Ohne tüchtige Gefolgsleute ist selbst die beste Führungskraft nicht viel wert Hommage für die unentbehrlichen Knappen des Chefs
ROBERTE. KELLEY lehrt an der Graduate School of Industrial Administration, Carnegie Mellon University. Er schrieb ,,Gold-Collar Worker: Harnessing the Brainpower of the New Work Force" (Addison- Wesley, 1985) und "Consulting: The Complete Guide to a Profitable Career" (Scribner, überarbeitete Auflage 1986). Das Material zu dem vorliegenden Beitrag entstammt seinem neuesten Buch "Followership - Leadership - Partnership" (in Vorbereitung).
Fest sind wir davon überzeugt, Erfolg oder Mißerfolg, Aufstieg oder Niedergang eines Unternehmens hinge von der Qualität seiner Führung ab. Also widmen wir uns den großen Führungspersönlichkeiten in Vergangenheit und Gegenwart und opfern viel Zeit und Geld für die Suche nach guten Führungskräften und die Ausbildung von Führungseigenschaften bei jenen, die dem Unternehmen schon angehören. Gegen derartigen Enthusiasmus ist nichts einzuwenden. Unternehmensführung ist ein wichtiger Faktor. Aber auf unserer eifrigen Suche nach besseren Führungspersönlichkeiten sind wir ständig in Gefahr, die Personen aus dem Auge zu verlieren, die von diesen geführt werden sollen. Ohne seine Armeen war selbst Napoleon nichts weiter als ein Mann mit grandiosen Ideen. Und der Erfolg einer Organisation hängt nicht nur davon ab, wie gut ihre Führung führt, sondern auch wie gut ihre Gefolgsleute folgen. 1987 zwangen sinkende Profite und ein verschärfter Wettbewerb um Kunden eine große Geschäftsbank an der amerikanischen Ostküste zur Reorganisation und zum Belegschaftsabbau. Ihre erfahrensten Manager mußten den größten Teil ihrer Arbeitszeit im Außendienst bei den Firmenkunden verbringen. Zeit und Kräfte waren so knapp, daß ein Abteilungsleiter keine andere Wahl hatte, als die Verantwortung für die Reorganisation seiner Abteilung an seine Mitarbeiter zu delegieren, die kurz zuvor einen Kurs in Self-Management absolviert hatten. Trotz heftiger Bedenken stellte er die Gruppe so zusammen, daß sie keinen Leiter bekam; ihre Mitglieder waren nur einander und der Bank als ganzem verantwortlich für die Festlegung ihrer eigenen Arbeitsplatzbeschreibungen, den Entwurf eines Schulungsprogramms, die Entwicklung von Kriterien zur Leistungsbeurteilung, die Planung betrieblicher Maßnahmen und ihren Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des gesamten Unternehmens. Und sie schafften es. Die Manager der Bank waren überrascht und hocherfreut, daß Angestellte mit einem solchen Maß an Verantwortung so erfolgreich zurechtgekommen waren. Das Vermögen der Abteilung, ohne Leitung zu arbeiten und sich praktisch selbst zu führen, ersparte dem Unternehmen monatelange Unruhe; und während die Bank um ihre Position an der Ostküste kämpfen mußte, blieb dem Management genug wertvolle Zeit, um den äußeren Gefahren zu begegnen. Worin bestand die außerordentliche Leistung dieser Mitarbeiter? Unter den gegebenen Bedingungen und dem gesteckten Ziel brachten sie zustande, was die meisten Abteilungen nur unter der direkten Anleitung eines erfahrenen Leiters erreicht hätten. Aber diese Mitarbeiter akzeptierten auch die an sie übertragene Entscheidungskompetenz und nutzten sie. Sie machten sich selbst Gedanken, konzentrierten sich auf ihre Fähigkeiten, nahmen all ihre Kräfte zusammen und zeigten ein erstaunliches Maß an Mut, Tatkraft und Disziplin. So sollten Gefolgsleute sein. Wollen wir eine solche Art von Gefolgschaft auch in anderen Unternehmen fördern, müssen wir zuerst begreifen, worin die Rolle guter Gefolgsleute besteht. Und um eine gute Mannschaft von Mitarbeitern heranzuziehen, müssen wir jene menschlichen Eigenschaften erkennen, die den Boden für eine effektive Arbeit von Gefolgsleuten bereiten.
