Beschaffung wird zu einem kritischen Erfolgsfaktor Die 90er Jahre stellen den Einkauf auf die Probe
DR. EDWIN FISCHER ist Projektleiter bei der Unternehmensberatung Booz, Allen & Hamilton in Düsseldorf.
In vielen Unternehmen gibt es heutzutage eine mehr oder weniger explizit formulierte Beschaffungsstrategie. Sie definiert - häufig produktspezifische - Beschaffungsziele und bestimmt die anzuwendenden Grundsätze und Maßregeln (wie zum Beispiel die erforderliche Lieferantenflexibilität und das maximale Beschaffungsrisiko). Aus den Beschaffungszielen leiten sich auch die Kriterien ab, die bei der Auswahl der Lieferanten herangezogen werden müssen. Dabei gewinnt etwa der Lieferservice gegenüber dem Einkaufspreis zunehmend an Bedeutung, denn sowohl ein Zurückfahren der Bestände als auch eine höhere Produktionsflexibilität setzen einen verbesserten Lieferservice durch den Lieferanten voraus. Eine solche Beschaffungsstrategie spiegelt jedoch vor allem das traditionelle Verständnis von den Aufgaben des Einkaufs wider, sie bezieht sich ausschließlich auf die Einkaufsfunktion. Zu kurz kommen dabei meist die Beschreibung der Zusammenarbeit zwischen Einkauf und anderen Unternehmensfunktionen sowie die Definition strategischer und kreativer Leistungsbeiträge, die zukünftig wichtiger werden. Und gerade hier muß wirkliche strategische Beschaffung anknüpfen.
Von bloßer Beschaffungsstrategie zu
strategischer Beschaffung
Noch immer gilt der Einkauf in vielen Unternehmen als vorwiegend ausführende Funktion, die - so die gängige Meinung - das beschaffen soll, was ihr Absatz- und Materialbedarfsplanung vorgeben. Diese Einstellung drückt sich beispielsweise in dem häufig geringeren Qualifikationsniveau der Einkaufssachbearbeiter aus, verglichen mit dem der Mitarbeiter in anderen Funktionen. In fortschrittlichen Unternehmen dagegen übernimmt der Einkauf in wachsendem Maß eine strategische Rolle. Ein Grund dafür liegt in dem steigenden Anteil der Materialkosten an den gesamten Herstellkosten. Der in vielen Branchen - nicht nur in der Automobilindustrie - erkennbare Trend, die Fertigungstiefe zu vermindern, führt dazu, daß der Einkauf - in Relation zur Produktion gesehen - immer stärker Produktqualität und Herstellkosten bestimmt. Das beweist, der Einkauf hat mehr und mehr Einfluß auf die Wettbewerbsstärke der Unternehmen; für viele von ihnen wird die Leistung ihrer Einkaufsabteilung zum kritischen Erfolgsfaktor. Um seiner neuen Rolle gerecht zu werden, muß der Einkauf jedoch ein neues Selbstverständnis entwickeln: Er muß sich daran gewöhnen, strategisch zu denken und zu handeln. Strategisches Handeln meint in diesem Zusammenhang nicht, daß der Einkauf selbst eine Strategie formulieren muß. Gemeint ist vielmehr, daß der Einkauf in der Lage ist, einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der strategischen Unternehmensziele zu leisten. Dafür muß er ein funktionenübergreifendes, das heißt ganzheitliches Strategieverständnis entwickeln, das es ihm erlaubt, tatsächlich konstruktive und kreative Handlungsvorschläge vorzulegen - gerade diese kreative Funktion ist es, die vom Einkauf heute noch viel zu wenig genutzt wird (beziehungsweise genutzt werden kann). Eine Einkaufsabteilung indes, die künftig erfolgreich sein will, wird auf kreative Vorschläge zur Kostensenkung beziehungsweise Qualitätsverbesserung nicht verzichten können. Und deshalb steht ihr in den nächsten Jahren auch eine Substitution von operativen Routinetätigkeiten durch kreative und planerische Aktivitäten bevor. Die folgenden Beispiele sollen verdeutlichen, welche kreativen Aufgaben gemeint sind: * Empfehlungen zur Materialsubstitution; * Ideenbeiträge zur Wertanalyse; * Anregungen zu Konstruktionsänderungen; * Anregungen zu Änderungen in den Fertigungsprozessen; * Aufweis von Möglichkeiten zur Reduzierung der Fertigungstiefe; * Vorschläge zur Standardisierung von Beschaffungsprodukten; * Vorschläge zur Reduzierung der Produktkomplexität. An diesem breiten Aufgabenspektrum wird klar: Der Einkauf muß noch enger als heute mit der Entwicklungsabteilung, dem Marketing und der Produktion zusammenarbeiten. Denn häufig können nur durch Zusammenfassen des Know-how kreative Vorschläge entstehen. Zudem bewirkt das Verkürzen der Fertigungstiefe, daß die Beschaffungsgüter immer komplexer werden. Wo früher überwiegend Rohmaterialien und Halbzeuge eingekauft wurden, sind es heute Bausteine und Komponenten sowie Handelswaren. Die Beschaffung derart komplexer Produkte verlangt Sachkenntnisse, über die der Einkauf allein nicht verfügt. Die Beschaffung verwandelt sich deshalb immer öfter zu einem multifunktionalen Kooperationsprozeß.
