Frauen in Führungspositionen Mehr Mut bei Beförderungen

Kamala Harris (r.) mit Joe Biden am Ende des Parteitags der Demokratischen Partei in Houston.
Foto: MIKE BLAKE / REUTERSZum ersten Mal in der Geschichte verfügte eine große politische Partei in den USA gleich über mehrere Frauen, die sich um die Präsidentschaftskandidatur bewarben. Experten verschiedener Fernsehsender bezweifeln jedoch, dass jemals eine Frau ins höchste Amt im Land gewählt wird – und dies obwohl der Anteil der Frauen, die im vergangenen Herbst in den US-Kongress eingezogen sind, enorm gestiegen ist.
Uns erstaunt diese Skepsis – vor allem in Anbetracht der Ergebnisse, die wir aus unseren eigenen Forschungsprojekten in Unternehmen kennen. 2012 haben wir die Resultate unserer Untersuchung zu 360-Grad-Beurteilungen in zwei Artikeln der Harvard Business Review vorgestellt. Danach werden Frauen in Führungspositionen als genauso effektiv wahrgenommen wie Männer. Die Unterschiede waren zwar nicht sehr groß. Aber wir fanden heraus, dass Frauen in der überwiegenden Mehrheit der von uns gemessenen Führungskompetenzen statistisch signifikant höhere Werte als Männer erzielten.
Wir haben unsere Studie vor Kurzem aktualisiert und die in unserer Datenbank gespeicherten Ergebnisse von 360- Grad-Feedbacks erneut ausgewertet. Für diese Art der Rundumbeurteilungen bitten wir die Mitarbeiter darum, die Gesamtleistung einzelner Führungskräfte zu bewerten. Sie werden jedoch auch danach gefragt, wie stark ihre Vorgesetzten bei bestimmten Kompetenzen sind. Die neue Untersuchung kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie die vorangegangene: Frauen in Führungspositionen werden als genauso kompetent wie ihre männlichen Kollegen wahrgenommen – wenn nicht sogar als kompetenter.
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Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Vergleich zu unserer vorherigen Studie relativ konstant geblieben ist. Nur 4,9 Prozent der "Fortune 500"-CEOs und 2 Prozent der S&P-500-CEOs sind Frauen. Weltweit betrachtet geht ihr Anteil sogar zurück.
Natürlich gibt es etliche Faktoren, die den Mangel an Frauen in Führungsetagen begünstigen. Seit Jahrhunderten bestehen weitverbreitete kulturelle Vorurteile gegenüber Frauen – und derlei Stereotype sterben nur langsam. Lange waren eine Menge Leute davon überzeugt, dass viele Frauen auf den Aufstieg in die höchsten Ränge der Organisation aus eigenem Antrieb verzichten und sich deshalb aus dem Rennen verabschieden. Die jüngste Forschung bestreitet dies allerdings. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass unbewusste Vorurteile eine wichtige Rolle bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen spielen. Dies trägt dazu bei, dass weniger Frauen in Schlüsselpositionen tätig sind.
Klarer Vorsprung
Unsere aktuellen Daten liefern weitere und noch überzeugendere Belege dafür, dass die Stereotype falsch und durch nichts gerechtfertigt sind. Die Leistungen von Frauen werden von ihren Mitarbeitern – und hier vor allem von Männern – auf jeder Hierarchieebene und in praktisch allen Funktionsbereichen als ein kleines bisschen besser eingeschätzt als die von Männern. Das schließt traditionell männliche Bastionen wie IT, Produktion und Recht mit ein.
Frauen wurden als besonders herausragend eingestuft, wenn es darum geht, Initiative zu ergreifen, Resilienz beim Handeln unter Beweis zu stellen, sich weiterzuentwickeln und Ziele zu erreichen. Auch Integrität und Ehrlichkeit wurden bei Frauen höher eingeschätzt. Insgesamt schnitten Frauen bei 84 Prozent der von uns am häufigsten gemessenen Kompetenzen besser ab.
Nach unseren aktualisierten Daten wurden Männer bei zwei Fähigkeiten als stärker eingestuft: in den Beurteilungskategorien "entwickelt eine strategische Perspektive" und "technisches oder professionelles Fachwissen". Bei beiden Kompetenzen hatten sie auch in unserer ursprünglichen Forschung höhere Bewertungen erhalten.
Interessant ist, dass sich Frauen bei ihrer Selbsteinschätzung in weniger goldenem Licht betrachten. Wir haben in den vergangenen Jahren ein Instrument zur Selbsteinschätzung entwickelt, mit dem sich unter anderem das Selbstvertrauen messen lässt. Seit 2016 haben wir die Daten von bislang 3876 Männern und 4779 Frauen gesammelt, die das Selbstbewusstsein von Führungskräften im Laufe ihrer Karriere dokumentieren. Wir haben einige interessante Entdeckungen gemacht.