Die Rolle der Gefolgsleute
Chefs sind nicht unbedingt Führungspersönlichkeiten und Untergebene sind nicht unbedingt gute Gefolgsleute. Viele Vorgesetzte wären noch nicht einmal in der Lage, ein Pferd zur Tränke zu führen, manche Untergebene nicht fähig, einem Faschingszug hinterherzulaufen. Einige möchten weder die eine noch die andere Rolle spielen, wiederum andere nehmen die hin, die ihnen aufgezwungen wird, und sehen darin schlecht aus. In den verschiedenen Phasen ihrer Karriere, sogar schon an verschiedenen Stationen eines einzigen Arbeitstages, spielen Manager mal die eine, mal die andere Rolle; nur selten spielen sie beide gleich gut. Doch nur die Führungsrolle bringt Ruhm und Aufsehen. Wir absolvieren Kurse, um sie zu erlernen, und wenn wir sie gut spielen, ernten wir Applaus und Anerkennung. Aber in Wirklichkeit spielen die meisten von uns häufiger die Mitarbeiter- als die Führungsrolle. Wir haben Untergebene, aber wir haben auch Vorgesetzte. Auf jeden Ausschuß, in dem wir den Vorsitz führen, kommen einige andere, in denen wir nur normale Mitglieder sind. Doch obwohl Gefolgschaft in unserem Leben und im Alltag der Unternehmen solch breiten Raum einnimmt, denken wir wenig daran. Denn weit mehr sind wir mit den Problemen der Führung beschäftigt, so daß wir die Besonderheit und Bedeutung der Gefolgsleute übersehen. Tüchtige Gefolgsleute unterscheiden sich von untüchtigen in vielem - sie sind engagiert, intelligent und selbstbewußt, nicht arrogant bei ihrem Einsatz für das Unternehmen. Tüchtige Gefolgsleute sind bei ihrem Tun unterschiedlich motiviert und verstehen auch die eigene Rolle auf unterschiedliche Weise. Manche machen die Rolle des Zu- und Mitarbeiters zu ihrer Hauptrolle. Sie sind gute Mannschaftsspieler, die es befriedigt, einer Sache, einer Idee, einem Produkt, einem Service oder - was seltener ist - auch einer Person zu dienen. Andere übernehmen in bestimmten Situationen die Führungsrolle, dann wieder die des Mannschaftsspielers. Beide Gruppen sehen die Aufgabe von Gefolgsleuten als legitim, in sich wertvoll an. Manche potentiell tüchtigen Gefolgsleute beziehen die Motivation aus Ehrgeiz. Indem sie sich in der Rolle des getreuen Mitarbeiters bewähren, hoffen sie, das Vertrauen der Gleich- und Höhergestellten zu gewinnen und die Karriereleiter emporzuklettern. Diesen Leuten erscheint die Rolle der Gefolgsleute an sich nicht attraktiv. Gleichwohl können sie gute Gefolgsleute werden, wenn sie lernen, den Wert dieser Rolle anzuerkennen, die Arbeit der Führungskräfte aus der Untergebenen-Perspektive zu betrachten und ihre Fähigkeiten als Gefolgsleute zu vervollkommnen, was ihnen stets nutzen wird. Die Motive und Haltungen der Gefolgsleute zu kennen ist jedoch nicht genug. Da Mitarbeiter trotz unterschiedlicher Motivation ähnliche Leistungen vollbringen können, habe ich das Verhalten untersucht, das unter für das Unternehmen engagierten Gefolgsleuten zu mehr oder weniger Erfolg führt. Ich fand heraus, daß die Unterschiede im wesentlichen nach zwei zugrundeliegenden Verhaltensdimensionen erklärt werden können: Eine Dimension bemißt den Grad an selbständigem, kritischem Denken, die andere den Grad an Aktivität/Passivität. Das resultierende Diagramm weist fünf typische Verhaltensmuster von Gefolgsleuten aus (siehe Abbildung): Die folgsamen Schafe sind passiv und unselbständig, es mangelt ihnen an Initiative und Verantwortungsbereitschaft. Sie führen aus, was man ihnen aufträgt, das ist alles. Die Ja-Sager sind lebendiger, aber unternehmen auch nichts aus eigener Initiative. Sie brauchen eine Leitfigur, die sie inspiriert und sind oft betont ehrerbietig, sogar unterwürfig. Chefs, die wenig selbstbewußt und unsicher im Urteil sind, mögen solche Mitarbeiter und schließen Bündnisse mit ihnen, was für das Unternehmen blamabel