Von der Konfrontation zur Kooperation
mit Lieferanten
Die Beziehung zu Lieferanten kann mehr oder weniger eng sein. Klassischerweise sind Lieferant und Empfänger nur vergleichsweise locker verbunden; das beschaffende Unternehmen will sich so die Möglichkeit erhalten, unvorhergesehene Marktchancen nutzen und gegebenenfalls zu alternativen Lieferanten wechseln zu können. Keine oder nur kurzfristige Lieferverträge (bis sechs Monate) entsprechen diesem Verhalten. Das andere Extrem stellen Partnerschaften mit Lieferanten dar; sie sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet: * Langfristigkeit der Verträge (life cycle contracting); *Dgemeinsame Entwicklung; *DAustausch von Planungsdaten; *Delektronischer Informationsaustausch. Zwischen diesen beiden Extremstrategien existieren zahlreiche Mischformen, zu denen auch das Single Sourcing zählt. Bei diesem beziehen Unternehmen ein bestimmtes Produkt nur von einem Lieferanten. Anders als bei einer Partnerschaft kommt es jedoch zu keiner engen Kooperation mit dem Lieferanten. Unsere Untersuchung ergab, daß Single Sourcing häufig dann auftritt, wenn dem Unternehmen mangels sinnvoller Alternativen keine Wahl bleibt. Weitere Mischformen entstehen, falls Unternehmen ihren Lieferanten gewisse Anreize bieten, beispielsweise Rahmenverträge, garantierte Abnahmemengen, frühzeitige Informationen über den Bedarf sowie finanzielle Unterstützung (etwa durch Beistellung von Werkzeugen).
Partnerschaften
In unserer Untersuchung wurde offenkundig, daß bislang nur wenige Unternehmen den Aufbau von Partnerschaften als strategisches Instrument einsetzen. Am häufigsten wurden diese beiden Einwände vorgebracht: * Partnerschaft führe zu einer nicht zu verantwortenden Abhängigkeit vom jeweiligen Lieferanten. * Unversehends auftauchende Marktchancen ließen sich nicht optimal ausnutzen (zum Beispiel im Zuge von Preisverhandlungen). Diese Argumente scheinen nur auf den ersten Blick stichhaltig. Wir haben herausgefunden, daß Unternehmen dabei die positiven Seiten einer Partnerschaft entweder unterschätzen oder überhaupt nicht erkennen. Und dies dürfte wiederum mit der mangelnden Erfahrung aus der Pflege solcher Partnerschaften zusammenhängen. Denn auf den zweiten Blick - oder besser: aus strategischer Perspektive - läßt sich feststellen, welche Stärken aus einer Partnerschaft erwachsen können. Das Argument einer zu starken Abhängigkeit vom Lieferanten wird dadurch abgeschwächt, daß dieser seinerseits ja auch in eine gewisse Abhängigkeit gerät. Partnerschaften laufen also auf gegenseitige Bindungen hinaus, für die beide Seiten Verantwortung tragen, aus denen aber auch beide Nutzen ziehen. Richtig ist allerdings: Die Idee der Partnerschaft läuft dem Gebot opportunistischen Ausnutzens von Marktchancen zuwider. Freilich ermöglicht eine richtig verstandene und praktizierte Partnerschaft nachhaltige Kostensenkungen und Marktvorteile. Einige Beispiele sollen das belegen: * Produktentwicklungen können schneller, effizienter und deshalb kostengünstiger durchgeführt werden. * Weiterhin lassen sich Kostensenkungen auch in der Bestelldisposition und -abwicklung erzielen. Durch die Kopplung der Planungssysteme etwa kann der Lieferant frühzeitig die erforderlichen Liefermengen erkennen. Im Gegenzug wird der Abnehmer früher auf Lieferengpässe aufmerksam und kann seine Produktionsplanung beizeiten entsprechend umstellen, ohne daß bei ihm Fehlmengen auftreten. * Partnerschaften vermindern nicht zuletzt jene Beschaffungsrisiken, die oftmals gerade auf die Kappe von Lieferanten gehen.
