Auferstanden aus Ruinen Der neue IT-Boom in Sachsen

Dresden ist das Herz der sächsischen Industrieregion, die sich in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley Silicon Saxony nennt. Um die Betriebe der Halbleiterindustrie hat sich einer der wenigen ostdeutschen Wachstumskerne entwickelt. Der Rohstoff Silizium spielt nicht nur im Standortmarketing eine große Rolle:

Solche Siliziumscheiben (Wafer, zu deutsch Waffeln, genannt) sind der Stolz der Ingenieure. Auf dem halbleitenden Material werden elektronische Bauelemente, vor allem Computerchips, gefertigt. Die größte Produktionsstätte Europas ist das Werk von Globalfoundries in Dresden. Der Staatsfonds Atic aus Abu Dhabi hat das in den 90er Jahren vom US-Konzern AMD gegründete Werk 2009 übernommen und investiert nun zwei Milliarden Dollar. Die Produktionskapazität steigt auf 80.000 Wafer im Monat. Das ist auch dringend nötig, zuletzt konnte Großkunde AMD wegen Produktionsproblemen in Dresden seine Bestellungen nicht bedienen.

Ganz in der Nähe investiert auch Infineon in zusätzliche Produktionskapazität. Im Juli entschied sich der Dax-Konzern, die Massenfertigung von Wafern mit 300 Millimetern Durchmesser in Dresden und nicht im malaysischen Kulim anzusiedeln. Daraus sollen Investitionen von bis zu einer Milliarde Euro und bis zu 1000 Arbeitsplätze folgen. Konzernchef Peter Bauer äußerte sich zuletzt aber eher vorsichtig zur Entwicklung der Nachfrage. Der Ausbau der Kapazität könne zeitlich gestreckt werden, an den strategischen Investitionen wolle er aber nicht rütteln. Infineons Geschäft sei mit der Konzentration auf Chips für Autoproduktion, Industrieanlagen und Sicherheitstechnik weniger krisenanfällig als früher und anders als die ehemalige Tochtergesellschaft:

Die Pleite von Qimonda 2009 war der bisher größte Rückschlag für die Erfolgsgeschichte von Silicon Saxony. Die Firma wurde abgewickelt, 3000 Beschäftigte allein in Dresden verloren ihren Job. Schon wurden Abgesänge auf den Standort laut. Doch nun zieht die ehemalige Muttergesellschaft Infineon in die alten Werkshallen ein. Der fertige Reinraum und das gute Angebot an Fachkräften seien die wichtigsten Argumente für die Standortwahl, hieß es aus München.

Mit der Halbleitermesse "Semicon" (im Bild ein Roboter von Infineon zur Reinraumüberwachung) hat sich Dresden auch als Messestandort etabliert. Nach Angaben der Veranstalter ist dies die größte Schau der Branche in Europa. Das Silicon Saxony feiert bereits sein 50-jähriges Bestehen, denn ...

... die Arbeitsstelle für Molekularelektronik wurde bereits 1961 gegründet, daraus ging das heutige Zentrum für Mikroelektronik Dresden (ZMD) hervor, das 1988 den ersten 1-Megabit-Speicherchip der DDR herstellte, der aber nicht mehr in Serie ging. Heute ist ZMD nur noch in der Chipentwicklung tätig, die eigene Fabrik in Dresden wurde 2007 an die X-Fab aus Erfurt verkauft, die auf das DDR-Kombinat VEB Mikroelektronik "Karl Marx" zurückgeht.

Noch größer war das Kombinat Robotron mit Hauptsitz in Dresden, das in der DDR das Monopol für die Computerproduktion hatte. 1989 arbeiteten 68.000 Menschen für Robotron, allerdings überlebten die Produkte den Wettbewerb zu D-Mark-Preisen nicht. Der Name blieb in einigen Kleinbetrieben erhalten, das in der Region verbreitete Fachwissen bildete die Grundlage für Silicon Saxony. Heute arbeiten in der Branche wieder gut 40.000 Menschen.

