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Sollte Ihnen kein Mitbewerber auf den Fersen sitzen, dann denken Sie sich einfach einen aus Auch ein Phantomkonkurrent bringt Sie auf Trab

Vielen Unternehmen mag Konkurrenzlosigkeit als das reine Glück erscheinen, dabei übersehen sie leicht seine Tücken. Denn ohne die Peitsche des Wettbewerbs fressen sich schlechte Gewohnheiten ein, Selbstgefälligkeit zum Beispiel, mit gefährlichen Folgen für Umsätze und Gewinne, wie nicht nur monopolistische Staatsbetriebe und privatwirtschaftliche Quasi-Monopole bereits erfahren mußten. Was an dringlichem Wandel ohne den Muntermacher Wettbewerb alles unterbleibt, wird spätestens dann schmerzhaft spürbar, wenn plötzlich doch Konkurrenz auf den Plan tritt. Der Autor rät zu seiner vorbeugenden Medizin, einer selbsterprobten Managementtechnik: Erschaffen Sie sich einen "Schatten"-Konkurrenten, auf dem Sprung zum Angriff. So ein Phantomwidersacher ist imstande, alle Behäbigkeit wegzublasen und zu Leistungen anzuspornen, die für erfolgreiche che Unternehmen nun einmal selbstverständlich sind. Wenn die Methode bei Ihnen funktioniert, dann werden Sie Zeuge, wie Sie Ihre Betriebsmittel effizienter als bisher einsetzen und engere Kontakte zu Kunden und Interessenten knüpfen.
aus Harvard Business manager 2/1989

PETER T. JOHNSON, Direktoriumsmitglied der Standard Insurance Company, leitete von 1981 bis 1986 die Bonneville Power Administration in Portland, Oregon. Der Kolumnist des ,,Idaho Statesman" erfreut sich derzeit eines Studienurlaubs.

Selbstgefälligkeit ist eine Gefahr, die jeder Organisation droht. Besonders problematisch wird es, wenn Sie keine Mitbewerber im Nacken haben, die Sie dazu zwingen, Ihre Entscheidungen zu straffen und wachsam zu sein - eine Situation, der ich mich zweimal in meiner Karriere gegenübersah und die mir wertvolle Einsichten vermittelte. Beim ersten Mal war ich CEO von Trus Joist Corporation, einem Hersteller von tragenden Bauteilen für Wohn-, Geschäfts- und Industriebauten. Unsere patentrechtlich geschützten Produkte dominierten den Markt, die Umsätze stiegen achtbar, und es wäre die einfachste Sache von der Welt gewesen, sich zurückzulehnen und alle Energien darauf zu verwenden, unseren Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Statt dessen rüsteten wir uns für einen weiteren Markt von 500 Millionen Dollar, was von uns verlangte, über nahezu jeden Aspekt unseres Geschäfts, von Forschung und Entwicklung bis zum Vertrieb, gemeinsam nachzudenken und neue Ansätze zu entwickeln. Diese Anstrengung wurde durch etwas möglich, was sich eher nach einem kindlichen Spiel als einer Managementtechnik anhört: Wir stellten uns vor, jeder unserer Schritte werde durch einen Phantomwettbewerber herausgefordert. Spitzenläufer trainieren häufig in der Weise, daß sie sich bei jedem Schritt einen unsichtbaren Verfolger vorstellen. Zwar besaßen wir bei Trus Joist keinen erkennbaren Wettbewerber, doch meine Vorstände und ich taten so als ob - um die eigene Selbstzufriedenheit abzuwehren. Als ich später zum Leiter der Bonneville Power Administration - einem Zwei-Milliarden-Dollar- Energieversorgungsmonopol - ernannt wurde, erwies sich diese Technik im öffentlichen Sektor als ebenso effektiv. Die Probleme bei BPA waren indes wesentlich schwerwiegender und selbstzufriedenes Denken weit tiefer verwurzelt.