sein kann. Die ewig Unzufriedenen denken selbständig und kritisch, sind aber eher passiv in der Erfüllung ihrer Rolle. Irgendwie, irgendwann hat ihnen irgendetwas die Lust genommen; verstimmt tragen sie eine Duldermiene zur Schau, neigen zu Zynismus und beziehen nur selten offen gegen die Vorgesetzten Stellung. In der Mitte des Diagramms finden wir die Überlebenskünstler, die ständig schauen, wie der Wind weht und nach dem Motto "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste" leben. Sie sind darauf präpariert, jeden Sturm zu überstehen. Im oberen rechten Viertel der Abbildung haben wir endlich die erfolgreichen, tüchtigen Gefolgsleute. Sie gebrauchen ihren eigenen Kopf und kommen ihren Aufgaben und Anweisungen engagiert und wirkungsvoll nach. Da sie Risiken übernehmen und Probleme eigenständig angehen, sind sie bei Kollegen und vielen Vorgesetzten hochgeschätzt. Gefolgschaft von diesem Zuschnitt kann für uns alle - für eine bestimmte Zeit oder lebenslang - ein Grund zu Zufriedenheit und Stolz sein und das Gefühl vermitteln, eine richtige und gute Entscheidung getroffen zu haben. Tüchtige Gefolgsleute sind ausgeglichen und verantwortungsbewußt und leisten erfolgreiche Arbeit auch ohne strenge Anleitung. Viele Gefolgsleute sind überzeugt, daß sie für ihre Firma genausoviel leisten wie die Unternehmensführer, insbesondere bei speziellen Projekten oder in Krisensituationen. In einer Organisation, in der die Gefolgsleute gute Arbeit verrichten, fällt einer Führungskraft eher die Aufgabe zu, auf Fortschritt und Wandel zu achten denn eine Art Held abzugeben. Je weniger hierarchisch ein Unternehmen gegliedert ist, desto wichtiger werden die Fähigkeiten der Gefolgschaft, ehester I. Barnard schrieb vor 50 Jahren in "The Function of the Executive": "Die Entscheidung darüber, ob eine Anweisung zwingend ist oder nicht, liegt bei dem, an den sie gerichtet ist; sie liegt nicht bei irgendwelchen ,Autoritätspersonen' oder bei jenen, die die Anweisungen verkünden."
Die Vorzüge guter Gefolgsleute
Tüchtigen Gefolgsleuten sind eine Reihe wesentlicher Eigenschaften gemeinsam: * Sie arbeiten selbständig. * Sie engagieren sich für ein Unternehmen, ein Ziel, ein Prinzip oder für einen anderen Menschen. * Sie entwickeln Sachkenntnis und können sich ganz auf eine Aufgabe konzentrieren. * Sie sind mutig, aufrichtig und zuverlässig.
Eigenständigkeit
Paradoxerweise setzt wirksame Mit- und Zuarbeit die Fähigkeit zu unabhängigen Denken voraus. Tüchtige Gefolgsleute überblicken die Lage, sind eigenständig und arbeiten ohne Überwachung. Guten Mitarbeitern kann ein Vorgesetzter getrost Verantwortung übertragen, denn innerhalb seines Sach- und Befugnisbereichs ist er fähig, Erfordernisse im voraus wahrzunehmen. Eine andere Seite dieses Paradoxons ist, daß sich gute Gefolgsleute den Führungskräften, denen sie zuarbeiten, ebenbürtig fühlen, auch wenn diese nach dem Organisationsschema ihre Vorgesetzten sind. Sie neigen eher dazu, den Führungsleuten offensiv zu widersprechen, als sich durch hierarchische Strukturen einschüchtern zu lassen. Dabei sehen sie ohnehin, daß die Leute, denen sie folgen, ihrerseits der Führung anderer folgen, und sie versuchen, den Zielen und Erfordernissen des Teams und des Unternehmens gegenüber aufgeschlossen zu sein. Uneffektiv arbeitende Gefolgsleute dagegen lassen sich von der Hierarchie beeindrucken , sie fühlen sich abhängig und schwanken ständig hin und her zwischen der Verzweiflung ob ihrer vermeintlichen Ohnmacht und Versuchen, die Führung für die eigenen Absichten zu gewinnen. Entweder wird die Angst vor ihrer Machtlosigkeit zur sich selbst erfüllenden Voraussage - für sie selbst und oft auch für das Team, in dem sie arbeiten - oder aber ihre Ressentiments verleiten sie dazu, die gemeinsamen Ziele zu sabotieren.
