Die Markt- und Kommunikationsbedingungen der Zukunft setzen neue Ziele und verlangen andere Wege Die Werbung von morgen muß Firmen und Marken inszenieren
PROF. DR. WERNER KROEBER-RIEL ist Direktor des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung der Universität des Saarlandes, Saarbrücken.
Auf den Märkten der Zukunft nimmt die Marktsättigung zu. Eine Folge davon ist die Segmentierung: Mit immer mehr Marken werden immer kleinere Teile des Marktes angesprochen. So hat sich in den 15 Jahren von 1970 bis 1985 beispielsweise die Zahl der beworbenen Marken in 13 wichtigen Wirtschaftsbereichen mehr als verdoppelt (von 5.900 auf 12.300). Gleichzeitig stieg die Zahl der Anzeigenseiten in Publikumszeitschriften von 85.000 auf 160.000 (zu diesen und den folgenden Zahlenangaben siehe Kroeber-Riel 1988). Die stärkere Marktsegmentierung spiegelt sich unter anderem auch in der Zunahme von Zeitschriften für spezielle Zielgruppen wider. So gibt es inzwischen rund 20 Titel für Reisen und ebenso viele für Film und Photo. Diese Trends werden sich fortsetzen. Darum müssen wir in Zukunft mit noch mehr Markenkonkurrenz, mehr Medienkonkurrenz, mehr Informationskonkurrenz rechnen. Die Werbung muß besondere Strategien entwickeln, um sich in dieser Turbulenz zu behaupten. Mit der Marktsättigung geht noch ein anderer Vorgang einher: Die Produkte und Dienstleistungen vieler Anbieter sind ausgereift und werden deshalb von den Abnehmern als mehr oder weniger austauschbar betrachtet. Für komplexe Gebrauchsgüter wie Autos und für Dienste wie Finanzdienstleistungen gilt das gleichermaßen. Unter diesem Vorzeichen der Austauschbarkeit von Gütern und Leistungen erfolgt die Profilierung einer Marke oder einer Firma in zunehmendem Maße durch die Kommunikation am Markt. Sie vor allem dient dazu, Marken oder Firmen ein Erlebnisprofil zu geben, durch das sie sich von der Konkurrenz abgrenzen können. Dieser Trend wird nach einer Umfrage von der Mehrheit der GWA-Agenturen bestätigt (siehe Andresen/Ruge 1985). Ob sich nun die Abgrenzung gegenüber der Konkurrenz durch Informationen über Produktvorteile oder über Erlebnisprofile vollziehen soll, wettbewerbsstrategisch kommt es in erster Linie auf einen eigenständigen, unverwechselbaren Auftritt der Marke oder Firma in der Werbung an. Davon aber ist die Werbung heute weit entfernt. Die meisten Kampagnen sind in hohem Maße austauschbar. Eine wettbewerbsstrategische Forderung an die Werbung der Zukunft besteht also darin, mehr zur Profilierung von Marken oder Firmen beizutragen, das heißt weniger stereotyp und beliebig zu sein. Denn Austauschbarkeit läßt sich in der Werbung durchaus vermeiden, ist sie doch Ergebnis einer mangelnden Professionalität der Werbeleute.