Verhängnisvolle Selbstgefälligkeit

Als ich im Mai 1981 in Portland, Oregon, eintraf, um meinen Posten als Leiter der BPA anzutreten, besaß diese Einrichtung den Ruf eines guten, stabilen, sachkundigen Unternehmens. Doch in Wirklichkeit befand es sich aufgrund enormer Fremd- und Eigenkapitalinvestitionen in Atomkraftwerke am Rand der Katastrophe. Nicht etwa, daß dies irgend jemandem dort klar gewesen wäre. Und mir selbst fiel es auch nicht sofort auf. Was ich sah - und was mich beunruhigte - war die tiefsitzende Selbstgefälligkeit der bei BPA Beschäftigten, die glaubten, daß sich vergangene Erfolge ohne weiteres wiederholen ließen und ein Unternehmen dieser Größe unmöglich zusammenbrechen könne. Diese Denkweise wäre selbst dann ungerechtfertigt gewesen, wenn BPA sich mit nichts anderem als dem befaßt hätte, was man schon immer getan hatte - der Distribution der durch die bundeseigenen Staudämme des Columbia River und seiner Nebenflüsse gewonnenen Elektrizität an mehr als 120 öffentliche und privatwirtschaftliche Energieversorgungsunternehmen in Washington, Oregon, Idaho und Montana. Doch hydroelektrische Energie war ja nicht der einzige von BPA vermarktete Strom. Anfang der 70er Jahre hatte die BPA die Verpflichtung übernommen, auch jene Energie abzunehmen, die von drei der fünf durch das Washington Public Power Supply System (WPPSS) zu errichtenden und zu betreibenden Atomkraftwerke erzeugt werden sollte. BPA hatte sich außerdem zur Übernahme des Schuldendienstes für die ersten drei Anlagen, die Washington Nuclear Projects (WNP) 1, 2 und 3, verpflichtet. Bis 1982 waren die Baukosten dieser Anlagen von ursprünglich geschätzten drei Milliarden Dollar auf voraussichtliche 14 Milliarden Dollar hochgeschnellt, der jährliche Schuldendienst für unsere bestehenden Verpflichtungen bereits auf mehr als 700 Millionen Dollar. Diese Kosten, verbunden mit einer schlechten Wirtschaftslage im Nordwesten, trugen BPA einen blamablen Rückstand bei den Zins- und Tilgungszahlungen zu dem Acht-Milliarden-Dollar-Kredit des US-Bundesschatzamts ein, der Jahre zuvor für den Bau des Columbia River Power System aufgenommen worden war. Dazu kamen Ereignisse außerhalb der BPA, die deutlich anzeigten, daß Selbstzufriedenheit gefährlich wurde. Das dramatischste Signal war wohl die 1981 von Washington Public Power (WPP) getroffene Entscheidung, den Bau der Atomkraftwerksblöcke 4 und 5 (der beiden, für die BPA keine Garantien geleistet hatte) einzustellen; ihre Finanzierung schien nicht mehr gesichert. Wie sich viele Amerikaner erinnern, verwandelte dieser Beschluß das öffentliche Energieversorgungsunternehmen WPPSS in ein Sorgenunternehmen (von Finanzkreisen mit dem Spitznamen WHOOPS belegt). Sie führte zum größten Zahlungsverzug bei öffentlichen Anleihen in der amerikanischen Geschichte, nachdem das höchste Gericht des Staates Washington mitfühlend geurteilt hatte, die der Anleihebegebung durch WPPSS zugrundeliegenden Verträge mit den vielen Versorgungsunternehmen im Nordosten seien unwirksam. BPA war zwar nicht direkt involviert (da nicht an der Finanzierung beteiligt), doch stark betroffen waren wir auch: Kurz danach stellte Wall Street jede weitere konventionelle Finanzierung für WNP 1, 2 und 3 ein. Gleichzeitig äußerten unsere Kunden immer lauter ihre Unzufriedenheit mit unseren Tarifen. BPA-Tarife zählten zu den niedrigsten im Lande und waren in den ersten 40 Jahren seit Gründung der BPA nur wenig angestiegen. In den späten 70er und Anfang der 80er Jahre schnellten sie jedoch unter dem gemeinsamen Druck der Inflation und der enormen Kosten der Nuklearprojekte von WPPSS nach oben. Verärgerte Kunden reagierten mit der Bildung von Protestgruppen und widersetzten sich weiteren Erhöhungen energisch. Was die Sache noch verschlimmerte, waren die vermehrten Anzeichen, daß die Voraussetzungen, die die Region zu einem dermaßen ehrgeizigen Atomenergieprogramm geführt hatten, nicht länger zutrafen. Der von den örtlichen Versorgungsunternehmen in den 70er Jahren prognostizierte stetige Anstieg der Energienachfrage hatte nicht stattgefunden. Statt dessen hatte es den Anschein, als würde die gesamte Nordwestregion einem erheblichen Energieüberschuß gegenüberstehen und nicht der vorhergesagten äußersten Knappheit. Dessen ungeachtet, verfolgten Bonneville und die anderen regionalen Energieversorger diese gewaltigen Atomkraftprogramme weiter, als sei alles beim alten. Ihre Leitungen fühlten sich an eingegangene Verpflichtungen gebunden - selbst wenn das bedeutete, ihre Organisationen an den Rand der Zahlungsunfähigkeit zu treiben. In dieser Lage war meine erste Reaktion akute Besorgnis, denn ich wußte, daß selbstgefällige Organisationen bei erzwungenem Wandel zu bedenklichen Lösungen neigen. Und ich bezweifelte, daß der öffentliche Sektor in dieser Hinsicht eine Ausnahme machte. So entschied ich mich, jene Planungstechnik anzuwenden, die bei Trus Joist funktioniert hatte - die Schöpfung eines Phantomwettbewerbers.

