Wie ein sanierungsreifer Betrieb durch Fokussierung der Produktlinien gerettet werden konnte Eine sterbende Fabrik wird wiederbelebt
DEAN M. RUWE ist Senior Vice President der Copeland Corporation. Er war für die Fokussierung des Werks Sidney verantwortlich. WICKHAM SKINNER, Professor für Betriebswirtschaft an der Harvard Business School, kommentiert Ruwes Bericht in den kursiv gesetzten Passagen.
Ursprünglich hatte das Werk Sidney der amerikanischen Copeland Corporation Kompressoren für Supermarkt-Kühltruhen und ähnliche Spezialgeräte hergestellt. Facharbeiter fertigten die Kompressoren in Gruppen unter werkstattähnlichen Bedingungen. Es wurden jeweils immer nur zwei oder drei Einheiten gleichzeitig bestellt. Anfang der 50er Jahre baute Copeland ein neues Werk mit einer Fläche von mehr als 50 000 Quadratmetern, hauptsächlich für die Produktion von Kompressoren für Standardklimageräte. Bestellungen gingen gewöhnlich für Stückzahlen von je 2000 bis 3000 ein. Zur Bedienung dieses Markts führte Copeland hochgradig mechanisierte Montagebänder und Fließfertigung ein. Tatsächlich war das Management in den 50er Jahren den neuen und scheinbar effizienteren Techniken der Massenproduktion derart zugeneigt, daß es beschloß, die Kühltruhenkompressoren großenteils auf den Fließstraßen für Klimagerätekompressoren zu montieren. Läger und Reparaturservice wurden zusammengefaßt. Damals erschien das als eine gute Idee. Die Absicht des Unternehmens war eindeutig die Umlage der Gemeinkosten; das Werk wurde in den nächsten 15 Jahren dreimal erweitert. Die von ihm bedienten Märkte hatten jedoch sehr unterschiedliche Qualitäts- und Lieferbedürfnisse. Obendrein erforderten zwei so verschiedene Produkte unterschiedliche Fertigungsverfahren. Bei den Klimagerätekompressoren bestand die Aufgabe der Fertigungsleitung darin, Störungen in der Produktion zu verhindern. Doch bei den Kühlschranckompressoren war es erforderlich, mit unvermeidlichen Störungen fertig zu werden. Fertigungsprobleme führten zu Schwierigkeiten in anderen Bereichen. Selbst die erfahrensten Manager waren überfordert. Anfang der 80er Jahre erreichte das Produktionsvolumen des Werks Sidney seinen tiefsten Stand. Außerdem verursachte die kombinierte Montage für alle Betriebsangehörigen zusätzlich Arbeit und Frustration: * Beschwerden der Mitarbeiter häuften sich. * Das Topmanagement übte harten Druck auf Werkmeister und Vorarbeiter aus, die Maschinen und Fließbänder ohne Ausfälle zu fahren. Das zwang sie zur raschen Lieferung von Ersatzteilen, kürzerer Schulung des Bedienungspersonals und zu oberflächlicher Behandlung von Beschwerden der Belegschaft. "Feuerlöschen" wurde zur vorrangigen Beschäftigung des Aufsichtspersonals.* Die Betriebsleitung war aufgrund der wechselnden Prioritäten des Unternehmens frustriert. Nie schien jemand für die Bereinigung grundlegender Angelegenheiten Zeit zu haben: Qualität, Ausbildung, Absatzförderung, Werkzeugreparatur, Wartung, Datenerfassung und Gespräche mit der Belegschaft. * Zwecks Produktionssteigerung und Kostensenkung maximierte das Management die Losgrößen und bündelte Bestellungen an Hand von Prognosen, von denen einige sich als zu optimistisch erwiesen. Das Ergebnis waren zu hohe Bestände und verärgerte Kunden. Als in der Unternehmensleitung die Ungeduld mit dem Werk Sidney zunahm, resignierten dort die Verantwortlichen großenteils und waren bereit, die Schließung des Betriebs zu akzeptieren. Die Arbeiter konnten erkennen, daß grundlegende Probleme einer Lösung bedurften und die Hilflosigkeit der Manager nicht verstehen. Was tun? Sicherlich nahm die Versuchung zu, den Betrieb zu schließen. Aber was war mit der Zukunft der Arbeiter in Sidney und dem Leben der kleinen Stadt? Wir entschieden uns fürs Weitermachen, jedoch mit einer drastischen Erhöhung der Effizienz. Wir erwogen und erörterten viele Ideen. Schließlich beschlossen wir, auf das Konzept der "focused factory" (auf bestimmte Märkte fokussierter Betrieb) zu setzen.