Kommunikationsbedingungen
Die Entwicklung der Märkte und Medien hat zu einer dramatischen Informationsüberflutung geführt. Seit Jahrzehnten übertrifft das Wachstum des Informationsangebots um 200 bis 300 Prozent das Wachstum der Informationsnachfrage. Nach den vorliegenden Berechnungen beträgt die Informationsüberlastung (ln{ormationsüberflutung) in den USA 99,6 Prozent und in der Bundesrepublik 98, l Prozent. Das zur Berechnung entwickelte Schätzmodell verwendet Angaben über das Informationsangebot durch Medien und über die Mediennutzung (siehe im einzelnen Kroeber-Riel 1987). Entsprechend hoch ist jener Teil der in den Medien angebotenen Information, der von den Adressaten nicht beachtet wird und - bildlich gesprochen - "auf dem Müll landet". Bei der Werbung bewegt sich der Anteil an Informationsmüll bei 95 Prozent. Um das zu verdeutlichen: Eine größere Anzeige (über eine 3/4 Seite) m einer der Publikumszeitschriften enthält im Durchschnitt Informationen, deren Lektüre je nach Lesegeschwindigkeit 30 bis 40 Sekunden erfordern würde. Nun beträgt die tatsächliche Zuwendung pro Anzeige jedoch nur gemessene 1,3 bis 2,0 Sekunden. Von den angebotenen Bild- und Textelementen werden also durchschnittlich mehr als 95 Prozent nicht aufgenommen. Die Unterschiede zwischen den Branchen sind gering. Selbst Werbung in Fachzeitschriften produziert im allgemeinen einen ähnlich großen Informationsüberschuß: Die Betrachtungszeiten liegen dort zwar etwas höher, andererseits werden aber auch mehr Informationen für die Werbeaussagen verwandt. In den nächsten zehn bis zwölf Jahren ist mit einer Verdoppelung aller Werbemittel bei weitgehend stagnierender Informationsnachfrage zu rechnen, also mit einer erheblich stärkeren Informationsüberlastung. Sie wird zur Folge haben, daß sich die Empfänger den Informationsangeboten nur noch kurz und flüchtig widmen. Der Kontakt mit einem Werbemittel wird fast immer (vorzeitig) abgebrochen. Das muß so ausdrücklich hervorgehoben werden, weil sich die meisten Werbeleute einer Kontaktillusion hingeben, indem sie bei der Gestaltung ihrer werblichen Mittel den Kontaktabbruch nicht einkalkulieren. Der Aufschwung der elektronischen Medien verursacht noch eine weitere einschneidende Änderung im Kommunikationsverhalten: Immer mehr herrscht Bildkommunikation vor, was eine quantitative und eine qualitative Seite hat: * Quantitativ: Der Anteil der Bilder in allen Kommunikationsbereichen wächst. Gegenwärtig beträgt er in der Anzeigenwerbung von Publikumszeitschriften zwischen 50 und 70 Prozent, beispielsweise im "Stern" 60 Prozent, mit wachsender Tendenz. Die Vorliebe für die Bildkommunikation ist vor allem in der jüngeren Generation der 14- bis 29jährigen ausgeprägt. Bei ihr ging die tägliche Reichweite der Printmedien - Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, die ja vor allem der sprachlichen Informationsvermittlung dienen - seit Beginn der 70er Jahre kontinuierlich zurück, um mehr als die Hälfte. * Qualitativ: Die dominante Bildkommunikation bestimmt den Medienstil der nächsten Generationen und damit auch die Erwartungen, die in Zukunft an jede Form der Informationsvermittlung gestellt werden. Auch die sprachliche Kommunikation muß sich, will sie wirksam sein, nach dem Strickmuster der Bildkommunikation richten; sie wird ihre Informationen in kleinen handlichen Einheiten verpackt - schnell erhältlich, leichtverständlich und unterhaltsam - darbieten müssen.
