Selbstmanagement "Glücklich sein im Job"

Das Leben ist zu kurz, um im Beruf unglücklich zu sein. Und doch sind viele Fach- und Führungskräfte, die ihre Karriere selbst in der Hand haben, genau das: demotiviert, unerfüllt und unglücklich. So wie Sharon, Vice President eines internationalen Energieunternehmens und eine meiner Klientinnen in der Beratung. Sie ist intelligent, arbeitet hart und hat es nach oben geschafft, weil sie sich an die Regeln gehalten hat. Sie verdient eine Menge Geld, liebt ihren Mann und ist stolz auf ihre Kinder. Obwohl sie alles hatte, was sie sich wünschte, war sie nicht glücklich.
Die Situation zu Hause war angespannt, und die Arbeit erfüllte sie nicht mehr mit Zufriedenheit. Sie war das Taktieren am Arbeitsplatz leid, und die ständigen Anstrengungen, in jedem Quartal ausgleichen zu müssen, was im Unternehmen gerade schieflief, machten sie zynisch. Sie stöhnte über die vielen Überstunden, die von ihr erwartet wurden. Auch die nächste Beförderung und die Bonuszahlungen waren nicht mehr so verlockend wie früher. Dennoch arbeitete Sharon genauso hart wie immer: sich anzustrengen war für sie zur Gewohnheit geworden.
Sharon machte andere für ihre Lustlosigkeit verantwortlich. Das Führungsteam habe keine Beziehung zum Tagesgeschäft, erklärte sie. Bei Freunden und Kollegen beklagte sie sich über Fehlentscheidungen des Managements, über die Unternehmensstrategie und das, was sie als mangelnden Weitblick aufseiten der höchsten Führungsebene wahrnahm. Ihr gesamtes Team erschien ihr nachlässig.
Sharon war schon einige Monate lang zum Coaching zu mir gekommen, und sie war mir sympathisch geworden. Doch selbst ich fand ihre Vorwürfe ermüdend. Wie ihre Kollegen darauf reagierten, kann ich mir nur vorstellen. Als wir endlich damit durch waren, warum alle anderen an ihrer Unzufriedenheit schuld waren, sagte sie: "Ich weiß ja, dass ich vielleicht selbst etwas ändern könnte. Aber ich habe einfach zu viel zu tun. Außerdem spielt es keine Rolle, ob ich glücklich bin oder nicht. Wichtig ist nur, dass ich meine Zielvorgaben erreiche." In nachdenklicheren Momenten gestand Sharon durchaus ein, dass ihre Anspannung und ihre Unzufriedenheit sich negativ auf ihre Arbeitsbeziehungen, ihre Familie und ihre Gesundheit auswirkten. Sie musste sogar feststellen, dass sie hier und da angefangen hatte, bei Kleinigkeiten gegen ihr Gewissen zu handeln. Was sie aber nicht bemerkte, war: Je unglücklicher sie wurde, desto mehr schwand auch ihre Leistungsfähigkeit im Job.
Sharon ist kein Einzelfall. Seit Jahren lesen wir davon, dass bei Umfragen die Werte über das Engagement von Mitarbeitern im Keller sind. Zahlreiche Studien belegen, dass beinahe zwei Drittel der US-Angestellten sich an ihrem Arbeitsplatz langweilen, den inneren Rückzug angetreten haben oder erschöpft sind - und dass sie dazu bereit sind, Pläne, Projekte und ihre Mitmenschen zu sabotieren. Das ist schwer zu verstehen. Warum nehmen so viele von uns unbefriedigende Arbeit, großen Stress, drohenden Burn-out und chronische Unzufriedenheit in Kauf? Warum kämpfen wir nicht dagegen an?
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Antonia Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business manager, teilt Wissen aus den besten Managementhochschulen der Welt und ihre eigenen Erfahrungen mit Ihnen. Einmal die Woche direkt in Ihr Email-Postfach.
Mehrere Faktoren tragen zu dem Missstand bei. Der US-Verband American Psychological Association berichtete Anfang 2017, dass sich die Amerikaner gestresster fühlten als je zuvor. Ursachen seien die Politik, der schnelle Wandel der Lebensumstände und die Unsicherheit in der Welt. Aber es sind nicht immer nur äußere Gründe, die unserem persönlichen Glück im Wege stehen. Manchmal sind wir es auch selbst. In meiner über 30-jährigen Tätigkeit als Beraterin von Führungskräften in Konzernen, der Regierung und bei NGOs weltweit habe ich herausgefunden, dass viele von uns in typische Glücksfallen geraten – destruktive Einstellungen und Arbeitsweisen, durch die wir festgefahren, unglücklich und langfristig weniger erfolgreich sind. Drei weit verbreitete Glücksfallen – Ehrgeiz, das Erfüllen von Erwartungen und Überarbeitung – scheinen, oberflächlich gesehen, produktiv zu sein, richten jedoch im Übermaß großen Schaden an.
Die Ehrgeizfalle
Durch den Antrieb, Ziele zu erreichen und die eigene Karriere voranzutreiben, holen wir das Beste aus uns heraus. Doch wenn dies mit übertriebenem Konkurrenzdenken und verbissenem Gewinnstreben gepaart ist, geraten wir in Schwierigkeiten. Wir sehen nicht mehr, welchen Einfluss unser Handeln auf uns selbst und andere hat, Beziehungen gehen in die Brüche, und die Zusammenarbeit mit den Kollegen leidet. Wir jagen unseren Zielen nur noch um ihrer selbst willen hinterher. Die Arbeit verliert darüber ihren Sinn.