Mangelndes Selbstbewusstsein
Im Vergleich zeigt sich, dass der Unterschied beim Selbstbewusstsein von Männern und Frauen im Alter von unter 25 Jahren besonders groß ist. Dabei ist es sehr wahrscheinlich, dass die befragten Frauen deutlich kompetenter sind, als sie glauben. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass männliche Führungskräfte ein überzogenes Selbstvertrauen an den Tag legen und sich für kompetenter halten, als sie sind. Bis zum Alter von 40 Jahren gleicht sich das Selbstbewusstsein der Geschlechter jedoch an.
Je älter Menschen werden, desto stärker wächst in der Regel auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Überraschend ist dabei, dass das Selbstwertgefühl bei Männern ab 60 Jahren sinkt, während das der Frauen weiter ansteigt. Nach unserer Erhebung nimmt das Selbstbewusstsein bei Männern ab 25 Jahren bis zum Alter von über 60 nur um 8,5 Perzentilpunkte zu. Bei Frauen sind es hingegen 29 Perzentilpunkte. Eine Anmerkung: Diese Angaben stammen aus unseren Untersuchungen. Uns ist bewusst, dass andere Studien zu abweichenden Ergebnissen kommen, wenn es um das fehlende Selbstbewusstsein von Frauen unter 25 Jahren geht.
Ein Gespräch mit Ute Gerbaulet, persönlich haftende Gesellschafterin des Bankhauses Lampe, über das Selbstvertrauen von weiblichen Führungskräften.

Harvard Business manager: Noch immer sind Frauen in Führungspositionen rar. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass dies maßgeblich an ihrem Selbstvertrauen liegt. Stimmt das, Frau Gerbaulet?
Ute Gerbaulet: Für meine Generation – ich bin jetzt 51 Jahre alt – trifft es sicherlich zu, dass das Selbstvertrauen im Laufe der Karriere weiter wächst. Aber wenn ich mir die weiblichen Nachwuchskräfte anschaue, die ich kennengelernt habe, stelle ich fest, dass sich das Selbstbewusstsein von Frauen sehr gewandelt hat. Die jungen Frauen, die heute aus der Schule oder von der Uni kommen, haben deutlich mehr Selbstvertrauen.
Liegt das daran, dass sie von Anfang an die gleichen Chancen bekommen wie Männer?
Junge Frauen gehen heute viel selbstverständlicher ihren Weg. Sie formulieren ihre Ziele klar und streben sie konsequent an. Das beginnt schon in der Schule, wie ich bei meinen Kindern beobachtet habe. Aber: Mittlerweile bekommen Frauen auch deutlich mehr Chancen – und das nicht nur in Ausnahmefällen. Das stärkt das Selbstvertrauen zusätzlich. Genauso wie weibliche Vorbilder, die erfolgreich im Beruf stehen. Denn: Viele junge Frauen haben heute Mütter, die berufstätig sind.
Woran liegt es dann, dass Frauen an der Spitze von Unternehmen oder in Führungspositionen immer noch in der Minderheit sind?
Wenn eine Frau Mutter wird, hat das oft Einfluss auf ihre berufliche Laufbahn, und dieser Aspekt wird in der Studie nicht berücksichtigt. Ich sehe viele Frauen, die sich dann auf die Familie konzentrieren und beruflich kürzer treten. Nach meiner Beobachtung tun sie das übrigens wieder vermehrt. Zudem gibt es mittlerweile auch mehr Männer, die in Elternzeit gehen. Das zeigt: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie funktioniert dann besonders gut, wenn Eltern diese partnerschaftlich angehen. So hat mir in England vor Jahren eine erfahrene ältere Bankerin gesagt: "You have to marry wisely." Und das stimmt in diesem Kontext.
Wie war das bei Ihnen?
Mein Mann hat sich genauso um die Kinder gekümmert. Ich war ja immer im Investmentbanking und am Kapitalmarkt unterwegs, und da herrscht ein ganz klares Leistungsprinzip. Dass ich eine Frau bin, spielte in meiner beruflichen Laufbahn nie eine Rolle – abgesehen von einer Situation: In den Anfangsjahren sprach mich mein Chef hinsichtlich der Besetzung einer Führungsposition an. Mein Vorgesetzter fragte mich, ob ich Herrn A oder B für den Job empfehlen würde. Am nächsten Tag bin ich wieder zu ihm gegangen – übrigens auf Drängen meines Mannes – und habe gesagt: Warum komme ich nicht infrage? Mein Vorgesetzter war ganz erstaunt und sagte: Wieso? Sie haben doch jetzt ein kleines Kind. Als ich entgegnete, dass dies bislang auch keine Rolle gespielt hat, kam mein Vorgesetzter ins Überlegen. Ich habe die Stelle dann bekommen. Aber zunächst hatte ich nicht das notwendige Selbstbewusstsein, sofort zu reagieren.
Haben Frauen vielleicht einfach eine realistischere Selbstein-schätzung als Männer? Müssten sie mehr bluffen?