Autonome Mitarbeiter ersparen ihren Unternehmen erhebliche Kosten, indem sie einen Teil der komplizierten Kontrollsysteme überflüssig machen, die die Moral sowieso nicht fördern. 1985 änderte eine große Bank im Mittelwesten ihr Personalbeschaffungssystem, um mehr selbständige Mitarbeiter an sich zu ziehen. Die Interviewer achteten in den Vorstellungsgesprächen auf eine besondere Art von Erfahrung und Fähigkeiten - Initiative, Teamgeist und kritisches Denken. Außerdem brachte die Bank ihr gesamtes Einarbeitungsprogramm auf Vordermann, um Eigenständigkeit bei den Mitarbeitern zu unterstützen. Auf der Managerebene wurden Rollenspiele in das Interview eingebaut: Wie man seinem Chef widerspricht, wie man nach einem längeren Urlaub Prioritäten für die angefallenen Arbeiten setzt und so weiter. In den drei folgenden Jahren nahm die Fluktuation unter den Angestellten erheblich ab, der Bedarf an Führungskräften sank und der Verwaltungsaufwand ging maßgeblich zurück. Natürlich wollen nicht alle Unternehmensleiter und Manager selbständige Untergebene. Einige ziehen folgsame Schafe oder Ja-Sager vor. Das beste, was fähige Mitarbeiter in einer solchen Situation tun können, ist, die eigene Karriere selbst in die Hand zu nehmen, das heißt, für den Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben. Die Qualitäten, die einen tüchtigen Mitarbeiter ausmachen, sind viel zu sehr gefragt, als daß man allzulange darum betteln brauchte, sie anwenden zu dürfen.
Engagement
Tüchtige Gefolgsleute engagieren sich für etwas: für ein Produkt, eine Organisation, eine Idee - und achten gleichzeitig auf sich selbst und ihre Karriere. Manche Führungskräfte interpretieren dieses Engagement falsch. Sie sehen ihre Autorität akzeptiert und verwechseln daher Loyalität für die Sache mit Loyalität für die eigene Person. Dabei sind für viele wackere Gefolgsleute die Chefs nichts weiter als Mitstreiter für ein lohnendes Ziel; und wenn sie sehen, daß das Engagement ihrer Vorgesetzten nachläßt oder deren Motive zweifelhaft werden, dann entziehen sie ihnen jegliche Unterstützung, entweder durch einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder einen Wechsel des Vorgesetzten. Die Chancen und Risiken dieser Art von Engagement sind unschwer zu erkennen. Einerseits stecken Engagement und Einsatzwille an. Die meisten Leute arbeiten gern mit Kollegen zusammen, die mit Herz und Seele bei der Sache sind; das hebt auch die Moral. Kollegen, die beginnen, vom Ziel abzuweichen, werden auf die rechte Bahn zurückgebracht. Ziele und Projekte werden nicht so leicht aus den Augen verloren. Außerdem kann die Würdigung des Engagements der Mitarbeiter dazu beitragen, daß die Vorgesetzten die Kräfte und Fähigkeiten ihrer Untergebenen erkennen und in die richtigen Bahnen lenken. Auf der anderen Seite können Gefolgsleute, die sich stark für Ziele engagieren, die nicht mit den Unternehmenszielen harmonieren, äußerst destruktiv sein. Führungskräfte, die solche Gefolgleute haben, können sogar die Kontrolle über ihre Organisationen verlieren. Eine Wissenschaftlerin in einer Computerfirma war fest entschlossen, Computer der breiten Bevölkerung zugänglicher zu machen, und sie leistete hervorragende Arbeit. Da ihr Ziel mit dem der Geschäftsleitung übereinstimmte, hatte sie kaum Probleme mit dem Topmanagement. Aber ihre Abteilungsleiter waren für sie nichts als Erfüllungsgehilfen ihres Traums, und wenn die einmal ihre Pläne durchkreuzten, nutzte sie all ihr beachtliches taktisches Geschick, um ihnen zu schaden. Ihrem unmittelbaren Vorgesetzten war sie ein Dorn im Auge, aber sie besaß nun einmal die engen Beziehungen zu den Mitgliedern der Unternehmensleitung. Was aber wäre gewesen, wenn ihr Ziel und das Ziel des Unternehmens nicht übereingestimmt hätten? Tüchtige Gefolgsleute sind in der Lage, ihre eigenen Ziele im Interesse des Unternehmens zu relativieren - oder sie suchen sich einen neuen Arbeitgeber. Fähige Führungskräfte wissen dieses Engagement in die richtige Richtung zu lenken, so daß sowohl die Firmeninteressen als auch die Interessen der Gefolgsleute zu ihrem Recht kommen.