Kurt Biedenkopf (CDU) hat sich als erster sächsischer Ministerpräsident nach der Wende für die IT-Industrie starkgemacht. Er setzte sich persönlich für die Ansiedlung der Großbetriebe von AMD (heute Globalfoundries) und Siemens (heute Infineon, zwischenzeitlich Qimonda) ein. Im Lauf der Jahre flossen auch mehr als 1,5 Milliarden Euro an Subventionen zur Standortförderung. Laut Studien hat sich das für den Staat aber gelohnt.

Auch aktuell spielen Subventionen noch eine Rolle. Biedenkopfs Nachfolger Stanislaw Tillich (CDU) sah in Infineons Investitionsentscheidung "eine Anerkennung der Förderung der Forschungs- und Entwicklungslandschaft durch die sächsische Staatsregierung". Laut Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) fließt ein "mittlerer zweistelliger Millionenbetrag". Viel mehr wäre auch kaum möglich, wird doch gar kein neues Werk errichtet. "Alles, was im EU-Beihilferahmen möglich ist, wird ausgereizt", meint Branchenexperte Oliver Pfirrmann vom Prognos-Institut. Im Subventionswettlauf mit Asien könne Deutschland aber nicht mithalten.

Ein wichtiger Standortvorteil ist die große Zahl von Forschungseinrichtungen, beispielsweise mit mehreren Fraunhofer-Instituten in Dresden und der Technischen Universität Dresden, die etwa gemeinsam mit Qimonda das Nanoelectronic Materials Laboratory (Namlab) gegründet hat. In der näheren Umgebung gibt es gleich zwei weitere Technische Universitäten: die von Chemnitz und die Bergakademie Freiberg.

In der Erzgebirgsstadt hat sich 1995 die israelische Federmann-Gruppe mit der Freiberger Compound Materials (FCM) niedergelassen, einer der ersten Meilensteine für Silicon Saxony. FCM stellt ebenfalls Wafer her, aber statt aus Silizium aus Galliumarsenid. In diesem Segment ist das Freiberger Unternehmen weltweit führend.

Ebenfalls in Freiberg hat sich Wacker Chemie mit dem Tochterunternehmen Siltronic niedergelassen und produziert dort Rohsilizium. Der bayerische Konzern investiert auch heute stark in den Standort Sachsen. In Nünchritz nördlich von Dresden wurde im Oktober 2011 eine neue Anlage für 900 Millionen Euro eröffnet, die 15.000 Tonnen Silizium pro Jahr produzieren soll. Wichtigster Abnehmer für den Rohstoff ist neben der Chipindustrie die Fertigung von Solaranlagen, ein weiteres wichtiges Standbein der regionalen Wirtschaft.

Der Preisverfall für Solarzellen hat viele Unternehmen auch in Sachsen in Bedrängnis gebracht. Die wichtigsten Solarfirmen der Region stehen aber vergleichsweise gut da: Die Bonner Solarworld AG mit ihrem großen Werk in Freiberg ist stabil dank ihres entlang der Wertschöpfungskette bis zum eigenständigen Betrieb von Solarparks gestreuten Geschäfts. Die kürzlich von der Schweizer Meyer Burger Technologies AG übernommene Roth & Rau aus Hohenstein-Ernstthal nahe Chemnitz profitiert als führender Maschinen- und Anlagenbauer für die Solarindustrie vom Wachstum der Branche.

Auch auf die Autoindustrie wirkt Silicon Saxony anziehend. In Kamenz nordöstlich von Dresden haben Evonik und Daimler mit Li-Tec eine Fabrik für Lithium-Ionen-Batterien errichtet, die ab 2012 serienmäßig Elektro-Smarts ausrüsten soll - die bisher größte Investition in die Batterietechnik in Deutschland, die auf den Siegeszug des Elektroautos setzt.