Freilich, jeder Einkaufsabteilung stellt sich die Gretchenfrage immer wieder: "Wie eng sollen wir es halten - mit diesem oder jenem Lieferanten?"
Kooperationsintensität
Die zwei wichtigsten Faktoren, die die Entscheidung über den Kooperationsumfang im Rahmen einer Partnerschaft bestimmen, sind: erzielbare Wettbewerbsvorteile und absehbare Risiken. Bevor ein Unternehmen sich auf eine bestimmte Kooperationsform festlegt, sollte es daher die produkt- und lieferantenspezifischen Wettbewerbsvorteile und Risiken genau analysieren (siehe Abbildung 1). Wie praktische Erfahrungen zeigen, sollten bei der Risikobewertung sinnvollerweise Produktrisiko und Lieferantenrisiko getrennt analysiert werden. Des weiteren empfiehlt es sich, nach internen und externen Risiken zu unterscheiden. Im Weg der Bestimmung des Produktrisikos (siehe Abbildung 2) kommt es darauf an, strategisch kritische Zukaufprodukte zu identifizieren, denn für diese sollten andere Beschaffungsgrundsätze gelten als für weniger risikobehaftete Einkaufsprodukte. Beim Blick auf das Lieferantenrisiko (siehe Abbildung 3) sollten insbesondere "kritische Lieferanten" ermittelt werden, "kritisch" insofern, als ihr Verhalten für das beschaffende Unternehmen eine Gefahr darstellt, die möglicherweise zu drastischen Umsatz- und Gewinneinbußen führt. Jüngstes Beispiel dafür sind die Anbieter integrierter Schaltkreise, von denen inzwischen nur noch wenige übrigblieben. Sie bedeuten für viele Anwender ein großes Risiko, zumal für jene unter ihnen, die in der Vergangenheit die Lieferanten gegeneinander ausgespielt und somit auf partnerschaftliche Beziehungen verzichtet haben; diese Anwender stehen jetzt vor erheblichen Beschaffungsengpässen. Sind Produkt- und Lieferantenrisiken bewertet, müssen gegebenenfalls Strategien gefunden werden, um diese Risiken zu begrenzen beziehungsweise zu reduzieren. In vielen Unternehmen dominiert als Mittel der Risikobegrenzung traditionsgemäß das Mehr-Lieferanten-Prinzip. Wie schon dargestellt, können Partnerschaften als weiteres geeignetes Mittel dienen, um Risiken beherrschbar zu halten. Im Grundsätzlichen unterscheiden sich beide Maßnahmen allerdings: Das Risiko einer Störung der Lieferantenbeziehung läßt sich einschränken durch Etablierung mehrerer paralleler Lieferantenbeziehungen; eine Partnerschaft hingegen hält die Wahrscheinlichkeit einer Störung von vornherein kleiner. Die Entscheidung darüber, ob die Kooperationsform einer Partnerschaft mit Lieferanten oder das Mehr-Lieferanten-Prinzip den Vorzug erhalten soll, hängt aber nicht nur von den Risiken ab, sondern auch von den erzielbaren Wettbewerbsvorteilen. Regel: Immer wenn aus einer engen Zusammenarbeit deutliche Wettbewerbsvorteile hervorgehen, sollte eine Partnerschaft aufgebaut werden, und zwar unabhängig von der Höhe des Risikos. Wettbewerbsvorteile können zum Beispiel auf Kostensenkungen beruhen, auf erhöhter Lieferzuverlässigkeit, gesteigerter Zulieferflexibilität oder bedarf synchroner Anlieferung (JIT). Partnerschaften werden also in Zukunft stark zunehmen, denn die Forderungen nach höherer Marktflexibilität und gesteigerter Innovationskraft lassen sich in vielen Fällen langfristig nur durch eine enge Kooperation mit Lieferanten erfüllen.