Die Erschaffung eines Phantoms

Nach 25 Jahren im Geschäft kann man nicht mehr verkennen, welche Rolle der Wettbewerb spielt als Stimulans für Verbesserungen der Produkte und Leistungen einer Organisation. Freilich existieren oftmals keine natürlichen Marktkräfte, oder ihr Druck ist zu schwach, um Innovation anzuspornen. Letzteres war der Fall bei Trus Joist Anfang der 70er Jahre. Damals produzierte und vertrieb das junge Unternehmen in den USA und Kanada Systeme tragender Bauelemente für Dächer und Decken. Unsere maßgefertigten Produkte wurden über eine aus 120 Mitarbeitern bestehende Verkaufsmannschaft direkt an Architekten verkauft. Und Dank der Genialität unseres Erfinders/Firmenmitgründers Art Troutner hatten wir Produkte, denen keine andere Firma etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen wußte. Natürlich waren wir recht stolz auf das von uns Erreichte. Zu stolz, befürchtete ich, weil wir bereits die typischen Anzeichen der Selbstgefälligkeit entwickelten. Ich begann deshalb mit dem Konzept eines imaginären Wettbewerbers zu experimentieren. Bei unserer Langfrist-Planungsrunde 1974 bat ich meine Manager, einige konstruktive Phantasie zu entwickeln. Ich forderte sie auf, sich vorzustellen, wir befänden uns in einem Autorennen mit allen anderen Unternehmen, die Träger und Verstrebungen aus Stahl oder Holz herstellten, und wir hätten nur einen geringen Vorsprung vor unserem nächsten Wettbewerber. Ich erklärte ihnen, dieser Vorsprung entspreche der Entfernung zwischen zwei Kurven auf einer ansteigenden Gebirgsstraße und jede Biegung stehe für einen Durchbruch oder Vorteil. Wir müßten herunterschalten, um diese Kurven erfolgreich zu durchfahren, und wir müßten sicherstellen, stets mindestens eine Kurve vor unseren erfolgshungrigen Mitbewerbern zu sein. Im anderen Falle flögen wir ganz von der Straße. Die erste Reaktion war wenig enthusiastisch. Ich konnte sehen, wie es den Leuten schwerfiel, meine Anregung ernst zu nehmen. Doch dann begannen sie, meine Beschreibung mit Einzelheiten zu ergänzen, und es dauerte nicht mehr lange, bis wir unseren Phantomwettbewerber von hinten herankommen spürten. Er hatte die gleichen Mittel wie wir - bis hin zu einem hauseigenen Genie unserer Klasse. Und nun begannen alle, die vorausliegenden Kurven deutlich zu markieren, mit einer Vielzahl potentieller Verbesserungen, über die wir uns vorher nie ernsthaft Gedanken gemacht hatten. Die Art und Weise, wie wir eine davon realisierten - eine vollständig aus Holz gefertigte Alternative zur traditionellen 2x10 Inch Wohnbaukonstruktion auf dem neuesten Stand der Technik -, mag Ihnen eine Vorstellung vermitteln, welche Wirkung von dem Phantomwettbewerber ausgeht. Der damalige Vorsprung von Trus Joist beruhte auf vier einzigartigen Trägerprodukten, einschließlich der TJI-Deckenträger - Holzträger in Größen von 12 bis 24 Inch, verwendet bei der Errichtung von Geschäftsund Mehrfamilienhäusern. Ein möglicher 500-Millionen-Dollar-Markt für Wohnbau-Strukturelemente reizte uns zwar, doch handelte es sich um keinen Markt, in den wir einzudringen beabsichtigten, denn nichts daran paßte zu "unserer gewohnten Arbeitsweise". Wir waren ein Spezialitätenhersteller; Elemente 2x10 dagegen waren Massenware, sie wurde über den Bauholzhandel und Generalunternehmer verkauft, während wir an Architekten lieferten. Diese Argumente (und alle anderen, die wir schon immer akzeptiert hatten) erschienen vernünftig, bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns einen wesentlich flexibleren aggressiven Wettbewerber vorstellten; da hörten sie sich plötzlich ziemlich lahm an. Es dauerte nicht lange, bis wir zu dem Schluß kamen, daß jeder einigermaßen vernünftige Wettbewerber versuchen müßte, mit einem besseren Produkt auf diesen Markt vorzudringen. Also entschieden wir uns, dies als erste zu tun. Bis zum Ende der Planungsrunde hatten wir die Herausforderung angenommen, unsere Technologie dem neuen Anwendungsbereich anzupassen. Die für dieses Vorhaben voraussichtlich erforderlichen Ressourcen hatten wir ebenfalls bereitgestellt.

