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Remote-Arbeit Wie hybride Teams besser zusammenarbeiten

Arbeiten im Homeoffice kann großartig sein – es stellt Führungskräfte jedoch vor Herausforderungen. Mit diesen drei Strategien binden Sie remote arbeitende Teammitglieder besser ein.
aus Harvard Business manager 5/2023
Die gute Nachricht: Emotionale Nähe kann auch remote entstehen

Die gute Nachricht: Emotionale Nähe kann auch remote entstehen

Mehr als drei Jahre sind seit Ausbruch der Pandemie vergangen, und an viele Veränderungen in unserem Alltag haben wir uns inzwischen gewöhnt. Ein großes Thema allerdings ist noch ungelöst: Wie wollen wir mit der Remote- und Hybridarbeit  umgehen? Viele Führungskräfte befürchten, laxere Anwesenheitspflichten könnten den Teamzusammenhalt untergraben – zu Recht, wie eine aktuelle Studie  des Forschungs- und Beratungsunternehmens Gartner zeigt: Der Untersuchung zufolge fühlen sich nur noch 25 Prozent derer, die mobil oder hybrid arbeiten, mit der Kultur ihres Unternehmens verbunden. Sollte man die Leute also lieber wieder zurück ins Büro zwingen? Dass das ziemlich riskant ist, haben CEOs wie Elon Musk bei Tesla und Jamie Dimon von JPMorgan Chase erlebt. Besser, Sie wählen einen anderen Weg.

"Es hat eine gewisse Ironie, wenn Führungskräfte ihre Belegschaft ins Büro zwingen, um die Unternehmenskultur  zu retten", sagt Alexia Cambon, Arbeitsforscherin und eine der Hauptautorinnen der Studie. "So erreichen sie nur das Gegenteil von dem, was sie wollen. Hybride Arbeit sollte nicht als Störung der Unternehmenskultur gesehen werden, sondern als Gelegenheit, sie neu aufzubauen."

Die Arbeitskultur bewerten Cambon und ihr Team anhand zweier Komponenten: Passung (die Mitarbeitenden kennen die Kultur und halten diese für unternehmerisch richtig) und Verbundenheit (sie identifizieren sich mit dieser Kultur). Gartner befragte über 4500 Wissensarbeiterinnen und -arbeiter und 200 Personalverantwortliche und fand heraus, dass Anwesenheitspflichten das Verbundenheitsgefühl drastisch senkten. Nur 18 Prozent der Teammitglieder mit geringer Flexibilität gaben an, sich zu ihrem Arbeitgeber zugehörig zu fühlen. Ganz anders die Mitarbeitenden mit "radikaler Flexibilität" (also großen Freiheiten hinsichtlich ihres Arbeitsorts, aber auch des Zeitplans, ihres Arbeitsvolumens, ihrer Teams und Projekte). Hier waren es ganze 53 Prozent.

Hybrides Arbeiten ist die neue Realität: Führungskräfte sollten sie annehmen und aktiv gestalten.

Stark verbundene Mitarbeitende, so ein weiteres Ergebnis der Studie, sind bis zu 37 Prozent leistungsfähiger und bleiben ihrem Arbeitgeber zudem mit einer um 36 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit länger verbunden. In einer weiteren Gartner-Studie gab immerhin die Hälfte der Befragten an, dass sie ihr Unternehmen sofort verlassen würden, sollte sich dies von der Flexibilität aus der Covid-Ära wieder verabschieden. "Manche CEOs denken vielleicht, ihre Leute würden erst schimpfen, sich dann aber an die Rückkehr ins Büro gewöhnen", sagt Cambon. Doch sie liegen laut der Forscherin falsch: "Wer sich seinem Arbeitgeber nicht verbunden  fühlt, wechselt schnell zu einem weniger starr geführten Unternehmen."

Vor der Pandemie setzten Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung vor allem auf Passung. Was die Verbundenheit betraf, schien man vielerorts zu hoffen, dass diese, quasi wie durch Osmose, schon irgendwie in die Belegschaft einsickern würde. "Viele Führungskräfte waren offenbar der Meinung, schicke Büros und regelmäßiger Austausch zwischen den Mitarbeitenden würden reichen", so Cambon. "Das war allerdings schon vor Corona nicht der Fall. Heute, wo 65 Prozent aller Arbeitnehmenden weniger Zeit in Büros verbringen als je zuvor, hat die Vorstellung schon fast etwas Absurdes."

Cambon und ihr Team haben drei Strategien identifiziert, mit denen Arbeitgeber für ein besseres Zugehörigkeitsgefühl sorgen können.

1. Machen Sie die Arbeit – und nicht das Büro – zum Träger der Kultur. Viele Managerinnen und Manager befürchten, die Produktivität im Homeoffice leide unter ständigen Unterbrechungen und Ablenkungen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Viele Angestellte arbeiten zu Hause sogar gründlicher, weil sie mehr Ruhe für ihre Aufgaben haben. Auch die Produktivität der Menschen nimmt oftmals zu.

Aus Cambons Sicht bietet genau das die wertvolle Chance, die eigene Unternehmenskultur auch über die alltäglichen Aufgaben zu vermitteln: "Zu Hause ist unsere Beziehung zur Arbeit viel intimer", so Cambon. Gerade deshalb sollte sich die Unternehmenskultur, jedes Mal, wenn man sich einer Aufgabe widmet, in dieser auch widerspiegeln: "Arbeitgeber sollten all ihre Arbeitsabläufe daraufhin abklopfen, ob sie mit der eigenen Unternehmenskultur vereinbar sind. Wenn Ihr Unternehmen beispielsweise innovativ, zukunftsorientiert und schnelllebig wirken möchte, würden bürokratische Methoden und ständige technische Probleme diese Kultur untergraben."