Kompetenz und Zielbewußtsein
Engagierte Inkompetenz bleibt Inkompetenz, daher beherrschen erfolgreiche Gefolgsleute Fähigkeiten, die für ihre Unternehmen von Nutzen sind. Sie erfüllen in der Regel höhere Leistungsansprüche, als ihre Umgebung von ihnen verlangt; sie tun alles für ihre Fortbildung, denn diese ist selbstverständlicher Bestandteil ihrer beruflichen Entwicklung. Weniger erfolgreiche Mitarbeiter erwarten, daß Fortbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten an sie herangetragen werden. Von selbst besuchen sie keine Seminare, Wissen führen sie sich nur als eine Art von Zwangsernährung zu. Ihre fachliche Kompetenz schmilzt dahin, es sei denn, ein Vorgesetzter läßt ihnen elterliche Fürsorge und Aufmerksamkeit zukommen. Gute Gefolgsleute übernehmen Extraarbeiten gern, aber zuerst erfüllen sie auf hervorragende Weise ihre Hauptaufgaben. Sie kennen ihre Stärken und Schwächen und leisten gute Teamarbeit. Werden sie gebeten, Aufgaben zu erledigen, für die sie sich nicht qualifiziert genug fühlen, sagen sie das offen. Wie Sportler, die bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen, riskieren sie auch mal einen Fehlschlag, wenn sie nur annehmen dürfen, daß ein Erfolg zumindest möglich ist. Sie ersparen dem Unternehmen jedoch unnütze Zeit- und Kräfteverluste sowie schlechte Leistungen, indem sie Herausforderungen nicht annehmen, von denen sie wissen, daß andere ihnen eher gewachsen sind. Gute Gefolgsleute betrachten ihre Mitstreiter als Kollegen, nicht als Konkurrenten. Gleichzeitig erkennen gute Gefolgsleute oft Probleme, die bislang übersehen wurden. Eine Mitarbeiterin in der Entwicklungsabteilung stellte zum Beispiel fest, daß bisher niemand für die Abstimmung zwischen Konstruktion, Marketing und Herstellung verantwortlich war. Sie arbeitete einen abteilungsverbindenden Plan aus, in dem die Kollegen benannt wurden, die auf den verschiedenen Entwicklungsstufen einbezogen werden mußten. Statt den Chef mit einer weiteren Aufgabe zu belasten, ergriff diese Frau die Initiative, verwies auf ein Problem und zugleich seine Lösung. Eine andere Frau, mit der ich sprach, beschrieb ihr Bemühen, in ihrem Unternehmen eine gefährliche Lücke zu schließen: Junge, aufstrebende Managertalente hatten in der Vergangenheit normalerweise in der Produktion Karriere gemacht. Sie sah voraus, wie die ausländische Konkurrenz die Branche völlig verändern würde und fand das eigene Marketing vernachlässigt. Also belegte sie Kurse und Seminare und las die einschlägige Literatur. Noch wichtiger, sie besuchte Kunden, um zu erfahren, wie bei denen die Produkte ihres Unternehmens und die der Konkurrenz aufgenommen wurden. Bald wußte sie mehr über das Produktimage bei den Kunden als alle ihre Kollegen. Ihre neugewonnene Kompetenz bewirkte nicht nur Wunder für ihre eigene Karriere, sondern auch für das Unternehmen, das mit ihrer Hilfe einen Sturm überstand, den es nicht hatte aufziehen sehen.
Mut
Tüchtige Gefolgsleute sind zuverlässig, aufrichtig und mutig. Sie sind kritische, unabhängige Denker, auf deren Wissen und Urteil Verlaß ist. Sie geben Ehre, wem Ehre gebührt, räumen eigene Fehler ein und teilen Erfolge mit anderen. Sie bilden sich eine eigene Meinung und folgen eigenen moralischen Prinzipien; sie stehen für das ein, an das sie glauben. Einsichtig, offen und furchtlos weichen sie der Wahrheit nicht aus und haben ihren Kollegen und Vorgesetzten gegenüber nichts zu verbergen. Eine Kehrseite hat die Medaille allerdings auch: Vorgesetzten mit zweifelhafter Moral können sie große Schwierigkeiten bereiten. Jerome LiCari, der frühere F + E-Direktor von