Zur Zukunftsplanung eines Unternehmens gehört auch der historische Rückblick Die Firmengeschichte als Aktivposten
GEORGE DAVID SMITH ist Consultant beim Cambridge Research Institute, einer Unternehmensberatung in Cambridge/Massachusetts. Bevor er dort eintrat, lehrte er in Harvard Geschichte. LAURENCE E. STEADMAN ist President von Steadman/Coles, einer Unternehmensberatung in Boston. Davor lehrte er Internationales Management und war als Marketingleiter tätig.
Viel stärker als auf hochentwickelte Planungssysteme und Leitlinien vertrauen Manager bei ihren Entscheidungen auf das von ihnen angesammelte Wissen darüber, wie Dinge funktionieren - auf ihre Erfahrung also. Aus ihrem eigenen Verständnis der Vergangenheit entwickeln sie geradezu zwangsläufig Visionen der Zukunft. Aber häufig haben Führungskräfte auf die Geschichte der Organisation Rücksicht zu nehmen, in der ihre eigenen Erfahrungen begrenzt sind. So ist eine systematische und grundlegende Annäherung an die Vergangenheit immer dann von großem Nutzen, wenn sie dazu führt, daß Manager mehr Sinn für die Vergangenheit des Unternehmens entwickeln, als ihnen ihr eigenes Gedächtnis bieten kann. Die Firmengeschichte ist ein wichtiges, wenn auch im allgemeinen ungenutztes unternehmerisches Hilfsmittel. Sie hat großen Wert, der weit über die feierliche Funktion der konventionellen "Firmengeschichte" in Werbebroschüren oder Jubiläumsschriften hinaus reicht. Einige Unternehmen - wie Citicorp, AT&T und Consolidated Edison - haben vor kurzem historische Forschungsarbeiten über Strategie, Struktur und den Entscheidungsfindungsprozeß in Auftrag gegeben, die den Managern dieser Unternehmen neue Erkenntnisse liefern sollen. Für die meisten liegt das Problem der Firmengeschichte darin, daß - um eine Redewendung von Henry Ford zu verwenden - zuviel davon mehr oder weniger schädlich ist. Die meisten Firmengeschichten präsentieren sich als feierliche Selbstbefriedigung oder als gefühlsselige Festschrift - zwei Seiten der gleichen abgenützten Medaille. Die meisten der von uns interviewten Manager betrachten die Firmengeschichten, die ihre Unternehmen schreiben ließen, zwar als ganz amüsant, aber als nicht sehr nützlich. Sie seien voll von zweifelhaften Anekdoten, beladen mit nichtssagenden Allgemeinplätzen und Details oder auch zu sehr auf irgendein einzelnes bedeutendes Ereignis abgestellt. H. Peers Brewer, Vice-President für Unternehmensplanung der Manufacturers Hanover Bank und eifriger Leser von Geschichtsbüchern, bekundet, die meisten intern entwickelten Firmengeschichten seien "zu seicht, zu dürftig im thematischen Gehalt und zu schwach im Abstraktionsgrad", um nützlich für Manager oder verläßlich für Historiker zu sein. Die meisten Firmengeschichten befassen sich viel mehr mit den Erfolgserlebnissen in der Vergangenheit eines Unternehmens als mit seinem Wesen. Sie sollten sich aber auf die dynamische Ansammlung vergangener Ereignisse und Entscheidungen konzentrieren, die bleibende Bedeutung für Gegenwart und Zukunft haben. Als Teil zehnjähriger Planungsbemühungen faßte zum Beispiel Citicorp seinen Unternehmenscharakter und Langzeiterfolg nicht als feststehende Gegebenheit auf, sondern als historischen Prozeß. Das Unternehmen erkannte genau, daß die Gegenwart ein Moment in der Entwicklung von der Vergangenheit in die Zukunft ist. Firmengeschichte kann so zur Denkweise eines Unternehmens werden, ein Weg des Verständnisses, warum die Gegenwart das ist, was sie ist, und was in der Zukunft möglich sein könnte. In geschichtlichen Dimensionen über ein Unternehmen zu denken, mündet nicht zwangsläufig in die Ausarbeitung wissenschaftlicher Werke wie bei Citicorp oder AT&T. Wir untersuchten verschiedene Unternehmen, um festzustellen, welche Arten historischer Forschung die nützlichsten und legitimsten für die Ziele eines Unternehmens sind. Obwohl wir vornehmlich große Unternehmen untersucht haben, paßt vieles, was wir diskutieren, ebenso für kleinere Unternehmen mit begrenzten Hilfsmitteln. Sobald Manager den Wert der Firmenvergangenheit erkannt haben, steigern sie ihre Fähigkeit, Probleme zu diagnostizieren, die Unternehmenspolitik neu zu bewerten, Leistungen zu messen und sogar den Wandel zu steuern.