Was ein Phantom bewegen kann

In gewisser Hinsicht war alles, was wir danach unternahmen, wenig bemerkenswert. Wir sprachen ausführlich mit potentiellen Kunden (Bauholzhandel, Bauunternehmern und Zimmerleuten) und potentiellen Bauprüfern (Bauaufsichtsinspektoren und Brandschutzexperten), um die Marktbedürfnisse festzustellen. Wir analysierten und testeten alles, vom Material und Herstellungsprozeß bis zu den Marketingmethoden und der Preisgestaltung. Und wir antizipierten - und erlebten - die Unruhe im Betrieb, die eingreifende Veränderungen stets begleitet (und der Entschluß, in einen Massenmarkt mit einem neuen Produkt einzusteigen, über etablierte Holzhändler statt mit Hilfe unserer Verkaufsmannschaft, war eine solche). Der Anstoß, dies alles aufs Beste durchzuziehen und die bei folgerichtigem Strategiedenken erforderlichen Fragen "Was passiert wenn?" und "Warum nicht...?" zu stellen, resultierte aus dem Druck, der von unserem Phantomwettbewerber ausging, und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen führte das Phantom uns die mögliche Bedrohung durch einen realen Konkurrenten sehr klar vor Augen. Denn wo wir in der Lage waren, das Potential dieses für uns neuen Marktes zu erkennen, da würden das andere auch können - Leute, die wir zu wenig kannten, um über sie besorgt zu sein -, bis es dann zu spät wäre. Schließlich hatten wir selbst einige erfolgreiche Unternehmen an ihrer schwachen Stelle erwischt, als wir mit unserer TJI-Serie herauskamen. Plötzlich begriffen wir ganz deutlich: Wir mußten das bestmögliche Produkt schnell auf den Markt bringen, um nicht selbst überrascht zu werden. Zum anderen gab uns unser Phantomwettbewerber eine sehr praktische Meßlatte an die Hand bei der Wahl und Überprüfung unserer Schlußfolgerungen. Ich nenne es "best value", doch dies ist lediglich meine Bezeichnung für Ideen, die ebenso grundlegend wichtig für gute Geschäftspraxis sind wie der Wettbewerb selbst. Nach meiner Erfahrung haben Unternehmen Erfolg, weil sie ständig Produkte und Leistungen anbieten, die mit den Bedürfnissen ihrer Kunden besser übereinstimmen als die jedes anderen realen oder denkbaren Mitbewerbers. Dies bedeutet, daß ihre Manager zwei Dinge sehr gut beherrschen: Sie handhaben und verwenden Mittel effizient, um ihren Kunden den größten Gegenwert zum geringstmöglichen Preis zu bieten. Und sie bleiben in enger Verbindung mit ihren Kunden und Auftraggebern, um in der Lage zu sein, in effektiver Weise auf deren Vorstellungen und Wünsche zu reagieren. Die Abwägung zwischen Effizienz und Effektivität macht ganz offensichtlich einen Großteil der Aufgaben jeder Führungskraft aus. Doch sobald nicht beide Kriterien in den Entscheidungsprozeß eingehen, werden sich die gewählten Optionen langfristig als unterlegen erweisen. Wie die Entscheidung für die neuen TJI-Deckenträger diesen Kriterien entsprach, illustriert die Art und Weise, wie wir dazu kamen. Bei der Effizienz war es nicht schwierig: Unser neuer Träger war optimal konstruiert, 9 1/2 Inch hoch, leicht einzubauen, auf jede vom Kunden gebrauchte Länge zu schneiden und preislich wettbewerbsfähig. Das Kriterium Effektivität nahm erheblich mehr Einfallsreichtum in Anspruch, denn hierzu gab es gegenüber Kunden und anderen in ein Bauvorhaben Involvierten Unterschiedliches zu bedenken. Manchmal waren auch Personengruppen gemeint, die unsere Kunden indirekt beeinflußten, zum Beispiel die Kreditsachbearbeiter von Hypothekenbanken, die geräuscharme Bodenkonstruktionen schätzen, weil sie zum hohen Wiederverkaufswert eines Hauses beitragen. Doch es hieß auch, an Sekundärwirkungen unseres Produkts zu denken, zum Beispiel an ökologische Dinge. Die von uns schließlich als Ersatz für das 2x10- Inch-Format gewählte Ausführung erforderte 50 Prozent weniger Holzfaser und erreichte damit die gleiche Belastbarkeit wie die herkömmlichen Träger. Sie ermöglichte zudem eine höhere Ausbeute beim eingeschlagenen Holz, da wir eine neueres Herstellungsverfahren für Holzfurniere und kleinere Stämme verwenden konnten. Die Vorzüge dieser Veränderungen für die Allgemeinheit waren offenbar. Aber sie erwiesen sich als förderlich auch für die Moral im Unternehmen und das Geschäftsergebnis. Schließlich boten sie uns bei unseren Verkaufsförderungsmaßnahmen einen klaren Trumpf.