Beech-Nut, hegte jahrelang den Verdacht, daß das Apfelsaftkonzentrat, das das Unternehmen für 20 Prozent unter Marktpreis von einem neuen Lieferanten bezog, gepanscht war. Seine Abteilung empfahl daher, den Lieferanten zu wechseln. Aber das Topmanagement des fast bankrotten Unternehmens schob die Beweislast der F + E-Abteilung zu. Bis 1981 sammelte LiCari einen Haufen Beweise für seine Vermutung und legte alles in einem Memorandum nieder, zu dessen Ende er wiederum empfahl, die Lieferfirma zu wechseln. Da er keine Antwort bekam, wandte er sich an seinen unmittelbaren Chef, den Betriebsdirektor. Nach Aussage LiCaris drohte ihm dieser mit Entlassung wegen mangelnden Teamgeists. LiCari ging daraufhin zum Präsidenten der Gesellschaft, und als auch dies zu keinem Ergebnis führte, gab er seine drei Jahre währenden Bemühungen auf, folgte seinem Gewissen und kündigte. In seiner abschließenden Leistungsbeurteilung lobte man seine Erfahrung und Loyalität, sprach jedoch davon, "daß sein Urteilsvermögen von Naivität und unpraktischen Wunschvorstellungen getrübt" sei. 1986 dann wurden Beech-Nut und die beiden einstigen Chefs von LiCari wegen Verdachts auf Betrug angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, gepanschten Apfelsaft vertrieben zu haben. Im November 1987 wurde das Unternehmen für schuldig befunden und zu einer Strafe von zwei Millionen Dollar verurteilt. Im Februar 1988 erging auch das Urteil für die beiden Manager: schuldig in den meisten Anklagepunkten. Die Episode kostete Beech-Nut rund 25 Millionen Dollar und einen Marktanteil von 20 Prozent. Auf die Frage während des Prozesses, ob er denn nun naiv gewesen sei, sagte LiCari: "Ich denke schon. Ich dachte, Apfelsaft müsse aus Äpfeln gemacht werden." War LiCari nun ein guter Mitarbeiter? Aus Sicht seiner betrügerischen Chefs bestimmt nicht. Aber gewiß gehört er zu der Sorte Mitarbeiter, die die meisten Unternehmen gern einstellen würden: ehrlich, loyal und objektiv seinen Vorgesetzten gegenüber und durch und durch glaubwürdig. Einem anständigen Unternehmen, das in dunkle Geschäfte verwickelt wird, würde diese Art von Mitarbeiter eine Menge Unannehmlichkeiten, Kosten und Streitigkeiten ersparen.
Das Heranziehen guter Gefolgsleute
Es sollte bereits deutlich geworden sein, daß die Eigenschaften, die einen guten Gefolgsmann ausmachen, denen, die eine gute Führungskraft auszeichnet, verblüffend ähneln. Das ist natürlich kein purer Zufall. Aber diese Übereinstimmung macht auch auf ein Problem aufmerksam: Wenn eine Person Initiative besitzt, diszipliniert ist, engagiert, klug, ehrlich, zuverlässig und mutig, dann sagen wir: "Das ist eine Führungspersönlichkeit!" Schon von der Definition her können Gefolgsleute nicht dieselben Qualitäten haben wie Führungskräfte, denn das würde ja einem Klischee in unseren Köpfen widersprechen. Aber dieses Klischee ist kleinkariert und falsch. Denn "Gefolgschaft" beschreibt keine konkrete Person, sondern eine Rolle. Und was Gefolgsleute von Führern unterscheidet, ist nicht ihre Intelligenz oder ihr Charakter, sondern eben die Rolle, die sie spielen. Und wie schon erwähnt, wird die Rolle des tüchtigen Mitarbeiters und die der erfolgreichen Führungskraft zu verschiedenen Tageszeiten oft von ein und derselben Person ausgefüllt. In vielen Unternehmen macht man nur in Führungspositionen Karriere. In fast allen Unternehmen werden Führungsqualitäten geschult und gefördert, die Qualitäten der Gefolgsleute aber nicht. Dabei ist eine effektiv arbeitende Mannschaft eine Voraussetzung für den Erfolg. Ihr Unternehmen kann vier Dinge tun, um erfolgreiche Gefolgsleute heranzubilden.
