Anfang der 80er Jahre war ich bei Hoover Universal für die Herstellung von Autositzen verantwortlich (Johnson Control übernahm das Unternehmen später). Damals fragten die Manager eines japanischen Konkurrenten, der Toyota mit Teilen belieferte, ob sie unsere Fabrik besichtigen dürften. Wir waren damit einverstanden, wenn wir im Gegenzug auch ihre Fabrik besuchen dürften. Wir waren davon überzeugt, dass sie während einer kurzen Inspektion kaum etwas lernen würden.
Die Besucher verbrachten weniger als eine Stunde in einer unserer besten Fabriken, ohne sich Notizen zu machen. Später konnten wir ihr Besichtigungsprotokoll lesen. Wir waren schockiert über die Details, mit denen sie unsere Fabrik und unsere Technik beschrieben hatten - bis hin zu einer exakten Schätzung unserer Selbstkosten. Als dann unsere Führungskräfte die japanischen Fabriken in Augenschein genommen hatten, konnten sie anschließend nahezu nichts berichten.
Nach dieser Erfahrung entschloss ich mich, unsere Manager - und mich selbst - darin zu schulen, eine Fabrik richtig unter die Lupe zu nehmen. Ich wollte die Stärken und Schwächen eines Betriebs so genau erkennen können, wie die japanischen Manager es uns vorgemacht hatten. Im Laufe der Jahre habe ich für diese Aufgabe das Rapid-Plant-Assessment-Verfahren (RPA, deutsch: Schnellbewertung von Fabriken) entwickelt. Diese Methode setzten Besucher seit 1998 bei mehr als 400 Besichtigungen in mehr als 150 Betrieben ein. Die Informationen, die uns dieses Werkzeug vermittelte, haben Aktivitäten und Entscheidungen beeinflusst, die vom Benchmarking über die Analyse der Mitbewerber bis zur strategischen Übernahme reichen. Und die Resultate liegen binnen eines Tages oder weniger vor, wohingegen die meisten anderen Bewertungsverfahren normalerweise Wochen dauern.
Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel dafür geben, wie nützlich dieses Verfahren sein kann. Als ich Vorstandsvorsitzender beim Lkw-Hersteller Oshkosh Truck war, beteiligten wir uns an einer hart umkämpften Versteigerung von Pierce Manufacturing, einem führenden amerikanischen Hersteller von Feuerwehrfahrzeugen. Die Manager von Pierce hatten Vorbehalte gegen Oshkosh. Deshalb gestanden sie uns erst nach langem Hin und Her jeweils nur 30 Minuten für die Besichtigung ihrer drei Fabriken zu. Aber wir erfuhren während dieser kurzen Touren so viel über ihre Produktion, dass wir uns sicher waren, die Kosten jährlich um einige Millionen Dollar senken zu können - beispielsweise durch den Abbau von Engpässen beim Materialfluss, durch das Zusammenlegen von Fabriken, das Reduzieren von Lagerbeständen und indem wir die Lackiererei nur mit einer statt wie bisher mit drei Schichten betrieben. Deshalb machten wir ein höheres Angebot, als die Finanzdaten des Unternehmens rechtfertigten, und bekamen den Zuschlag.
Um es klarzustellen: Das RPA-Verfahren ist kein Ersatz für eine sorgfältige Prüfung vor einer Akquisition. Genauso werden Sie bei der Wahl eines Zulieferers eine Vielzahl von Faktoren beachten. Aber Manager ignorieren nur allzu oft optische Informationen zu Gunsten von Zahlen. Die Folge: Ihnen entgehen möglicherweise entscheidende Hinweise auf Stärken und Schwächen eines Unternehmens. Sie verpassen dann vielleicht eine günstige Gelegenheit oder gehen eine anfangs viel versprechende Beziehung ein, die sich später aber als Fehler erweist. Sie können das Verfahren auch auf Ihre eigenen Betriebe anwenden, um zu erfahren, welche Botschaft Ihre Fabrik den Besuchern vermittelt und wo Möglichkeiten für Verbesserungen bestehen. Der Leiterplattenhersteller Donnelly Electronics, der Flugzeug- und Autozulieferer Aeroquip Group von Eaton Corporation, die Büromöbelfabriken von Haworth, eine Division des Rüstungskonzerns Lockheed Martin und der Festplattenproduzent Seagate Technology sind nur einige wenige der mir bekannten Unternehmen, die gegenwärtig das RPA-Verfahren auf ihrem Weg zum schlanken Unternehmen einsetzen. Ich werde die Methode zusammen mit zwei Arbeitsblättern darstellen, anhand deren Sie die Ergebnisse der Besichtigung festhalten und analysieren können.
Ein Tool für die Besichtigung
Kern der RPA-Methode sind zwei Bewertungsverfahren für die Teams, die Fabrikbesichtigungen durchführen. Das RPA-Bewertungsformular zur Beurteilung der Schlankheit einer Fabrik besteht aus 11 Kategorien. Der RPA-Fragebogen enthält 20 miteinander zusammenhängende Ja-Nein-Fragen, um festzustellen, ob die Fabrik in den jeweiligen Kategorien vorbildlich arbeitet. Nach der Inspektion tragen die Teammitglieder ihre Beobachtungen in Arbeitsblätter ein, wie Sie sie auf den folgenden Seiten finden. Es gibt eine Reihe quantifizierbarer Faktoren, mit denen sich die Leistung in den 11 Kategorien des Bewertungsformulars beurteilen lässt. Eine ausführliche Liste der Punkte, die in diesem Zusammenhang zu beachten sind, finden Sie zusammen mit anderen modernen Bewertungstools im Internet (siehe Kasten).