Den Wandel bewältigen
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt sah sich ein großes und erfolgreiches Unternehmen auf technologischem Gebiet an einem strategischen Scheideweg. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte das Unternehmen eine dezentralisierte Managementstruktur und eine Strategie der Produktdiversifikation bevorzugt. Es hatte sich in zunehmendem Maße auf Fremdfinanzierung verlassen. In den späten sechziger Jahren wurden diese Charakteristika sowohl aus internen als auch aus externen Gründen unzweckmäßig. Unprofitable Geschäftszweige hatten sich ausgeweitet, der technologische Kern des Geschäfts verlor seine Bedeutung mehr und mehr. Die Topmanager des Unternehmens engagierten einen Wirtschaftshistoriker, der ihnen dabei helfen sollte, einige der langfristigen Strategien und strukturellen Sachverhalte zu verstehen, denen sie konfrontiert sein würden, wenn sie den Trend zur Dezentralisierung und Diversifikation korrigierten. Eine der wichtigeren Aufgaben des Historikers war die Entwicklung eines auf das gesamte Unternehmen bezogenen Erziehungsprogramms, um Manager mit der Notwendigkeit des Wandels vertraut zu machen. Die Manager überarbeiteten Fälle aus der Firmenvergangenheit, angefüllt mit Geschichten über Veränderungen von Strategien, organisatorischen Innovationen und verschiedenen Managementmethoden. Das Programm präsentierte Daten zur langfristigen Finanzpolitik des Unternehmens, zur Forschung und Entwicklung, zu Produktionsausstoß und Verkauf. Der Historiker unterschied sorgfältig die bleibenden von den vorübergehenden Charakteristika des Geschäfts. Die Manager erfuhren, daß die Organisationsmuster und Managementstile, die ihnen geläufig und vertraut geworden waren, tatsächlich gar nicht so konstant waren und größtenteils ihre Nützlichkeit verloren hatten. Sie wurden daran erinnert, daß Entscheidungen und Strukturen nicht absolut, sondern darauf ausgerichtet sind, die Verhältnisse zu ändern. In der eigenen Unternehmensorganisation aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg fanden sie eine instruktive Analogie für die bevorstehende neue Ordnung. Wirtschaftshistoriker können mehrere wichtige Aufgaben übernehmen: 1. das Verständnis der Geschichte eines Unternehmens bis in das kleinste Detail herauszuarbeiten; 2. die Übermittlung dieser Erkenntnisse an die jetzigen Manager; 3. die Übernahme der Funktion eines Vermittlers für den Wandel. Deshalb sind Erfahrungen der Historiker als Wissenschaftler und Lehrer notwendig. Durch die Ausweitung des Bewußtseins der Manager über ihre unmittelbaren Erfahrungen hinaus steigert der Historiker seine Fähigkeiten, einen Wandel zu bestimmen und zu bewältigen.
Geschichte als Diagnosewerkzeug
Manager auf jeder Ebene eines Unternehmens, vom Aufsichtsrat bis zum Verkaufsraum, haben das Bedürfnis, von der Firmengeschichte mehr zu wissen, als ihre eigene Erfahrung bietet. Tatsächlich machte ein innovativer Hersteller von Konsumgütern, der vor ein ernstes Problem mit Arbeitern in einer besonders wichtigen Fabrik gestellt wurde, von einer der wirksamsten Managementanwendungen geschichtlichen Denkens Gebrauch. In der vor 15 Jahren als eine "Modelleinrichtung" für Arbeiter gegründeten Fabrik traten (nach erfolgreichen Anfangsjahren) ernstliche Probleme auf, die sich in der Arbeitsmoral, den Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und der Produktivität niederschlugen. Nach den Äußerungen einer Führungskraft des Unternehmens erinnerte sich jeder daran, daß dieses Werk in den sechziger Jahren hervorragend gelaufen war; damals galten die Arbeiter und Angestellten dort als ehrgeizig und produktiv. Die Absichten waren gut, die Strukturen waren perfekt, die Moral war hoch - aber alles wendete sich zum Schlechten. Das geschah etwa 1975; niemand wußte, warum. Ein interner Berater bemerkte schnell, daß sich eine gewisse Sehnsucht in die Stimmen der Menschen schlich, wenn sie über die frühen Jahre der Fabrik sprachen. In der Annahme, daß die Menschen der "guten alten Zeit" nachtrauerten, glaubte er, daß es notwendig sei, Fakten darüber zu sammeln, was wirklich geschehen war, um die Nostalgie zu entmythologisieren. Ein Sozialwissenschaftler, der keine eigennützigen Zwecke verfolgte, wurde angeheuert, um die Geschichte der Fabrik zu schreiben. Da ihm kaum dokumentarische Unterlagen zur Verfügung standen, führte er Gespräche mit allen Mitarbeitern - manchmal einzeln, manchmal in Gruppen. Um die Vergangenheit gründlich zu rekonstruieren und eine präzise Chronologie der Ereignisse zu gewinnen, verglich er die Stundensätze der Arbeiter mit der meßbaren und verifizierbaren Entwicklung der Werkstechnik und ihrem