Risikomanagement Eingeschränkter Blick
Vor Kurzem haben wir einen Workshop mit Geschäftsleitern eines mittelständischen Schweizer Werkzeugbauers durchgeführt. Wir baten die Manager, uns Risiken zu nennen, die das gesamte Unternehmen betreffen. Während des dreistündigen Treffens trugen die Führungskräfte eine Liste von 32 Punkten zusammen. Anschließend bewerteten sie die Risiken nach Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit und kategorisierten sie entsprechend ihren Ursachen nach internen und externen Gefahren. Das Ergebnis: Die Manager kamen gerade einmal auf zwölf interne Risiken. Auch die Bewertung der Gefahren zeigte, dass sie eher auf externe Bedrohungen achteten - von den 20 wichtigsten Risiken hatten nur fünf interne Ursachen.
Dieser Tunnelblick von Führungskräften ist kein Einzelfall. Das belegen unsere Projekte mit 25 Schweizer Firmen, die wir bei der Einführung eines Risikomanagementsystems intensiv begleitet haben. Es handelte sich um Mittelständler aus den unterschiedlichsten Branchen, von Konsumgüterherstellern über Energieversorger bis zu Pharmafirmen.
Bei den Diskussionen über drohende Gefahren zeigte sich durchweg das gleiche Muster: Die Manager dachten zuerst an neue Konkurrenten aus Billiglohnländern oder steigende Rohstoffpreise statt an Dinge aus ihrem eigenen Einflussbereich wie Schwächen bei der Strategieumsetzung oder eine ungenügende Kostentransparenz durch schlechtes Controlling. Wir haben daher gemeinsam mit den Managern eine Vorgehensweise entwickelt, wie sie sich internen Risiken stellen und diese bei der Strategieentwicklung berücksichtigen können.
Sind die Manager nicht bereit, ihre Scheuklappen abzulegen, können die Folgen dramatisch sein und bis zur Insolvenz des Unternehmens führen. Das bestätigen verschiedene Studien, etwa eine Umfrage des Kreditversicherers Euler Hermes unter 125 deutschen Insolvenzverwaltern, die bei insgesamt 19 000 Firmenpleiten eingeschaltet wurden. Hauptursachen der Bankrotte der meist kleinen und mittleren Unternehmen waren fehlendes Controlling, Finanzierungslücken, mangelhaftes Management der Forderungen gegenüber Kunden und eine autoritäre, rigide Führung - alles hausgemachte Fehler.
Bei großen Konzernen liegen die Gründe für einen Niedergang etwas anders, wie die Schweizer Professoren Gilbert Probst und Sebastian Raisch nach einer Analyse der 100 größten Unternehmenskrisen der Jahre 1998 bis 2003 zeigen konnten (siehe Servicekasten Seite 13). In diesen Organisationen gefährdeten exzessives Wachstum, unkontrollierter Wandel, dominante Topmanager und eine überzogene Erfolgskultur die Existenz; auch diese Faktoren sind alle selbst verschuldet.
Interne Risiken erkennen
Wie lässt sich in einem Unternehmen die Bereitschaft der Führungskräfte erhöhen, sich mit internen Risiken auseinanderzusetzen? Natürlich geht es nicht ohne Offenheit aller Beteiligten - insbesondere der Topmanager - gegenüber konstruktiver Kritik und nicht ohne ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen. Unsere Erfahrungen aus den Projekten zeigen aber auch, dass fast immer ein externer Moderator nötig ist. Er muss über Branchenerfahrung und Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Firmen verfügen. Nur dann kann er im Rahmen eines mehrstündigen Workshops die Diskussion auf die entscheidenden Punkte lenken. Weil er von niemandem im Unternehmen abhängig ist, kann er leichter heikle Themen wie ungenügende Führungsqualitäten oder fehlende Kontrollinstanzen ansprechen.
Besonders schwierig ist erfahrungsgemäß die Auseinandersetzung mit Fehlern der Vergangenheit. Hier muss der Moderator mit Fingerspitzen-gefühl und ohne Schuldzuweisungen die wichtigsten Punkte mit den Teilnehmern erarbeiten.
Wenn die Workshopteilnehmer eine Liste mit internen und externen Risiken
erarbeitet haben, hat es sich bewährt, die Gefahren übersichtlich in einer Risikolandkarte zu präsentieren. Dabei werden die Bedrohungen zugleich den Unternehmensbereichen zugeordnet, in deren Verantwortung sie fallen (siehe Grafik Seite 10). So ist eindeutig festgelegt, wer für Maßnahmen zu ihrer Reduktion zuständig ist. Passiert dies nicht, ist die Verlockung zu groß, sich aus der Verantwortung zu ziehen und die Gefahreneindämmung anderen zu überlassen.
Im nächsten Schritt sollten die Ma-nager die Risiken nach Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichem Schadensausmaß bewerten. So entsteht eine Rangfolge der größten Gefahren. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass das Management die 10 bis 15 größten Risiken vertieft analysieren und Gegenmaßnahmen entwickeln muss.
Bevor dies geschehen konnte, mussten die meisten Führungsteams erst einmal eine Risikopolitik für ihr Unternehmen erarbeiten und festlegen, mit welchen Gefahren sie leben können. Bei einem von uns untersuchten Bauausrüster definierten die Topmanager eine Wesentlichkeitsgrenze bei einem Umsatzausfall von acht Millionen Euro. Sie ermittelten diese Größe, in dem sie die Eintrittswahrscheinlichkeit jedes Risikos mit dem durch den Umsatzausfall zu erwartenden Schaden multiplizierten. Alle Gefahren oberhalb der Grenze analysierten die Manager in weiteren Workshops.
