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Vordenker-Serie: Henry W. Chesbroug Plädoyer für mehr Offenheit

Geheimniskrämerei schadet, ist Henry William Chesbrough überzeugt. Wer nachhaltig erfolgreich sein will, muss sich öffnen und über neue Ideenquellen nachdenken. Mit seinen Forschungen zu "Open Innovation" hat der Berkeley-Professor Unternehmen auf der ganzen Welt inspiriert.
aus Harvard Business manager 3/2011
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Sebastiaan ter Burg / flickr.com

Werk und Wirkung

Henry William Chesbrough scheint für sein Thema eine perfekte Heimat gefunden zu haben. Vom kalifornischen Berkeley aus trägt der Managementprofessor seine Erkenntnisse zu "Open Innovation" in die Welt hinaus. Dort, umgeben vom Silicon Valley , wo die Internetrevolution sowie das Web 2.0 ihre Anfänge nahmen, plädiert Chesbrough für mehr Offenheit in Unternehmen. Er fordert Manager und Gründer auf, die Geheimniskrämerei beim Innovationsprozess zu beenden und auch die Ideen Externer zuzulassen, um eine bessere Lösung zu finden.

"Ein radikaler Denker" schreibt das Magazin "Economist" über den Ökonomen. Kein Zweiter wird mit der Öffnung von Innovationsprozessen derart in Verbindung gebracht wie Chesbrough. Er hat den Begriff geprägt und weltweit publik gemacht. In unzähligen Aufsätzen und Kolumnen beleuchtete er das Thema.

2003 erschien sein erstes großes Werk ("Open Innovation: The New Imperative for Creating and Profiting from Technology"), und im selben Jahr erhielt er Auszeichnungen für das beste Wirtschaftsbuch. Sein 2006 veröffentlichtes zweites Buch ("Open Business Models: How to Thrive in the New Innovation Landscape") empfahl das Magazin "Businessweek" als eines der zehn besten Werke über Innovationen.

Für Chesbrough sind seine Forderungen die Konsequenz aktueller Entwicklungen am Markt: In fast allen Branchen ist zu beobachten, dass die Lebenszyklen von Produkten immer kürzer werden und die Entwicklungskosten steigen. Deshalb sollen sich geistiges Eigentum, Ideen und Menschen frei in eine Organisation hinein- und auch aus ihr herausbewegen können. Wer die Ideen für Neuheiten nämlich ausschließlich in der eigenen Forschungsabteilung sucht, limitiert sich und seine Möglichkeiten. Mithilfe externer Quellen können bessere Ansätze viel schneller gefunden werden. Zudem sind sie günstiger, was Betrieben über Krisenzeiten hinweghilft, um danach mit neuem Wachstumspotenzial starten zu können.

Der Ökonom spricht von zwei Formen des Themas: der intern orientierten sowie der extern orientierten Open Innovation. Im ersten Fall geht es um Beiträge von Außenstehenden, die einem Betrieb Angebote ermöglichen, die über dessen eigene Fähigkeiten hinausgehen. Insbesondere IT-Unternehmen machen seit einiger Zeit davon Gebrauch, indem sie Open-Source-Software verwenden und auch Privatpersonen zur Weiterentwicklung einladen.

Apple  etwa profitiert davon, dass Hunderte externer Entwickler freiwillig an der Verbesserung von Apps, Minisoftware also, für sein Smartphone arbeiten. Die Bezahlung erfolgt in Form einer Erfolgsbeteiligung. Der extern orientierte Ansatz bezeichnet die Möglichkeit, dass Unternehmen einen Teil ihrer vielversprechenden Projekte außerhalb der eigenen Organisation ansiedeln, etwa wenn sie nicht zum Kerngeschäft gehören. Dies ist durch Spin-offs möglich oder durch Kooperationen mit Forschungsinstituten. Der Pharmakonzern Eli Lilly startete ein Open-Innovation-Projekt, um die Entwicklung neuer Medikamente zu verbessern. Bald darauf stellte er fest, dass es effektiver wäre, wenn das Team zugleich für andere Unternehmen arbeiten würde. Also half Eli Lilly beim Start des Dienstes InnoCentive und wurde dessen erster Kunde. Das Unternehmen zahlte lediglich für die Dienste, die es tatsächlich nutzte. Die Kosten und Risiken aber teilte es mit anderen Kunden und externen Investoren.

Vorteile und Nachteile

Open Innovation hilft, Geld zu sparen. Der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble hat den Anteil der Innovationen, die mithilfe von Partnern entwickelt werden, auf 50 Prozent gesteigert. Das Ergebnis: signifikant kürzere Entwicklungszeiten. Zudem ist der Kapitalwert (Net Present Value) eines Projekts mit hohem Open-Innovation-Anteil laut Konzernangaben um 70 Prozent höher als der eines Projekts, das nur intern entwickelt wurde.

Sensible Branchen fürchten sich vor Industriespionage. Der Autobauer Toyota , laut "Businessweek" immerhin auf Platz fünf der innovativsten Firmen weltweit, kritisiert, dass Open Innovation nichts für kapitalintensive Fertigungsbetriebe sei. Konkurrenten in die Geheimnisse einzuweihen würde bedeuten, den Innovationsvorsprung von Jahren zunichte zu machen. Chesbrough selbst weist darauf hin, dass Open Innovation Unternehmen vor unausweichliche kulturelle und organisatorische Herausforderungen stellt. Wenn interne und externe Kräfte um die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung konkurrieren, muss eine Fülle an Ideen kanalisiert werden. Die Beteiligten sollten mit Spannungen umgehen können.

Vordenker der Ökonomie, Management-Theorie und Psychologie

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Anhänger und Gegner

Viele europäische Unternehmen orientieren sich an Chesbroughs Ansätzen. Der Kaffeeröster Tchibo fordert mittels seiner Crowdsourcing-Plattform "Tchibo Ideas" Kunden dazu auf, ihre Ideen zu neuen Alltagshelfern einzureichen. Die Deutsche Telekom  unterhält Entwicklungsinstitute in aller Welt, in denen Mitarbeiter und Wissenschaftler neue Dienste und Lösungen erarbeiten. Zur "Früherkennung" von Kundenwünschen kooperieren sie mit 900 Berliner Haushalten, die für Produkttests zur Verfügung stehen. Ideen aus den T-Labs, die intern nicht zu verwenden sind, werden als Spin-offs ausgegründet.

Der Konzern General Electric  orientiert sich an anderen Managementansätzen. Nicht die Zahl der Ideen definiere den Erfolg, sagt CEO Jeffrey Immelt, sondern die richtige Umsetzung weniger Einfälle. Die Stärke von GE sei es, eine 50-Millionen-Dollar-Idee in eine Milliardenidee zu verwandeln. Dazu benötige man Umsetzungskompetenz, keine Open Innovation. © 2011 Harvard Business Manager

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