Veränderungen in der Aufbauorganisation
des Einkaufs
Mit den veränderten Anforderungen an die Beschaffung und dem Trend zu Partnerschaften müssen sich auch die organisatorischen Strukturen des Einkaufs wandeln. Die chemische Industrie zum Beispiel hat ihren Einkauf heute nach zu beschaffenden Produktbereichen organisiert. In den meisten Chemie- und Pharmaunternehmen findet man unterhalb der Ebene des Einkaufsdirektors die folgende Aufteilung in drei Ressorts: * Einkauf Rohstoffe, * Einkauf Verpackungen, * Einkauf Technik. Diese Gliederung gilt sowohl für den Bereich der zentralen Beschaffung als auch für die dezentralen Beschaffungsabteilungen der einzelnen Betriebe und Produktionsstätten.
In bezug auf die Zuordnung von Beschaffungsaufgaben zu zentralen und dezentralen Einkaufsabteilungen sind gleichfalls Gemeinsamkeiten erkennbar: So legen die zentralen Einkaufsabteilungen Beschaffungsgrundsätze fest und entwickeln Strategien. Sie übernehmen des weiteren eine Beratungs- und Unterstützungsfunktion für die dezentralen Einkaufsorganisationen. Die dezentralen Einheiten sind in erster Linie für die kurzfristige Beschaffungsplanung, die Lieferantenauswahl und die operativen Aufgaben verantwortlich. Bezüglich der Aufgabenzuordnung gibt es aber auch Unterschiede zwischen den Unternehmen. In einigen übernimmt der zentrale Einkauf mehr Aufgaben als in anderen. So ist in einem Fall der Zentraleinkauf für die Marktforschung, die Lieferantenauswahl und den Einkauf solcher Teile verantwortlich, die von mehreren Betrieben des Unternehmens eingesetzt werden. In anderen Unternehmen wiederum ist der Zentraleinkauf lediglich dazu da, die Beschaffungspolitik festzulegen und die dezentralen Stellen zu koordinieren. In einem weiteren Fall übernimmt der Zentraleinkauf zusätzlich die Beschaffung kritischer Produkte. Es bleibt zu fragen, ob diese Organisationsformen im Hinblick auf die zukünftigen Herausforderungen an den Einkauf noch passend sind.
Tendenz zur Zentralisierung
Wir glauben, daß der harmonisierte EG-Binnenmarkt einfach erfordert, den Einkauf stärker zu zentralisieren. Das liegt zum ersten an der angestrebten Vereinheitlichung von Normen und Standards. Heute sind oftmals in jedem Land, in dem produziert beziehungsweise vermarktet wird, Einkaufsspezialisten nötig - nur sie wissen um die jeweiligen einheimischen Normen und Marktgegebenheiten. Durch den Wegfall solcher unterschiedlicher Normen werden indes diese dezentralen Spezialisten überflüssig; Beschaffungsvorgänge lassen sich dann länderübergreifend zusammenfassen. Ein zweiter Grund für Zentralisierung geht mit der Neudefinition der Beschaffungsmärkte einher. Es ist zu erwarten, daß in den 90er Jahren die heute noch national segmentierten Märkte zu europäischen Märkten zusammenwachsen, zumal durch die Angleichung technischer Standards sowie den Abbau von Grenzbarrieren wichtige Gründe für die bisherige Abschottung nationaler Märkte entfallen. Es ist nur folgerichtig, wenn auch der Einkauf lernt, "europäisch zu denken". Dezentrale nationale Einkaufsabteilungen aber verlieren an Bedeutung, denn sie verstehen sich weniger gut darauf, in europäischen Kategorien zu denken und zu handeln. An ihre Stelle treten zentralverantwortliche Einheiten, die über bessere Möglichkeiten verfügen, den Beschaffungsmarkt Europa im ganzen zu überblicken. Überdies verstärken die neu entstehenden Produktionsstrukturen die Tendenz zur Zentralisierung. Soweit Unternehmen ihre Produktionsstandorte weiter zentralisieren, werden sie nicht nur Produktionsbetriebe auflösen, sondern auch zugehörige Einkaufsabteilungen. Nicht zuletzt begünstigen die in der Entwicklung befindlichen standardisierten und leistungsfähigen Informationssysteme eine Zentralisierung des Einkaufs. Je besser die integrierten Systeme zur Datenfernübertragung