Und: Mitarbeitende sollten spüren, dass ihr Wert  für das Unternehmen davon abhängt, was sie leisten – und nicht davon, wie häufig sie auch physisch anwesend waren. Virgin Money zum Beispiel, ein britischer Finanzdienstleister, identifiziert sein Callcenterteam als Herzstück des eigenen Unternehmens. Auch deshalb hat Virgin Money eine App entwickelt, in der die Mitglieder dieses Teams regelmäßig bewerten können, was ihnen an ihrem Job gerade besonders viel Freude macht. Die dort erfassten Werte dienen als Gesprächsgrundlage, wenn es darum geht, gemeinsam mit den Führungskräften auszuloten, wie sie ihr Tagesgeschäft am besten mit ihren Leidenschaften zusammenbringen. Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeitenden unbedingt ermutigen, den Rhythmus ihrer Arbeitsabläufe selbst zu bestimmen – und nicht nach vorgegebenen Normen zu arbeiten.

2. Fördern Sie emotionale statt physischer Nähe. Wer glaubt, physische Interaktionen stärke die Unternehmenskultur, macht es sich definitiv zu einfach – so ein weiteres Ergebnis der Studie: "Räumliche Nähe bedeutet, gesehen zu werden", schreiben die Wissenschaftler, "emotionale Nähe bedeutet dagegen, für andere von Bedeutung zu sein und sich gesehen zu fühlen." Wenn sich Mitarbeitende emotional miteinander verbunden fühlen, bewerten sie ihre Bindung zum Team um 27 Prozent besser als Kolleginnen und Kollegen, die diesen Eindruck nicht teilen. Die Tatsache, wie oft und häufig man sich physisch im Büro begegnet, hatte keine Auswirkungen auf das Zugehörigkeitsgefühl.

Dadurch, dass physische Treffen durch das Remote- und Hybridarbeiten seltener werden, bekommen Begegnungen automatisch eine größere Bedeutung. Das macht es umso wichtiger, sich von Mitarbeitenden, die sich toxisch  verhalten, zu trennen – und zwar insbesondere dann, wenn diese einflussreiche Positionen besetzen. Arbeitgeber sollten zudem sehr genau darauf achten, ob ein Meeting wirklich notwendig ist oder nicht. Eingeladen werden sollte nur, wer wirklich gebraucht wird. Je mehr Mitarbeitende spüren, dass ihre Beiträge geschätzt werden und wichtiger Teil des Ganzen sind, desto stärker werden sie sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren.

Führungskräfte können das unterstützen, indem sie den Beitrag jedes Einzelnen zum Unternehmenserfolg transparent machen. Das japanische Pharmaunternehmen TBS nutzt deshalb beispielsweise Rollenspiele im Onboarding: Jeder neue Mitarbeitende bekommt ein medizinisches Leiden zugewiesen und soll sich dementsprechend verhalten. Wer etwa eine Magen-Darm-Erkrankung zugewiesen bekommt, soll doppelt so häufig zur Toilette gehen wie gesunde Kolleginnen und Kollegen. Ziel der Übung ist es, die Unannehmlichkeiten und das Unbehagen der realen Patientinnen und Patienten zu simulieren. Um die emotionale Bindung noch zu unterstützen, sollen die neuen Kolleginnen und Kollegen parallel dazu auch noch Interviews mit Erkrankten führen, um von diesen mehr über ihre Erfahrungen mit TBS-Produkten zu erfahren. "All das hilft ihnen dabei, ein besseres Gefühl für den Wert ihrer ganz persönlichen Arbeit zu bekommen", so Cambon.

3. Fördern Sie Mikrokulturen. Multinationale Unternehmen kennen sie schon lange: Die Herausforderung, über die unterschiedlichsten Kulturen hinweg für eine starke Unternehmenskultur zu sorgen. Jetzt stehen auch kleinere und nur regional tätige Unternehmen vor dieser Aufgabe. Führungskräfte sollten sich deshalb auf dezentrale Formen der Führung verlegen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie berichteten, dass kleinere Teamevents für sie eine sehr viel größere Rolle spielten als unternehmensweite Initiativen. Der niederländische Gesundheits- und Nahrungsmittelhersteller Royal DSM ist daher dazu übergegangen, das eigene Unternehmen als eine Flotte unabhängig gesteuerter Schiffe zu sehen – und nicht mehr als großen Tanker: "Das Unternehmen gibt noch die Richtung vor", so die Diagnose der Wissenschaftler, "aber die Normen und Strategien werden auf jedem einzelnen Schiff einzeln ausgehandelt."

Die Pandemie hat die Art und Weise, wie Mitarbeitende ihre Unternehmenskultur wahrnehmen, radikal verändert. Den Führungskräften bleibt gar nichts anderes übrig: Sie müssen diese neue Realität annehmen und aktiv gestalten. Die Autorinnen und Autoren der Studie drücken es so aus: "Führung, die gestaltet, statt sich auf Osmose-Effekte zu verlassen, beeinflusst die Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden und ihre Absicht, im Unternehmen zu bleiben, überdurchschnittlich positiv." © HBP 2023

Quelle: "Evolve Culture & Leadership for the Hybrid Workplace ", Gartner Inc. (Whitepaper)

Ausgabe Mai 2023

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