Das Rüstzeug der Werbeleute
Die schleppende und unzureichende Anpassung der Werbung an die modernen Kommunikationsbedingungen, die in groben Mängeln der heutigen Werbung zutage tritt, weist darauf hin, daß es eine Professionalitätslücke gibt. Dies wird unter anderem durch die wenig zeitgemäßen Ausbildungspläne für den Werbenachwuchs oder durch das geringe Niveau der Werbezeitschriften belegt und sogar von Seiten der Werbung oft beklagt. Die strategischen und technischen Anforderungen, die in Zukunft an die Werbung gestellt werden, führen zu einer wachsenden Nachfrage nach qualifizierten Werbeleistungen, denen zunächst kein entsprechendes Angebot gegenüberstehen wird. Langfristig zeichnet sich jedoch eine Änderung ab. Denn dann wird es möglich, künstliche Intelligenz in der Werbung einzusetzen, vor allem in Gestalt von Expertensystemen. Geeignet dazu sind Computer der neuen Generation, die nicht nur Daten verarbeiten, sondern auch menschliches Wissen speichern und verarbeiten können. Computer, also elektronische Gehirne, werden fähig sein, das vorhandene Expertenwissen aus Forschung und Praxis - insbesondere über Werbetechniken und ihre Wirkungen - aufzunehmen und für die Kreation und Beurteilung von Werbung verfügbar zu machen. Ein Expertensystem zur Beurteilung von Anzeigenwerbung arbeitet etwa so: In Form von Fakten und Regeln wird das Expertenwissen gespeichert; dazu gehören zum Beispiel Kenntnisse über die Kontaktwahrscheinlichkeit von Anzeigen in Publikumszeitschriften oder Regeln zur wirksamen Plazierung des Markennamens oder zur Bildgestaltung. Der Systembenutzer hat nun am Bildschirm Fragen zu einer bestimmten Anzeige zu beantworten. Die gefundenen Antworten werden vom Computer mit dem gespeicherten Wissen verglichen. Aus dem Vergleich leitet er Folgerungen zur Wirksamkeit der Anzeige und Empfehlungen zur Verbesserung der Anzeige ab. Bei allem geht es nicht darum, in die kreative Arbeit einzugreifen; vielmehr sollen bei der Anzeige solche Mängel festgestellt werden, die ihre Wirkung beeinträchtigen. Freilich sind auch Expertensysteme im Kommen, die die kreative Arbeit unterstützen. Sie laufen auf Personal- Computern und stehen der Praxis in drei bis vier Jahren voll zur Verfügung. Die Software wird relativ wenig kosten (unter 10.000 Mark). Erste Prototypen werden in Zusammenarbeit mit einigen Industrie- und Handelsunternehmen im nächsten Jahr erprobt - ihr Einsatz dürfte die Werbeleistungen erheblich verbessern und einen verstärkten Wissenstransfer mit sich bringen. Darüber hinaus werden Computer künftig noch auf andere Weise in die Werbung eingreifen, hauptsächlich auf dem Wege * einer verstärkten Anwendung in der Werbeforschung (Beispiele: Bildschirmbefragung und elektronische Programmanalysatoren) und * einer Nutzung von leistungsfähigen Graphiksystemen zur schnellen und effizienten Bildmanipulation. Gewiß werden die wissens- und bildverarbeitenden Computer in zehn bis zwanzig Jahren zu einer weitgehenden Umorganisation der Arbeit der Werbeagenturen führen. Als Beispiel für das Zusammenwirken der verschiedenen Computersysteme dient die Aral-Anzeige in Abbildung 1. Diese bereits geschaltete Originalanzeige weist Mängel auf, die sich mit Hilfe eines Expertensystems systematisch ermitteln lassen. Im gegebenen Fall geht es vor allem um diese Mängel: nichtssagendes, wenig aktivierendes Bild; unzureichende Überschrift; unhierarchischer Textaufbau; verbesserungsfähige Plazierung des Markennamens. Aus der Diagnose entwickelt der Computer Verbesserungsvorschläge, angefangen damit, ein wirksameres Bild zu verwenden. Mittels eines weiteren Expertensystems, das die Suche nach neuen Bildern unterstützt, kann ein wirksameres Bild gefunden und auf seine Eignung für die gestellte Aufgabe überprüft werden. Die Anzeige läßt sich dann auf den Bildschirm des Graphiksystems bringen und den Vorschlägen entsprechend verbessern. Schließlich wird eine reproduktionsfähige Vorlage ausgedruckt.
Zukünftige Strategien der Werbung
Die Lösung der strategischen Aufgaben der Werbung wird unter den zukünftigen Bedingungen der Kommunikation zu neuen Zielen und Wegen der Werbung führen. Hier werden vier wichtige Neuorientierungen aufgezeigt: 1. Aktualisierung als vorrangiges Werbeziel; 2. integrierte Kommunikation durch strategische Schlüsselbilder; 3. Aufbruch in neue Erlebniswelten der Konsumenten; 4. Anpassung an den zeitgemäßen Medienstil.