Hilfe ist auf dem Weg
Der Kern dieser Idee besteht darin, die Fertigung durch Beschränkung eines Betriebs auf ein oder zwei spezifische Märkte zu vereinfachen. Auf diese Weise vermeidet das Management die widersprüchlichen Erfordernisse von Mehrproduktbetrieben, die andersartige Märkte bedienen. Einige wenige klare Ziele definieren die Aufgaben der Produktionsleitung. Als wir uns 1981 entschieden, den Betrieb in Sidney zu fokussieren, war mir klar, daß weiterhin kommerzielle Kühlvorrichtungen und Wohnraum-Klimageräte die Hauptmärkte sein würden, und wir beschlossen, daß die Unterscheidung in diese beiden Bereiche der Dreh- und Angelpunkt der Reorganisation sein müsse. Der Markt für kommerzielle Kühleinrichtungen erfordert Produkte von hoher Qualität, Zuverlässigkeit und Dauerhaftigkeit. Die Kühlkompressoren müssen während des gesamten Jahres täglich 24 Stunden laufen. Fallen sie aus, verderben die gekühlten Produkte. Darüber hinaus werden kommerzielle Kühleinrichtungen häufig nach Kundenspezifikationen gefertigt. Es sind spezialisierte Produkte, die in geringen Stückzahlen und in nahezu nicht prognostizierbaren Konfigurationen hergestellt werden. Die Kunden von Copeland gewinnen ihre Aufträge durch die Fähigkeit, in der kürzest möglichen Zeit fertige Kühlgeräte zu liefern. Die Vorlaufzeit für den Kompressorhersteller ist daher recht kurz; schnelle Lieferfähigkeit entscheidet daher über den Markterfolg. Um den Belastungen durch die langen Betriebsstunden standhalten zu können, sind die Kühlkompressoren von Copeland mit einem Gehäuse aus Gußeisen versehen, das den Motor aufnimmt und als Chassis für die mechanischen Komponenten dient. Die Leistung des Antriebsmotors kann bis zu 40 PS betragen; der Kompressor selbst wiegt oft mehr als 200 Kilogramm. Da die Wartung vor Ort wichtig ist, sind die Maschinen mit zahlreichen Montageöffnungen und -deckein versehen, deren maschinell bearbeitete Fläche mit Dichtungen geschlossen werden. In der Kompressorfertigung beschäftigte Mitarbeiter müssen deshalb in der Lage sein, Teile nach genauesten Toleranzen zu bearbeiten und unter penibler Beachtung von Einzelheiten zu montieren. Der Markt für Wohnraum-Klimageräte erfordert dagegen hochvolumige Produktion. Die Kunden sind in der Lage, ihren Bedarf mit beträchtlicher Genauigkeit zu prognostizieren. Jährliche Rahmenbestellungen mit monatlichem oder vierteljährlichem Abruf sind der Normalfall. Gleichzeitig ist die Variabilität der Produktlinie begrenzt. Die Hersteller von Raumluftkühlsystemen bieten nur wenige Modelle an; und von ihren Kunden werden Sonderanfertigungen fast niemals verlangt. All dies bedeutet längere Vorlaufzeiten für den Kompressorhersteller. Klimagerätekompressoren sind eher klein, wiegen 25 bis 35 Kilogramm und sind - mit Ausnahme des Sommers - nicht häufig in Betrieb. Da ihre Bauteile weniger belastet werden, können sie einfacher und kleiner als bei Kühltruhen sein. Der Kompressor wird von zwei Hälften eines Metallmantels umschlossen, die zum Schutz vor Verunreinigung von außen miteinander verschweißt sind. Zur Wartung vor Ort besteht keine Möglichkeit. Die Fertigung von Klimagerätekompressoren bedarf einiger hochqualifizierter Arbeiten, wie maschineller Bearbeitung der Bauteile nach engen Toleranzen, gasdichtem Verschweißen des Mantels und guter Ausrichtung von Antriebsmotor und Kompressor auf dem Kompressorrahmen. Das hohe Produktionsvolumen bedeutet jedoch, daß die meisten Fertigungsschritte automatisiert werden können. Die Fertigungsprozesse und Märkte für die beiden Hauptproduktgruppen