wechselnden Ausstoß. In Beratungen mit dem Management und den Arbeitern entwickelte er einen objektiven Bericht: Eine umfassende Geschichte, die mehr war als die Summe der einzelnen Geschichten der Menschen, die sie erlebt hatten. Die Geschichte deckte auf, daß während der Jahre, in denen das Unternehmen seine Technologie rasch weiterentwickelte, niemand die aufkeimenden Probleme im Betrieb bemerkte. Da das Werk sich aus einem kleinen, experimentierenden, kollegialen Laden zu einer größeren, routinierteren, hierarchischen Bürokratie entwickelt hatte, verlangte es eine andere Art von Management. Als neue Führungskräfte begannen, die Standardisierung und die Forderung nach Produktivitätssteigerung zu managen, trafen sie Entscheidungen, die - unbeabsichtigt - die eingefahrenen Arbeitsgewohnheiten und Erwartungen über Entscheidungsprozesse, die Regeln der Führung, die Aufgabenverteilung und die Beziehungen zwischen den Arbeitern in der Produktion störten. Während das Management dabei versagte, die Wege zu erkennen, auf denen es das Vertrauen und die Erwartungen der Mitarbeiter allmählich zerstörte, erkannten die Arbeiter weder die Ursachen des externen Drucks auf das Management, noch verstanden sie sie (obwohl sie indirekt darunter litten). Zum Beispiel: Als die Divisionspitze straffere Kontrollen durchsetzen wollte, um den Erfolg des Betriebs zu sichern, erkannten die Arbeiter nicht, daß der steigende Wettbewerb zwischen einzelnen Divisions um Konzernmittel die Kontrollen verursachte. Schließlich wurde offensichtlich, daß die Organisation und ihre Produkte gemeinsam alt geworden waren. Als die ersten Produkte des Unternehmens das Ende ihres Lebenszyklus erreichten, hatte das Werk mit den größeren Möglichkeiten einer neuen Produktgeneration zu konkurrieren. Das Werk änderte seine Herstellungsmethoden, um vielfältigere Produktanwendungen zu ermöglichen, die allerdings auch strengere Toleranzen und kürzere Produktionsabläufe verlangten; die Manager mußten die existierende Technologie anpassen. Als schließlich fähige und ehrgeizige Mitarbeiter in neuere Betriebe versetzt wurden, wurde es für die Werksmanager schwieriger, die Stückkosten niedrig zu halten. Gleichzeitig hatten sie wenig Einfluß auf Produkt- oder Kapitalentscheidungen. Die Lage war so schlecht, daß ein neuer Werksmanager sogar vor dem Problem stand, die Arbeitervertreter und das Management überhaupt an einen Tisch zu bringen. Nachdem ihm das schließlich gelungen war, begann man mit der sorgfältigen Untersuchung der Firmengeschichte. Die Lehren dieser gemeinsamen Geschichte hatten eine befreiende Wirkung auf die Mitarbeiter. Sie fingen an, die Probleme des Managements zu verstehen, und entwickelten einen Sinn für die wirtschaftliche und organisatorische Wirklichkeit des Unternehmens. Die Manager andererseits begriffen, wie ausgehöhlt das Vertrauen der Mitarbeiter war, und sie erkannten die Berechtigung der Klagen ihrer Mitarbeiter, daß ihre Erwartungen enttäuscht und ihre Rechte auf die eine oder andere Weise verletzt worden seien. Anstatt mit den Fingern aufeinander zu zeigen, begannen die Menschen, die Kernfrage zu stellen: "Was war geschehen?" Nach Diskussion der Antworten stimmten beide Parteien darin überein, an der Lösung ihrer gemeinsamen Probleme zu arbeiten. Als Resultat hat sich das Arbeiter/ Management-Verhältnis in hohem Grade verbessert, die Informationen fließen schneller von der Spitze nach unten, und die Mitarbeiter sind eher bereit, den arbeitsbezogenen Wünschen entgegenzukommen. Unter Nutzung der nur leicht veränderten ursprünglichen Technologie ist das Werk heute durch die Herstellung des Produkts mit der höchsten Gewinnspanne ein sehr starker Einnahmengenerator für das Gesamtunternehmen. Wie aus einem internen Bericht hervorgeht, betrachten die Mitarbeiter das Werk als ein Übungsfeld für neue Ideen, als Exporteur von Talenten für den Rest des Unternehmens und nicht mehr als sterbende Teilorganisation. Die detaillierte Fallstudie über die Vergangenheit des Werks wurde zum gefragten Lesestoff für neue Mitarbeiter. Eine Führungskraft des Unternehmens weist darauf hin, wie man das aus der Erfahrung erlangte Verständnis in eine neue Auslandsaktivität einbrachte. Der jetzige Werksmanager, seit über einem Jahrzehnt Mitarbeiter des Unternehmens, behauptet, daß die Aufzeichnung der Unternehmensgeschichte den Menschen einen Sinn für das gibt, was in der Zwischenzeit "wirklich" geschehen ist - eine Erfahrung, die größer ist als das eigene Zutun oder die Wahrnehmung des Geschehens. Die daran Beteiligten werden die Bedeutung der Ereignisse, die sie durchlebt hatten, deren Sinn sie damals aber nicht verstanden, nun begreifen.