werden, desto eher läßt sich auf eine lokale Präsenz des Einkaufs in räumlich verteilten Betrieben verzichten. Denn wo der räumlich zentralisierte Einkauf über Absatz-, Produktions- und Bestandsdaten sowie deren Änderungen aktuell informiert ist, wird in vielen Fällen ein Einkauf vor Ort nicht mehr benötigt. Unsere Studie konnte die Tendenz zur Zentralisierung grundsätzlich bestätigen. Die beteiligten Unternehmen implementieren gegenwärtig entweder eine stärkere Zentralisierung ihres Einkaufs oder prüfen diese Option zumindest. In einem Unternehmen läuft derzeit ein Projekt, mit dem die Verlagerung von Aufgaben von dezentralen Stellen zum Zentraleinkauf untersucht werden soll. In diesem Zusammenhang überlegt man auch, ob eine Zentralisierung innerhalb der Produktsparten oder eine spartenübergreifende Zentralisierung vorzuziehen wäre. Ein anderer Hersteller ist dabei, eine zentrale Beschaffungsmarktforschung auf Konzernebene aufzubauen, um sich so auf die zunehmende Europäisierung der Beschaffungsmärkte und -aktivitäten vorzubereiten. Wieder ein anderes Unternehmen hat vor wenigen Monaten den Einkauf reorganisiert: Dem alten Schema nach unterhielt dieser internationale Konzern in den einzelnen europäischen Ländern betont nationale Einkaufsorganisationen. Die Unternehmensleitung erachtete diese Ausrichtung im Hinblick auf die europäische Entwicklung nunmehr für obsolet. Als wesentliches Element wurden deshalb in der neuen Struktur länderübergreifende zentrale Beschaffungsorganisationen in den einzelnen Produktsparten gebildet. Ziel dieser Neuordnung war klar, den Einkauf paneuropäisch aufzuziehen und gleichzeitig die Interessen der Produktsparten stärker zu betonen. Ob eine Zentralisierung jedenfalls vorteilhaft ist, läßt sich allerdings nicht allgemeingültig beantworten. In einer Analyse müssen in jedem Einzelfall zuerst die kritischen Erfolgsfaktoren im Einkauf herauskristallisiert werden. Sodann gilt es zu prüfen, wie sich eine Zentralisierung auf diese Faktoren auswirken würde (siehe Abbildung 4).
Zentralisierung - räumlich oder logisch?
Weiterhin ist zu bedenken, daß Zentralisierung nicht gleich Zentralisierung ist. Bereits a priori lassen sich Einkaufsaufgaben entweder räumlich oder nur logisch zusammenfassen. Bei der räumlichen Zentralisierung werden Beschaffungsaufgaben an einem Ort, zum Beispiel dem Sitz der Konzernzentrale, vereinigt. Eine logische Zentralisierung führt lediglich die Aufgaben zusammen, doch übernimmt in ihrem Fall eine dezentrale Einkaufsabteilung (zum Beispiel für eine bestimmte Produktgruppe) die Rolle einer Zentralfunktion; andere dezentrale Stellen sind für andere Produktgruppen verantwortlich.
Um trotz der räumlichen Verteilung solcher Zentralfunktionen einheitliche Beschaffungsgrundsätze zu gewährleisten, werden Informationssysteme eingesetzt. Diese Systeme verwalten zentral die festgelegten Grundsätze. Jede Einkaufsabteilung kann diese Informationen abrufen, und das Informationssystem kontrolliert so in gewissem Sinne auch die Einhaltung von Beschaffungsrichtlinien (siehe Abbildung 5).
Die logische Zentralisierung wird vermutlich in den nächsten Jahren immer wichtiger. Denn sie verbindet die Vorteile der Zentralisierung mit denen der Dezentralisierung von Einkaufsaufgaben und vermindert gleichzeitig deren Nachteile. Logische Zentralisierung vermeidet den sonst häufig eintretenden Kostenanstieg, verursacht von der gestiegenen Komplexität und dem steigenden Koordinationsbedarf zwischen zentralen und dezentralen Stellen. Auch der oft zu hörende Vorwurf an viele zentrale Beschaffungsabteilungen, sie seien zu weit weg vom betrieblichen Geschehen und würden deshalb nicht über das erforderliche betriebliche und marktbezogene Detailwissen verfügen, trifft bei logischer Zentralisierung in dem alten Maße nicht mehr zu.
