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Essay Es lebe das Büro!

Gianpiero Petriglieri nennt sein Büro an der Business School Insead "Box" und kann sich nicht vorstellen, dauerhaft im Homeoffice zu arbeiten. Eine Liebeserklärung an einen Raum, der so viel mehr ist Schreibtisch und Computer.
aus Harvard Business manager 12/2020
Foto:

Marcus Cederberg

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Nach dem Medizinstudium hatte ich fast zehn Jahre lang immer Arbeit, aber nie einen Job. Ich war gerade in der Facharztausbildung, als meine Karriere eine unerwartete Wendung nahm. Ich wollte mehr darüber wissen, welche Auswirkungen der Arbeitsplatz auf die psychische Gesundheit von Menschen hat und inwieweit Arbeit sinnstiftend oder belastend wirkt. Damit begann für mich ein langer Übergang von der klinischen Praxis zur Managementforschung und -lehre.

Die Brücke zwischen diesen beiden weit voneinander entfernten Welten waren meine Jahre als Freiberufler, in denen ich mich mit der Innenwelt der Arbeit befasst habe, als Berater, Dozent und Autor. Ich traf interessante Menschen, reiste viel und arbeitete rund um die Uhr. Ich war frei, stolz – und ständig im Stress. In diesen Jahren hatte ich immer wieder den gleichen Traum: Ich war unterwegs, in einem Zug oder Flugzeug, und stellte plötzlich fest, dass ich meinen Rucksack verloren hatte – mit meinem Laptop, meinen Unterlagen, meinem Telefon und meinem Geld. Ich fühlte mich verloren und voller Panik. Eines Nachts wachte ich aus diesem Traum in meinem gemieteten Zimmer auf. Ich war allein, und mein Herz pochte. Ich musste immerzu denken: Wenn ich jetzt auf der Stelle sterbe, gibt es niemanden, der mich am nächsten Tag im Büro vermissen wird. Weil ich kein Büro habe, kein Zuhause für meine Arbeit.

Eines Tages wurde auf wundersame Weise aus einem Auftrag eine Anstellung. Ich bekam das Angebot, an der Business School Insead in Frankreich als Adjunct Professor einen Kurs zu geben. Aus dem einem Semester wurden 14 Jahre, und ich bin immer noch hier. Seit Insead mich eingestellt hat, habe ich ein eigenes Büro; gegenüber auf der anderen Straßenseite beginnt der Wald von Fontainebleau. Ich nenne das Büro meine "Box". An der Tür steht mein Name, und drinnen sammeln sich die Ablagerungen meiner Arbeit. Ich nehme mir immer vor aufzuräumen, mache es aber nie. So bleiben die Sachen einfach liegen. Genau darum geht es.

Büros sind mehr als Arbeitsorte. Sie prägen unsere Identität, Wurzeln und Träume.

Seit ich meine Box habe, mache ich mir in schlaflosen Nächten immer wieder Sorgen, ob es mir gelingt, meinen Job zu behalten. Aber das ist mir in jedem Fall lieber als der Rucksacktraum. Wenn Büroangestellte Ängste haben, handelt es sich oft um Leistungsangst – die Befürchtung, nicht die geforderten Zahlen zu schaffen oder nicht den richtigen Eindruck zu vermitteln. Gelegentlich werden die Ängste existenziell. Dann sehen Angestellte keinen Sinn mehr in ihrem Job, oder sie haben Angst, sich auf ihrer Stelle nicht halten zu können. Aber ohne ein Büro oder eine Anstellung wird Existenzangst zum Dauerzustand. Alles, was Sie tun, definiert, wer Sie sind. Und es ist einfacher, sich in der Arbeit zu vergraben und damit zu riskieren, beides zu verlieren: die Arbeit und sich selbst.

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Eine ganz besondere Beziehung

"Es ist besser, geliebt und verloren zu haben, als niemals geliebt zu haben", heißt es in einem Gedicht von Alfred Lord Tennyson. Das gilt in meinen Augen auch für das Büro, und mit dieser Meinung bin ich nicht allein. Seit zwei Jahrzehnten forsche ich jetzt über prekäre Arbeitsverhältnisse – was bei meiner Biografie nicht überraschend ist –, und ich habe noch nie jemanden getroffen, der sich nicht nach einer beruflichen Heimat sehnte. Diese Orte prägen unsere persönliche Entwicklung. An ihnen machen wir oft unsere Wurzeln und Träume fest: Wo hast du deine Ausbildung gemacht? Wo arbeitest du? Wo siehst du dich in fünf Jahren?

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