Analogien in der Geschichte
Obwohl jede Organisation ihre eigene besondere Geschichte und Kultur entwickelt, stehen unterschiedliche Organisationen häufig ähnlichen Problemen gegenüber. Die Erfahrung, die die eine gesammelt hat, ist auf eine andere übertragbar. Die Menschen im beschriebenen Beispiel haben sich dies zu Herzen genommen, und es erwachsen ihnen weiterhin Vorteile daraus. Diese Übertragungsmöglichkeit ist tatsächlich der entscheidende Punkt beim Studium von Fallstudien: Viele lesen sich häufig wie Kurzgeschichten. Aber während wir den Wert von Fallstudien in einem akademischen Rahmen anerkennen (wo sie als eine Art von lehrreichen Parabeln dienen), sehen viele nicht, daß sie Managern auch als Episoden zur Illumination organisatorischer Prozesse dienen können. Firmengeschichten, besonders die älterer Unternehmen mit kontinuierlicher Bedeutung in einer Branche, enthalten oft Analogien zu zeitgenössischen Firmen, die dauerhafte Wahrheiten beleuchten und verlorengegangene Lektionen über die fundamentale Natur und die Verfahren einzelner Industrien aufdecken können. In einer Untersuchung aus dem Jahre 1955 der Singer Sewing Machine Company zum Beispiel bemerkte Andrew B. Jack zwei Problemstellungen, die starke Ähnlichkeiten mit der Geschichte des Unternehmens im 19. Jahrhundert aufwiesen. In den fünfziger Jahren benutzte Singer in bestimmten Drittländern viele der Marketingtechniken, die man ein Jahrhundert zuvor bei einem ähnlichen Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA eingesetzt hatte. Außerdem stimmten gewisse Probleme der Zusammenarbeit mit modernen Gerätehändlern überein, bei auffallend ähnlichen Verhältnissen hinsichtlich Marktgröße und Produktentwicklung, wie sie in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts im Umgang mit Franchise-Agenturen vorherrschend waren. Geschichte wiederholt sich natürlich niemals exakt, und es ist gefährlich, sich unkritisch auf die Vergangenheit zu verlassen, um die Zukunft zu planen. Immerhin sind Lektionen da, um gelernt zu werden. Manchmal liegt die Bedeutung von Geschichte im Hinweis auf Belanglosigkeiten. Das Herausfinden, warum und wie zwiespältige Entscheidungen getroffen wurden, verrät bisweilen nicht nur ihre latente Bedeutung oder ihren relativen Wert, sondern auch ihre Eignung für die Gegenwart. Ein Unternehmen entwickelte beispielsweise zu einem sehr frühen Zeitpunkt seines Bestehens eine Marketingpolitik, die seinerzeit außerordentlich sinnvoll war. Über die Jahre hinweg nahm diese Politik einen unantastbaren Status als "unsere Methode, Geschäfte zu machen" an. Auf der Basis, daß etwas dem Geschäft Anhaftendes eine Kontinuität des Status quo erforderte, standen die Manager allen Herausforderungen ihrer Politik - internen und von Kunden ausgehenden - ablehnend gegenüber. Eine Betrachtung des historischen Zusammenhangs dieser ursprünglichen Entscheidung zeigte, daß sie unter Bedingungen gefallen war - finanziellen, rechtlichen und technologischen - , die nicht mehr existieren. Die Frage verlagerte sich dann auf den eigentlichen Kern. Statt "Funktionierte die Politik in der Vergangenheit?" hieß es nun "Ist sie jetzt anwendbar und wird sie auch später nützlich sein?"
Geschichte als Erbe
Wiederauflebendes Interesse an Unternehmenskulturen hat Soziologen, Anthropologen und Studenten anderer Fächer zu ernsthaften Untersuchungen der Rolle geführt, die Traditionen im Leben eines Unternehmens spielen. Jedes Unternehmen, sogar ein neues, hat ein Erbe und eine Menge Traditionen. Wenn das Erbe des Unternehmens die Gesamtheit seiner dokumentierbaren Geschichte ist, dann können wir Tradition als die selektive Übermittlung dieses Erbes verstehen. Mit anderen Worten: Tradition kann als Gedächtnis betrachtet werden, das jene Folklore, Rituale und Symbole speichert, die den Sinn des Unternehmens für seinen Ursprung, sein Ziel und seine Identität über die Zeit hinweg darstellen. Unternehmenstradition wird formell durch Orientierungsprogramme, geschriebene Geschichte, greifbare Symbole und Politik weitergegeben. Sie wird auch informell durch Erzählungen und Routine übermittelt, die von Menschen als Maßstab akzeptiert werden. Alle Traditionen sind in die Vergangenheit eingebettet, bestehen aber in der Gegenwart. Aus diesem Grund ist ihre Geschichte lebendig. In allen Institutionen spielen Traditionen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Kultur. Aber Unternehmenskulturen sind fester umschrieben, leichter veränderlich und einfacher zu handhaben als Gesellschaftskulturen. Viele Manager sind sich auch schon lange der motivierenden Vorteile von Unternehmenstraditionen bewußt. In einer Untersuchung der überlieferten Tradition bei Hewlett-Packard (einem Unternehmen, das nur eine Generation alt ist) erläutert eine Autorität auf dem Bereich der "Unternehmens-Folklore", wie die Erzählung der Geschichte über die "Viereinhalb-Tage- Woche" ein informelles, doch starkes Vehikel zur Unterstützung der Mitarbeitermoral wurde. Vor zehn Jahren vermied Hewlett-Packard eine Massenentlassung während einer finanziellen Krise, indem es alle Mitarbeiter in jeweils zwei Wochen nur neun statt zehn