Krisenmanagement Wie Sie durch schlechte Zeiten führen

Ausblick ins Ungewisse: Führungskräfte müssen ihre Rollen und Verhaltsweisen überdenken, um die gänzlich andere Wirtschaftswelt managen zu können.
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Wird Gas bald knapp? Wie schlimm trifft uns die Inflation? Geht es an den Finanzmärkten noch weiter runter? Warum finden wir keine Mitarbeiter? Wo kriegen wir qualifizierte Mitarbeiter her? Und ist Corona bald vorbei? In vielen Unternehmen ist die Grundstimmung inzwischen, sich von einer Krise in die nächste zu bewegen. Existenzielle Ängste und Sorgen bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind die Folgen. Wie können Führungskräfte in einer solchen Situation, in der selbst die wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens nicht mehr gesichert zu sein scheint, noch adäquat reagieren, entscheiden, führen? Wie kommunizieren sie? Und wie gehen sie mit ihren eigenen Ängsten und Unsicherheiten um? Autoren und Autorinnen des Harvard Business managers wissen Rat.
Rolle neue definieren
Bei einem miesen Ausblick hilft mitunter ein Blick zurück auf letzte große Finanzkrise im Jahr 2009. Robert Sutton, Professor für Management, Science und Engineering an der Stanford University, empfiehlt Führungskräften im Angesicht einer Krise , die eigene Rolle zu überdenken. Zu groß sei die Gefahr, dass sie sich abschotten und nur noch auf die Rettung ihrer Firma fixiert seien. Das Problem, was dabei übersehen wird: "Wie soll ich in einer Atmosphäre der Angst und des Vertrauensverlusts, in der die Zukunft alles andere als rosig aussieht, mit meinen Mitarbeitern umgehen?"
Sutton empfiehlt vier Verhaltensweisen:
Machen Sie sich berechenbarer, dann „gibt man ihnen (den Mitarbeitenden) das Gefühl, nicht so sehr der Willkür des Zufalls ausgeliefert zu sein.“ Nichts irritiert so sehr wie Ungewissheit.
Sorgen Sie ferner für Durchblick, das heißt, dass Sie Maßnahmen erklären sollten. Wie geschieht etwas, warum geschieht etwas.
Geben Sie Ihren Mitarbeitern Halt. Wenn die Belegschaft aktiv bei einer Herausforderung mitmachen kann, sind sie selbstbewusster.
Zeigen Sie Mitgefühl. Versuchen Sie, sich in die Menschen hineinzuversetzen, ihre Sorgen zu verstehen und geben Sie sich Mühe, ihre Ängste auszuräumen.
Wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitern mehr Berechenbarkeit, Durchblick, Kontrolle und Mitgefühl bieten, können sie ihnen helfen auch in schwierigen Zeiten eine Leistung zu bringen. Der zusätzliche Lohn: Loyalität.
(Selbst-) Fürsorge zeigen
Wenn wir über Krisen reden, dann müssen wir uns auch die psychosoziale Seite anschauen. Das gilt gleichermaßen für Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden. In Krisenzeiten besteht bei vielen die Gefahr, dass sie sich in ihrer Frustration, ihrem Ärger, ihrer Traurigkeit oder ihrer Angst verlieren.
Steven Hayes, Psychologie-Professor an der Universität Nevada, ist der Auffassung, dass Menschen sich diesen Emotionen stellen müssen und sie akzeptieren lernen. "Wenn Sie immer alles von sich wegschieben, was Sie traurig macht oder Angst auslöst, schieben Sie auch Ihre Fähigkeit weg, zu fühlen und zu akzeptieren, was eine tiefe Bedeutung für Sie hat." Es gehe darum zu lernen, "anders mit diesen Gefühlen umzugehen: sie anzuerkennen, zu beobachten und zu beschreiben, während diese Gefühle kommen und gehen. Dann werden Sie auch zu einer besseren Führungskraft." Sich traurig zu fühlen, ist also nicht zwingend etwas Schlechtes. Sie müssen nur wegkommen von dem Schmerzempfinden hin zu einem zielgerichteten und wertebasierten Verhalten.