Frauen sind tatsächlich oft besser in ihrer Selbsteinschätzung. Das ist ja sehr positiv. Deshalb würde ich auch niemals empfehlen zu bluffen. Hier sind die Führungsverantwortlichen gefragt: Sie brauchen ein gutes Einschätzungsvermögen und dürfen sich von ausschließlich selbstbewusstem Auftreten nicht blenden lassen. Dann sieht es für Frauen meiner Erfahrung nach sehr gut aus.
Sie sind Aufsichtsrätin bei RWE, -einem sehr traditionellen Unternehmen. Wie sieht es da mit den Chancen für Frauen aus?
Als das zukünftige Renewables Management bei RWE neu besetzt wurde, war es ein klares Ziel, dass dies möglichst divers erfolgen sollte. Und die ausgewählten Frauen, darunter auch die designierte CEO Anja-Isabel Dotzenrath, haben absolut überzeugt. Das zeigt: Wenn man Frauen die Chance gibt, sich zu beweisen und über Inhalte zu positionieren, dann funktioniert das auch. Aber auch das stimmt: Um Frauen für Führungspositionen zu gewinnen, muss man gezielter auf sie zugehen. Und: Eine Frau überlegt durchaus länger, bis sie bei einem Topjob zugreift.
Unsere Erkenntnisse stimmen aber mit denen anderer Untersuchungen überein, die belegen, dass sich Frauen auf eine ausgeschriebene Stelle vor allem dann bewerben, wenn sie das Gros der aufgeführten Qualifikationen zu erfüllen glauben.
Ein Mann und eine Frau, denen es bei gleicher Qualifikation an Erfahrung für eine höhere Position mangelt, kommen zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen, wenn es um eine Beförderung geht. Der Mann ist eher geneigt anzunehmen, dass er im neuen Job lernen kann, woran es ihm noch fehlt. Er sagt sich: "Ich bin nahe genug dran." Die Frau tendiert dazu, vorsichtiger zu sein, und neigt zu weniger Bereitschaft, den neuen Job unter diesen Vorzeichen anzutreten.
Es ist gut möglich, dass das geringere Maß an Selbstvertrauen Frauen in jüngeren Jahren dazu motiviert, mehr Initiative zu ergreifen, und ihre Widerstandsfähigkeit trainiert. Vermutlich macht es sie auch offener für Rückmeldungen anderer – und damit langfristig zu besseren Führungskräften.
Eine ähnliche Tendenz sehen wir bei der Selbstwahrnehmung von Frauen, wenn es um ihre Gesamtleistung als Führungskraft geht, wobei sie sich mit zunehmendem Alter besser bewerten. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Studie, an der 40.184 Männer und 22.600 Frauen teilnahmen. Die Daten zeigen die Leistungen von Männern und Frauen anhand von 49 Verhaltensweisen, mit deren Hilfe sich die Qualität einer Führungskraft prognostizieren lässt. Auch hier bewerten sich Frauen im jüngeren Alter signifikant schlechter als Männer. Aber ihre Bewertungen steigen im Verlauf der Zeit – und übersteigen letztendlich die der Männer.
Diese Daten untermauern unsere Beobachtungen aus früheren Untersuchungen. Frauen sind nach Ansicht ihrer engsten Mitarbeiter hochkompetente Führungskräfte. Was sie zurückhält, ist nicht der Mangel an Fähigkeiten, sondern der Mangel an Möglichkeiten. Wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen, sind Frauen in höheren Positionen mit derselben Wahrscheinlichkeit erfolgreich wie Männer.
Behalten Sie im Hinterkopf, dass es sich bei unseren Daten hauptsächlich um die Wahrnehmung aktueller und vergangener Leistung handelt. Etwas ganz anderes ist die Entscheidung über eine Beförderung, die mit dem Aufrücken in der Hierarchie und höherem Risiko verbunden ist. Wenn von 100 Mitarbeitern, die derzeit eine vergleichbare Position innehaben, 96 Männer sind: Wen befördern Sie dann? Neigen Sie dazu, eine hoch qualifizierte Frau zu befördern – oder tendieren Sie zu einem hoch qualifizierten Mann? Es mag sicherer erscheinen, den Mann zu wählen.
Führungskräfte müssen sich genau ansehen, was der Förderung von Frauen in ihrer Organisation im Wege steht. Natürlich spielt das unbewusste Vorurteil, dass Frauen nicht in Führungspositionen gehören, eine große Rolle. Es ist jedoch unumgänglich, dass Organisationen ihre Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen ändern und dafür sorgen, dass qualifizierten Frauen ernst zu nehmende Chancen eingeräumt werden. Diejenigen, die diese Entscheidungen treffen, müssen innehalten und sich fragen: "Erliegen wir unbewussten Vorurteilen? Geben wir automatisch einem Mann den Vorzug, wenn es eine ebenso kompetente Frau gibt?" Wie unsere Daten zum Selbstvertrauen zeigen, müssen Unternehmen Frauen auch stärker ermutigen. Führungskräfte können sie etwa in ihren Kompetenzen bestärken und sie dabei unterstützen, Beförderungen deutlich früher anzustreben.
© HBP 2019
Dieser Artikel erschien erstmals in der Oktober-Ausgabe 2019 des Harvard Business managers.