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Nischenstrategie Es lebe der Fachhandel!

Die "Geiz ist geil"-Welle hat nicht alle Beteiligten gleich schwer getroffen. Jetzt hat der Fachhandel die Chance, groß herauszukommen.
Von Thomas Fröhlich
aus Harvard Business manager 1/2007

Die typischen Einkaufsstraßen in Großstädten sind trostlos. Überall Filialen der gleichen Ketten wie Kaufhof, Kamps, Schlecker und Konsorten. Überall Aktionsangebote und Rotstiftpreise.

Nach der "Geiz ist geil"-Welle bietet sich uns ein Bild der Verwüstung. Markenhersteller und Handelsketten haben sich gegenseitig aufgerieben, ihre Margen und ihr Ansehen ruiniert. Kunden müssen immer schlechtere Qualität und schlechteren Service hinnehmen. Besonders gebeutelt sind die Fachhändler. Sie drohen ihre Existenzberechtigung zu verlieren, weil sie bei dem Preiskampf nicht mithalten können.

Diesen Selbstzerstörungsprozess hat das Institut für Markentechnik bei Beratungsprojekten in über 40 Branchen immer wieder beobachtet. Doch Resignation ist keine gute Strategie. Es gilt, sich für die nächste Kosteneinsparungswelle zu rüsten. Besonders gute Voraussetzungen hat dazu derzeit der Fachhandel. Er ist nämlich keineswegs tot, wie viele behaupten. Im Gegenteil: Die aktuelle Situation gibt ihm die Chance, sich neu zu erfinden und sich in geeigneter Weise zu positionieren.

Um zu verstehen, warum der Zeitpunkt so günstig ist, müssen wir uns genauer ansehen, wie sich die Beteiligten in diese desolate Situation manövriert haben. Die großen Händler nutzten ihre Machtposition aus und betrieben den Konditionenwettbewerb gegenüber den Herstellern nur noch über den Preis. Konsequenz: Sie mussten ihre Kosten radikal reduzieren, um überhaupt noch etwas zu verdienen. Zwei Beispiele dokumentieren, wie das in der Praxis aussieht: Der Warenhauskonzern KarstadtQuelle kündigte an, bis zum Jahr 2007 Personalkosten von 760 Millionen Euro einzusparen. Der amerikanische Handelsriese Wal-Mart zog sich 2006 nach nur acht Jahren komplett aus dem deutschen Markt zurück.

Die Markenartikelhersteller haben fleißig mitgemischt: Sie konzentrierten ihre Kräfte nur noch auf Großkunden, die Handelskonzerne, und vernachlässigten alle übrigen Vertriebskanäle. Von konsistenter Distributionsstrategie keine Spur mehr. In der Folge bildete sich eine Subkultur von Märkten, zum Beispiel im Internet. Die Hersteller verloren vollkommen die Kontrolle über die Preise und das Umfeld, in dem ihre Produkte auf dem Markt auftauchten. So kann es passieren, dass Verbraucher im Internet zum Beispiel einen Drucker für die Hälfte des empfohlenen Verkaufspreises erhalten.

Den Konsumenten redete die Werbeindustrie ein, ihr Heil liege allein in der Schnäppchenjagd. In einer anfänglichen Euphorie vergeudeten sie Stunden ihrer wertvollen Freizeit mit der Suche nach dem günstigsten Preis und lebten nach der Kaufentscheidung ständig mit dem beklemmenden Gefühl, irgendwo ein günstigeres Angebot übersehen zu haben.

Und zu guter Letzt die Fachhändler. Sie versuchten es den Großen nachzutun, dem Wunsch der Käufer nach Discountware entgegenzukommen, mehr vom Gleichen anzubieten. Auf den ersten Blick ein lobenswerter Gedanke. Bei näherem Hinsehen der erste Schritt ins Verderben, wie sich am Beispiel Heimwerkerbedarf zeigt. Die Kunden lassen sich vom Fachhändler ausführlich beraten und kaufen das gleiche Produkt dann billiger im Baumarkt.

