phänomene. Befragte, die sich daran erinnerten, Kollegen schon einmal proaktiv geholfen zu haben, berichteten, dass sie weniger Ahnung vom Problem hatten als diejenigen, die gezielt um Hilfe gebeten wurden. Und Menschen, die Unterstützung erfahren hatten, fühlten sich häufiger bedroht, wenn sie nicht um die Hilfe gebeten hatten. In diesen Fällen war die Unterstützung auch weniger effektiv. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass den Helfern nicht gedankt wurde.
Kann man das umgehen, indem man den Kollegen dazu bringt, um Hilfe zu bitten?