Exklusivstudie Der grosse CEO-Check
Mathias Döpfner ist so etwas wie der Prototyp eines europäischen Konzernchefs: Der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer ist mit 43 Jahren relativ jung und steht seit über fünf Jahren an der Spitze des Medienhauses; er hat internationale Erfahrung und im Laufe seiner Karriere für eine Reihe von Unternehmen gearbeitet.
Damit unterscheidet sich Döpfner klar von seiner US-Kollegin, Janet L. Robinson, Chief Executive Officer (CEO) der New York Times Company. Sie ist älter als Döpfner (56 Jahre), hat ihre berufliche Laufbahn, abgesehen von einer Tätigkeit als Lehrerin, bei dem Medienhaus verbracht und nie im Ausland gearbeitet.
Die beiden Topmanager illustrieren anschaulich, was Monika Hamori, Professorin an der renommierten spanischen Business School Instituto de Empresa, in einer großen Untersuchung herausgearbeitet hat. Sie hat umfassend die Biografien von jeweils 500 CEOs der größten Konzerne in Europa und den USA analysiert. Die europäischen Unternehmen entstammen dem "Financial Times"-Europe-500-Ranking, die US-Konzerne dem Standard&Poor's-500-Index.
Dabei räumt Hamori mit dem weit- verbreiteten Klischee auf, europäische CEOs seien konservativer und weniger flexibel als ihre amerikanischen Kollegen. Ihre Studie ist eine der wenigen, die auf so breiter Basis europäische Topmanager aus insgesamt 22 Nationen (einschließlich der Türkei und Russlands) untersucht. Sie zeigt, wie Führungskräfte an die Spitze großer Konzerne gelangen, wie mobil sie sind und wie die Unternehmen ihre wichtigsten Manager entwickeln und rekrutieren.
Wo Europäer punkten
Wichtige Managementkonzepte sind in den USA entstanden, der Führungsstil in einer Reihe von US-Firmen gilt als vorbildlich. US-Manager werden daher häufig als Benchmark für Führungskräfte im Rest der Welt betrachtet. Ein genauer Vergleich der CEOs diesseits und jenseits des Atlantiks stellt aber diese Vorbildfunktion infrage.
So sind sieben der untersuchten US-CEOs Frauen, in der europäischen Auswahl sind es acht. Es gelingt also auch den amerikanischen Konzernen - trotz der starken Betonung von Diversity-Programmen in den USA - nicht besser als ihren europäischen Konkurrenten, weibliche Führungskräfte in die absoluten Spitzenpositionen zu bringen.
Auch das Bild, US-Manager seien meist jung und dynamisch, stimmt so
nicht. Europäische CEOs sind im Durchschnitt 54 Jahre alt, amerikanische dagegen 56. Vor allem der Anteil an Spitzenmanagern, die jünger als 46 Jahre sind, ist in Europa erheblich höher: Hier sind es 14 Prozent, in den USA nur 8 (siehe auch Grafik rechts).
Mehr als die Hälfte der US-CEOs sind älter als 55 Jahre (56 Prozent), in Europa sind es deutlich weniger als die Hälfte (45 Prozent). Ein wichtiger Grund für diesen Effekt: In den dynamischen Volkswirtschaften Russlands und der Türkei sind mehr als die Hälfte der CEOs jünger als 46 und senken so den gesamten europäischen Altersdurchschnitt. Aber auch in Großbritannien und Irland sind zahlreiche junge CEOs zu finden, wie etwa Justin King, Chef der britischen Supermarktkette Sainsbury (46 Jahre) oder Michael O'Leary (46), der die irische Billigfluglinie Ryanair führt. In Deutschland finden sich ebenfalls einige junge Führungskräfte an der Spitze von Konzernen: So wurde René Obermann (43) vor Kurzem Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, Jochen Zeitz (43) wurde bereits mit 30 Jahren Chef von Puma.
Das niedrige Durchschnittsalter der europäischen CEOs kann durchaus einen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Studien haben gezeigt, dass jüngere Unternehmenschef stärker in Forschung und Entwicklung investieren als ältere, letztere wiederum häufig eher kurzfristig denken. Jüngere CEOs gelten zudem als innovativer und risikofreudiger.
Amerikanischen Managern wird häufig nachgesagt, nicht sonderlich loyal gegenüber ihren Arbeitgebern zu sein und jede Chance zu nutzen, durch einen Jobwechsel beruflich voranzukommen. Auch dieses Bild stimmt so nicht - zumindest bei den CEOs der großen Konzerne. Amerikanische wie auch europäische Topmanager haben im Laufe ihrer Karriere durchschnittlich in knapp drei Unternehmen gearbeitet. Allerdings ist in den USA der Anteil derjenigen, die nur für einen einzigen Arbeitgeber gearbeitet haben, viel höher, rund ein Viertel der Manager. In Europa ist es noch nicht einmal ein Fünftel.