Genau das hat Sharon erlebt. Während ihres ganzen bisherigen Lebens hatten ihre Eltern, ihre Lehrer und ihre Trainer sie dazu angehalten, sich anzustrengen, und so erreichte sie eine Menge. Sie bekam gute Noten, belegte Spitzenplätze im Sport und erhielt akademische Auszeichnungen. Zu Beginn ihres Berufslebens beeindruckte sie mit ihrem Ehrgeiz ihre Vorgesetzten: Sie lieferte zuverlässig, immer im Zeitplan und in guter Qualität.
Ihre Kollegen waren allerdings weniger begeistert. Einige gingen auf Distanz, als sie merkten, dass Sharon immer die Nummer eins sein wollte. Aus ihrer Sicht hieß das: Alle anderen mussten hinter ihr zurückstehen. Die Ziele des Teams standen für sie nicht an vorderster Stelle, es sei denn, sie dienten ihren eigenen Zielen. Bald schon eilte ihr der Ruf voraus, sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen.
Natürlich ist Ehrgeiz nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Er kann sogar die Sozialkompetenz steigern; schließlich ist gute Zusammenarbeit eine Voraussetzung, um in komplexen Organisationen langfristig erfolgreich zu sein. Doch Sharons ungebremster Ehrgeiz richtete sich ausschließlich auf das Erreichen ihrer eigenen Ziele. So verlor sie schnell das Vertrauen ihrer Kollegen, die bald auch nicht mehr bereit waren, sie zu unterstützen.
Sharons Probleme am Arbeitsplatz spitzten sich zu, als sie ein Projekt mit hoher Außenwirkung an der Schnittstelle zwischen ihrem Bereich und dem eines einflussreichen internen Kunden koordinierte. Die Unternehmensstrategie verlagerte sich, die Projektziele veränderten sich und der Kunde hob die Standards an, obwohl die finanziellen Mittel unverändert blieben. In Sharons Wahrnehmung kamen die Kundenanfragen regelmäßig unangemessenen Forderungen gleich. Sie reagierte genau so, wie sie es schon oft getan hatte – indem sie die Situation in einen Wettstreit um Sieg oder Niederlage verwandelte. Sie begann zu sparen, forderte im Gegenzug übertriebene Summen für die Arbeit ihres Bereichs und bediente sich sogar der einen oder anderen Schwindelei, um zu bekommen, was sie wollte.
Sharons Chef, der sie über Jahre protegiert hatte, musste schließlich zugeben, was längst offensichtlich war: Sie war zu einer Belastung geworden. Er zog sie von dem Projekt ab und schob sie aufs Abstellgleis. Ihre Karriere stagnierte. Der Ausschluss von der Überholspur war ein Weckruf für sie, und Sharon musste erkennen, dass sie im Job schon seit Langem einsam und zutiefst unglücklich gewesen war. Ihr Ehrgeiz, einst ihr Kapital, war zu einer Falle geworden. Ihre Rücksichtslosigkeit war eigentlich gar kein Wesenszug von ihr, sondern eher ein angelerntes Verhalten: Ihr anfänglicher Erfolg hatte in ihr eine Gewinnermentalität verstärkt, die sie schließlich beruflich und persönlich aus der Bahn warf.
Die Erwartungsfalle
Im Laufe unseres Arbeitslebens gelangen wir alle an den Punkt, an dem wir in die Falle tappen können, in der wir tun, was wir vermeintlich tun sollen, und nicht das, was wir selbst möchten. Klar, manche ungeschriebenen Gesetze der beruflichen Laufbahn sind durchaus nützlich, etwa eine Ausbildung abzuschließen, um die Familie ernähren zu können, oder Pünktlichkeit und zivilisiertes Verhalten am Arbeitsplatz. Aber zu viele unserer Jobregeln – nennen wir sie "Sollbestimmungen" – zwingen uns dazu zu verleugnen, wer wir wirklich sind, und Entscheidungen zu treffen, die unser Potenzial einschränken und unsere Träume ersticken.
In den meisten Unternehmen kann nur erfolgreich sein, wer sich an bestimmte Sollbestimmungen hält: wie man sich richtig kleidet, richtig redet, mit wem man Umgang hat und manchmal sogar, wie man sein Leben außerhalb der Arbeit gestaltet. Ich habe in Unternehmen gearbeitet, in denen ein Bewerber einen Job nicht bekommt, wenn seine Schuhe abgetragen sind, und in denen von weiblichen Mitarbeitern erwartet wird, dass sie Make-up und bestimmte (meist kurze) Frisuren tragen. In anderen Organisationen, in denen ich war, haben männliche Mitarbeiter keine Chance auf eine Führungsposition, wenn sie nicht verheiratet sind – und zwar mit einer Frau. Unter den "Fortune"-500-Unternehmen sind nur 4 Prozent der Topmanager weiblich, und weniger als 1 Prozent haben keine weiße Hautfarbe. Diese erschreckende Statistik beschreibt deutlich, wie die Hierarchien aussehen, die aus Sollbestimmungen erwachsen können.
