Managementforschung in der Praxis Das Wissen der Besten

"Ein Periodikum neuen Typs" sollte sie sein: Die deutsche Ausgabe der Harvard Business Review (HBR) weckte in ihrem Vorwort große Erwartungen, als sie 1979 zum ersten Mal erschien. Und in der Tat: Die Themen waren fortschrittlich. Im ersten Jahr gab es Artikel wie "Krisenmanagement in der Datenverarbeitung", "An der Schwelle zu neuen Kommunikationstechnologien" oder "Mitarbeiter mit neuen Wertmaßstäben" – diese Überschriften könnten auch heute Beiträge zieren.
Die Inhalte und Begriffe haben sich weiterentwickelt. Statt Faksimilesysteme würde man heute wohl von E-Mails sprechen, beim Wunsch nach Selbstverwirklichung käme einem die Generation Y in den Sinn. Das Konzept jedoch ist im Kern das Gleiche geblieben: Wissenschaftler, Manager und Berater stellen neue Ideen und Forschungen zur Unternehmensführung vor.
Der "HARVARDmanager", wie er damals hieß, war 1979 die zweite fremdsprachige Ausgabe, eine japanische Version gab es schon seit 1976. Viele weitere sollten folgen. Heute umfasst das HBR-Universum zwölf internationale Ausgaben, zuletzt kam 2015 in Abu Dhabi ein arabisches Magazin hinzu (siehe Weltkarte auf Seite 28). Für die in Boston sitzende Mutterzeitschrift, 1922 an der Harvard Business School (HBS) gegründet, sind die internationalen Ausgaben ein Weg, um ihre Mission zu erfüllen: die Praxis des Managements in einer sich verändernden Welt zu verbessern.
Die deutsche Ausgabe stieß auf eine begeisterte Leserschaft, wohl auch, weil sie in eine Lücke stieß. Die hiesige Betriebswirtschaftslehre war damals praxisfern. Ihre einflussreichsten Vertreter waren Eugen Schmalenbach mit seinen Arbeiten im Rechnungswesen sowie Erich Gutenberg, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Begründer der modernen BWL einen Namen gemacht hatte. Aber sie waren vor allem Akademikern bekannt.
Empirische Arbeiten, wie sich Mitarbeiter besser führen und Unternehmen strategisch steuern lassen – angewandt und überprüft in echten Organisationen –, waren selten. Auch heute noch orientiert sich die Wissenschaft in Deutschland eher an der Theorie, während Hochschulen in den USA oft praxisorientierter forschen.
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Antonia Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business managers, teilt Wissen aus den besten Managementhochschulen der Welt und ihre eigenen Erfahrungen mit Ihnen. Einmal die Woche direkt in Ihr E-Mail-Postfach.
Im Harvard Business manager finden Wissenschaftler eine Plattform, die sich nicht an ein akademisches Publikum richtet, sondern an Manager. Das unterscheidet das Magazin von den vielen wissenschaftlichen Journals auf dem Markt. Zu seinen Autoren zählen die Größen der deutschen, Schweizer und österreichischen Managementforschung, vor allem jene, die auch ein Interesse an einem Austausch mit Praktikern haben.
Im Jubiläumsschwerpunkt finden Sie Beiträge von Jörg Rocholl , dem Präsidenten der European School of Management and Technology Berlin; Cornelius Baur , dem Deutschland-Chef von McKinsey; und vom Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser . Sie entstammen den drei Welten unserer Leserschaft und skizzieren je aus Wissenschaftler-, Berater- und Managersicht, welche Konzepte in den vergangenen 40 Jahren wichtig waren und in Zukunft sein werden.
Der Wahrheit verschrieben
Im Vergleich zur englischsprachigen Ausgabe, die auch durch eine wachsende Leserschaft in Ländern wie Indien auf zuletzt 320.000 Exemplare zulegen konnte, ist die HBM-Auflage überschaubar: Rund 15.000 Exemplare werden verkauft, allerdings an eine ausgesuchte Klientel – die meisten Leserinnen und Leser sind in leitenden Positionen im Management tätig. Mit im Durchschnitt 40 Jahren sind sie vergleichsweise jung. Dieser Wert ist über die Jahre konstant geblieben und liegt weit unterhalb dessen, was in der Wirtschafts- und Tagespresse gängig ist. Befragungen zeugen von einer hohen Zufriedenheit. 98 Prozent der Leser beurteilen das Heft mit "gut" oder "sehr gut". 83 Prozent lesen mindestens die Hälfte aller Beiträge. Und sie nehmen sich Zeit dafür: Die durchschnittliche Lesedauer beträgt 216 Minuten.