Rivalität zu einem Schatten-Vorstand

Die Einführung der Phantomkonkurrenten bei Bonneville machte einige Mühe - doch nicht annähernd soviel, wie ich befürchtete, als ich erfuhr, in welcher Weise die Manager von BPA ihren Auftrag verstanden und worauf sie ihre Anstrengungen richteten. Meine Frage, "Welche Marktbedürfnisse befriedigt ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen?", stieß bei den meisten auf Erstaunen. Da wurde dann viel über den Schutz der Steuerzahler geredet, doch wenig darüber, wie das geschehen sollte. Tatsächlich war die Floskel vom "Schutz der Interessen der Steuerzahler" mehr eine Ausrede für einige äußerst fragwürdige Entscheidungen. So sind zum Beispiel zuverlässiger Kundendienst und ausreichende Energieversorgung Selbstverständlichkeiten für ein verantwortungsvoll geführtes Versorgungsunternehmen. Doch ich mußte feststellen, daß diese Überlegungen bei den Entscheidungen immer mehr Gewicht hatten als die Kosten der Energieerzeugung. Unglaublicherweise schienen die meisten BPA- Manager zu glauben, daß der Preis keinen Einfluß auf die Stromnachfrage hat. In der sicheren Annahme, horrende Kosten ohne weiteres auf die Abnehmer abwälzen zu können, wurden simple ökonomische Wahrheiten einfach beiseitegefegt. Die Manager waren zu Gefangenen ihrer gigantischen Energieprojekte geworden. Zudem gab es in der alltäglichen Arbeit keinen Zusammenhalt und keine gemeinsame Richtung, obwohl sich alle sehr anstrengten. Jahre waren vergangen, seit BPA zuletzt eine umfassende unternehmensweite Planung durchgeführt hatte, und dies wurde bemerkbar. Es war dringend notwendig, daß wir uns auf eine neue Perspektive einigten sowie einen Plan dazu, wie wir unsere wachsenden Probleme in den Griff bekommen wollten. Mit unserer ersten Strategieplanungssitzung, vier Monate nach meinem Antritt, machten wir mit beidem den Anfang. Zu den diskutierten Themen gehörte die Frage zum Nutzen von Wettbewerb - und dem Nutzen von Schatten-Konkurrenz. Da BPA Behörde und staatliches Monopolunternehmen in einem war, konnten wir uns nur unter Schwierigkeiten irgendein konkretes Unternehmen als mögliche Bedrohung vorstellen. Wesentlich passender erschien da die Idee einer Schatten- Führungscrew, im Besitz derselben Verfügungs- und Kontrollrechte über diesselben Ressourcen wie wir. Ohne Schwierigkeiten konnten wir uns Mitglieder dieser Crew neben uns sitzend vorstellen, unsere Vorhaben beurteilend und unsere Entscheidungen bezweifelnd. Und wir stellten uns vor, nur allzu gern würden sie uns aus unseren Stühlen vertreiben, sollte es uns nicht gelingen, den bestmöglichen Gebrauch von unseren Ressourcen zu machen. Nun mag das nach einer leeren Drohung klingen angesichts der Art und Weise, wie jede größere bürokratische Organisation (nicht nur der Staat) funktioniert. Doch wenn sich BPA nicht selbst um die vorhandenen Probleme gekümmert hätte, wären die notwendigen Veränderungen vom US-Kongreß erzwungen worden - mit Konsequenzen für die Vorstandsmitglieder, nicht weniger unerfreulich wie der Verlust ihrer Jobs. Denn etwas Ähnliches war bereits 1980 passiert, als wegen der öffentlichen Besorgnis über WPPSS durch den Northwest Power Act ein Vier-Bundesstaaten-Gremium eingesetzt worden war, das die Entscheidungen unserer Verwaltung überwachen sollte. Mir war klar, daß weiterreichende "Reformen" ins Haus standen, falls wir nicht die Initiative ergriffen. In jener ersten Planungssitzung drängte ich deshalb meine Manager dazu, jede Entscheidung so zu verstehen, als handle es sich bei ihr um ein Angebot anläßlich einer öffentlichen Ausschreibung, bei der sie das Privileg der Weiterbeschäftigung entweder verteidigen oder verlieren können. Ich ermunterte sie, außerhalb der Energieversorgungsindustrie nach Organisationen Umschau zu halten, die überragende Resultate erzielt hatten. (Wir waren zwar nicht auf dem Weg, uns zu einem privaten Anbieter zu entwickeln, doch es gab