Marketing Auch Schattenseiten sind attraktiv
Ivory Soap, eine altehrwürdige Seifenmarke des Konsumgüterherstellers Procter & Gamble, bringt seit mehr als 125 Jahren "guten, sauberen Spaß" in die Familien. Zusammen mit anderen klassischen Marken wie Sears, Kraft und Tropicana verbrachte Ivory Jahrzehnte damit, die Vision von einem Leben zu präsentieren, in dem alles leicht und locker ist. Diese Vision ist grob vereinfachend, widert viele Menschen an und ver- liert schnell ihren Schwung. BrandZ, eine weltweite Untersuchung, die von dem Londoner Marketingdienstleister WPP durchgeführt wurde, stufte diese ehemals großen Marken als verblassende Stars ein. Sie zehren von ihrem Image, das sie einst liebenswert machte.
Heutige Verbraucher trauen diesen künstlichen, zweidimensionalen Bildern aus der Werbung nicht mehr. Es ist schade, aber viele Markenmanager haben das noch nicht kapiert. Sie verkaufen Märchen in einer Reality-TV-Umgebung. Sie haben noch nicht gelernt, dass gerade das nicht Perfekte einen großen Charme haben kann. Es ist nicht so, dass die Leute zu eingefahren sind, um neue Produkte zu schätzen. Aber sie wurden zunehmend misstrauisch gegenüber allem, das zu sauber wirkt. Um stark zu sein, brauchen Marken Authentizität. Die kann in ihren Schattenseiten gefunden
werden. Marktforscher nennen das "negatives Kapital", und Markenmanager versuchen alles, um diese Seite zu verbergen.
Die wenigen Marken, die versucht haben, die Stärke ihrer Schattenseiten zu nutzen, hatten großen Erfolg. Vor einigen Jahren half ich bei der Repositionierung von Liptons Instantsuppe Cup-a-Soup, eine dieser Marken, deren Geschichte mit zuckersüßen Müttern und lächelnden Kindern gespickt war. Wir akzeptierten als Erstes die Tatsachen: Die 70er Jahre sind vorbei. Heute würde es einigermaßen vernünftigen Eltern nicht im Traum einfallen, etwas derart Salzhaltiges und Nährstoffarmes auf den Tisch zu bringen. Wir vermarkteten Cup-a-Soup stattdessen als Bürosnack, als Alternative zum spätnachmittäglichen Snickers oder der Cola. Indem wir einen neuen, lohnenderen Kontext für die schlechten Eigenschaften der Marke einführten, steigerten wir den Umsatz in jedem Monat der Werbekampagne: Zusätzlich zur Preiserhöhung von 20 Prozent lieferte die Kampagne ein Plus von 60 Prozent.
Ich machte ähnliche Erfahrungen mit einem Marketingteam der Marke Ragú (Unilever), einer Fertigsoße für Nudeln. Jahrelang lieferte sich Ragú einen harten Kampf mit dem Wettbewerber Prego (Campbell's), dessen Sauce dicker war. Wir beendeten diesen Kampf, indem wir Ragus Schwäche akzeptierten. Unser Produkt war nicht so reichhaltig und enthielt nicht so viele grobe Gemüsestücke. Aber das konnte auch ein Vorteil sein. Eine kompakte Soße schmeckt Erwachsenen, aber nur selten dem durchschnittlichen Zehnjährigen. Anstatt also die Welt davon zu überzeugen, dass Ragú für herzhafte Mahlzeiten taugt, feierten wir ihre wahre Stärke: als Gaumenfreude für Kinder. Diese Strategie markierte die Trendwende nach einem zehn Jahre dauernden Umsatzrückgang.
Das vielleicht beste Beispiel des sogenannten "Shadow branding" ist die drastische Kampagne der Londoner Polizei aus dem Jahr 2000, mit deren Hilfe sie um neue Mitarbeiter warb. Die Bemühungen vermieden die traditionellen Klischees. Die Kampagne versprach weder eine aufregende Karriere noch wertvolle Fähigkeiten noch den Respekt von Schulkindern. Stattdessen zeigte sie, wie schwer die Arbeit ist. Ein Werbefilm zeigte Simon Weston, einen von Narben verunstalteten Falkland-Veteranen, dessen Artillerieschiff bombardiert worden war. Der Kriegsheld fragte die Zuschauer weinend, ob sie sich vorstellen könnten, "zu jemandem rüberzugehen ..., um ihm zu erzählen, dass seine Frau und seine Kinder bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind". Ein anderer Film bat die Zuschauer, sich vorzustellen, wie schrecklich es wäre, auf einen Anruf wegen eines im Schlaf gestorbenen Babys zu reagieren - und den Teddybären des Kindes in einem Plastikbeutel zur Spurensicherung abzuholen, während die untröstliche Mutter zuschaut.
Diese Werbefilme schilderten die Polizeiarbeit als erschreckend, und dennoch weckten sie das Interesse von Bewerbern. Um die Effektivität der Kampagne noch zu verstärken, wurde in den Filmen eine eigens für die Bewerber eingerichtete Telefonnummer und Web-Adresse eingeblendet. Mehr als 100 000 Anfragen überschwemmten die Personalabteilung. Aus diesem Pool auf den Job erpichter Bewerber wählte die Polizei 6000 angehende Polizeibeamte aus. Nach Angaben des britischen Innenministeriums entspricht das einem Wachstum von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Dass die Kampagne das berufliche Wagnis thematisierte, machte einen Teil des Anreizes aus. Unterschwellig stand die Frage im Raum: Sind Sie mutig genug, Polizist zu sein? Zusätzlich wurde eine noch subtilere Botschaft vermittelt. Eine Umfrage durch das Marktforschungsinstitut TNS Gallup zeigte, dass Menschen, die die Anzeige gesehen hatten, doppelt so oft "die Polizei respektierten" wie diejenigen, die die Kampagne nicht gesehen hatten. Der schwierige Teil der Polizeiarbeit - ihre dunklen und fürchterlichen Seiten - machte die Marke "Londoner Polizei" authentischer und deshalb ansprechender.
Was ist die Lehre? Perfekte Reinheit ist totaler Blödsinn. Von glatter Tugendhaftigkeit werden wir kaum angezogen. Wir lieben Menschen mit ihren Fehlern, Mängeln und Widersprüchen. So ist es auch mit Marken. Wenn eine Marke zu ihren Schattenseiten steht, wendet sie sich an die richtigen Leute - und das sehr überzeugend. Ihre dunkle Seite macht sie stärker. n