Aktualisierung
Eine Firma oder Marke besitzt Aktualität, wenn sie im Gespräch, wenn sie "in" ist - das bedeutet, wenn sie in den Entscheidungsprozessen von Käufern gedanklich beachtet und als Alternative berücksichtigt wird. Die Aktualisierung einer Firma oder Marke erweist sich immer mehr als Engpaß auf dem Weg zum Markterfolg: Die wachsende Informationsüberflutung und Informationskonkurrenz erschweren es einem Anbieter immer mehr, das eigene Angebot in der Fülle der konkurrierenden Angebote sichtbar zu machen und herauszuheben. Die Werbung übernimmt deswegen in zunehmendem Maße die Aufgabe, die Aufmerksamkeit der Empfänger auf eine Firma oder Marke zu lenken. Es entsteht so ein neuer Typ von Werbung, bei dem sich alles darum dreht, die Marke oder Firma auffällig - sehr auffällig - zu inszenieren. Informationen kommen dabei kaum noch zum Zuge. Und falls eine Werbung noch andere Ziele als die Aktualisierung verfolgt, so erweisen sich ihre starken Aktualisierungswirkungen fast immer als notwendige Voraussetzung für den angestrebten Werbeerfolg. Im Dienste der Aktualisierungswerbung kommt es in Zukunft besonders darauf an, starke Aktivierungsund Visualisierungstechniken (siehe Abbildung 2) und neue Medien einzusetzen. Zu diesen speziellen Medien gehören Product-Placement und Sponsoring: * Product-Placement, bisher in Film und Fernsehen eher schüchtern benutzt, wird sich künftig in allen Medien ausbreiten, auch in den Printmedien. Zum Beispiel: In Comics und Heftromanen zeigen sich die Helden zukünftig von Marken umgeben. Noch haben die Unternehmen nicht die 300 Millionen Heftromane, die jedes Jahr kursieren, als kostengünstige Möglichkeit für das Product-Placement entdeckt. * Beim Sponsoring, unterschieden nach Sport-, Kultur- und Soziosponsoring, werden nach einer Schweizer Delphi-Studie über die "Werbung im Markt von morgen" besonders hohe Zuwachsraten für das Kultursponsoring erwartet. Es bietet auch in regionalen Märkten Gelegenheiten, eine Marke oder Firma zu inszenieren und auffällig zu machen. Die Marktkommunikation wird in Zukunft verstärkt nach weiteren unkonventionellen Wegen suchen, um einer Firma oder Marke zu helfen, in der Informationsflut aufzufallen.
Integrierte Kommunikation durch strategische
Schlüsselbilder
Weltweit beobachten wir in den informationsüberlasteten Industriestaaten ein geradezu dramatisches Abnehmen
der Erinnerung an Werbekontakte. Die Empfänger sind einfach weniger aufnahmebereit und aufmerksam und ihrer nachlassenden Erinnerung können daher nur neue Werbestrategien und -techniken entgegengesetzt werden; vor allem kommt es auf solche an, die auf eine einprägsamere Gestaltung und eine höhere Frequenz der Werbung abstellen. Damit rücken insbesondere die langfristigen Frequenzbeziehungsweise Wiederholungswirkungen der Werbung ins Blickfeld. Häufige Änderungen der Werbebotschaft innerhalb einer Kampagne oder durch Kampagnenfolgen werden problematisch: Die zunehmende Informationsüberlastung und die Flüchtigkeit der Werbekontakte zwingen dazu, durch die Kommunikation "immer wieder in die gleiche Kerbe zu hauen". Erforderlich wird also, erstens auf langfristige Kontinuität der Werbung zu achten und zweitens eine integrierte Kommunikation anzustreben. (Das gilt jedenfalls dann, wenn ein Firmen- oder Markenprofil entstehen soll.) Integrierte Kommunikation entsteht, sobald die Wirkungen der Kontakte, die von den