waren also recht unterschiedlich. Es war völlig angemessen, die Fertigung von Klimagerätekompressoren weiterhin als Fließprozeß anzusehen - lange Laufzeiten, Wiederholung, reduzierte Rüstzeiten - , und gänzlich ungerechtfertigt, Kühlschrankkompressoren in gleicher Weise zu betrachten. Das Management kam zu dem Schluß, daß zwei Fabriken erforderlich waren und daß diese so verschieden wie die Produkte selbst sein sollten. Ehe wir irgendein Konzept zu Papier brachten, mußten wir uns zwei Fragen stellen: 1. Auf welchem Gebiet würden wir in den beiden fokussierten Werken besonders gut sein müssen? 2. Welche Bestandteile des alten Systems würden sich besonders schwer ändern lassen? Zur Sicherung hoher Qualität und schneller Lieferung erfordert die Fertigung von Kühlschrankkompressoren erfahrene, qualifizierte und gewissenhafte Arbeitskräfte - Leute, die mit verläßlicher Selbständigkeit eine Vielzahl von Bauteilen montieren können. In der Herstellung von Klimakompressoren konnte sich Copeland auf Anlagen und Prozeßtechnologie verlassen, um Bauteile hoher Qualität mit geringer qualifizierten Arbeitskräften zu produzieren. Gleichzeitig mußten diese Mitarbeiter die unter genauer Kontrolle ablaufenden Schritte der Endmontage lernen. Kühltruhenkompressoren erfordern große Fachkenntnisse, während es bei Klimakompressoren vor allem auf disziplinierte Arbeit ankommt. Uns machte die Aussicht Sorgen, das alte Produktions- und Bestandskontrollsystem des Werks Sidney ändern zu müssen. Es war für eine breite Produktvielfalt angelegt worden - zu breit für optimalen Betrieb in den beiden geplanten Werken. Dennoch dachten wir, daß eine Zweiteilung des Materiallagers ein zu umfangreiches Projekt sein würde, um es zusammen mit anderen Problemen anzugehen. Uns war auch bewußt, wie schwierig es sein würde, die 500 Werkzeugmaschinen bei voll weiterlaufender Produktion umzustellen. Außer einer großen Anzahl von Einzweck-Werkzeugmaschinen hatten wir mehrere riesige Anlagen, deren Umstellung uns als sehr schwierig erschien. Darunter befanden sich eine 25 Jahre alte Transferstraße mit 17 Stationen, eine Wärmebehandlungsanlage und mehrere alte fünfstufige Teilewaschanlagen. Als besonders diffizil stellte sich heraus, der Belegschaft die Vorteile der Aufteilung in zwei fokussierte Werke zu vermitteln. Von unseren Beschäftigten hatte keiner irgendwelche genaueren Kenntnisse der Kunden- oder Marktbedürfnisse. Uns war klar, daß wir daran selbst die Schuld trugen, aber es war auch das Problem eines großen, überlasteten und nicht fokussierten Werks: Die Arbeiter konnten einfach nicht wissen, ob das Teil, das sie gerade herstellten, für ein Bürofenster oder einen Gang in einem Supermarkt bestimmt war. Zudem war das mittlere Management nicht völlig vom Konzept der Betriebsfokussierung überzeugt. Es war eine wesentliche Aufgabe, die enthusiastische Unterstützung aller Beteiligten zu gewinnen. Nach Fertigstellung der Umstellungspläne für die Produktionsanlagen und -bänder beschloß das Unternehmen, ein dreitägiges Seminar für die Schlüsselmanager an einem abgelegenen Ort abzuhalten. Wir forderten die Hilfe mehrerer Professoren der Harvard Business School an, um uns durch Fallstudien die verschiedenen Probleme und Vorteile der Betriebsfokussierung vor Augen zu führen. Die teilnehmenden Manager stammten sowohl aus der Fertigung wie auch aus den Abteilungen Finanzen, Personalwesen, Konstruktion und Marketing Inland und Ausland. Die Diskussion der Fallstudien erbrachte eine Reihe von Problemen, die wir sonst nicht vorausgesehen hätten.