Flexible projektorientierte Organisation
Wenn zukünftig der Einkauf eng mit anderen Unternehmensfunktionen zusammenarbeiten muß, drängt sich die Vermutung auf, daß die starre hierarchischfunktionale Aufbauorganisation damit überfordert werden könnte. Sicherlich hat diese herkömmliche Einkaufsorganisation ihre Verdienste, zumal wenn es sich darum handelt, die operativen Routinetätigkeiten des Einkaufs effizient durchzuführen. Sobald aber multifunktionale Kooperation und Kreativität erforderlich werden, stößt die strenge funktionale Gliederung an ihre Grenzen. Daher erscheint eine flexible und projektorientierte Organisation tendenziell für das erfolgreiche Praktizieren der strategischen Beschaffung besser geeignet. Ein Weg, eine flexible Organisation zu implementieren, besteht beispielsweise in der Einrichtung temporärer Projektgruppen. Dabei bleibt die hierarchischfunktionale Gliederung als Primärorganisation bestehen. In diese Gruppen entsenden die Einkaufsabteilungen jedoch Mitarbeiter, die für die Dauer ihrer Mitarbeit in dem jeweiligen Projekt von ihren funktionalen Aufgaben freizustellen sind; nach Abschluß des Projektes kehren sie wieder in ihre Funktion zurück.
Management des Wandels
Wie sollen aber die beschriebenen Veränderungen in den Einkaufsorganisationen vollzogen werden? Wie lassen sich sinnvolle Partnerschaften aufbauen? Wie kann strategisches Denken erlernt werden? Welche Form der Zentralisierung bringt spürbare Vorteile? Und wie ist eine flexible Aufbauorganisation zu implementieren? Die erfolgreiche Umsetzung dieser Aktivitäten (siehe Abbildung 6) wird maßgeblich von folgenden Faktoren abhängen: * Vermitteln des neuen Selbstverständnisses des Einkaufs durch die Unternehmensführung; * Kreieren neuer Bewertungsmaßstäbe für den Einkauf; * Schaffung neuer Leistungsanreize; * schrittweise organisatorische Anpassung. Nicht nur der Einkauf selbst muß sich den neuen Aufgaben stellen. Auch die Funktionen, die mit ihm zusammenarbeiten sollen, müssen ihr Verhältnis zum Einkauf neu bestimmen. Eingefahrene Strukturen sind demnach aufzubrechen, und entscheidend für den Erfolg wird sein, daß die Unternehmensleitung das neue Selbstverständnis des Einkaufs allen Beteiligten vermittelt sowie die Umsetzung begleitet und kontrolliert. Endlich müssen für den Einkauf neue Bewertungsmaßstäbe gefunden werden. Heute wird seine Leistung häufig anhand der erzielten Beschaffungspreise oder der pro Zeiteinheit bearbeiteten Zahl der Bestellungen bewertet. Diese einseitig kostenorientierte Bewertung gilt es zu ergänzen, etwa im Wege einer Bemessung der strategischen Leistungsbeiträge des Einkaufs: Beispielsweise ließe sich Leistung am Umfang erfolgreicher Projektmitarbeit und an der Qualität kreativer Verbesserungsvorschläge messen. Entsprechend wären auch die Leistungsanreize für die Einkaufsmitarbeiter zu ergänzen. Gehälter können etwa in Beziehung stehen zu den persönlichen Beiträgen der Mitarbeiter in multifunktionalen Projektteams. Der organisatorische Wandel kann nur in Schritten vonstatten gehen. In der Übergangsphase müssen sehr viele neue Aufgaben bewältigt werden, ohne daß Routinetätigkeiten in gleichem Umfang entfielen. Deshalb ist vorübergehend mit einem Aufbau der benötigten Personalkapazitäten zu rechnen. Nach Abschluß der Umgestaltung sollte allerdings - nicht zuletzt aufgrund der Automatisierung von Routinetätigkeiten - eine gewisse Kapazitätseinsparung erreicht werden.