Gefolgschaft und Führung redefinieren
Unsere stereotypen und unklaren Definitionen von Führung und Gefolgschaft formen unsere Erwartungen, gleichgültig, welche Position wir selbst innehaben. Wenn eine Führungskraft als verantwortlich für die Motivierung ihrer Mitarbeiter erklärt wird, so wird sie sich ihnen gegenüber wahrscheinlich entsprechend verhalten, als ob sie tatsächlich motiviert werden müßten. Wenn wir meinen, es sei Sache der Führung, die Gefolgschaft zu formen, dann muß es Sache der Gefolgschaft sein, sich formen zu lassen. Wenn aber die Gefolgsleute gar nicht geformt werden müssen, dann sieht es danach aus, als ob die Führung versagt habe. Die Art der Rollendefinition beeinflußt eben deutlich die Art und das Ergebnis der Interaktion. Anstatt die Führungsrolle höher und aktiver anzusetzen als die der Gefolgschaft, sollten wir beide Rollen als gleichwertige, aber unterschiedliche Aktivitäten interpretieren. Die operationalen Unterscheidungen lauten grob so: Menschen, die in der Führungsrolle wirken, haben den Auftrag, Unternehmensziele und -Strategien festzulegen, besitzen integrative Fähigkeiten, um Konsens herbeizuführen, verfügen über die verbale Fähigkeit, großen und heterogenen Gruppen von Menschen Begeisterung zu vermitteln, das organisatorische Talent, unterschiedliche Arbeiten zu koordinieren - und, vor allem, sie haben den Wunsch zu führen. Erfolgreiche Gefolgsleute dagegen haben den Auftrag, sowohl den Wald als auch die Bäume zu sehen, die soziale Fähigkeit, gut mit anderen zusammenzuarbeiten, so viel Charakterstärke, daß sie nicht die Statur eines Helden brauchen, um sich zu entwickeln, so viel an moralischer und seelischer Balance, um persönliche Ziele nicht auf Kosten der Unternehmensziele zu verfolgen (und vice versa) - und sie haben vor allem den Wunsch, in einem Team an der Verwirklichung eines höheren gemeinsamen Vorhabens mitzuwirken. Diese Interpretation von Gefolgschaft und Führung kann Mitarbeitern auf direkte und auf indirekte Weise vermittelt werden - im Wege der Schulung und des lebendigen Beispiels. Die Eigenschaften, die gute Gefolgsleute ausmachen, und der Wert, den ein Unternehmen auf eine qualifizierte Gefolgschaft legt, können auf Mitarbeiterschulungen artikuliert werden. Aber die beste Art, dies zu vermitteln, ist wahrscheinlich das Beispiel im Alltag. Da jeder von uns die Mitarbeiterrolle spielt, zumindest zeitweise, ist es sehr wichtig, daß wir sie gut spielen, daß wir mit unseren Fähigkeiten zum Erreichen des gemeinsamen Ziels beitragen, daß wir die Teamleitung klug und diszipliniert unterstützen, daß wir unser bestes tun und uns freuen, zu einer gemeinsamen Sache beitragen zu können.
Die Fähigkeiten guter Gefolgsleute verfeinern
Die meisten Unternehmen nehmen an, daß Führungsqualitäten gelehrt werden können, daß aber jeder von vornherein weiß, wie er folgen muß. Diese Annahme beruht auf drei falschen Prämissen, nämlich daß 1. Führung wichtiger ist als Gefolgschaft, 2. Gefolgschaft lediglich bedeutet, das auszuführen, was einem aufgetragen worden ist, und 3. Mitarbeiter unvermeidlich ihre Ziele und Energien, ja sogar ihre Talente von der Führung beziehen. In Mitarbeiterschulungen sollte dieses Mißverständnis durch folgende Lernziele korrigiert werden: * Entwicklung eines unabhängigen und kritischen Denkens; * Self-Management; * freundliches Widersprechen; * Förderung von Glaubwürdigkeit; * Vereinbarung persönlicher Interessen mit denen des Unternehmens; * verantwortliches Handeln gegenüber dem Unternehmen, der Unternehmensleitung, den Kollegen und sich selbst; * erkennen der Rollenähnlichkeiten zwischen Führung und Gefolgschaft; * leichtes Wechseln zwischen den Rollen.
Leistungsbeurteilung und Feedback
Die meisten Leistungsbeurteilungen für Mitarbeiter enthalten einen Abschnitt über Fähigkeiten zu Führen. Gefolgschaft, Mitarbeit wird in der Regel nach solchen Punkten beurteilt, wie oben ausgeführt. Anstatt Eigenschaften wie Eigenständigkeit, Unabhängigkeit, Originalität, Mut, Kompetenz und Glaubwürdigkeit nur als Führungsqualitäten zu begreifen, sollte auch Mitarbeiterschaft nach diesen Eigenschaften beurteilt werden; anschließend wäre zu beurteilen, wie gut der Wechsel von der einen in die andere Rolle gelingt. Leistung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten hilft den meisten, ein besseres Verständnis davon zu entwickeln, wie gut sie ihre unterschiedlichen Rollen im Unternehmen spielen. Beurteilungen können von gleichrangigen Kollegen, Untergebenen, von dem Betroffenen selbst oder von Vorgesetzten abgegeben werden. Das Verfahren ist einfach: Die Kollegen, die regelmäßig oder in wichtigen Fragen miteinander Kontakt haben, füllen von Zeit zu Zeit einen kurzen Fragebogen aus und beurteilen sich darin wechselseitig in ihrer Arbeit als Gefolgsleute. Die Ergebnisse werden zusammengefaßt und dem jeweils beurteilten Kollegen übergeben.