Bekanntmachen der Planung
Jedes erfolgreiche Projekt einer Werksfokussierung erfordert die Unterstützung der Arbeiter ebenso wie die der Manager. Bis 1981 wurden durch Veränderungen im Personal- und Fertigungsmanagement die Grundlagen für Verbesserungen geschaffen. Die Leiter dieser Abteilungen hatten Meister und Vorarbeiter ermuntert, den Meinungen der Arbeiter mehr Aufmerksamkeit zu schenken und einen größeren Beitrag zur Führung der Organisation zu leisten. Das Aufsichtspersonal begann m Kooperation mit Vertretern der Arbeiter rascher auf Beschwerden zu reagieren. Nachdem das Management die Entscheidung zu fokussieren getroffen hatte, wurden im gesamten Betrieb Versammlungen abgehalten, nicht nur um Einzelheiten der Fokussierung, sondern auch Probleme der Betriebsabläufe zu diskutieren. Allmählich stieg die Glaubwürdigkeit des Managements, und im Werk entstand eine Atmosphäre von Vertrauen und gegenseitigem Respekt. In diesem Prozeß der Vertrauensbildung hatte 1981 ein Ereignis Signalwirkung. Aufgrund saisonaler Engpässe in einem anderen Werk wurde es vorübergehend erforderlich, andere Klimakompressoren neueren Modells in Sidney zu montieren. Tatsächlich hatte unsere Belegschaft diesen Kompressor in der Einführungsphase montiert. Da das Modell in der Zwischenzeit geringfügig geändert worden war, mußte die Belegschaft umgeschult werden. Die betroffenen Mitarbeiter wurden gebeten (nicht aufgefordert), an dieser Umschulung auf der Basis bezahlter Überstunden an einem Samstagvormittag teilzunehmen. Wir hatten genügend Meister, Ingenieure und Manager abgestellt, um jede Frage der Montagearbeiter beantworten zu können. Ich erklärte, weshalb wir diese zusätzliche Arbeit zu leisten hatten und wie lange die Produktnachfrage voraussichtlich anhalten würde. Ich ging zu den einzelnen Arbeitsplätzen und dankte jedem Mitarbeiter für seine Anwesenheit. Ein Montagearbeiter sagte mir: "Sowas habe ich bei Copeland noch nie erlebt." Ich wußte: Wir waren auf dem richtigen Weg. Natürlich hört sich das alles leichter an, als es war. Sicherlich hat die Ankündigung geholfen, daß Copeland bereit war, vier Millionen Dollar in die Modernisierung des Werks Sidney zu investieren. Die Umstellung Hunderter von Werkzeugmaschinen war eine überzeugende Demonstration, daß das Unternehmen an diesem Standort festhalten wollte. Bis Ende 1982 hatten wir die Planung für zwei fokussierte Betriebsstätten am Standort Sidney abgeschlossen. Wir sammelten Mitarbeitervorschläge zur Arbeitsplatzgestaltung und verwirklichten viele der vorgebrachten Ideen. Viele Mitarbeiter berichteten uns von ihren Ängsten. Angesichts der noch ungelösten Schwierigkeiten waren ihre Befürchtungen nicht unbegründet - noch waren es unsere eigenen. Anfangs dachten wir, daß eine separate Belegschaft mit einer separaten Gewerkschaftsorganisation für jede Betriebsstätte für das Konzept des fokussierten Werks wesentlich sei. Wir wollten, daß unsere Mitarbeiter ein breiteres Verständnis ihrer Aufgaben bekamen: Sie sollten wissen, wie die von ihnen hergestellten Produkte schließlich verwendet werden und von wem. Wir wollten ihnen bewußt machen, daß zum Beispiel der Kolben, den sie herstellen, in das Gehäuse eines Hussmann-Kühlschranks eingebaut und dieser in einem Safeway-Geschäft zum Kühlen von Milchprodukten eingesetzt wird. Wir wollten, daß sich die Belegschaft selbst als am Produktions- und Marketingprozeß beteiligt betrachtete. Ziemlich früh erkannten wir jedoch mit Widerstreben, daß unsere Beschäftigten, Mitglieder der International Union of Electrical, Radio and Machine Workers, diese Teilung einfach nicht akzeptieren würden. Als erstes lehnten sie die Spaltung ihrer Verhandlungseinheit ab. Noch wichtiger war ihre akute Befürchtung, daß das Senioratsprinzip durch die Fokussierung unterminiert werden könnte. Für uns stellte dieses Prinzip eine ernsthafte Bedrohung der gesamten Fokussierung dar. Denn es bedeutete, daß bei Entlassungen langjährige Mitarbeiter mit geringeren Fertigkeiten beschäftigt blieben, während wir uns von höher qualifizierten mit kürzerer Betriebszugehörigkeit trennen