Viele Führungskräfte glauben, sie müssten vor allem in Krisenzeiten souverän und furchtlos auftreten. Doch es kostet sehr viel Kraft, diese Illusion aufrechtzuerhalten. Denn auch Manager und Managerinnen haben Angst und fühlen sich angesichts der riesigen Herausforderungen stark verunsichert. Wie können Sie also kompetent und stark führen, wenn Ihnen selbst die Angst im Nacken sitzt? Und wie können Sie andere Menschen noch inspirieren und motivieren, wenn Ihnen selbst der Kopf schwirrt und das Herz rast?
Die Autorin Morra Aarons-Mele sagt: "Angst ist keineswegs nutzlos . In einer Wirtschaftskrise kann uns die Angst, die uns nachts nicht schlafen lässt, zu einer Lösung verhelfen, um unsere Geschäfte am Laufen zu halten. Bleibt sie jedoch unkontrolliert, lenkt Angst uns ab, raubt uns Energie und lässt uns schlechte Entscheidungen fällen. Angst ist ein machtvoller Gegner, deshalb müssen wir sie zu unserem Verbündeten machen."
Wie kann das gelingen? Aarons-Meles Ratschläge:
Akzeptieren Sie, dass Sie Angst haben, und benennen Sie Ihre Gefühle. Erforschen Sie, was die Angst auslöst, und finden Sie heraus, ob Ihr Horrorszenario möglich und wahrscheinlich ist.
Werden Sie aktiv, und steuern Sie das, was in Ihrer Macht liegt. Für alles, was Sie nicht kontrollieren können, brauchen Sie einen Notfallplan.
Bitten Sie andere um Feedback, und sprechen Sie offen über Ängste.
Bauen Sie sich ein Unterstützungssystem auf, und stärken Sie sich selbst.
Versuchen Sie nicht, Ängste aus ihrem Job zu verbannen. Sie gehören dazu – auch in Ihrem Führungsjob. Sie müssen nur lernen, gut damit umzugehen. Viele hilfreiche Wege dahin zeigt Aarons-Mele in ihrem Artikel "Führen in Zeiten der Angst" auf.
Krisen bieten auch Chancen – diese Aussage ist so bekannt wie verhasst. Aber sie stimmt. Das erkennen Menschen allerdings erst etliche Wochen bis Monate später, wenn sie auf ihre Erfahrungen und Lehren mit Krisen zurückblicken. Psychologen sprechen von posttraumatischem Wachstum. Negative Erfahrungen können starke positive Veränderungen hervorbringen. Traumatisierte können sich ihrer eigenen Stärken bewusst werden, neue Möglichkeiten erkennen oder Freundschaften vertiefen und empfinden gar eine größere Wertschätzung für ihr eigenes Leben. Der emeritierte Psychologie-Professor Richard G. Tedeschi erklärt, wie dieses Wachstum geschehen kann:
Trauma verstehen lernen: Entwickeln Sie ein Narrativ für das Trauma und die Zeit danach. Das hilft bei der Akzeptanz des Geschehenen.
Emotionen regulieren: Anstatt uns auf Verluste, Misserfolge, Unsicherheiten und Worst-Case-Szenarien zu konzentrieren, sollten wir uns an frühere Erfolge erinnern, den Blick auf Best-Case-Szenarien lenken, uns unsere persönlichen Ressourcen und Stärken sowie die des Unternehmens bewusst machen.
Über das Erlebte sprechen: Verbalisieren sich das Erlebte und seine Folgen – kleine und große, kurz- und langfristige, private und berufliche, individuelle und unternehmensweite Auswirkungen. Damit geben wir dem Trauma einen Sinn und verwandeln lähmende Gedanken in produktives Denken.
Anderen helfen: Nach einem Trauma kommen wir schneller wieder auf die Beine, wenn wir eine sinnvolle Aufgabe finden und anderen helfen.