Tage arbeiten ließ und die Löhne um zehn Prozent kürzte. Diese Episode wurde zu einer Geschichte, die Altgediente erzählen, um Neulingen zu versichern, daß Hewlett-Packard auf sich selbst aufpaßt. Außerdem ist das Verhalten, das diese Erzählung widerspiegelt, jetzt Grundlage für die Handlungsweise des Managements in harten Zeiten. In einer Industrie, in der Mangel an geschickten und erfahrenen Arbeitern herrscht, ist Loyalität von unschätzbarem Wert. Aber wie wir gesehen haben, können Traditionen, die den Status quo erhalten, auch zu Hemmschuhen werden, wenn die sich ändernden Zeiten neue Ansätze erfordern. Zum Beispiel hat sich das historische Wohlwollen eines bedeutenden Einzelhandelunternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern in einer Weise entwickelt, die die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens einschränkt. Zu oft hatte das Unternehmen mäßige Arbeiter behalten, sich aber nicht genügend darum bemüht, ausgezeichnete, hervorragende Leistungsträger daran zu hindern, die Firma zu verlassen. In einem Bericht heißt es, diese traditionelle, patriarchalische Einstellung - auf einem vergilbten Firmenmanifest beruhend - dürfte die Rentabilität des Unternehmens und die Fähigkeit, gegen energische Neulinge auf diesem Gebiet zu konkurrieren, erheblich herabgesetzt haben. Zeiten großer Veränderungen oder verheerender Krisen stellen Traditionen und seit langer Zeit bestehende Gewohnheiten in Frage. Wenn unternehmerische Traditionen herausgefordert werden, können Manager das Erbe zu Rate ziehen, Fragen stellen und kürzlich entdeckte oder längst vergessene Ereignisse zu aktuellen Problemen in Beziehung setzen. Ein Erbe ist häufig umfangreich genug, um vielerlei Traditionen zu übermitteln, von denen einige das unternehmerische Bewußtsein an die Oberfläche bringen, andere es unterdrücken. Als zum Beispiel AT&T vom "Zeitalter des Telephons" in das "Zeitalter der Information" schritt, haben Marktkräfte und politischer Druck das Grundethos des Unternehmens als öffentliches Dienstleistungsunternehmen in Frage gestellt. Konkurrenzdruck hat die Tradition des gütigen, bürokratischen Managements (das im wesentlichen seit 60 Jahren unverändert in einer geregelten Umgebung besteht) bis in die Grundfesten erschüttert. Neue Kommunikationstechniken, drohende Auflagen und sich wandelnde Märkte haben AT&T gezwungen, eine neue Art von Management zu entwickeln - unternehmerischer, konkurrenzfähiger und dem Markt angepaßt. Auch hat AT&T seit Mitte der siebziger Jahre seine Struktur von einer funktionsorientierten in eine marketingorientierte Organisation umgestaltet. Die Folgen dieser Neuorganisation wirkten sich auch auf das gesamte Telephongeschäft aus. Eine kürzlich ergangene Gerichtsentscheidung, wonach AT&T das gesamte Telephongeschäft von seinen sonstigen Aktivitäten abtrennen und neue Organisationsformen für die einzelnen Geschäftszweige finden muß, hat einen immensen Druck auf das Management ausgeübt, Änderungen vorzunehmen und sich anzupassen. In einem kürzlich geführten Gespräch über die Neuorganisation des Unternehmens und die dadurch hervorgerufenen Erschütterungen des traditionellen Wertesystems von AT&T bemerkte Firmenchef Charles Brown, daß der Versuch, den alten Service mit einem "neuen Geist von Verwegenheit aufrecht zu erhalten ..., das Risiko unternehmerischer Schizophrenie mit sich bringt. Um es milde auszudrücken: Nicht in jeder Hinsicht entsprechen Zwänge des Markts dem allgemeinen Interesse an einem geregelten öffentlichen Fernsprechnetz." Aber, fügte Brown hinzu, AT&T müsse diese offensichtliche Dualität in einer einzigen unternehmerischen Gestalt harmonisch zusammenfügen - unter Nutzung seiner Geschichte und seines Erbes als seines "sichersten Wegweisers". Das Problem von AT&T ist die Bewerkstelligung des erforderlichen Wandels mit einem Sinn für Kontinuität - einem Sinn, sich selbst treu zu bleiben, der besonders wichtig für ein Unternehmen mit langer Geschichte und tiefverwurzelten Traditionen ist. "Sinn für Kontinuität", sagt Vice- President Alvin van Auw, "hat den stärksten Einfluß auf den Entscheidungsfindungsprozeß bei AT&T." Wenn das Topmanagement eine Politik darlegt, festigt es häufig bewußt die Politik der Traditionen bei AT&T. Eine interne Broschüre über die Geschäftspolitik enthält ausschließlich Aufsätze früherer AT&T-Topmanager und bestimmt den Ausgangspunkt für neue Strategieansätze. Die fortlaufende geschichtliche Forschung über AT&T bestätigt, was die Führungskräfte des Unternehmens intuitiv begreifen - nämlich, daß das Erbe des Unternehmens alternative Traditionen stützt. Als es die weniger geschützte, technologisch explosivere Welt der achtziger Jahre betrat, konnten die Manager auf die riskanten und unternehmerischen Anfänge des Unternehmens mit einer neuartigen Technologie in einem als "krank" definierten Markt zurückblicken. Die AT&T-Manager können eine Menge aus vorhergegangenen Zusammenstößen mit starken Konkurrenten und den profunden strategischen und strukturellen Wandlungen lernen, die die Geschichte des Unternehmens kennzeichneten, bevor es in den zwanziger Jahren seine moderne Form annahm.
Die Disziplin,
historisch zu denken
In den von uns diskutierten Beispielen wurde historisches Denken nicht im Elfenbeinturm von Universitätsbibliotheken oder als Arbeit für Diplomanwärter verstanden. Es fand im aktiven Geschäftsleben statt, wo Manager es auf praktische Probleme anwandten, an denen sie ein wirkliches und permanentes Interesse hatten. Wenn sie in historischen Dimensionen denken, sollten Manager indes einige formale Regeln beachten. Geschichte ist letzten Endes eine wissenschaftliche Disziplin und hat - wie Ökonomie, Psychologie oder Physik - ihre eigenen Ansätze, Methoden und Zwänge. Studieren von Geschichte schließt die Fähigkeiten ein, * den Fluß von Ereignissen als einen langfristigen Prozeß zu sehen und zu erklären, nicht nur als eine Folge von abgeschlossenen Ereignissen; * sich der Vergangenheit mit einem Sinn für Überraschungen anzunähern - das heißt, die Betrachtung von Ereignissen und Entscheidungen als ungewiß und auf diese Weise unbeeinflußt von ihren wirklichen Ergebnissen zu begreifen; * jeden Teil der Vergangenheit nach seinen eigenen Bedingungen und in einer Weise zu beurteilen, die für Menschen der jeweiligen Periode verständlich sein würde (denn es ist unsere natürliche Neigung, die Vergangenheit im Lichte unserer eigenen Erfahrungen, Ideen und Werte zu sehen); * einzelne historische Probleme oder Episoden im zeitgenössischen, sozialen, intellektuellen, politischen und ökonomischen Kontext zu verstehen. Um zwischen guten und schlechten historischen Daten zu unterscheiden, ist es für Manager besonders wichtig, unternehmerische Geschichte zu studieren, um ein umfassendes Wissen der Zusammenhänge zu haben, wobei die vorhandenen Berichte unvollständig oder persönlich gefärbt, die wichtigsten Gründe für Entscheidungen möglicherweise überhaupt nicht aufgezeichnet sein können. Tatsächlich ist die Neuschaffung der Vergangenheit deshalb oft eine Angelegenheit intelligenten Lückenfüllens mit wohlbegründeter historischer Urteilskraft.
Bedeutung des Gedächtnisses
Historische Urteilskraft kann nicht in einem Vakuum angewandt werden. Weil unternehmerisches Gedächtnis von hoher Wichtigkeit ist, sind dessen Bewahrung und Management die wirklich wichtigen (obwohl häufig vernachlässigten) Aufgaben eines modernen Unternehmens. Jede Organisation hat ihr Gedächtnis, selbst wenn es kaum mehr als den Stoff zu Anekdoten enthält, die ein wenig den Unternehmensalltag illustrieren, der von einer Generation zur nächsten übermittelt wird. Sogar bürokratische Formen, einfache Arbeitsroutinen, Kleidungs- und Protokollregeln oder Stil und Zusammenstellung der Möbel übermitteln Eindrücke von der Vergangenheit, der Unternehmenskultur sowie von der Identität und den Zielen des Unternehmens. Die beste Unterstützung für das Gedächtnis des Unternehmens bleibt ein sicher aufbewahrter und leicht auffindbarer Bericht über vergangene Ereignisse und Entscheidungen. Einige Unternehmen haben ihre Fähigkeit, vernünftige Entscheidungen zu treffen, durch skrupellose Zerstörung kritischer Berichte oder einfache Unachtsamkeit gegenüber alten Daten unterminiert. Wie Earl F. Cheit, Dekan der School of Business in Berkeley, kürzlich bemerkte, ist es "Ironie, daß zu einer Zeit, in der alle amerikanischen Institutionen sensibel werden für die Notwendigkeit, über den Tag hinaus zu denken, die große Fülle an Wissen, die am meisten zur Entwicklung eines langfristigen Standpunkts beitragen könnte, geschwächt worden ist." Die Tendenz zur Konzentration, zu Akquisitionen, zur Einstellung externer Topmanager und Direktoren sowie der verstärkte Trend zu mündlicher Kommunikation haben gemeinsam zu einer Schwächung der Unternehmensgedächtnisse beigetragen. Das Problem läßt sich aber auf keinen Fall durch "Berichtsprogramme" lösen, denn diese verhindern Berichte eher, als sie umsichtig zu bewahren. In ihrer Angst vor dem zunehmenden Risiko von Prozessen, haben einige Manager den Gedanken der Vernichtung von archivierten Unterlagen geradezu lächerlich ausgeweitet. Ein großes Unternehmen, das wegen Wettbewerbsverstößen angeklagt wurde, fand vor vielen Jahren heraus, daß seine Position während des Prozesses überraschenderweise mit Material angegriffen wurde, das als unwichtiges internes Memorandum betrachtet worden war. Die Reaktion des Unternehmens war, sich gegen zukünftige rechtliche Angriffe dadurch zu verteidigen, daß keine Protokolle mehr von Besprechungen auf höherer Ebene angefertigt wurden. Das Ergebnis war Isolation und Konfusion. Das Unternehmen zerstörte nicht nur seine Geschichte von 50, 20 oder zwei Jahren Vergangenheit, es zerstörte auch seine formalen Erinnerungen an gestern. Die Manager erinnerten sich später nicht mehr daran, ob sie ihre Zustimmung in einer Angelegenheit gegeben hatten oder nicht, und warum wer welche Position in welcher Angelegenheit bezogen hatte. Sie verloren ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu rekonstruieren - alles in der Absicht, unerfreulichen Rechtsstreit zu vermeiden. Hingegen bewahren viele Unternehmen wichtige Akten systematisch auf, in der Überzeugung, daß die Vorteile alle Risiken aufwiegen. Wells Fargo, Foremost-McKesson, Chase Manhattan Bank, AT&T und die New York Stock Exchange sind dabei, fortschrittliche Archivierungsprogramme auf hohem Niveau aufzubauen. Wells Fargo zum Beispiel hat eine Abteilung für Geschichte, der professionelle Historiker, Archivare und Kuratoren angehören. Andere wie International Harvester, General Motors, Ford, Coca-Cola und die Bank of America haben bereits ausgezeichnete Archive. Ironischerweise nutzen Manager die Archive bei konkreten Geschäftsproblemen nur selten. Die Schwierigkeit, erläuterte eine Führungskraft für Public Relations, bestehe darin, hochkarätige Unterstützung für die Archivierung dessen zu erhalten, was viele Menschen für "nichts als eine Sammlung staubiger Papiere" halten, um sie in ein "lebendiges Hilfsmittel" zu verwandeln. Die Gestaltung eines lebendigen Archivs ist nicht einfach ein Fall der Sicherung wichtiger ökonomischer, finanzieller und rechtlicher Akten oder die Aufbewahrung formeller Stellungnahmen zu Politik, Strategie und Public Relations. Korrespondenz, Memoranden, aufgezeichnete Interviews und selbst informelle Notizen, die ein Licht auf den Entscheidungsfindungsprozeß der Organisation werfen können, müssen für Studien und Analysen verfügbar sein. Peter Drucker hat auf vier Bereiche hingewiesen, wo Management für die Zukunft eine besonders sorgfältige Beurteilung der Vergangenheit erfordert: Kapitalverwendung, Personalentscheidungen, Innovation und Analyse von Strategien. Archive sollten die historische Bewertung des Unternehmensmanagements und seiner Fähigkeit, von Problemen über Entscheidungen zu gewünschten Ergebnissen fortzuschreiten, ermöglichen.
Anwendungsbereiche
und weitere Bedeutung
Historisches Denken kann einige konkrete Aufgaben erleichtern. Diese Aufgaben reichen von Public Relations bis zur Unternehmensplanung und schließen Marktforschung, Rechtsberatung und Personalführung ein. Die Erforschung einer gut geschriebenen Firmengeschichte hat auch für Historiker Bedeutung. Es liegt auf der Hand, daß in unserer technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung das Unternehmen zu einer zentralen Institution der modernen Gesellschaft wurde. Gut erforschte geschichtliche Vorfälle würden nicht nur die Basis für das wissenschaftliche Lernen erweitern, sondern auch die Öffentlichkeit informieren. Politiker sind nämlich bisweilen schwach im historischen Verständnis von privaten Unternehmen, deren Dynamik sowie ihrer langfristigen Verbindungen zur und ihrer Wirkungen auf die Gesellschaft. So erhält gute Firmengeschichte einerseits wirkliche Bedeutung, wenn der Manager zwischen seinen eigenen Erfahrungen und Werten sowie dem umfassenden Leben des Unternehmens eine Beziehung herstellen kann. Andererseits verknüpft sie die langfristige Rolle des Unternehmens mit dem ausgedehnten Leben der Gesellschaft.
Bewahren
des Unternehmensgedächtnisses
Es wird erzählt, daß David Rockefeiler anläßlich der Vorbereitung einer Chinareise einen Assistenten bat, ins Archiv der Chase Manhattan Bank zu gehen, um etwas über den frühen Handel im Fernen Osten in Erfahrung zu bringen. Als der Assistent zurückkam und berichtete, es gebe kein Archiv, war Röckefeiler entsetzt. Sofort wurde mit einem Archivierungsprogramm begonnen. Wenn das Topmanagement entscheidet, die historischen Ursprünge des Unternehmens zu analysieren, ist als erstes der potentielle Mehrwert, den Firmengeschichte schaffen kann, zu betrachten: * Bei der Citibank wird der Nutzen im verbesserten Prozeß der Unternehmensplanung gesehen. * Bei Consolidated Edison will man Nachwuchsmanagern mit der Geschichte der jüngeren Vergangenheit einen Rahmen für die Entscheidungsfindung verschaffen. * Bei Wells Fargo, das in einer Branche mit relativ undifferenzierten Produkten und Dienstleistungen operiert, ist die Firmengeschichte ein machtvolles Marketing- und Werbeinstrument, das der Bank einen spezifischen Charakter verleiht. * Bei Hewlett-Packard ist die Geschichte ein Vehikel zur Unterstützung der Moral der Beschäftigten. * Bei AT&T beleuchtet die historische Forschung organisatorische Sachverhalte. * Bei General Motors wird die Firmengeschichte benutzt, um Programme der Managementschulung zu unterstützen. * Bei der New York Stock Exchange ergänzt die Firmengeschichte wichtige Universitäts- und Public-Relations-Programme. * Anderswo hilft die professionelle Geschichtsforschung bei Rechtsstreitigkeiten, erlaubt einen Rückblick auf die Politik und kann sogar der Verbesserung der Arbeitnehmer/Management-Beziehungen dienen. Welchem Zweck Firmengeschichte auch dienen mag, ihr Nachweis und ihre Formulierung sind erste Schritte, die historischen Quellen des Unternehmens freizulegen. Um das zu tun, muß das Management folgende Fragen