Solche unausgesprochenen Normen entbehren nicht nur jeder Grundlage (zwischen Geschlecht, ethnischer Herkunft, Beziehungsstatus und Führungsqualitäten gibt es keinen Zusammenhang), sie fordern auch einen persönlichen Tribut, wenn wir merken, dass wir unsere wahre Persönlichkeit verstecken oder vorgeben müssen, jemand anderes zu sein
Kenji Yoshino und Christie Smith haben in einer von Deloitte in Auftrag gegebenen Studie mit mehr als 3000 Arbeitnehmern gezeigt, dass 61 Prozent von ihnen meinen, sich in irgendeiner Weise "verbergen" zu müssen, um am Arbeitsplatz ins Schema zu passen: Sie verstecken bewusst alles, was auf ihr Geschlecht, ihre ethnische Herkunft, ihre sexuelle Orientierung, ihre Religion oder andere Aspekte ihrer Identität, ihrer Persönlichkeit oder ihres Lebens hinweisen könnte oder spielen es herunter.
In manchen Unternehmen sprechen Frauen nicht über ihre Kinder, um der "Mutterschaftsstrafe" (der Benachteiligung von Müttern in Unternehmen – Anm. d. Red.) zu entgehen. Afroamerikaner gehen einander oft aus dem Weg, damit andere sie nicht als Teil einer Randgruppe wahrnehmen. Sogar 45 Prozent der weißen Männer geben an, dass sie Dinge verbergen, die ihnen zum Nachteil gereichen könnten, etwa eine Depression oder ein Kind, das in der Schule Probleme hat. Viele, die ich kennengelernt habe, verschweigen alles, was sie schwach oder verletzlich wirken lassen könnte – Schwierigkeiten zu Hause, das Gefühl, ausgebrannt zu sein –, weil sie meinen, immer stark sein zu müssen.
Die Erwartungen anderer haben nicht nur einen Einfluss darauf, wie wir uns bei der Arbeit präsentieren. Sie geben häufig auch vor, welchen Beruf und welche Laufbahn wir anstreben. So war es zum Beispiel bei Marcus, ebenfalls einer meiner Coachingklienten. Während seines dritten und vierten Jahres am College war er an einigen Start-ups beteiligt, eine Erfahrung, die ihn mit Begeisterung erfüllte. Insgeheim hoffte er, den Weg des Unternehmers weiterverfolgen zu können. Aber als das Examen näher rückte, wurde er unsicher. Als er ein Angebot von einer angesehenen Beratungsgesellschaft bekam, nahm er den Job an. Nach sechs Monaten wurde ihm klar, dass er die Arbeit hasste. Aber weil seine Eltern immer noch mit seinem tollen Job und der guten Bezahlung prahlten und Freunde ihn beneideten und ihn baten, sie in seiner Firma unterzubringen, brachte er es nicht fertig zu kündigen.
Mit 42 stieg Marcus zum Partner auf. Er hatte sich an alle Regeln gehalten und schien nun das große Los gezogen zu haben. Aber genau da lag das Problem: Seine Karriere kam ihm vor wie ein Spiel. Er merkte, dass die Mission, die sein Unternehmen sich auf die Fahnen geschrieben hatte, nicht zu dem passte, was es tatsächlich tat. Trotzdem machte er weiter. Er erkannte, dass der Umgang mit anderen Menschen – vor allem mit Untergebenen –, den man von ihm erwartete, entwürdigend war, und doch verhielt er sich so.
Marcus mochte die Beratertätigkeit nicht. Er hatte einen Großteil seiner Karriere damit verbracht zu verstecken, wer er wirklich ist: ein schwuler Mann, der mit einem gewerkschaftlich organisierten Schreiner verheiratet war. Er hatte bei der Arbeit niemals Einzelheiten über sein Privatleben offenbart. Für ihn war klar, dass in diesem Unternehmen nur Erfolg hatte, wer nicht schwul war. Und soweit er wusste, hatte keiner seiner Kollegen einen Ehepartner, der mit seiner Hände Arbeit sein Geld verdiente.
Seine wahre Identität verbergen zu müssen macht immer unglücklich. Zudem schwächt es die berufliche Leistung, denn das Engagement für das Unternehmen schwindet und die Unzufriedenheit mit der Arbeit und den Kollegen wird irgendwann offensichtlich. Die Erwartungsfalle zu umgehen heißt natürlich nicht, alle Regeln zu missachten. Extremer Nonkonformismus und radikales Abweichen von der Kultur würden selbst das toleranteste Unternehmen an seine Grenzen bringen. Es kommt darauf an zu erkennen, welche Regeln letzten Endes schädlich sind. Die Anpassung bis zur Selbstaufgabe trägt nicht dazu bei, unsere originelle und kreative Seite zum Tragen zu bringen. Sie führt auch nicht zu Zufriedenheit am Arbeitsplatz, was eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg im Job ist.
Marcus brachten die Erwartungen, von denen er sich bei seinen beruflichen Entscheidungen lenken ließ, so weit, dass er den falschen Beruf ergriff und sein Privatleben verbarg. Die Regeln, die ihm verbindlich erschienen, brachten ihn um seinen Seelenfrieden und belasteten letztendlich auch seine Karriere.