unterschiedlichen Maßnahmen der Marktkommunikation ausgehen, aufeinander abgestimmt werden. Heute ist es so, daß die Fernsehwerbung meist andere Eindrücke hervorruft als die Printwerbung, Verpackungen und Prospekte wieder andere als die Werbung; beim Auftritt am POS sieht wiederum alles anders aus und so geht es fort. Die Folge: Zahlreiche, voneinander unabhängige Eindrücke des Marken- und Firmenauftritts stellen sich ein und rufen eine Zersplitterung der kommunikativen Kraft der betroffenen Unternehmen hervor. Durch Integration der kommunikativen Maßnahmen kann aber erreicht werden, daß die von einem Kommunikationsmittel ausgelösten Kontaktwirkungen die Wirkungen anderer Kommunikationsmittel ergänzen oder sogar verstärken - zum Beispiel wenn Werbung und Verpackung den gleichen werblichen Eindruck hinterlassen und auf diese Weise das gleiche Produkterlebnis fördern. Integrierte Kornmunikation läßt sich nicht bloß durch eine formale Abstimmung (etwa Corporate Design) erreichen. Vielmehr muß eine inhaltliche Abstimmung der gesamten Kommunikation erfolgen. Das läßt sich auf der operationalen Ebene allein durch strategische Schlüsselbilder und/oder einprägsame Programmformeln durchsetzen. Solche strategischen Schlüsselbilder dienen dazu, die langfristige Kontinuität der Werbung zu wahren und die Wirkungen der verschiedenen Kommunikationsmittel auf einen Nenner zu bringen. Daß Schlüsselbilder vielfältige Motiwariationen ermöglichen, sollte klar sein, Beispiel: die Kommunikationsstrategie der deutschen Genossenschaftsbanken (siehe Abbildung 3). Die Entwicklung von strategischen Schlüsselbildern stellt eine besondere Herausforderung an die zukünftige Werbung dar. In keinem Fall kann die Lösung aus dem Ärmel geschüttelt werden, sie erfordert stets einen sozialtechnischen Forschungs- und Entwicklungsprozeß im Unternehmen.
Vorstoß zu neuen Erlebniswelten
Die Werbung 2000 wird emotionaler und sinnlicher sein; und sie muß emotionaler und sinnlicher werden, da es nur so gelingen kann, das künftige Lebensgefühl der Konsumenten anzusprechen. Emotionale Appelle lassen sich in der Werbung zur Aktualisierung oder zum langfristigen Aufbau eines Erlebnisprofils verwenden. Das Marketing wird in Zukunft mehr als heute darauf abzielen, das Erlebnisprofil einer Marke oder einer Firma zu intensivieren, um in den Augen der Abnehmer neben Sachkompetenz auch emotionale Anziehungskraft zu erlangen; Sachkompetenz allein wird zur unzureichenden Grundlage für die Akzeptanz und das langfristige Überleben einer Marke oder Firma. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, muß die Werbung in Zukunft mehr bieten als die gleichförmigen, einfallslosen und flachen Erlebnisklischees, mit denen sie heute noch (von wenigen Ausnahmen abgesehen) arbeitet. Sie kommt nicht daran vorbei, neue Wege in die emotionale Erlebnis- und Erfahrungswelt ihrer Zielgruppen zu bahnen, mehr unterschiedliche Erlebnisse anzusprechen, unverwechselbare Erlebnisse zur Profilierung einer Marke oder Firma zu bieten. Der intuitive Baukasten der heutigen Kreativen reicht dazu nicht aus. Sozialtechnische Erkenntnisse über die Gefühlswelten der Empfänger, über ihre Sehnsüchte und Träume sind zu nutzen. Zum Beispiel: Die Werbung vernachlässigt derzeit noch archetypische Figuren wie "die schlafende Schöne" oder Emotionsauslöser wie vermenschlichte Tiere, obwohl diese in anderen Gestaltungsbereichen hochwirksam