stellen: * Wie gut ist unser Unternehmensgedächtnis? Welche Berichtspolitik gehört dazu? Wann wurden unsere geschichtlichen Quellen und die Politik, die sie pflegen sollte, zuletzt durch Führungskräfte überprüft? * Was ist über das Unternehmen geschrieben worden? Von wem? Wie ist die Qualität dieser Arbeit? Enthält die veröffentlichte Geschichte des Unternehmens schlimme Entstellungen oder Versäumnisse? * Hat das Unternehmen eine starke Verbindung zum historischen Erbe? Welche Politik bestimmt die Reaktion auf legitime wissenschaftliche Interessen am Unternehmen? * Sind historische Darstellungen in Unternehmenspublikationen wie Jahresberichten, Hauszeitschriften oder Werbebroschüren veröffentlicht worden? Wie glaubwürdig oder nützlich sind diese Darstellungen? * Welche historischen Berichte oder Hilfsmittel brauchen die verschiedenen Abteilungen des Unternehmens? Wie zum Beispiel wurde historische Forschung für rechtliche Zwecke eingesetzt? * Verfügt das Unternehmen über oder hat es Verbindung zu Experten, die historische Quellen organisieren, erschließen und nutzen können? Hat das Unternehmen einen erfahrenen Archivar oder (in kleineren Unternehmen) professionellen Berater? Unterhält es Beziehungen zu Historikern, die wissen, wie man historische Daten ermittelt, sammelt und interpretiert, oder die andere darin unterweisen, diese Dinge auf einem wissenschaftlichen Niveau zu erledigen? Weil Organisation und Methodik eines Archivs und die damit zusammenhängenden Probleme der Behandlung von häufig nur bruchstückartigen Überresten der Vergangenheit komplex und speziell sind, ist die letzte Frage besonders wichtig. Manager müssen auch überlegen, wie die wertvollen Daten für den zukünftigen Gebrauch aufzubewahren sind. Während es die Unternehmen gemeistert haben, quantitative Vorgänge - wie Finanzberichte und Buchhaltungsunterlagen - aufzuzeichnen, scheint es schwieriger, gute Berichte über die Management- und Entscheidungsfindungsprozesse aufzubewahren. Weil das elektronische Zeitalter es ermöglicht, augenblicklich auslöschbare Memoranden zu schreiben, ist es doppelt wichtig, jemanden zu haben, der sich damit befaßt, wie wichtige Probleme, Ereignisse, Überlegungen und Entscheidungen im Unternehmensgedächtnis gespeichert werden können. Viele Unternehmen führen Gespräche mit bedeutenden Persönlichkeiten, die von einem Experten geleitet werden, der gezielte und bohrende Fragen stellt. Wichtiger ist möglicherweise die Entwicklung weiterführender Methoden der Archivierung und Erhaltung wichtiger Tatsachen. Historiker können hier helfen. Schließlich könnte ein Unternehmen auch Programme entwickeln, die eine gut erforschte Geschichte nutzen. Einige nützliche Fragen, die Manager stellen können, lauten: * Wie teilt das Unternehmen seine Gechichte neuen Mitarbeitern mit? Worin besteht der historische Inhalt von Trainingsprogrammen oder weiterführenden Managementseminaren? * Würde es dem Unternehmen nützen, weiterführende PR-Aktivitäten auf der Basis seiner Geschichte zu entwickeln? Sollte das Unternehmen ein Museum schaffen oder eine Bibliothek einrichten? Sollte das Unternehmen Verbindungen zu Universitäten, Museen, historischen Gesellschaften oder anderen öffentlichen Einrichtungen schaffen, die ein Interesse an seiner Geschichte haben könnten? * Wenn grundsätzliche Veränderungen in der Politik auf höheren Managementebenen diskutiert werden, bereichert die Vorgeschichte der derzeitigen Politik diese Debatte? Sollte die Geschichte der Unternehmenspolitik aufbereitet und zugänglich gemacht werden? * Sollte die Geschichte der Unternehmensstrategien und anderer Grundsatzentscheidungen aufgearbeitet werden, um die früheren Leistungen des Unternehmens sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht bewerten zu können? * Sollte eine Geschichte über die Erfahrungen eines Unternehmens mit sozialem Druck und Regierungseinfluß erstellt werden, um auf öffentliche Debatten reagieren zu können? Wenn ein Unternehmen einmal die drei ersten Schritte zur Nutzbarmachung seiner Geschichte getan hat - Festsetzung des hohen Zusatznutzens der Firmengeschichte, Identifizierung und Rationalisierung der historischen Quellen für den gegenwärtigen und zukünftigen Gebrauch, Entwicklung spezifischer Programme - , wird es feststellen, daß es ein mächtiges Managementwerkzeug gewonnen hat. Solange wir uns nicht vorstellen können, daß unser Enthusiasmus allein die Skeptiker überzeugen und ahistorische Manager ändern wird, können wir wenigstens empfehlen, daß Führungskräfte einen kurzen Blick auf ihre Firmengeschichte unter dem Aspekt von Kosten und Nutzen werfen. Wenn sie das ernsthaft und gewissenhaft tun, können sie beides einschätzen. Wir sind überzeugt, sie werden feststellen, daß der Nutzen überwiegen wird. Copyright: © 1983 President and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in "Harvard Business Review" unter dem Titel "Present value of corporate history"