Die Überarbeitungsfalle
Der deutlich spürbare Druck, der an einem Rund-um-die-Uhr-Arbeitsplatz des 21. Jahrhunderts herrscht, bringt manche Mitarbeiter dazu, sich jeden Moment ihres Wachseins mit der Arbeit zu beschäftigen. Es bleibt keine Zeit für Freunde, Sport, gesunde Ernährung oder Schlaf. Wir spielen nicht mehr mit unseren Kindern oder schenken ihnen wenigstens unsere Aufmerksamkeit. Wir gehen sogar dann zur Arbeit, wenn wir krank sind. Wir nehmen uns nicht die Zeit, unsere Mitmenschen am Arbeitsplatz wirklich kennenzulernen oder uns in ihre Lage zu versetzen, bevor wir uns eine Meinung über sie bilden.
Überarbeitung zieht uns in eine Negativspirale hinein: Mehr Arbeit führt zu mehr Stress; mehr Stress verlangsamt die Gehirntätigkeit und beeinträchtigt die emotionale Intelligenz; weniger Kreativität und schlechtes Sozialverhalten schaden der Leistungsfähigkeit. Ein Artikel in der Harvard Business Review brachte es vor einiger Zeit in der Überschrift schön auf den Punkt: "Die Forschung ist eindeutig: Überstunden schaden Unternehmen und ihren Mitarbeitern".
Die 12 Kompetenzen der emotionalen Intelligenz
Emotionale Intelligenz umschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gefühle sowie die anderer erkennen und beeinflussen zu können. Populär gemacht wurde der Begriff durch den Psychologen Daniel Goleman in den 90er Jahren. Das Konzept unterscheidet zwischen zwölf Kompetenzen.
Emotionale Selbstwahrnehmung
Empathie
Organisationsbewusstsein
Optimismus
Leistungsorientierung
Anpassungsfähigkeit
Emotionale Selbstkontrolle
Inspirierende Führung
Teamwork
Coach und Mentor
Einfluss
Konfliktmanagement
Überarbeitung ist verführerisch, weil sie am Arbeitsplatz häufig immer noch so hoch bewertet wird. Erin Reid, Professorin für Organisationsverhalten an der Boston University, hat herausgefunden, dass manche Arbeitnehmer (vor allem Männer) sogar falsche Angaben dazu machen, wie lange sie arbeiten. Sie beziffern ihre Arbeitszeit auf mehr als 80 Stunden pro Woche. Vermutlich gehen sie davon aus, dass sie ihre Vorgesetzten mit vielen Überstunden beeindrucken können. Wer besessen von der Arbeit ist, hat vielleicht auch mit inneren Dämonen zu kämpfen: Wir kaschieren innere Unsicherheiten; besänftigen Schuldgefühle, wenn wir sehen, dass andere sich auf der Arbeit stark ins Zeug legen; oder wir lenken uns von persönlichen Schwierigkeiten ab.
Viele notorisch Überarbeitete glauben, dass mehr Arbeit den Stress verringert: Wenn dieses Projekt erst abgeschlossen ist, der Bericht geschrieben ist, alle E-Mails gelesen sind, wird auch das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, verschwinden. Tatsächlich aber ist die Arbeit niemals wirklich getan.
Genau so ist es auch Marcus ergangen. Wenn er abends nach Hause kam – meist später als versprochen –, setzte er sich in die Küche, unterhielt sich mit seinem Partner und fragte die Kinder, was sie den Tag über erlebt hatten. Sein Telefon lag dabei die ganze Zeit auf dem Küchentisch. Schon nach zwei Minuten Gespräch griff er wieder danach. Er dachte, seine Familie würde das nicht stören, aber natürlich verletzte es sie. Jahrelang versuchte sein Partner, mit Marcus über seine Fixierung auf die Arbeit zu reden. Zuerst ging Marcus regelmäßig in die Luft: "Ich muss das tun! Was erwartest du von mir, soll ich kündigen?" Dann wurde er einsichtiger und versprach, sich zu ändern. Aber schon nach einer kurzen Phase der Besserung war seine Abhängigkeit wieder da.
Marcus schlief immer weniger – zum Teil weil er spätabends und frühmorgens Anrufe bekam, zum Teil durch den Stress. Er ernährte sich nicht gesund und merkte, dass er zu viel trank. Bei der Arbeit war er ein schlecht gelaunter, fahriger Chef. Er machte Fehler – versäumte Fristen und vergaß, wichtige E-Mails zu beantworten. Er wurde seinen eigenen Ansprüchen und denen anderer nicht mehr gerecht. Weil das für ihn unerträglich war, strengte er sich noch mehr an.
Genau wie Sharon ereilte auch Marcus irgendwann ein Weckruf – er erreichte ihn zu Hause. Eines Abends, während ihres ständigen Streits um das Telefon, die E-Mails und die spätabendlichen Anrufe, stellte sein Partner ihm ein Ultimatum: "Das muss aufhören. Ich werde das nicht mehr mitmachen." Marcus traf das schwer, und der Moment hätte kaum passender sein können. In der Woche zuvor hatte seine Chefin ihn auf einige ernsthafte Probleme in einem seiner Projekte hingewiesen. Alle machten sich Sorgen um ihn, sagte sie – er sei ständig auf Empfang, und es sei offensichtlich, dass er kurz vor einem Burn-out stehe. Sie benutzte sogar dieselben Worte wie sein Partner: "Das muss aufhören."