Diese Form des Risikomanagements hat noch einen wichtigen Neben-effekt: Sie sensibilisiert das Management für Tabus und heikle Themen im Unternehmen. Das gilt insbesondere für autoritär geführte Familienunternehmen. In diesen Firmen, so unsere Erfahrung, sind die Eigner und leitenden Angestellten oft sehr unterschiedlicher Meinung darüber, welche Gefahren dem Unternehmen drohen und welche Bedeutung diese haben.
Beispielsweise betrafen bei einem von uns untersuchten Mittelständler mit 2500 Mitarbeitern drei der zehn größten Risiken direkt den Eigentümer. So war für den angestellten Manager nicht absehbar, welche finanziellen Erfolge sich mit der vom Besitzer vorgegebenen Strategie erzielen ließen, es fehlte eine Fokussierung auf einige klar definierte Geschäftsfelder, und es gab Widersprüche in der Strategie des Eigners, der einerseits aggressive Gewinnziele vorgab, andererseits aber an den teuren Produktionsstandorten in Hochlohnländern festhalten wollte. Für die Führungskräfte
war es daher sehr schwierig, eine zu den Vorgaben des Eigners passende Geschäftsstrategie zu entwickeln.
Bei einem derartigen Fall ist es sinnvoll, die Workshops zur Risikoidentifizierung und -bewertung ohne den Besitzer durchzuführen. Der externe Moderator sollte den Firmenpatriarchen dann mit den anonymisierten Aussagen konfrontieren. Er lässt sich so - hoffentlich - eher für Probleme sensibilisieren, die er selbst nicht erkannt hat und mit denen er sich dringend auseinandersetzen sollte.
Die Strategie anpassen
Risikomanagement ist nicht nur eine lästige Pflicht, um das Unternehmen vor Gefahren zu schützen. Es ist auch eine Art Realitäts-Check für die Strategie, der aufzeigt, wo deren Grenzen liegen und wo sie überarbeitet werden muss. Natürlich haben etablierte Instrumente zur Strategieentwicklung wie die SWOT-Analyse - Methode zur Bewertung von Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Möglichkeiten (Opportunities) und Bedrohungen (Threats) eines Unternehmens - und das Fünf-Kräfte-Modell nach Michael Porter Risiken berücksichtigt (siehe Servicekasten Seite 13). Doch sie lenken den Blick der Manager vor allem auf die externen Risiken - mit den von uns beschriebenen Folgen.
Wie sich Risikomanagement und Strategieentwicklung vorbildlich verbinden lassen, konnten wir bei einem Schweizer Mittelständler aus der Konsumgüterindustrie erleben. Dort führte das Management mit unserer Unterstützung eine unternehmensweite Gefahrenanalyse durch. Die Führungskräfte identifizierten 36 Risiken, von denen sie zwei interne für besonders bedrohlich hielten: die zu große Abhängigkeit von nur einem Produkt und den Verlust der Innovationsfähigkeit. Sie befürchteten aufgrund
des schnellen Wachstums der vergangenen Jahre, dass ein offener Dialog immer schwieriger werden würde und neue Ideen sich nicht mehr schnell würden umsetzen lassen.
Zugleich führte die Produktstrategie des Unternehmens dazu, dass alle Beteiligten immer mehr Ressourcen auf die umsatzstarken und damit erfolgreichen Angebote konzentrierten. Denn nur so konnten sie die Umsatz- und Gewinnziele erreichen. Es fehlten dann die Mittel, um vielversprechende neue, aber noch ertragsschwache Produkte ausreichend zu fördern.
Da die Führungskräfte diese Risiken zum ersten Mal offen im Unternehmen diskutierten, entstanden relativ schnell strategische Initiativen, um diesen Gefahren zu begegnen. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies idealerweise innerhalb von ein oder zwei Monaten nach der Risikoanalyse erfolgt. Die Bedrohungen und ihre möglichen Folgen sind den Verantwortlichen dann noch präsent, sie haben aber auch genügend Zeit, die konkreten Konsequenzen für die Strategie zu erarbeiten.
Die Manager des Konsumgüterherstellers einigten sich darauf, das Innovationsklima im Unternehmen durch monetäre und organisatorische Anreize zu verbessern. So verstärkten sie das Entwicklungsteam personell und investierten in Fort- und Weiterbildungen.
Um die große Abhängigkeit von nur einem Produkt zu verringern, beschloss die Führungscrew eine Diversifizierungsstrategie: Sie will in neue Märkte wie die Haar- und Körperpflege vorstoßen und kann dabei bereits erste Erfolge vorweisen: Der Anteil des bisherigen Schlüsselprodukts am Umsatz wird 2008 um 5 Prozent zurückgehen, für 2010 erwartet das Management einen Rückgang von 20 Prozent.
Fazit
Für den Erfolg eines Unternehmens ist es entscheidend, dass nicht nur externe, sondern vor allem auch interne Risiken in die Strategieentwicklung einfließen. Deshalb ist es sinnvoll, dass das Management die Risikoidentifikation und -bewertung immer mit Blick auf die Strategie durchführt und diese danach realistisch anpasst. Viele Manager geben zwar an, dass sie bei ihren Strategiediskussionen bereits interne Gefahren betrachten. Doch allzu häufig ist dafür kein Routineprozess vorhanden.
Es geht aber nicht nur um Prozesse, sondern auch um die Bereitschaft von Führungskräften, sich von starren Denkmustern zu verabschieden und sich auf neue Sichtweisen einzulassen: etwa wenn Aufsichtsräte Entscheidungen des Managements hinterfragen oder wenn Mitarbeiter den Mut haben, auf Probleme hinzuweisen. Unternehmen können nur die Risiken managen, die offen zur Sprache kommen. n