Nun ist es für ein Magazin, das sich der Wahrheit verschrieben hat – immerhin prangt das lateinische Wort "Veritas" auf dem Wappen der Harvard Business School und damit auf jedem Titelbild –, wichtig zu wissen, ob es seine Mission auch erfüllt: Wirken Managementmethoden überhaupt? Nicholas Bloom von der Stanford University, Raffaella Sadun von der HBS und John van Reenen von der London School of Economics untersuchten dies in einer umfassenden Studie. Dafür führten mehr als 100 Forscher in Tausenden Organisationen in 20 Ländern Interviews und sammelten Daten. Das Ergebnis: Unternehmen, die drei grundlegende Managementmethoden (Ziele, Leistungsanreize und Kontrollen) verwenden, sind tatsächlich erfolgreicher. Die Wissenschaftler maßen dies anhand einer Fünf-Punkte-Skala. Verbesserte sich ein Unternehmen um einen Punkt, ging dies im Schnitt mit einem Anstieg der Produktivität um 23 Prozent, einer Erhöhung der Marktkapitalisierung um 14 Prozent und einem Wachstum des Jahresumsatzes um 1,4 Prozentpunkte einher.
Das ist eine gute Nachricht und Anreiz dafür, dass wir unseren Weg weitergehen. Im Ressort "Strategien" des Heftes stellen wir neue Methoden nicht nur vor, sondern geben auch stets eine Anleitung, wie sie sich einsetzen lassen. Diese Artikel haben ihren Ursprung fast immer in einer umfangreichen wissenschaftlichen Studie; sie bilden den Kern des Magazins.
Vielen Lesern ist zudem die persönliche Weiterentwicklung wichtig. Darauf gehen wir in unserem "Akademie"-Teil ein. In ihm stellen wir neue Managementbücher vor, Erkenntnisse zum Selbstmanagement – und natürlich eine Fallstudie. Die Case-Study-Methode ist eng mit der HBS verbunden. Sie kam erstmals 1920 zum Einsatz und wurde zum Aushängeschild ihrer Lehre. Kursteilnehmer – sowohl Studenten als auch Führungskräfte in Executive-Education-Programmen – erhalten dabei einen Text, der ein Managementproblem beschreibt. Dazu gibt es relevante Forschungsaufsätze und Informationen wie Markt- oder Unternehmensdaten.
Solche Fallstudien können sehr umfangreich sein und sind nicht selten schwere Kost. Die Studenten lernen aus der Analyse, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und sich eine eigene Meinung zu bilden. Die im Harvard Business manager veröffentlichten Fallstudien sind im Vergleich dazu sehr viel zugänglicher. Sie beschreiben unterhaltsam, mit Dialogen und in einer literarischen Form auf fünf bis sechs Seiten ein Managementdilemma. Experten antworten darauf in Kurzbeiträgen und beleuchten das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln.
Theorie und Praxis verbinden
Verständlichkeit ist uns ein Anliegen und bei allen Texten wichtig. Deshalb unterstützt die Redaktion – allesamt ausgebildete Journalisten – unsere Autoren, ihre Forschungserkenntnisse so aufzuschreiben, dass Praktiker sie schnell verstehen können. Das ist nicht immer leicht. Manche Artikel, die auf einem wissenschaftlichen Aufsatz beruhen, brauchen mehr als ein Jahr, bis wir sie nach vielen Redigier- und Abstimmungsschleifen abdrucken. Oft scheitern Themenvorschläge an der fehlenden Praxisnähe. So liegen uns etwa Beispiele aus Unternehmen am Herzen, um zeigen zu können, wie ein Ansatz im Markt auch wirklich funktioniert. Für manche wissenschaftliche Autoren, die sich eher in der Theorie zu Hause fühlen, ist das eine große Hürde.
Amerikanische Hochschullehrer haben damit meist weniger Probleme. Die renommierten unter ihnen führen eigene Beratungsgesellschaften, die ihre Forschungsergebnisse in Unternehmen umsetzen. Aus dieser Tätigkeit entspringen dann neue Ideen, wie sich ein Ansatz weiterentwickeln lässt – Theorie und Praxis befruchten sich gegenseitig. Mögliche Interessenkonflikte allerdings, das ist eine Vorgabe des Magazins, müssen Autoren stets offenlegen.