Marcus fiel es schwer zuzugeben, dass er ein Problem hatte. Als Fleiß getarnte Überarbeitung war Teil seiner Identität – und schien, wie bei den meisten von uns, immer wichtiger zu werden, je mehr Fahrt seine Karriere aufnahm und je schneller die Dinge sich änderten. Flachere, schlankere Unternehmen und der steigende Wettbewerbsdruck auf den Märkten zwingen uns, mit weniger Mitteln mehr zu leisten. Durch die technologische Entwicklung übernehmen wir auch Aufgaben, für die vorher andere zuständig waren – oder die sie uns abgenommen haben.
Wer in mehreren Zeitzonen arbeitet, was viele von uns betrifft, für den sind Konferenzschaltungen am späten Abend oder am frühen Morgen zur Routine geworden. Und der kleine elektronische Sklaventreiber, den wir überall bei uns haben, ist unerbittlich. Wir tragen die Arbeit, im wahrsten Sinne des Wortes, ständig am Leib – oder haben sie auf dem Nachttisch liegen.
Ob Sie nun in die Erwartungs- und Überarbeitungsfalle geraten sind wie Marcus oder in die Ehrgeizfalle wie Sharon – die entscheidende Frage ist: Wie kommen Sie da wieder heraus? Die gute Nachricht: Einige genau jener Führungsqualitäten und Einstellungen, mit denen Sie im Beruf Erfolg haben, können helfen, der Falle zu entkommen und wieder zu mehr Zufriedenheit zu finden.
Die Selbsterkenntnis
Der erste Schritt besteht darin anzuerkennen, dass Sie es verdient haben, im Beruf glücklich zu sein. Das bedeutet auch, sich von dem Irrglauben zu verabschieden, die Arbeit sei nicht in erster Linie als eine Quelle der Erfüllung gedacht. Jahrhundertelang war sie nur dazu da, genug zu verdienen, um den Hunger stillen zu können. Sicher, viele Menschen haben immer noch mit niedrigen Löhnen und unerträglichen Arbeitsbedingungen zu kämpfen, und für sie kann die Arbeit eine Plackerei sein. Aber Forschungen haben gezeigt, dass selbst einfache Tätigkeiten Erfüllung bringen können. Überraschend ist dagegen, dass erfolgreiche Führungskräfte – die Wissensarbeiter und Kreativen von heute – manchmal keinen wirklichen Sinn in ihrer Arbeit finden. Stattdessen sind auch sie der Ansicht, der Job sei eine Tretmühle.
Arbeit kann eine Quelle echten Glücks sein, das ich hier als tiefe und beständige Freude an den täglichen Aktivitäten definiere, angetrieben von der Leidenschaft für ein sinnerfülltes Ziel, einem optimistischen Blick in die Zukunft und echten Freundschaften. Diese drei Elemente des Glücks müssen wir pflegen. Doch wenn uns unsere ganz persönlichen Antriebe und Gewohnheiten daran hindern, müssen wir zunächst versuchen, sie besser zu verstehen. Warum arbeiten wir eigentlich die ganze Zeit? Nutzen uns unser Ehrgeiz und der Wunsch zu gewinnen, oder schaden sie uns? Warum bleiben wir gefangen in dem, was wir meinen, tun zu müssen, und richten uns nicht nach dem, was wir tun möchten?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir unsere emotionale Intelligenz einsetzen.
Raus aus der Falle – rein ins Glück
In den vergangenen Jahrzehnten sind Psychologen und Wissenschaftler – ich selbst eingeschlossen – zu der Übereinkunft gekommen, dass es zwölf Kompetenzen der emotionalen Intelligenz gibt (siehe Kasten "So befreien Sie sich aus den Glücksfallen"). Sie können alle-samt dabei helfen, den Glücksfallen auszuweichen oder aus ihnen auszubrechen. Ich glaube, dass drei von ihnen – emotionale Selbstwahrnehmung, emotionale Selbstkontrolle und Organisationsbewusstsein – besonders hilfreich sind, wenn es darum geht, überholte Einstellungen loszuwerden.
Emotionale Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Stimmungen zu verstehen und zu erkennen, welchen Einfluss sie auf das Denken und Handeln haben. Vielleicht stellen Sie fest, dass das Unbehagen, das Sie spüren, wenn Sie sich eine Arbeit der Kategorie Sollbestimmungen aufbürden lassen – wie werktags um acht Uhr abends oder am Wochenende eine E-Mail zu beantworten –, die Angst, ausgeschlossen zu werden, signalisiert. Wenn Sie noch etwas tiefer gehen, wird Ihnen vielleicht klar, dass diese Angst wenig oder gar nichts mit Ihrer aktuellen beruflichen Situation zu tun hat. Sie ist möglicherweise einfach nur eine alte Denkgewohnheit, die längst keinen Nutzen mehr hat.
So befreien Sie sich aus den Glücksfallen
Stellen Sie sich zunächst diese Fragen:
Welche Glücksfallen halten mich in meiner Komfortzone oder geben mir Sicherheit?
Welche Fallen hindern mich daran, meinen Träumen zu folgen und mich auf die Suche nach einem besseren Job, einer großen Karriere oder wahrer Erfüllung in meinem jetzigen Job zu machen?
In welchen Fallen halte ich selbst andere fest?
Auf welche Weise hilft oder schadet sie Ihnen?