mußten. Abgesehen von unserem Wunsch, daß sich die Mitarbeiter stark mit den von ihnen hergestellten Produkten identifizieren, war es offensichtlich ganz wesentlich, die fähigsten von ihnen in dem Werk für Kühlschrankkompressoren zu halten. Wir brauchten Leute, die sich mit akzeptablen Abweichungen und Toleranzen der von ihnen gefertigten Teile vertraut machen konnten. Dies wäre möglich, wenn Mitarbeiter routinemäßig nach der Senioratsregel zwischen zwei so verschiedenen Betrieben versetzt würden. Unter Teilnahme der Gewerkschaftsführung entwickelten wir für jede Betriebsstätte ein Konzept "geschützter Klassifikationen". Danach würden höher befähigte junge Mitarbeiter vor dem Senioratsprinzip geschützt sein. Wir stellten fest, daß viele Mitarbeiter mit langer Betriebszugehörigkeit ohnehin schon in Tätigkeiten mit höheren Anforderungen konzentriert waren. Und da die Gewerkschaftsführung dem Konzept der geschützten Klassifikationen zugestimmt hatte, dachten wir, dies sei gleichbedeutend mit einer Zustimmung der Gewerkschaftsbasis und das Problem damit gelöst. Dieser Schluß sollte sich als übereilt erweisen. Bei einer Verwaltungsratssitzung warf ein Direktor die Frage auf, ob sämtliche Gewerkschaftsmitglieder über die Ratifizierung der Vertragsänderungen abstimmen sollten. Wir wußten, daß uns die Gewerkschaftsführung unterstützte, und zögerten, eine größere Mitarbeitergruppe abstimmen zu lassen. Dennoch entschieden wir uns, das Risiko einzugehen. So hielten wir dann Versammlungen großer Gruppen in der Aula der örtlichen High School ab. Am Mittwoch verteilten wir detaillierte Informationen, am Donnerstag beantworteten wir Fragen. Wieder befürwortete die Gewerkschaftsführung die Idee. Die Abstimmung war für Freitag angesetzt. Auf einer kurz vor der Abstimmung abgehaltenen Sitzung verabschiedete der Verwaltungsrat einen Beschluß: Wenn wir starke Unterstützung durch die Belegschaft bekämen, wollten wir die Betriebsaufteilung durchführen. Die für die Planung verantwortlichen Manager bestanden darauf, daß eine knappe Mehrheit nicht die erforderliche Unterstützung bedeuten könnte: Wir brauchten eine Zustimmung von 70 bis 75 Prozent und waren sehr zuversichtlich, sie auch zu bekommen. Die Gewerkschaftsmitglieder wiesen unsere Pläne mit einer Mehrheit von 15 Stimmen zurück. Das war außerordentlich entmutigend. Sollten Management und Gewerkschaftsführung das Konzept weiterverfolgen? Die Gewerkschaftsführer sagten uns, daß sie die Idee weiterhin unterstützten und meinten, wir sollten ein zweites Mal versuchen, die Zustimmung zu bekommen. Diskussionen nach der Abstimmung zeigten, so die Gewerkschafter, daß viele Mitarbeiter wegen der Vertragsänderungen noch immer irritiert seien. Immerhin wurden dadurch Senioratsprivilegien eingeschränkt. Wir beschlossen, die Sache durch eine Reihe von kleinen Gruppensitzungen voranzutreiben, auf denen wir die Einzelheiten der Vertragsänderungen detailliert erklären konnten. Die meisten Fragen der Gewerkschaftsmitglieder waren zu erwarten gewesen und durchaus berechtigt. "Was geschieht mit mir, wenn eine der Betriebsstätten ganz geschlossen wird?" "Was geschieht, wenn ich im Betrieb für Klimakompressoren eingesetzt werde und dann dort Massenentlassungen stattfinden?" "Wie wird mein Seniorat gesichert?" Bei all diesen Besprechungen - es wurden schließlich 30 - stellten der Werkleiter und der Personalchef ausreichend Zeit für Fragen zur Verfügung. Es würde sicherlich einige Einschränkungen des Senioratsprinzips geben, sie würden jedoch zu erhöhter Qualität und geringeren Kosten führen. Ich erinnere mich, wie ich einem aufgeregten Mitarbeiter verdeutlichte: "Auf lange Sicht wird durch die geschützten Klassifikationen auch Ihr Arbeitsplatz sicherer, da sie unser Werk in Sidney erhalten und wir weltweit wettbewerbsfähig sein werden." Kurz vor Weihnachten 1982 hielt die Gewerkschaft eine zweite Abstimmung über das Konzept der Betriebsfokussierung ab. Diesmal stimmten die Gewerkschaftsmitglieder dem Plan mit einer Mehrheit von 75 Prozent zu. In der folgenden Woche stellten wir die erste Transferstraße um.