umgesetzt werden. Die Werbung übergeht sie nur einfach deswegen, weil sie im Baukasten der Kreativen (noch) nicht vorkommen. Aber es ist vorauszusehen, daß die Werbung von den modernen sozialtechnischen Erkenntnissen einen intensiveren Gebrauch machen wird. Zum Transfer dieser Erkenntnisse in die Praxis tragen auch Expertensysteme (in Form von Suchsystemen) bei, die den Kreativen helfen, Zugang zu bisher kaum beachteten Erlebniswelten zu finden und branchentypische Klischees zu überwinden. Die Wissensspeicher dieser Expertensysteme (Suchsysteme) können zahlreiche Erlebniskonzepte und Erlebnisbilder aufnehmen, die aus der Psychologie (unter anderem: aus der Psychologie der Träume) stammen oder sich im Zuge von Inhaltsanalysen aus zeitgenössischen Medien wie Comics oder Filmen herausfiltern lassen; sie speichern auch Angaben über die Wirksamkeit und Verwendbarkeit der emotionalen Konzepte und Bilder. Die Kreativen kommen so in die Lage, diese Erlebniskonzepte und Erlebnisbilder aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Alles in allem: In Zukunft wird die Werbung kühner und reichhaltiger in der Erlebnisvermittlung, sinnlicher in der Umsetzung und tiefenpsychologisch wirksamer. Dabei werden sich die Grenzen zwischen Werbung und Fernsehprogramm, zwischen Werbung und
anderen Medienprogrammen mehr und mehr verwischen. Was zählt, werden die emotionalen Bilder sein, die in den Hirnen der Empfänger überdauern und ihre Präferenzen prägen.
Anpassung an den zeitgemäßen Medienstil
Erst heute macht sich der Umbruch im Medienstil bemerkbar, den Fernsehen und neue Telekommunikationsmedien herbeigeführt haben. Zu dieser Umwälzung hegen zahlreiche Studien vor, nicht nur Neu Postmans eindrucksvolle Analyse "Wir amüsieren uns zu Tode". Der zukünftige Stil der Kommunikation wird danach vom Einfluß des Bildes bestimmt - und zwar in allen Lebensbereichen, bis hin zur betriebsinternen Kommunikation. Der neu entstehende Medienstil prägt die Erwartungen, nach denen sich die Marktkommunikation richten muß, will sie in der Informationskonkurrenz bestehen - seine Kennzeichen: * aufreizend und unterhaltsam, * sensualistisch, also direkt die Sinne ansprechend, * schnell und dynamisch. Dazu einige Erläuterungen: Unterhaltend: Unterhaltung wird zur "Supendeologie", zum "natürlichen Rahmen" für jede Informationsvermittlung. Nach der bereits zitierten GWA-Umfrage (siehe Andresen/Ruge 1985) unterscheidet sich heutige und zukünftige Werbung größtenteils aufgrund ihres zunehmenden Unterhaltungswertes. Bereits heute werden langweilige Anzeigen, die im Widerspruch zum zeitgemäßen Medienstil stehen, zu Vermeideranzeigen: Nach einem ersten Orientierungsblick werden sie überblättert; entsprechendes trifft auf Fernsehspots zu. Künftig wird die Werbung bis zu einem kaum vorstellbaren Ausmaß in die Trickkiste der Überraschungen, der emotionalen Appelle und Animationen greifen, um so für die Empfänger hinreichend unterhaltsam zu sein und in der Konkurrenz der übrigen Medien bestehen zu können. Sensualistisch: Als Leitsatz füngiert in Zukunft - den Beitrag der Produkte und Dienstleistungen zum Lebensstil der Empfänger aufzeigen und dabei die sinnlichen Erfahrungen der Empfänger direkt ansprechen. Auf eine Kurzformel gebracht heißt das: "Inszenieren statt informieren". Beispiele für solche Inszenierungen bietet bereits der neue Stil von Fernsehspots: Statt in einem Werbefilm über