Manager wie Bayer-Chef Werner Wenning und Nestlé-Lenker Peter Brabeck-Letmathe, die ihre gesamte Karriere bei einem Arbeitgeber verbracht haben, sind in Europa die Ausnahme. Repräsentativer sind Führungskräfte wie Andreas Treichl, Vorstandsvorsitzender der österreichischen Ersten Bank, der auch für Chase Manhattan und Crédit Lyonnais gearbeitet hat, oder Post-Chef Klaus Zumwinkel, der bei der Unternehmensberatung McKinsey und beim Versandhändler Quelle in Diensten stand.
In dieses Bild passt auch, dass amerikanische Topmanager im Schnitt vier Jahre länger für ihren Arbeitgeber tätig sind als ihre europäischen Kollegen (insgesamt 17 versus 13,2 Jahre). CEOs in Europa sind also mobiler als ihre Pendants in den USA. Außerdem kommt es europäischen Firmen nicht so sehr auf Stallgeruch an wie US-Konzernen: 34 Prozent der CEOs in Europa wurden von außen angeworben, wie Infineon-Chef Wolfgang Ziebart, der von Continental kam, in den Vereinigten Staaten sind es nur 27 Prozent, wie etwa Meg Whitman, CEO von Ebay, die vom Spielzeughersteller Hasbro zum Internetauktionshaus wechselte.
Bringt ein europäischer Konzernchef nicht die geforderte Leistung, feuert ihn der Aufsichtsrat schneller, als dies in den USA der Fall ist. Diesen Schluss legt zumindest die deutlich kürzere Verweildauer der europäischen CEOs in ihrer Topposition nahe (6,5 Jahre in den USA, 5 Jahre in Europa). Auch dies widerspricht verbreiteten Vorstellungen über die eher traditionellen und konsensorientierten Unternehmen in der Alten Welt.
Schließlich verfügen die Chefs der größten europäischen Konzerne über mehr internationale Erfahrung als ihre US-Kollegen. Haben in der Alten Welt 42 Prozent der Topmanager schon im Ausland gearbeitet, liegt diese Rate in den USA nur bei 25 Prozent. In einer globalisierten Wirtschaft ist es ein nicht zu unterschätzender
Vorteil, dass etwa Allianz-Chef Michael Diekmann fünf Jahre in Singapur gearbeitet hat oder Franz B. Humer, CEO von Roche, General Manager für Schering-Plough in Ecuador gewesen ist. Sie unterscheiden sich deutlich von Führungskräften wie Kenneth D. Lewis, Chef der Bank of America, und Steve Balmer, CEO von Microsoft, die ihre gesamte Karriere in den USA verbracht haben.
Was Karrieren beschleunigt
Die Studie von Monika Hamori gibt auch Hinweise darauf, wie europäische Manager es besonders schnell an die Spitze eines großen Konzerns schaffen. Der effektivste Karriereturbo ist immer noch ein Abschluss als Master of Business Administration (MBA). Wer diese Managementausbildung vorweisen kann, wird im Durchschnitt drei Jahre früher CEO als jemand ohne diesen Titel (46,3 zu 49,5 Jahre). Ein Beispiel für diesen Effekt ist etwa Ulf M. Schneider, der einen MBA in Harvard gemacht hat und 2003 mit 38 Jahren Chef des Gesundheitskonzerns Fresenius wurde.
Im Vergleich zu den USA ist der MBA in Europa allerdings noch wenig verbreitet: Nur 15 Prozent der CEOs in der Alten Welt haben diese Ausbildung absolviert, in der Neuen sind es 38 Prozent. Allerdings verwischen sich diese Unterschiede, je jünger die CEOs werden (siehe Grafik oben). Das weist darauf hin, dass sich die formale Ausbildung der Topmanager in beiden Kontinenten allmählich angleicht.
Obwohl es zunehmend als wichtig angesehen wird, in mehr als nur einem Unternehmen berufliche Erfahrungen gesammelt zu haben, zahlt sich bisher Treue zu einem Arbeitgeber immer noch aus. So werden Manager, die nie ihren Konzern gewechselt haben durchschnittlich mit 47,2 Jahren CEO, die übrigen erst mit 49,5 Jahren. Beispielsweise wurde Terry Leahy 1997 mit 41 Jahren CEO des britischen Handelsriesen Tesco - ohne jemals woanders gearbeitet zu haben.
Gute Chancen auf den Chefposten hat, wer in den Bereichen Marketing oder Finanzen Erfahrung gesammelt hat. Diese Manager werden rund zwei Jahre früher CEO als der Durchschnitt. Dagegen müssen Führungskräfte aus Produktion, Personal oder Operations länger auf ihre Beförderung warten. Sie landen mit rund 52 Jahren auf dem Chefsessel.
Resümee
Der Vergleich der CEOs in den größten Konzernen diesseits und jenseits des Atlantiks zeigt: Europäische Topmanager sind in vielen Bereichen moderner und flexibler als ihre amerikanischen Kollegen. Sie müssen sich mindestens ebenso harten Leistungsanforderungen stellen wie Führungskräfte in den USA. Gute Voraussetzungen also für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Alten Welt. n