Wenn Sie diese Schritte gehen, können Sie, Ihre Mitarbeiter und ihr Unternehmen sich bei den eigenen Stärken, den Beziehungen und den eigenen Möglichkeiten weiterentwickeln. Tedeschis Botschaft in seinem wegweisenden Artikel „Stärken Sie Ihr Team“ : „Die Mühe lohnt sich. (...) Wir sollten unbedingt versuchen, dieser schweren Zeit etwas Positives abzugewinnen. Die Krise gibt uns die Chance, persönlich und gesellschaftlich zu wachsen. Das sollten wir nutzen.“
Ratschläge im Katastrophenfall
Einer, der sich bestens mit der Bewältigung von Krisen auskennt, ist Admiral Thad Allen, der den Katastropheneinsatz nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans geführt hat. Eine seiner heikelsten Aufgaben dabei: die Schließung des Öl-Bohrlochs "Deepwater Horizon". Seine wertvollen Ratschläge im Interview:
Bei Kriseneinsätzen geht es darum, alle Bemühungen zu vereinen, nicht darum, die Leute einem einheitlichen Kommando zu unterwerfen
Sie müssen die Makroebene eines Problems verstehen, um entscheiden zu können. Erst dann wissen Sie, was getan werden muss, um die gewünschten Effekte zu erzielen.
Sie müssen außerdem fähig sein, all das zu kommunizieren. Seine Ansage: "Behandelt jeden, dem ihr begegnet und der von der Katastrophe betroffen ist, so, als wenn es euer Familienangehöriger wäre, Mutter, Schwester, Bruder oder was immer."
Sie müssen auch einige zentrale Werte benennen, die einer Aktion zugrunde liegen sollen und die jeder Beteiligte unterschreiben kann.
Thad Allens Leadership-Lektion: "Ich habe gelernt, dass Führungskräfte verantwortlich sind für ihre eigene Moral. Der Boss kann nicht ahnungslos hereinkommen und lässig sagen: "Na, wie geht's euch denn heute? (...) Viele Krisen, mit denen ich es zu tun hatte, waren schreckliche Tragödien, die die ganze Gesellschaft betrafen. Eine Menge Leute hatten Angehörige zu betrauern. Die Lebensweise vieler Menschen war bedroht. Sie müssen diese persönliche Betroffenheit verstehen und berücksichtigen, aber sie müssen auch einen konstanten Fokus aufrechterhalten."
Unternehmen steuern
Corona hat fast alle Unternehmen dazu gezwungen, binnen kürzester Zeit in einen Krisenmodus umzuschalten. Kaum ein Unternehmen hatte einen genauen Plan für eine Pandemie. Dabei hätten gerade viele Mittelständler einen Leitfaden gebraucht, der ihnen den Weg durch Lockdown, Umsatzeinbrüche und Restrukturierung weist. Einen solchen Leitfaden mit 8 Schritten haben die Berater Georgiy Michailov und Hans-Joachim Grabow erstellt, als sie 33 Mittelständler durch die Corona-Krise begleitet haben. Die Schritte 1 bis 5 haben viele Unternehmen mittlerweile gemeistert – von der Einrichtung einer Taskforce bis hin zur Kommunikation mit Stakeholdern. Doch die Schritte 6 bis 8 sollten manche dringend angehen: Szenarien entwickeln, Geschäftsmodell anpassen, Krisenfestigkeit testen.
Die Experten empfehlen Unternehmen, Szenarien auf Basis von 10 bis 15 erfolgskritischen Annahmen zu den wichtigsten Werttreibern zu entwerfen, diese nach und nach zu verfeinern und neue Erkenntnisse laufend einfließen zu lassen. Um dann im nächsten Schritt ihr Geschäftsmodell anzupassen, das heißt: "Die bisherigen Strategiepläne beerdigen, ihr Geschäftsmodell revidieren und im Managementteam ganz neu überlegen, wohin die Reise gehen könnte." Der letzte und wenn nicht gar der wichtigste Schritt: Krisenfestigkeit testen. Dazu empfiehlt sich der Check "Wie krisenfest ist Ihr Unternehmen?"
Wenn ihr Geschäftsmodell ins Wanken gerät, sollten Sie nicht gleich in Panik verfallen. Die Bain-Berater Christ Zook und James Allen empfehlen "die Gründermentalität des Unternehmens wiederzuentdecken". Führungskräfte sollten dabei folgende Grundsätze beherzigen: Das Unternehmen muss Komplexität und unnötige Kosten stark reduzieren, seine Mission erneuern und sich so organisieren, dass sich das Hauptaugenmerk ganz gezielt auf den Kundenkontakt richtet. Schließlich sollten sich Führungskräfte und Mitarbeiter eine Sichtweise zu eigen machen, wie sie bei Eigentümern von Unternehmen zu finden ist: Bürokratie vermeiden, schnelle Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen.