Ideen "Erst lachen, dann nachdenken"
Marc Abrahams kennt sie alle: die guten, die schlechten und vor allem die ganz üblen Ideen. Als Mitgründer und Herausgeber der Zeitschrift "Annals of Improbable Research" bewahrt Abrahams zusammen mit einer fröhlichen Schar von Wissenschaftlern (darunter acht Nobelpreisträger) akademische Kuriositäten vor dem Vergessen - zum Beispiel eine Studie über die Auswirkungen von Erdnussbutter auf die Erdrotation. Außerdem ist er für die Verleihung des Ig-Nobelpreises verantwortlich, mit dem jährlich wissenschaftliche Errungenschaften gefeiert werden, die eines Don Quichotte würdig gewesen wären.
Gibt es überhaupt so etwas wie eine schlechte Idee?
Abrahams Natürlich. Aber häufig reagieren Menschen auf Ideen negativ, weil sie ihnen nicht richtig erklärt werden oder weil diese spezielle Zielgruppe an diesem besonderen Tag für die Idee nicht aufgeschlossen ist. Deshalb sollten Sie hartnäckig bleiben. Führen Sie Listen abgelehnter Ideen, die Sie faszinieren, und bringen Sie sie irgendwann wieder aufs Tapet. Wenn wir die Kandidaten für unseren Ig-Nobelpreis bewerten, kommt es oft vor, dass ein Anwärter auf mäßige Begeisterung stößt. Zwei oder drei Jahre später schlägt irgendjemand denselben Kandidaten noch einmal vor, und plötzlich halten alle seine Idee für das Beste, das sie je gehört haben.
Gibt es denn "Reserven" solcher abgelehnten Ideen, die man irgendwann wieder aufgreifen kann?
Abrahams Ja. Die meisten Unternehmen könnten sämtliche Innovationen verbieten, und ihr Vorrat an guten Ideen, die man aus irgendwelchen Gründen ad acta gelegt hat,
würde trotzdem noch jahrelang reichen. Der Mathematiker Benoît Mandelbrot hat seine Karriere darauf aufgebaut, Ideen zu untersuchen, die andere Leute nicht weiterverfolgt hatten. Er hat ganze Zweige der Mathematik zu neuem Leben erweckt, und zwar aus Ideen, von denen vor ungefähr 80 Jahren niemand etwas wissen wollte. Und schauen Sie sich doch nur einmal die chemische und pharmazeutische Industrie an: Viele Professoren könnten Ihnen gute, funktionsfähige Produkte oder Verfahren nennen, die sich inzwischen vielleicht schon zu gigantischen Industriezweigen entwickelt hätten. Doch im Anfangsstadium war irgendeine Firma der Meinung, dass das neue Projekt nicht so schnell so viel Profit abwerfen würde wie etwas gänzlich anderes aus der Ideen-Pipeline. Und nun liegen all diese Ideen auf Eis und warten darauf, dass jemand ein Geschäft daraus macht.
Wie kommt es, dass Unternehmen gute Ideen entgehen, obwohl sie aktiv nach Neuem suchen?
Abrahams Wir behaupten zwar immer, dass wir uns Innovationen wünschen. Doch wenn etwas innovativ ist, ist es zunächst einmal merkwürdig. Und für die meisten Leute ist etwas Merkwürdiges nichts Gutes. Für den Ig-Nobelpreis suchen wir nach Dingen, die auf eine ganz besondere Art und Weise merkwürdig sind - Ideen, die die Menschen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen. Es ist ein sehr sinnvolles Vorgehen, Ideen aus diesem Blickwinkel zu betrachten - und darauf zu achten, ob sie im Gedächtnis haften bleiben, egal wie man im ersten Augenblick darauf reagiert hat.
Dazu fällt mir ein besonders krasses Beispiel ein: Letztes Jahr haben wir einen Ig-Nobelpreis an Daisuke Inoue verliehen, den Erfinder des Karaoke. Im Jahr 1971 war Inoue noch ein mittelmäßiger Drummer in einer ebenso mittelmäßigen Rockband. Es gelang ihm zwar, ein paar seiner Karaoke-Maschinen zu verkaufen, aber die meisten Leute lachten nur darüber. Inoue geriet wieder in Vergessenheit. Dann kamen ein paar Leute in Unternehmen auf den Gedanken, sich Erfindungen patentieren zu lassen, die mit Karaoke zu tun hatten. Inzwischen gibt es in Japan über 1500 und in den USA über 1000 Karaoke-Patente. Und Firmen haben Milliarden an Inoues Idee verdient, weil dort ein paar Leute zuerst gelacht, dann nachgedacht und dann trotz ihrer Belustigung beschlossen haben, mit dieser Idee Geld zu verdienen.
Also haben es bekannt klingende Ideen leichter als innovative?
Abrahams Normalerweise ist es so. Vor einigen Jahren, als die Firma Lotus gerade ziemliche Furore gemacht hatte, gründete ich eine Softwarefirma mit ganz anderen Produkten. Ich sprach mit ein paar Risikokapitalgebern, und von fast allen hörte ich das Gleiche: "Wir suchen so ein Unternehmen wie Lotus." "Aha", konterte ich, "Sie suchen also eine kleine Firma, die etwas Einmaliges produziert, was das Zeug zu einem gigantischen Erfolg hat." Doch sie beharrten: "Nein - wir suchen jemanden wie Lotus." "Sie meinen, Sie suchen eine Firma, die eine bestimmte Nische ganz allein bedient und alle potenziellen Konkurrenten aus dem Feld schlagen könnte?" Wieder bekam ich zu hören: "Nein, wir suchen jemanden wie Lotus - eine Firma, die Kalkulationstabellen produziert." Sie wollten also in das gleiche Produkt und den gleichen Markt investieren, den Lotus bereits erobert hatte. Das war ihre Vorstellung von Innovation.
Man darf nicht vergessen, dass fast alle bahnbrechenden Ideen - die Glühbirne, die Herstellung von Antibiotika aus Schimmelpilzen (was für ein abwegiger Gedanke!), der PC - den Leuten irgendwann einmal total verrückt erschienen sind. Wer innovative Ideen vorbringt, geht immer das Risiko ein, ausgelacht zu werden, seinen Job zu verlieren oder womöglich noch Schlimmeres. Und später wird irgendjemand auf so eine Idee aufmerksam, steckt ein bisschen Geld hinein, experimentiert ein bisschen damit herum - und hat am Ende vielleicht eine originelle Erfolgsstory zu erzählen. n