Die Reorganisation
Mehrere sehr große Maschinen verursachten Engpässe im Layout der beiden neuen Betriebe. Wir konnten sie jedoch umgehen und richteten die zwei Fertigungsstätten in einem Gebäude ein. 1983 stellten wir an fast jedem Wochenende große Werkzeugmaschinen um. Dies war ein ungewöhnlicher Aspekt. Normalerweise führen Unternehmen eine solche Umstellung schneller durch. Da die Situation die Veränderung ganzer Systeme, Aufgabenzuordnungen und Abläufe bedingte, entschied Copeland, daß die Verteilung der Maßnahmen über viele Monate für die Verpflichtungen gegenüber Kunden weniger Risiko bedeuten würde als schnelle, zügige Reorganisation. Wir hatten Bedenken, ob wir 500 alte Werkzeugmaschinen an neue Stellplätze bringen und mit Erfolg wieder in die Produktion einschalten konnten. Die Anlagen hatten sich mit der Zeit abgenutzt; in vielen Fällen schien es nicht mehr möglich, mit den Maschinen die neuen Bearbeitungstoleranzen einzuhalten. Bei früheren Reorganisationen m Sidney waren externe Unternehmen mit Umzugs- und Aufstellungsarbeiten beauftragt worden. Unser Wartungspersonal berichtete uns, daß dies häufig zu Irritationen geführt hätte, da die Maschinen oft durch den Umzug gelitten hätten. Die Mitarbeiter wollten an der Reorganisation in Sidney in größerem Umfang teilnehmen. Wir stimmten zu, daß ihre Kenntnis der Werkzeugmaschinen und Fertigungsverfahren sehr hilfreich sein würde, und so wurden die meisten Arbeiten von unseren eigenen Leuten ausgeführt. Wo sich die Mitarbeiter bei bestimmten Installationen Problemen gegenüber sahen, konnten sie einfach mit dem Wartungspersonal reden und die Probleme lösen. Mit der Zeit identifizierten sich Instandhaltungstruppe und Montagearbeiter eng mit dem Erfolg und den Problemen, die bei der Werkzeugmaschinenumstellung auftraten. In den ersten Wochen des Jahres 1983 stellten wir einige der alten Maschinen um, um festzustellen, ob uns die Wiederinbetriebnahme für die Produktion gelingen würde. Wir stellten sie auf neue Fundamente und richteten sie aus, und - zu unserem Erstaunen - waren sie nicht nur wieder betriebsbereit, sondern sie liefen nach der sorgfältigen Einrichtung besser und präziser als vorher. Es hatte den Anschein, als wäre eine unserer Hauptbefürchtungen unbegründet gewesen. Obwohl es uns gelang, einzelne Werkzeugmaschinen und Fertigungsstraßen an Wochenenden oder manchmal über Nacht umzustellen, konnten wir mit dem Montagebereich nicht auf diese Weise verfahren. Wesentliche Änderungen im Montagefluß erforderten, daß der Montagebereich während unserer normalen Betriebsferien im Sommer reorganisiert wurde. Da die Umstellung komplexer Natur war, konsultierten wir die Gewerkschaft und einigten uns, den Betrieb eine Woche länger zu schließen, damit ausreichend Zeit für die Reorganisation des Montagebereichs und für Betriebstests an den Anlagen und Fließbändern zur Verfügung stand. Bis Ende 1983 