Die Manager in allen hoch entwickelten Ländern der Welt müssen die Produktivität der Mitarbeiter in den Wissens- und Service-Industrien drastisch erhöhen. In den kommenden Jahrzehnten (Drucker schrieb diesen Beitrag im Jahr 1992 - Anm. d. Red.) wird diese Herausforderung an die erste Stelle der Führungsprioritäten rücken und letztlich über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entscheiden. Noch weitaus wichtiger: Das gesellschaftliche Gefüge und die Lebensqualität jeder Industrienation werden davon abhängen, ob diese Herausforderung bewältigt wird.
Seit 1870 ist die Produktivität bei der Herstellung und dem Transport von Gütern in den Industrieländern um jährlich 3 bis 4 Prozent gestiegen, im ganzen um das 45-Fache. Und just auf diesem explosiven Wachstum beruht der Wohlstand, dessen sich diese Nationen und ihre Bürger erfreuen können: enorme Steigerungen bei den verfügbaren Einkommen und der Kaufkraft; ein sich ständig ausweitender Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung; Anspruch auf ein Maß an Freizeit, das vor 1914 nur die Aristokraten und die "müßigen Reichen" kannten; alle anderen arbeiteten mindestens 3000 Stunden jährlich. (In den 90er-Jahren arbeiteten selbst die Japaner im Jahr nicht mehr als 2000 Stunden, wogegen es die Amerikaner im Schnitt auf 1800 und die Deutschen auf 1650 Stunden brachten.)
Jetzt beginnen sich diese Steigerungsraten auseinanderzuentwickeln, aber nicht weil die Produktivität in der Güterherstellung und -bewegung zurückgegangen wäre. Denn im Gegensatz zu einer verbreiteten Ansicht steigt die Produktivität dort nach wie vor. Und sie wächst in den Vereinigten Staaten nicht weniger als in Japan oder Deutschland. Tatsächlich stieg die Produktivität der amerikanischen Fertigungsindustrie in den 80er-Jahren um etwa 3,9 Prozent jährlich, in absoluten Zahlen stärker als in Japan und Deutschland. Selbst die jährliche Produktivitätszunahme der amerikanischen Landwirtschaft, 4 bis 5 Prozent, ist bei Weitem die größte, die je für ein Land verzeichnet wurde.
Aber diese Produktivitätsrevolution ist zu Ende. Denn heute sind zu wenige Menschen mit der Herstellung von Gütern beschäftigt, als dass ihre Produktivität noch entscheidend wäre. In entwickelten Volkswirtschaften stellen sie insgesamt nur noch ein Fünftel der arbeitenden Bevölkerung. In den 60er-Jahren war es fast die Mehrheit. Selbst Japan, ein noch immer fertigungsintensives Land, kann sein wirtschaftliches Wachstum nicht mehr durch steigende Produktivität in diesem Sektor aufrechterhalten. Tatsächlich ist eine starke Mehrheit der berufstätigen Bevölkerung Japans in Bereichen beschäftigt, die eng mit Wissen und Service zu tun haben, Bereiche mit einer ebenso niedrigen Produktivität wie in allen anderen Industrienationen.
Darum muss die erste wirtschaftliche Priorität der Industrieländer darin bestehen, die Produktivität in den Wissens- und Dienstleistungsbereichen zu erhöhen. Das Land, dem dies zuerst gelingt, wird im kommenden Jahrhundert wirtschaftlich dominieren. Die dringendste soziale Herausforderung für die hoch entwickelten Länder ist jedoch, mehr Produktivität bei den Dienstleistungen zu erreichen. Wird diese Herausforderung nicht bewältigt, so wird sich die entwickelte Welt wachsenden sozialen Spannungen, zunehmender Polarisierung und Radikalisierung sowie möglicherweise sogar einem Klassenkampf gegenübersehen.
In den hoch entwickelten Volkswirtschaften bieten sich Karriere- und Beförderungschancen in zunehmendem Maß nur noch Menschen mit hohem Ausbildungsgrad, jenen, die für wissensbetonte Arbeit qualifiziert sind. Aber diese Männer und Frauen werden immer eine Minderheit bilden, an Zahl stets von den Leuten übertroffen, denen es an Qualifikation für alles fehlt, außer für simple Servicetätigkeiten. Das sind Menschen, die sich ihrem sozialen Status nach mit den "Proletariern" des 19. Jahrhunderts vergleichen lassen, jenen ungebildeten und nicht ausgebildeten Massen, die sich in den explosionsartig wachsenden Industriestädten tummelten und in die Fabriken strömten.
In den frühen 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts waren kluge Beobachter jeder politischen Couleur von dem Gespenst des Klassenkampfs zwischen dem Industrieproletariat und der Bourgeoisie besessen. Karl Marx stand keineswegs allein da mit seiner Vorhersage, dass die "Verelendung" des Proletariats unweigerlich in eine Revolution münden werde. Benjamin Disraeli, der vielleicht größte unter den konservativen Politikern des 19. Jahrhunderts, war ebenfalls von der Unvermeidlichkeit des Klassenkampfs überzeugt. Und Henry James, der Chronist der Reichen Amerikas und der europäischen Aristokratie, fürchtete diese Aussicht so sehr, dass er sie zum Thema eines beklemmenden Romans, der "Princess Casamassima", machte.
Was den Eintritt dieser den Zeitgenossen damals fast selbstverständlich erscheinenden Prophezeiungen verhinderte, war die von Frederick W. Taylor 1881 ausgelöste Revolution der Produktivität. Er löste sie aus, indem er näher untersuchte, wie ein einfacher Arbeiter Sand schaufelt. Taylor selbst arbeitete in einer Eisengießerei, und ihn erschreckte zutiefst die Feindseligkeit, die zwischen Arbeitern und Managern herrschte. Er befürchtete, dieser Hass werde schließlich zu einem offenen Kampf führen, und so machte er sich daran, die Effizienz industrieller Arbeit zu verbessern. Seine Bestrebungen, die eine Revolution entzündeten, ermöglichten es Industriearbeitern, trotz mangelnder Fähigkeiten und Bildung Löhne zu verdienen, die den Mittelklasse-Einkommen ebenbürtig waren und einen vergleichbaren sozialen Status ermöglichten.
Mittlerweile ist es Zeit für eine weitere Revolution der Produktivität. Doch diesmal ist die Geschichte auf unserer Seite. Im Laufe des 20. Jahrhunderts konnten wir eine Menge über Produktivität lernen und darüber, wie sie erhöht werden kann - das ist genug, um zu wissen, dass wir eine Revolution brauchen, genug aber auch, um zu wissen, wie man sie in Gang setzt.
Die Aufgabe: Klüger arbeiten