keinen Grund, warum wir nicht aus der Erfahrung anderer Unternehmen lernen sollten.) Und ich empfahl meinen Vorstandskollegen, bei jedem ihrer Ziel- oder Maßnahmenvorschläge darauf vorbereitet zu sein, erläutern zu müssen, wie ihr Schatten-Gegenspieler vermutlich Vorzüge und Risiken einschätzen würde. In Kürze hatten die Beteiligten begriffen, daß sie diese Übung bei allen Präsentationen ableisten mußten. Taten sie es nicht, spielte einer meiner Kollegen oder ich die entsprechende Rolle und nahm sie in die Zange. Ich weiß, das hört sich unangenehm an, doch in Wirklichkeit war es das nicht, denn da waren intelligente Leute, die ihren Spaß an dieser Gelegenheit fanden, mir und ihren Kollegen die Qualität ihres Denkens vorzuführen. Darüber hinaus zeitigte das Nachdenken weitere positive Wirkungen. In unserer Planungsbesprechung hatten wir zwei strategische Prioritäten gesetzt: Wiedererlangung einer einwandfreien Tarifgestaltung bei BPA und die Nutzbarmachung von WPPSS. Für beides war eine exakte Prognose des regionalen Energiebedarfs entscheidend. Doch jahrelang hatte sich die Gemeinschaft der Energieversorger der pazifischen Nordwest-Region (einschließlich BPA) auf eine Prognose verlassen, zu der die Vorhersagen vieler einzelner Versorgungsunternehmen aufaddiert worden waren. Das Resultat eines solchen Verfahrens konnte offensichtlich nicht anders als fragwürdig sein. Doch bei BPA hatte man keinen Grund gesehen, etwas zu ändern, obwohl gerade diese Prognose als Grundlage wichtiger Entscheidungen diente, von den Investitionsausgaben bis zur Festsetzung der Stromtarife. Nun, im Bewußtsein, daß unsere Konkurrenten im Schatten-Vorstand die Wichtigkeit einer genauen Prognose verstehen würden, stellten wir unsere eigene umfassende Marktuntersuchung an - beginnend mit einer Analyse der Endverbrauchslast. Zum ersten Mal untersuchte BPA ernsthaft die Preiselastizität und errechnete für jede Gruppe von Abnehmern die Korrelation zwischen Preis und Bedarf. Dazu eliminierten wir die Doppel- und Mehrfachzählungen, die sich im Laufe der Jahre eingeschlichen hatten, weil jeder Energieversorger davon ausgegangen war, die nächste große Verbrauchserhöhung werde ihn treffen. Unsere im Frühjahr 1982 abgeschlossene Prognose wies ein geringeres Verbrauchswachstum aus als vordem angenommen - und zwar dermaßen viel weniger, daß über Jahre kein Strom von den zwei der durch BPA mitfinanzierten und im Bau befindlichen WPPSS- Atomkraftwerke benötigt werden würde. Das war eine beunruhigende Entdeckung, immerhin aber noch rechtzeitig. Kurz darauf gab WPPSS bekannt, im April würden weitere l ,5 Milliarden Dollar nötig, um die beschleunigten Bauprogramme für die drei Kraftwerke durchführen zu können. Mit mehr als 90 Cent pro Einnahmedollar schon an vorher verausgabten Fixkosten belastet, steckte BPA bereits in einer außerordentlich hohen Verschuldung. Die Zinsraten, von der Inflation hochgetrieben, hatten beinahe ihren Gipfel erreicht. Und die von uns garantierten WPPSS-Bonds mußten mit bis zu 15 Prozent verzinst werden, obwohl sie erstklassig bewertet und steuerfrei waren. Dennoch drängten an den Atomkraftwerken interessierte öffentliche und private Energieversorger BPA und WPPSS zum Weiterbau. Und unsere Kreditbanken schienen trotz einiger Bedenken wegen des Umfangs der Kredite damit einverstanden. Doch eine neue BPA entstand nun. Und sie wollte den bestmöglichen Nutzen für ihre Abnehmer und Interessenten. Ich bedurfte nicht des Anstoßes durch meinen Schatten-Verwaltungschef, um eine umsichtige Bewertung der Möglichkeiten von WPPSS einzuleiten, den Bau der Kraftwerke abzuschließen - auch nicht dazu, dem ins Auge zu sehen, was wir herausgefunden hatten: Zerrüttet von Kostenüberschreitungen, Strafen und Arbeitskämpfen würde WPPSS kaum in der Lage sein, alle drei Werke fertigzustellen. Es wäre daher viel klüger, so meinten wir, zunächst nur ein Werk zu bauen oder allenfalls zwei.