Wie wirkt sie sich auf Ihre Beziehungen aus? Andere können davon profitieren, dass wir in der Falle sitzen (oder sie glauben es zumindest), oder es kann ihnen schaden. Welche Personen in Ihrem Leben profitieren von der Falle, die Sie gefangen hält? Wer wird dadurch verletzt?
Stellen Sie sich ein Leben ohne diese Glücksfalle vor. Wie würde es sich anfühlen? Was würden Sie tun? Inwiefern würden andere davon profitieren, wenn Sie daraus befreit wären? Um diese Vorstellung mit Leben zu füllen, versetzen Sie sich in die Zukunft. Schreiben Sie dann drei Absätze darüber, wie die künftige Situation für Sie aussehen würde. Beginnen Sie mit "Es ist jetzt drei Jahre her, seit ich mich befreit habe. Ich fühle mich … Ich bin jetzt … Die Menschen in meinem Leben sind …"
Sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen ist ein guter Anfang, aber dann müssen Taten folgen. Das ist der Moment, in dem emotionale Selbstkontrolle ins Spiel kommt: Sie hilft Ihnen, das Unbehagen auszuhalten, das aufkommt, wenn Sie verstehen, was Sie sich selbst antun. Wenn Sie zum Beispiel wissen, dass Sie aus Unsicherheit nachts Ihre E-Mails lesen, werden Sie sich dabei nicht gerade großartig fühlen. Aber wenn Sie das Gefühl verdrängen, bleiben Sie weiter gefangen. Selbstkontrolle versetzt uns in die Lage, außerhalb unserer Komfortzone zu handeln.
Organisationsbewusstsein schließlich – das Verständnis davon, wie das Arbeitsumfeld funktioniert – kann Ihnen helfen zu unterscheiden, was aus Ihrem eigenen Inneren kommt und was von anderen Personen oder Ihrem Unternehmen herrührt. So kann es zum Beispiel sein, dass Sie wissen, dass Ihre Kollegen zu jeder Tages- und Nachtzeit E-Mails lesen und verschicken. Ihnen ist bewusst, dass deshalb Anpassungsdruck zu Ihrer Überarbeitung führt – und nicht unbedingt Unsicherheit. Dann erkennen Sie, dass Sie sich entscheiden müssen: Sie können sich mutig dazu durchringen, die Regeln über Bord zu werfen und mit den Überstunden aufzuhören, oder Sie können ein Verhalten beibehalten, das im Gegensatz zu Ihren persönlichen Werten steht (und Ihre Gesundheit und Ihr Familienleben gefährdet). Vielleicht stellen Sie sogar fest, dass sich die Dynamik und die Erwartungen Ihres ganzen Teams verändern, wenn Sie der Überarbeitung ein Ende setzen. Möglicherweise schaffen Sie so innerhalb der Gesamtorganisation gar eine heilsame Mikrokultur.
Sinn, Hoffnung und Freundschaft
Wenn Sie mithilfe von emotionaler Intelligenz die Barrieren abbauen, die dem Glück im Wege stehen, machen Sie den ersten Schritt auf einer Reise hin zu mehr Erfüllung bei der Arbeit. Aber das Glück stellt sich nicht wie von Zauberhand ein. Wir müssen Sinn und Zweck aktiv in dem suchen, was wir Tag für Tag tun. Wir müssen die Hoffnung in uns selbst und in anderen stärken sowie Freundschaften am Arbeitsplatz aufbauen.
Sinn und Zweck
Es liegt in der menschlichen Natur, in allem, was wir tun, einen Sinn sehen zu wollen, ob wir in einem Büro sitzen, in den Bergen wandern gehen oder mit der Familie zu Abend essen. Die Leidenschaft für eine gute Sache steigert Energie, Intelligenz und Kreativität. Zum Teil sind dafür chemische Vorgänge im Gehirn verantwortlich: Wissenschaftler haben gezeigt, dass die positiven Emotionen, die durch eine von uns als sinnvoll angesehene Arbeit geweckt werden, uns geschickter, einfallsreicher und anpassungsfähiger machen.
Dan Ariely, Psychologieprofessor an der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina, hat mit Kollegen eine Studie durchgeführt, in der die Teilnehmer für das Bauen von Lego-Modellen bezahlt wurden. Einige Modelle wurden vor den Augen der Probanden nach der Fertigstellung direkt wieder auseinandergenommen. Die Leute, deren Kreationen erhalten blieben, bauten im Durchschnitt 50 Prozent mehr Lego-Modelle als die, deren Werke zerstört wurden, trotz des gleichen finanziellen Anreizes. Wir setzen uns mehr ein, wenn wir merken, dass wir eine Wirkung erzielen – selbst wenn sie nur gering ist.
Managementforscher haben gezeigt, dass dies auch auf den Beruf zutrifft. Sinn ist ein starker Antrieb für Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Und doch schaffen wir es oft genug nicht, diese Motivationsquelle anzuzapfen. Genau wie Sharon und Marcus passiert es uns leicht, dass wir aus den Augen verlieren, was für uns wertvoll ist. Gleichzeitig ignorieren wir die Aspekte der Arbeit, die uns wirklich etwas bedeuten. Dies ist besonders der Fall, wenn wir mit schlecht funktionierenden Organisationen, inkompetenten Chefs und Stress zu kämpfen haben. Der innere Rückzug ist dann nicht mehr weit. Wo kein Sinn zu erkennen ist, gibt es auch keinen Grund, alles zu geben.