Organisationsstrukturen schaffen, die gute Mitarbeitereigenschaften
fördern
Solange der Wert guter Gefolgsleute in einem Unternehmen nicht wirklich verankert ist, bleibt er wahrscheinlich nur eine vage Idee, für die jeder gelegentlich Lippenbekenntnisse abgibt, aber sonst nichts tut. Hier sind vier gute Möglichkeiten, wie das Konzept in eine Unternehmenskultur integriert werden kann: * In führerlosen Gruppen übernehmen alle Mitglieder die gleiche Verantwortung für die Erfüllung von Aufgaben. Diese Gruppen sind in der Regel klein und bestehen aus Leuten, die unter eigener Aufsicht gut zusammenarbeiten können. Wie kompliziert auch immer die Arbeit in einer Gruppe mit mehr als einem Leiter sein mag - Arbeitsgruppen, die gar keinen haben, können äußerst produktiv sein, wenn ihre Mitglieder die Qualitäten guter Gefolgsleute haben. * Eine weitere Möglichkeit bieten Arbeitsgruppen mit zeitlich begrenzter oder rotierender Führung. Auch diese Gruppen sollten möglichst klein sein und die Rotation relativ häufig, wobei der Begriff Rotation für einen etwa sechsmonatigen Führungswechsel angebracht wäre. Einige dieser Leiter werden natürlich weniger effektiv sein als andere, und manche erweisen sich bestimmt als ungeeignet; aus diesem Grunde finden Kritiker diese Arbeitsform ineffizient. Warum nicht nur die besten Leute an die Spitze lassen, fragen sie? Warum soll die Arbeit unter einem untüchtigen Leiter leiden? Es gibt zwei Gründe für dieses Vorgehen. Zum einen ist praktische Erfahrung im Wahrnehmen einer Führungsrolle eine Voraussetzung für die Heranbildung tüchtiger Gefolgsleute. Zum anderen lernen diese, daß sie ihren weniger erfolgreichen Auftritt als Führungskraft durch eine um so bessere Mitarbeit ausgleichen müssen. Auch ohne Rotieren der Führungsfunktion wird man mehr als einmal im Laufe seiner Karriere mit ungeeigneten Führungskräften zu tun haben. * Das Delegieren von Aufgaben bis zur untersten Ebene ist eine dritte Möglichkeit, gute Gefolgsleute heranzubilden. Bei Nordstrom's, einer in Seattle ansässigen Warenhauskette, ist jeder Angestellte selbst für die Bedienung und die Zufriedenstellung des Kunden verantwortlich; dazu gehört auch die Befugnis, Entschädigungen ohne vorherige Genehmigung von oben zu gewähren. Durch eine solche Aufgabenübertragung ist selbst der kleinste Angestellte für seine Entscheidungen verantwortlich und lernt, seine Arbeit selbständig zu erledigen. * Schließlich können Unternehmen auch das Mittel der Prämien anwenden, um gute Mitarbeit zu belohnen. Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Manager, die ihrem Ego mit der Hilfe von Ja-Sagern und folgsamen Schafen schmeicheln müssen, werden von der Idee, den Leuten, die ihnen das Leben schwer machen, auch noch Belohnungen zu zahlen, nicht begeistert sein. In meiner Untersuchung habe ich festgestellt, daß gute Gefolgsleute mal so, mal so behandelt werden. Ungefähr in der Hälfte der Zeit ernten sie mit ihrer Arbeit Zustimmung und Belohnungen. In der anderen Hälfte werden sie von ihren Vorgesetzten für ihr eigenes Urteil, für das Eingehen von Risiken und mangelnder Zustimmung bestraft. Viele Manager betonen, daß sie kritische Mitarbeiter wünschen, die selbständig denken und handeln. Aber in der Praxis gehen alle Gefolgsleute, die ihre Chefs herausfordern, das Risiko ein, gefeuert zu werden. Mit ihren heute weniger hierarchischen Or ganisationen werden Unternehmen ohne Mitarbeiter, die mit Stolz und Befriedigung die unspektakulären Arbeiten tun, für die man keinen Applaus auf offener Bühne erhält, wenig erfolgreich sein. Unternehmen, die von der Arbeit guter Gefolgsleute profitieren wollen, müssen Wege finden, diese zu belohnen, Wege, um sie zu gleichberechtigten Partnern im Unternehmen zu machen. Denken Sie an die Tausende von Unternehmen, die ausreichende Leistungen und durchschnittliche Gewinne erzielen und dabei ihre Mitarbeiter behandeln wie Menschen zweiter Klasse. Und jetzt stellen Sie sich einen Augenblick lang die Kraft einer Organisation vor, in der die Mitarbeiter als Partner anerkannt sind und engagiert und voller Energie ihre Arbeitskraft einsetzen,. Copyright: © 1989 by the President and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in "Harvard Business Review" Nr. 6, November/Dezember 1988, unter dem Titel: "In Praise of Followers"; Übersetzung: Dr. Karen Lührs.