Alles in allem eine Situation ohne Ausweg für alle Beteiligten? Keineswegs. Der Fachhandel hat die besten Chancen, dem Verderben zu entrinnen, was in der Folge auch dem Verbraucher nutzt. Drei Aspekte sollten Manager berücksichtigen, wenn sie in diesem Segment tätig sind. Sie müssen sich über das Vertrauen der Verbraucher differenzieren, die Marktstrukturen verstehen und all ihre Energie in die Auswahl eines individuellen Sortiments investieren.

Vertrauen gewinnen

Preiskampf bedeutet für den Käufer, dass er Geschäfte mit einem gesichtslosen Partner macht. Die meisten Konsumenten haben längst gemerkt, dass ihnen das nicht gut tut. Besonders offensichtlich wurde das gerade wieder in der Lebensmittelindustrie: Man

denke nur an den Gammelfleischskandal. Dabei hatten die Verbraucherschützer von der Stiftung Warentest in ihrer Studie "Geiz wird gefährlich" bereits im November 2005 gewarnt, die Qualität vieler Haushaltsgeräte, die bei Discountern im Angebot seien, habe stark nachgelassen. Nicht wenige Produkte fielen durch schädliche chemische Inhaltsstoffe auf. Viele Konsumenten sind außerdem verunsichert, weil sie den wahren Wert der Ware nicht mehr einschätzen können. Gerade Besserverdiener sind wütend, weil sie so viel Zeit mit der Informationssuche vergeuden.

Als Fachhändler müssen Sie also unbedingt um das Vertrauen der Konsumenten werben. Gelingt das, differenzieren Sie sich allein dadurch schon von den großen Handelsketten. In der derzeitigen Situation dürfte es nicht einmal allzu schwer sein, das Vertrauen zu gewinnen.

Marktstruktur nutzen

Je mehr Firmen auf der "Geiz ist geil"-Welle reiten, desto größer ist die Chance, sich als Nischenanbieter zu positionieren. Denn das Premiumsegment ist inzwischen oft unbesetzt. Regionale Spezialisten haben hier die Chance, hohe Renditen zu erzielen. In jeder Branche muss es ein solches oberes Preissegment geben. Eines von vielen Beispielen ist das Bäckerhandwerk in Großstädten. Kaum ein Anbieter wagt es noch, sich mit erstklassiger Qualität gegenüber den Industriebrötchen-Ketten zu profilieren.

Wer im Premiumsegment erfolgreich sein möchte, muss allerdings den Mut zu einer konsequenten Strategie der Qualitätsführerschaft haben: Sie müssen das volle Programm anbieten: von der kompetenten Beratung oder umfassenden Information über die Besonderheiten der Produktqualität bis zum umfangreichen After-Sales-Service bei komplexen Produkten oder Werkzeugen.

Individuelles Sortiment

Die Auswahl der richtigen Produkte und Hersteller ist das Markenzeichen und die ganz besondere Kompetenz des Fachhändlers. Es geht nicht darum, durch ausgefeilte Marktforschung Kundenwünsche zu erfüllen. Der Fachhändler muss den Kunden überraschen.

Grundsätzlich gilt: Nehmen Sie nur Hersteller in Ihr Sortiment auf, die sich zum Fachhandel bekennen, und versichern Sie sich, dass der Hersteller seine Vertriebskanäle im Griff hat. Noch besser: Nutzen Sie die Exklusivität kleiner Manufakturbetriebe. Das deutsche Spezialwarenhaus Manufactum setzt bewusst auf Handarbeit, etwa bei Spielwaren, oder auf Produkte, die völlig unabhängig von Modetrends sind, zum Beispiel bei Bekleidung. Spezialisieren Sie sich auf Felder, bei denen der Kunde auto-matisch positive Assoziationen hat: zum Beispiel Feinkost aus Frankreich oder Italien.

Mögen die Konzerne sich weiterhin gegenseitig zerfleischen. Ein Fachhändler mit gesundem Kaufmannsverstand kann den ungeliebten Slogan wieder zurechtrücken: Qualität ist geil - Geiz nervt. n

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