die Farbechtheit eines Fernsehgerätes zu sprechen, wird die Farbechtheit im Bild gezeigt; statt über die modischen Besonderheiten eines Angebotes zu reden, werden sie bildlich in Szene gesetzt; statt über den niedrigen Benzinverbrauch eines Autos zu informieren, wird dieser unmittelbar anschaulich dargestellt. Weitere bildliche Inszenierungen liefert der Einzug der Bilder in die Ladengestaltung (selling by pictures) oder die neue Präsentation der Produkte m den Katalogen der Versandhäuser. Eng verknüpft mit diesem Trend zur bildlichen Inszenierung von Produkten und Dienstleistungen ist die langfristige Verwendung von Bildern durch die Werbung, um im Gedächtnis der Abnehmer innere Bilder von einer Firma oder Marke zu erzeugen, konkrete visuelle Vorstellungen also, die mit dieser Firma oder Marke direkt zusammenhängen. Nach den Ergebnissen der Imageerforschung sind solche inneren Bilder (wie das Bild der lila Kuh für Milka oder das Bild von Charly Chaplin für IBM) in hervorragender Weise geeignet, Empfänger-Präferenzen zu beeinflussen; sie schlagen auf diese stärker durch als sprachliche Informationen. Der Aufbau von inneren Bildern wird gerade angesichts der Informationsüberlastung zu einer wichtigen Strategie der Verhaltensbeeinflussung. Dazu muß allerdings auch eine Umorientierung der Marktforschung treten, die bisher versäumt hat, derartige Gedächtnisbilder zu messen und zu kontrollieren. Schnelle Kommunikation: Eine rasche Vermittlung der Werbebotschaft wird immer mehr zur Bedingung dafür, daß die Botschaft von den Empfängern auch tatsächlich aufgegriffen wird. Schnelle Kommunikation erfordert einen hierarchischen Aufbau des Werbemittels: Markenname und Schlüsselbotschaft müssen visuell so gestaltet und plaziert werden, daß sie sich unverzüglich erkennen lassen und gleich zu Beginn des Hinschauens oder Hinhörens aufgenommen werden können - noch bevor der Kontakt mit dem Werbemittel abgebrochen wird. Gegen dieses simple Prinzip verstößt derzeit ein großer Teil der Werbung. Das ist etwa der Fall, wenn die Schlüsselbotschaft in Texten ohne Textstruktur untergeht. Solchen Texten begegnen wir unter anderem in "Rätselanzeigen"; sie werden von den Kreativen in dem Glauben für pfiffig gehalten, durch die gestellten Rätsel würde bei den Adressaten soviel Interesse (Reaktionsinvolvement) ausgelöst, daß sie die Werberätsel lösen möchten und dadurch die Werbebotschaft aufnähmen. Aber die Rätselanzeigen versagen meistens, weil die Begeisterung der Empfänger fürs Rätsellösen maßlos überschätzt wird (siehe Abbildung 4). Zweifellos wird sich der Druck zur Anpassung verstärken, weil die redaktionellen Programme der Medien und die Werbung in eine wachsende Konkurrenz geraten und der Kampf um die Zuwendung der Empfänger in Zukunft immer härtere Formen annimmt. Literatur Thomas B. Andresen, Hans-Dieter Rüge: Wie Manager die Werbung der 90er Jahre sehen, in: Absatzwirtschaft, Zeitschrift für Marketing, 28, 1985, Nr. 9, S. 72 - 83. Werner Kroeber-Riel: Informationsüberlastung durch Massenmedien und Werbung in Deutschland, in: DBW (Die Betriebswirtschaft), 47, 1987, Nr. 3, S. 257 - 264. Werner Kroeber-Riel: Strategie und Technik der Werbung, Kohlhammer Edition Marketing, Stuttgart 1988. Richard Kühn, Herbert Jucken: Die Werbung im Markt von morgen, 43 Experten blicken in die Zukunft, hrsg. vom Verband der Schweizer Werbewirtschaft, Glattbrugg (Schweiz), 1988.