Jeder findet den Sinn und Zweck seiner Arbeit woanders. Aber meine Erfahrungen mit Menschen aus aller Welt und aus allen Berufen haben mir einige Gemeinsamkeiten aufgezeigt: Für eine Sache, die uns wichtig ist, wollen wir kämpfen. Wir wollen etwas erschaffen und Neues auf die Welt bringen. Wir wollen Probleme lösen und unseren Arbeitsplatz besser machen. Wir wollen lernen und wachsen. Und, auch das haben Studien gezeigt, sinnvolle Arbeit ist für einen Hausmeister oder einen Vertreter des mittleren Managements genauso möglich und wichtig wie für einen CEO. Wenn Sie erkennen, welche Bereiche Ihrer Arbeit Sie wirklich erfüllen und welche die Seele vergiften, werden Sie entscheiden müssen, wofür Sie Ihre Zeit einsetzen und was Sie in Ihrer Karriere anstreben.
Marcus entschied sich, das eigene Unternehmen, von dem er immer geträumt hatte, ernsthaft ins Visier zu nehmen. Er sah sich seine Finanzen an und prüfte, wie er seine Beziehungen innerhalb seines derzeitigen Unternehmens und zu seinen Klienten nutzen könnte. Mit seinem Partner besprach er, welche Veränderungen in ihrem Lebensstil eine Unternehmensgründung mit sich bringen würde. Schließlich entwickelte er eine Übergangslösung: Er arbeitete zwei Jahre lang in Teilzeit als Associate bei seinem bisherigen Arbeitgeber und kümmerte sich gleichzeitig um die Finanzierung und den Aufbau seines neuen Unternehmens.
Hoffnung
Wer jemals mit Not, einer Krise oder einem schweren Verlust konfrontiert war, weiß, dass es vor allem die Hoffnung ist, die einem hilft, diese Zeit zu überstehen. Sie bringt uns dazu, jeden Morgen aufzustehen und nicht aufzugeben, selbst in harten Zeiten. Hoffnung macht es möglich, in unübersichtlichen Situationen einen Ausweg zu finden, mit Stress, Angst und Enttäuschung fertig zu werden und mit der Hektik in Organisationen und im Alltagsleben zurechtzukommen. Das liegt zum Teil daran, dass die Hoffnung, wie der Sinn, einen positiven Einfluss auf die chemischen Vorgänge im Gehirn hat.
So haben Forschungen gezeigt, dass unser Nervensystem, wenn wir optimistisch eingestellt sind, vom Kampf-oder-Flucht-Modus auf Ruhe und Handlungsbereitschaft umschaltet. Eine Studie beispielsweise belegte, wie ein Coaching, das positive Gefühle hervorruft und auf eine inspirierende Zukunftsvision hinarbeitet, Gehirnregionen aktiviert, die mit dem parasympathischen Nervensystem verbunden sind: Die Atmung verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt und das Immunsystem funktioniert besser. Wir können besser rational denken und sind eher in der Lage, unsere Gefühle zu steuern. Wir fühlen uns energiegeladen und bereit, die Zukunft zu planen.
Auf diese Weise gelangte auch Sharon von der Erkenntnis, warum sie so stark auf das Gewinnen fixiert war, zum Aufbau einer Karriere, die ihr wirklich etwas bedeutete. In Gesprächen mit ihrem Ehemann (der sie schon seit Jahren wegen ihres ungezügelten Ehrgeizes gewarnt hatte) konnte sie sich eine Vision dessen erarbeiten, was sie von ihrer Arbeit erwartete – eine Vision, die nicht auf der Jagd nach der nächsten Beförderung oder dem Gewinnen eines endlosen Spiels aufbaute, sondern auf dem Leben, das sie wirklich führen wollte.
Oft setzen Arbeitgeber Visionen ein, um ihren Mitarbeitern Optimismus und positives Denken zu vermitteln. Aber leider sind selbst die ausgefeiltesten Entwürfe selten überzeugend genug, um die Hoffnung der Mitarbeiter über lange Strecken zu erhalten. Um bei der Arbeit glücklich zu sein, müssen wir erleben, dass unsere Zuständigkeiten und Möglichkeiten zu einer ganz persönlichen Vision passen – einer, die unseren Werten, Wünschen und Überzeugungen entspricht. Und wir müssen eine Vorstellung haben, wie wir dorthin gelangen können.
Hoffnung hat viel mit Planung zu tun. Sie bringt uns dazu, einen Kurs einzuschlagen, selbst dann, wenn die Erfolgsaussichten mies sind. Sie ermutigt uns zu konkreten, praktischen Taten, mit denen wir unser Leben und unsere Karrieren in die Richtung lenken, die unseren Wünschen entspricht.
Bei meiner Arbeit habe ich viele Menschen getroffen, die vor großen Träumen zurückschrecken, weil sie fürchten, enttäuscht zu werden. Aber ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine falsche Hoffnung gibt. Hoffnung ist kein magisches Denken und keine Fantasie; sie ist eine starke, positive emotionale Erfahrung, die Mut macht und zu durchdachten Plänen und konkreten Handlungen führt.
