Herr Osterwalder, viele Unternehmen streichen in Krisenzeiten alle nicht notwendigen Ausgaben – auch Innovationsprojekte, bei denen die Gewinnaussichten ja meist unklar sind. Wie sehr wird derzeit an der Innovation gespart?
Osterwalder: Manche Unternehmen haben ihre Budgets radikal zusammengestrichen. Fluggesellschaften oder Hotels haben keine Wahl: Sie müssen sparen, wo es nur geht. Andere investieren mehr als zuvor, weil sie, um weiter Geld zu verdienen, in andere, meist digitale Geschäftsfelder ausweichen müssen. Das Bild ist gemischt. Insgesamt hat Innovation heute einen höheren Stellenwert als früher. Vielen Managern ist klar geworden: Innovation ist notwendig, um zu überleben. Wäre diese Krise vor fünf Jahren eingetreten, wären die Budgets viel schneller gekürzt worden. Heute sind sie vielerorts fest eingeplant.
Welche Projekte sollten Managerinnen und Manager weiterverfolgen?
Osterwalder: Innovation lässt sich in zwei Bereiche aufteilen. Die "Exploit"-Projekte, bei denen es um bestehende Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen geht – und die "Explore"-Initiativen, das Auskundschaften des Neuen. In der Krise müssen sich Führungskräfte als Erstes um den Exploit-Bereich kümmern: Wie kann ich das Kerngeschäft schlanker, besser und effizienter machen? Danach müssen sie sich fragen: Was muss ich von den Explore-Projekten behalten, um mich nach überstandener Krise weiter auf dem Markt behaupten zu können?
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Osterwalder: Nehmen wir Airbnb. In den ersten Monaten der Krise brach der Umsatz um die Hälfte ein, weil kaum noch jemand verreisen wollte. Das Unternehmen stellte als Erstes sicher, dass es liquide bleibt. Es hat rund 25 Prozent der Mitarbeiter entlassen und eine Milliarde Dollar an frischem Kapital aufgenommen. Es hat einige Innovationsprojekte beendet, aber nicht alle – weil das Geschäft irgendwann wieder Fahrt aufnehmen wird. Das war eine strategische Entscheidung. Vielleicht wird Airbnb aus der Krise sogar stärker hervorgehen als zuvor.
Stärker als zuvor? Wie das?
Osterwalder: Weil das Unternehmen schlanker geworden ist und sich auf die wirklich wichtigen Innovationen konzentriert. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist der Werkzeughersteller Hilti, der nach der globalen Finanzkrise 2008 sein Geschäftsmodell umgestellt hat – von Produkten auf Services – und damit sehr erfolgreich war. Für Unternehmen, die sich anpassen und innovativ sind, können Krisen sehr positiv sein. Es gibt noch einen weiteren Grund: Konkurrenten, die schlecht gemanagt sind, gehen bankrott. Roger Martin von der Rotman School of Management hat gut beschrieben, wie viele US-Unternehmen in den vergangenen Jahren ihr Geld in Aktienrückkäufe und hohe Managerboni gesteckt haben. Sie hätten besser Innovationsmaschinen aufbauen sollen, um die Zukunft mitgestalten zu können.
Was halten Sie von der These, dass die Krise Innovationen gar befördern wird? Einmal, weil sich Unternehmen für Kooperationen öffnen, und zum Zweiten, weil sie jetzt Innovationsmethoden einsetzen, die günstiger sind und schneller Erfolge bringen.
Osterwalder: Auf einer allgemeinen Ebene würde ich sagen: Ja, das stimmt. Unternehmen werden schlanker und innovativer. Sanwa Supply, ein japanisches Bürounternehmen, hat in kurzer Zeit für den heimischen Markt Bürozelte fabriziert. Auch die Japaner arbeiteten in der Krise mehr zu Hause, aber in japanischen Wohnungen gibt es wenig Möglichkeiten für Einzelne, sich zurückzuziehen, und viel Gemeinschaftsfläche für die Familie. Die Bürozelte waren hervorragend als Ersatz für private Arbeitszimmer geeignet. Das war eine Innovation in der Not.