hatten wir alle Werkzeugmaschinen umgestellt und erneut eingerichtet; die Leistungsfähigkeit der maschinellen Bearbeitung des Betriebs war besser denn je. Wir hatten die Montagebereiche der beiden Betriebsstätten vollständig voneinander getrennt und neue Büros für die analog den Betriebsstätten getrennten Produktionsleiter errichtet. Diese Büros manifestierten unseren Willen, zwei voneinander getrennte Fabriken zu betreiben. Ein weiteres Zeichen der Trennung war eine 180 Zentimeter hohe Ziegelmauer quer durch das Werksgebäude, die den Kühlschrankkompressor vom Klimakompressor abgrenzte. Jeder der Betriebe hatte ein eigenes Farbschema. Diese Trennung ist psychologisch und betriebstechnisch wichtig. Sind die Betriebe nicht wirklich verschiedenartig - nach Layout, Belegschaft, Management und Produkt - , wird wahrscheinlich die Entwicklung ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit verhindert. Ende 1983 lief die volle Produktion der beiden Betriebsstätten Sidneys mit separaten Managementteams, Belegschaften und separaten Zielen. Etwa ein Jahr nach Fertigstellung erkannte das Management in Sidney schließlich, daß jeder Betrieb zwecks maximaler Effizienz mit eigener Produktionsplanung und -Steuerung sowie eigener Materialwirtschaft ausgestattet werden sollte. Das gemeinsame System wurde den Anforderungen der einzelnen Fertigungsstätten nicht gerecht. Vor der Fokussierung der Betriebe in Sidney wurden die Materialien für Klima- und Kühlschrankkompressoren zusammen gelagert. Die Lagerräume waren schlecht organisiert, wodurch Materialhandhabung und -identifikation kompliziert wurden. Die Fokussierung der Fertigungsstätten ermöglichte eine Trennung der Bestände. In der neuen Umgebung entwickelten Lagerleiter und -mitarbeiter besondere Fähigkeiten zur Identifikation, Ortung und Organisation der benötigten Teile. Ihre Aufgaben wurden einfacher, ihre Produktivität stieg und die Qualität ihrer Arbeit verbesserte sich. Nebenbei zeigte sich durch die Fokussierung, daß unsere computergestützte Vorgabeplanungstechnik für den Betrieb mit der kleinvolumigen Fertigung ungeeignet war. Wir lösten das Problem, indem wir einen mit Produkten und Betrieb vertrauten Mitarbeiter einstellten, der die Produktionsvorgabeplanung manuell in Teilzeitarbeit durchführte. Diese Veränderung resultierte in einem gleichmäßigeren Produktionsablauf im gesamten Betrieb und leichteren Anforderungen an unsere Arbeiter. In dem Kühlschrankkompressor-Betrieb begannen die Mitarbeiter, eingehende Aufträge als persönliche Ereignisse anzusehen, so daß jeder Auftrag eine spezielle Bedeutung und Identität bekam. Da die Aufträge deutlich abgegrenzt waren, konnten die Manager und Terminplaner jeden Kompressor in der Fertigung identifizieren. Der Auftragsstatus war ihnen zu jeder Zeit bekannt, und sie konnten etwaige Fehlbestände von Teilen oder Qualitätsfragen schnell identifizieren und bereinigen.