Rückkehr zu wettbewerbsorientiertem
Denken

Wo ein scharfer kreativer Wettbewerb existiert, können Sie erwarten, daß Produkte und Dienstleistungen mit der Zeit einigermaßen gut mit den Marktbedürfnissen übereinstimmen. Aber wo dieser Stimulus fehlt, wie vorher bei BPA, ist dies offenbar nicht sicher. Deshalb ist die Aufgabe, Kundenbedürfnisse ebenso zu erkennen wie Erwartungen auf Seiten wichtiger Beteiligter, absolut notwendig, bei aller Komplexität. In den späten 70er Jahren waren im Umfeld von BPA erhebliche Veränderungen eingetreten. Nicht nur soziale und ökonomische Kräfte bedingten eine Neubestimmung des regionalen Energiebedarfs. Auch eine neue, unerwartete Option tauchte auf - der sparsamere Verbrauch von elektrischem Strom. Unter dem Druck unserer gedachten Schatten-Vorstandskollegen begannen wir, uns diesen Veränderungen zu widmen, auch dem Aspekt, wie sie in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden. Wir entwickelten eine umfassende Datenbasis und analytische Verfahren, die es uns ermöglichten, alternative Energiequellen (einschließlich Einsparung) nach ihrer Kosteneffektivität einzustufen. Und nun hörten wir aufmerksamer hin - auf Kunden und Öffentlichkeit, eingeschlossen der Kongreß, die Gouverneure der Nordweststaaten, Umweltschützer, Geschäftsleute und Gewerkschaftsführer. Außerdem unternahmen wir Nachforschungen, Analysen und Informationsbesuche außerhalb unserer eigenen vier Wände. So begannen zum Beispiel einige BPA-Manager und ich, öffentliche Zusammenkünfte zu besuchen, bei denen Tarifzahler ihre Kritik und Frustration vortrugen. Bei einer Gelegenheit verbrachte ich einen ganzen Tag bei Anhörungen, die von hunderten kleiner Geschäftsinhaber und Hauseigentümer besucht waren, viele von ihnen Bezieher von Festeinkommen. Verärgert und besorgt legten sie bis ins einzelne dar, wie ihnen die steil angestiegenen Tarife der BPA schadeten. Dazu begannen wir, genau auf unsere größten Industriekunden zu achten, sieben große energieintensive Aluminiumwerke, die 30 Prozent unserer Last bestritten. Diese Unternehmen hatten laut über unsere Strompreise geklagt und damit gedroht, ihre Betriebe stillzulegen, sollten sich die Tarife nicht stabilisieren. Allerdings hatten wir keinerlei Informationen, mit denen wir ihre Aussagen hätten bewerten können. Wie beeinflußten die steigenden Tarife ihr Geschäft? Wie würde ein Wettbewerber unter ähnlichen Voraussetzungen ihre Bedürfnisse und deren Befriedigung definieren? Um diese Fragen zu beantworten, mußten wir unsere eigene, selbständige Analyse durchführen. Sobald sie fertig war, konnten wir erkennen, daß die Manager jener Unternehmen nicht blufften. BPA befand sich in ernster Gefahr, diese Abnehmer zu verlieren. Wir mußten den weiteren Anstieg der Tarife stoppen und sie wieder vorhersehbar machen. Die Entscheidung galt es schnell zu treffen. Ich wies meinen Stab an, diese Ergebnisse zusammen mit der Forderung von WPPSS nach weiterer Finanzierung zu analysieren und eine Empfehlung auszuarbeiten. Der beste Kurs aus Sicht der Tarifzahler war eindeutig: Ablehnung der Forderung von WPPSS, um die Kosten unter Kontrolle zu bekommen. Doch wir waren nicht davon überzeugt, daß dies die beste Entscheidung sein würde, bevor wir ihre politische Wirkung abgeschätzt hatten. Der Stab analysierte die Auswirkungen unserer Alternativen auf die Beschäftigung in Baugewerbe und Industrie, das Steueraufkommen der Region und auf die Umwelt. Was immer dabei herauskommen mochte, die Zeiten, als BPA blindlings die Fertigstellung aller drei Atomkraftwerke wünschte, waren längst vorbei. Anfang April, nach Besprechungen mit anderen Energieversorgern, wichtigen Kunden und Regierungsbeamten, gab ich unsere vorläufige Entscheidung bekannt: Der Bau des Werks 1, inzwischen mit mehr als einer Milliarde Dollar Kosten zu 60 Prozent fertiggestellt, muß unterbrochen werden. Die folgenden Ereignisse bewiesen, daß das richtig war, Planung und Strategie von BPA sollten sich als wettbewerbsgerecht herausstellen. Wir veranstalteten zwei öffentliche Versammlungen, um unsere Erkenntnisse zu erläutern und Stellungnahmen anzuhören. Bei der ersten Diskussion in Hanford, Washington, dem Standort von WNP l demonstrierten mehr als 6000 Bauarbeiter, um gegen die vorgeschlagene Unterbrechung der Arbeiten zu protestieren. Später, am gleichen Tag, wurde ich in der Stadt in effigie verbrannt und dazu eingeladen, meine Asche abzuholen. Am 28. April fand in Seattle die zweite Diskussion statt, begleitet von weiteren scharfen Protesten. Nichtsdestoweniger setzte ich die Empfehlung meines Stabes am gleichen Nachmittag in einer formellen Aufsichtsratssitzung von WPPSS durch und lehnte das Budget für WNP l ab. Einige Monate zuvor hatte der Verwaltungsrat von BPA diese Maßnahme noch als "zu schweres Geschütz" bezeichnet. Vielleicht war seine Meinung zu dem Zeitpunkt richtig. Doch im Gesamtzusammenhang gesehen, gab es keine Wahl: Unsere strategischen Ziele und der Grundsatz des besten Nutzens wiesen eindeutig auf die Entscheidung, WNP l einzumotten.