Nun hat sich in den vergangenen 40 Jahren auch im deutschsprachigen Raum viel getan. Einige unserer Autoren halten mittlerweile ebenfalls engen Kontakt zur Unternehmenspraxis. So ist Stefan Kühl , Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld, Berater bei Metaplan; Oliver Gassmann, Innovationsprofessor der Universität St. Gallen, ist ein gefragter Keynote-Speaker; Heike Bruch , Leadership-Professorin aus St. Gallen, hat aus ihrer Arbeit an der Universität ein Beratungs-Spin-off gegründet. Oft sind Artikel im HBM der Ausgangspunkt für ein späteres Buch. Ein bekanntes Beispiel ist der Beitrag "Soll der Chef mit Lob reagieren?" des Managementtrainers Reinhard Sprenger im Jahr 1990. Sein im Folgejahr erschienenes Buch "Mythos Motivation" baute darauf auf – und wurde zu einem Bestseller.
Im Digitalen liegt die Zukunft
Der Harvard Business manager nutzt zunehmend Netzwerke, um an neue Erkenntnisse zu gelangen. Beispielsweise haben wir in den vergangenen Jahren zweimal rund 12.000 Mitglieder des Verbands "DFK – Die Führungskräfte" befragt. Die Ergebnisse waren die Grundlage zweier Titelgeschichten – 2017 über Achtsamkeit im Management und 2019 über die Kunst des Präsentierens.
Das wollen wir ausbauen, ebenso wie unsere Veranstaltungen, auf denen wir Forscher und Praktiker zusammenbringen. 2018 kam Harvard-Business-School-Professor Michael Porter nach München, um auf unserer ersten HBM-Live-Konferenz seine neuen Forschungsergebnisse zu Augmented Reality zu präsentieren.
Auch das Heft entwickeln wir weiter. Seit zwei Jahren stellen wir am Anfang jeder Ausgabe neue Managementstudien in Kurzform vor. Das stößt auf hohe Akzeptanz, wie uns Leser, die wir in unregelmäßigen Abständen für eine Blattkritik einladen, bestätigen. Feedback ist uns wichtig, da orientieren wir uns ganz an der "Jobs to Be Done"-Theorie, die Harvard-Professor Clayton Christensen populär gemacht hat. Sie besagt, dass Unternehmen darauf abzielen sollen, Wünsche von Kunden zu erkennen und zu erfüllen. Unsere Kunden, das sind Sie, liebe Leserinnen und Leser – und soweit wir das aus Befragungen, Leserbriefen, Feedback in den sozialen Medien und per E-Mails oder aus Gesprächen auf Konferenzen beurteilen können, gelingt uns das meistens ganz gut. Übrigens: Wenn Sie Feedback haben, was wir verbessern sollen, oder auch Lob – schicken Sie einfach eine E-Mail an info@harvardbusinessmanager.de.
Was wir Ihnen versprechen: Wir werden weiter die neuesten Trends der Managementforschung im Auge behalten. Themen wie Agilität, Purpose und Digitalisierung werden uns sicher auch in Zukunft begleiten. Soweit es uns möglich ist, versuchen wir außerdem, uns selbst die Konzepte zunutze zu machen, über die wir berichten.
Seit der Titelgeschichte "Die Feedback-Falle" des Beraters Marcus Buckingham und des Cisco-Managers Ashley Goodall (Harvard Business manager Mai 2019) schallt manchmal ein "Ja! Genauso geht's!" über den Büroflur – immer dann, wenn jemandem etwas besonders gut gelungen ist. (Buckingham und Goodall schrieben, so sehe gutes Feedback aus.)
Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit auf unserer künftigen Strategie – natürlich ist es eine Digitalisierungsstrategie. Wir wollen unsere Angebote ausbauen und unsere Inhalte digital leichter verfügbar machen, natürlich ohne Abstriche bei der Qualität der Texte. Damit wollen wir den Grundstein für das nächste Jubiläum legen: 2029 wird der Harvard Business Manager 50 Jahre alt werden. Ob das Magazin dann noch auf Papier erscheint oder nur noch in digitaler Form – wir werden sehen. Eines ist sicher: Inhaltlich wird er "ein Periodikum neuen Typs" bleiben und seinen Lesern das beste Managementwissen der Welt präsentieren. © HBM 2019
Dieser Beitrag erschien in der Oktober-Ausgabe 2019 des Harvard Business managers.