Die Resultate
Beim Sidney-Projekt bestand unser primäres Ziel darin, den Betrieb durch verbesserte Qualität und Auslieferung, verbunden mit reduzierten Beständen und Kosten, wiederzubeleben. Seit der Umstellung der letzten Maschine vor mehr als drei Jahren laufen die Fertigungsstätten mit - oder über - der erwarteten Leistung. Die Betriebe m Sidney zeigen Verbesserungen in vier Hauptbereichen: Qualität. Seit der Fokussierung der Fabrik sind die Beschäftigten zunehmend bereit, hohe Anforderungen an die Qualität zu akzeptieren. Sie beschäftigen sich mit dem Produkt und den Kundenbedürfnissen; die Maschinenführer und Montagemitarbeiter arbeiten zuverlässiger. Heute wird erwartet, daß die Bänder gestoppt werden, wenn ein Qualitätsproblem behoben werden muß. Seit Inbetriebnahme der fokussierten Fabrik hat sich die Produktqualität, gemessen an der Ausfallquote im Gewährleistungszeitraum, dramatisch verbessert. Bei den Produkten, die 1984 gefertigt wurden, war die Ausfallquote nur halb so hoch wie bei Erzeugnissen, die Anfang der 80er Jahre hergestellt worden waren. Da fokussierte Betriebe leichter zu führen sind, steht Werkleitung und Aufsichtspersonal zusätzliche Zeit für Besprechungen zur Verfügung. Ein Meister nahm tatsächlich einen problematischen Kompressor auseinander und breitete ihn auf einem Tisch aus. Dann holte er die Arbeiter zusammen, diskutierte das Problem mit ihnen, um dann gemeinsam festzustellen, wie es verhindert werden könnte. Kürzere Vorlauf- und Lieferzeiten. Anfang der 80er Jahre lagen die Auslieferungszeiten zwischen sechs und acht Wochen; nach der Fokussierung wurden sie um die Hälfte reduziert. Eine gegen Ende 1982 durchgeführte Analyse zeigte, daß das Werk Sidney weniger als die Hälfte der zugesagten Auslieferungstermine einhalten konnte. 1985 wurden über 98 Prozent der Lieferungen in der zugesagten Woche ausgeführt. 1986 gab es in dem Betrieb für Kühlschrankkompressoren keine überfälligen Lieferungen. Wir richteten ein Sonderprogramm für Lieferungen an die Westküste ein und erhöhten unseren Marktanteil in dieser Region um 50 Prozent. Kürzere Vorlaufzeiten und verbesserte Auslieferungsleistung haben Copeland zahlreiche Aufträge eingebracht. Kooperation zwischen Belegschaft und Management. Durch die Beteiligung der Mitarbeiter an der Planung und Umsetzung der Fokussierung in Sidney wurde eine dauerhafte Teamatmosphäre geschaffen. Meister und Vorarbeiter sind teamfähig geworden. Die Beschwerden pro hundert Beschäftigte sind um zwei Drittel zurückgegangen. Nicht geplante Abwesenheiten sind von vier auf zwei Prozent gesunken. Gemessen an der zeitlichen Häufigkeit von Verletzungen und von Unfällen mit resultierender Arbeitsunfähigkeit hat sich die Betriebssicherheit um den Faktor 2 verbessert. Die beiden letzten Tarifrunden fanden ohne Arbeitsunterbrechungen statt. Dies ist eine Überraschung. Vor der Reorganisation führten zwei von drei Tarifverhandlungen zu Streiks. Einer der Vorteile der Fabrik fokussierung ist eindeutig eine vereinfachte Betriebsführung; das Unternehmen braucht weniger Leute in der Organisation, besonders in den Bereichen Verwaltungs- und Fertigungsgemeinkosten. 1983 brauchte Copeland 120 Angestellte für die beiden Fertigungsstätten in Sidney - 1985 waren nur noch 80 erforderlich, eine Reduzierung um 33 Prozent. Die Zahl der Arbeiter in Lagerhaltung, Wartung und Reparatur verringerte sich ebenfalls um rund 30 Prozent. Da wir der Leistung der Arbeiter in der Produktion schon immer besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatten, war die Produktivität unserer Arbeiter bereits hoch. Deshalb stieg ihre Leistung zwischen 1983 und 1985 nur um zehn Prozent. Die gesunkenen Gehaltsund Lohnkosten haben den beiden Fertigungsstätten zu neuem Leben verhelfen. Einige Mitarbeiter verloren ihre Jobs, wichtig ist jedoch, daß fast zwei Drittel gehalten werden konnten. Abbau der Bestände. 1981 lagerten in den Betrieben Vorräte im Wert von etwa 24 Millionen Dollar. Bis 1985 hatten wir die Bestände auf 13 Millionen Dollar, praktisch die Hälfte, gesenkt. Wir haben die Bestände wertmäßig reduziert, die Inventurbilanz und -qualität verbessert. Die Wirkungen dieser Fortschritte zeigen sich in der Auslieferungsleistung, den Vorlaufzeiten und der Rendite. Die Geschichte des Werks Sidney hat ein bemerkenswert glückliches Ende: Eine alte, komplexe, sterbende Fabrik wurde in neuer Form vitalisiert, indem das Konzept der fokussierten Fabrik in den Mittelpunkt der gesamten Reorganisationsmaßnahmen gestellt wurde. Copyright: © 1987 by the President and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in "Harvard Business Review" Nr. 3, Mai/ Juni 1987, unter dem Titel "Reviving a Rust Belt Factory"; Übersetzung: Peter Diekhoff.