Der Erfolg

Das Einmotten von WNP l war lediglich der erste erforderliche Schritt von zahlreichen weiteren zur Gesundung von BPA und zur Begrenzung der bedrohlichen Nuklearprogramme. Doch stimuliert von der durch uns selbst geschaffenen künstlichen Konkurrenz und geleitet von der Logik des "best value" gingen wir mit der gleichen Intensität daran, unsere Prognoseverfahren und Mittelplanung zu verbessern. 1983, nach weiterer mühsamer Analysearbeit - und wesentlich geringeren Widerständen -, motteten wir auch Werk 3 ein (bereits zu 65 Prozent fertiggestellt). Mit zwei suspendierten Anlagen und wiedergewonnener Kontrolle über die Kosten sollte die Führung von WPPSS in die Lage versetzt werden, alle Aufmerksamkeit dem nahezu fertigen Werk 2 zu widmen. BPA stellte Finanzierungsmittel direkt aus dem Cash-flow bereit. Vor allem aber hatte BPA 1984 seine Finanzkraft zurückgewonnen. Die Zahlungen an das Bundesschatzamt liefen wieder, und die Tarife hatten sich stabilisiert. Was ebenso zählte: Die Optik der Fachleute in der BPA-Führung hatte sich beträchtlich verbessert; sie fühlten sich dem Auftrag von BPA verpflichtet und verstanden ihre Aufgaben und die gegebenen Voraussetzungen weit besser als zuvor. Wie mir einer meiner Schlüsselmanager nach unserer dritten strategischen Jahresplanungssitzung sagte: "Die Idee mit der Phantomkonkurrenz hat bewirkt, daß wir uns alle wieder an Fälle erinnerten, wo wir als einzelne am Wettbewerb teilgenommen und gesiegt hatten." Die bei Trus Joist und BPA erreichten Erfolge waren auf die Arbeit motivierter Leute zurückzuführen, die ihre Selbstzufriedenheit durch Vorstellungskraft und Intelligenz überwanden. Vorstellungskraft heißt, sich einen herandrängenden Wettbewerber vorzustellen und ständig die Nase vorn zu haben. Intelligenz heißt, sich immer wieder drei einfache Fragen vorzulegen - und zu beantworten: "Welche Bedürfnisse versuchen wir zu befriedigen? Welche Alternativen sind die besten, um diesen Bedürfnissen effizient und effektiv nachzukommen? Welche objektiven Tests können uns bestätigen, daß wir auf der richtigen Fährte sind?" Copyright: © 1988 by the President and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in "Harvard Business Review" Nr. 5, September/Oktober 1988, unter dem Titel "Why I Race Against Phantom Competitors"; Übersetzung: Peter Diekhoff.

Peter T. Johnson
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