Freundschaft
Wenn Sie mit solchen Menschen zusammenarbeiten, die Sie mögen und respektieren und die dies erwidern, dann gehen Sie wahrscheinlich gern zur Arbeit. Aber wenn Sie einen <<Job>> haben, bei dem Sie andauernd auf der Hut sind oder bei dem sie sich abgelehnt und ausgeschlossen fühlen, dann sind Sie mit einer großen Wahrscheinlichkeit auf dem besten Weg, zutiefst unglücklich zu werden – oder Sie sind es bereits. Vielleicht sagen Sie sich, die Situation sei gerade noch auszuhalten oder man brauche keine Freunde bei der Arbeit. Aber das stimmt nicht.
Tatsächlich sind gute Beziehungen das Rückgrat erfolgreicher Organisationen. Menschen, die sich umeinander kümmern, gehen großzügig mit ihrer Zeit, ihrem Talent und ihren Ressourcen um. Das Marktforschungsinstitut Gallup fand heraus, dass enge Arbeitsbeziehungen die Zufriedenheit von Mitarbeitern um 50 Prozent steigern und dass Menschen, die am Arbeitsplatz einen besten Freund haben, sich mit siebenmal höherer Wahrscheinlichkeit als andere in ihrem Job voll einsetzen. Gegenseitiger Respekt motiviert uns, Konflikte zu lösen, damit alle Seiten gewinnen. Und wenn wir glauben, dass wir so akzeptiert werden, wie wir sind, dass wir eine wichtige Rolle spielen und Teil eines Teams sind, dann setzen wir uns stärker für kollektive Ziele ein.
Herzliche, gute Beziehungen sind aus sehr menschlichen Gründen bei der Arbeit wichtig. Von Anfang an haben Menschen sich in Stämmen organisiert, die gemeinsam spielen und arbeiten. Heute sind die Unternehmen unsere Stämme. Wir wollen in einer Gruppe oder einer Organisation arbeiten, auf die wir stolz sind und die uns anspornt, unser Bestes zu geben.
Wir möchten auch, dass andere sich um uns kümmern und uns als Menschen wertschätzen. Und wir wollen das Gleiche für andere tun. Wir blühen körperlich und seelisch auf, wenn wir mit anderen mitfühlen und erleben, dass auch ihnen an unserem Wohl gelegen ist. Tatsächlich hat die Harvard-Grant-Studie (eine Langzeituntersuchung der Leben von 268 Harvard-Absolventen – Anm. d. Red.) unter anderem herausgefunden, dass Liebe – ja genau, Liebe – der mit Abstand wichtigste Faktor für Lebensglück ist. Mehr noch: Menschen, die Liebe erfahren – auch freundschaftliche Liebe –, sind erfolgreicher, selbst in finanzieller Hinsicht. (Die Studie stellte fest, dass Teilnehmer, die bei "herzlichen Beziehungen" die höchste Punktzahl erreichten, in den ertragreichsten Jahren durchschnittlich 141 000 US-Dollar pro Jahr mehr verdienten.)
Aber Liebe im Unternehmen? Die meisten Menschen schrecken vor dieser Vorstellung zurück. In ihrem Kopf entsteht dabei vor allem das Bild einer Romanze am Arbeitsplatz (obwohl wir wissen, dass es viele davon gibt). Doch was wir bei der Arbeit wirklich brauchen, ist Liebe im Sinne von Fürsorge, Aufmerksamkeit und Kameradschaft. Solche Beziehungen werden von Vertrauen und Großzügigkeit getragen. Sie sind eine Quelle der Freude und machen die Arbeit zum Vergnügen.
Fazit
Viele Leute meinen, wenn sie erfolgreich seien, dann seien sie auch glücklich. Das ist überholt. Der Psychologe und Buchautor Shawn Achor sagt es ganz direkt: "Erst kommt das Glück und dann der Erfolg." Das liegt daran, dass die positiven Gefühle, die dadurch aufkommen, dass man bei der Arbeit engagiert, erfüllt und wertgeschätzt ist, viele Vorteile mit sich bringen: Das Gehirn arbeitet besser, wir sind kreativer und anpassungsfähiger, wir haben mehr Energie, treffen bessere Entscheidungen und kommen besser mit komplexen Zusammenhängen zurecht. Es ist ganz einfach: Glückliche Menschen leisten bessere Arbeit als ihre unglücklichen Zeitgenossen.
Es wird Zeit, unser Recht auf Glück am Arbeitsplatz einzufordern. Als Erstes sollten wir unsere überholten Vorstellungen durch ein neues Verständnis von dem ersetzen, was wir von der Arbeit erwarten können – und voneinander. Befreien wir uns aus den Fallen, die uns daran hindern, glücklich zu sein. Machen wir uns auf zu einem erfüllten Leben, indem wir uns neue Ziele setzen: Finden wir einen Sinn in der Arbeit, an dem wir uns orientieren können, greifen wir nach einer überzeugenden Zukunftsvision und machen wir aus Kollegen echte Freunde.
All das trägt dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen, an denen wir uns als Menschen wertgeschätzt fühlen. Arbeitsplätze, an denen der Anstand gewahrt und nachhaltiger Erfolg gefördert wird. Arbeitsplätze, an denen Ideen, Bedürfnisse und Wünsche zählen – und das Glück.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Januar-Ausgabe 2018 des Harvard Business manager.