Deutschland gegen Frankreich: Weltmeister raus "Grizou" schmeißt die Weltmeister raus

Im Halbfinale gegen Deutschland wollte der Gastgeber eine schwarze Serie beenden: Seit 1958 konnte Frankreich die deutsche Auswahl kein einziges Mal bei einem großen Turnier besiegen.

Der Trainer der "Équipe Tricolore", Didier Deschamps, traf als Aktiver nie in einem Pflichtspiel auf die DFB-Auswahl. Angesprochen auf die Negativbilanz seines Landes gegen Deutschland zeigte er sich im Vorfeld unbeeindruckt: "Wir können die Geschichte nicht verändern, aber wir können ein neues Kapitel Geschichte schreiben."

Vor Anpfiff bereitete das Spielfeld des Stade Vélodrome in Marseille Sorgen: Nach dem Gruppenspiel der Franzosen gegen Albanien hatte Deschamps von "einem Desaster" gesprochen. Rund drei Wochen vor Turnierbeginn hatte ein AC/DC-Konzert das Spielfeld arg in Mitleidenschaft gezogen.

Beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Teams im Rahmen einer Europameisterschaft spielte der Untergrund zunächst jedoch keine große Rolle: Frankreich überraschte mit einem temporeichen Beginn. Eine erste Großchance von Antoine Griezmann vereitelte Welttorhüter Manuel Neuer mit einer Glanzparade (7. Minute).

Nach knapp zehn Minuten war die Anfangsoffensive der Franzosen beendet und der Weltmeister kontrollierte das Geschehen: Emre Can, als Ersatz für den verletzten Sami Khedira in der Startelf, trat gleich zweimal positiv in Erscheinung.

Erst bediente Can den eingelaufenen Thomas Müller im Strafraum: Der Bayern-Stürmer, der anstelle von Mario Gómez das Sturmzentrum besetzte, grätschte in den Ball, doch sein Versuch verfehlte das französische Tor deutlich (17.).

Keine 60 Sekunden später musste sich Frankreichs Schlussmann Hugo Lloris strecken, um einen Can-Aufsetzer von der Strafraumgrenze zu entschärfen.

Rechtsverteidiger Joshua Kimmich agierte in der Vorwärtsbewegung gewohnt risikofreudig und stand bei eigenem Ballbesitz wie sein Gegenüber Jonas Hector extrem hoch. Defensiv hatten beide gegen die treffsicherste Angriffsreihe des Turniers (elf Tore) alle Hände voll zu tun.

In der Folge dominierte die DFB-Auswahl. Zwei unplatzierte Freistöße aus 30 Metern von Dimitri Payet (25.) und Paul Pogba (37.), die Neuer beide sicher fangen konnte, waren in dieser Phase die einzigen bemerkenswerten Offensivaktionen von "Les Bleus".

Déjà-Vue I: Die Schlussphase der ersten Hälfte gehörte dann jedoch wieder Frankreich. Der für den gesperrten Mats Hummels aufgestellte Benedikt Höwedes blockte mit einer Rettungstat in höchster Not gegen Olivier Giroud (42.). Die Szene erinnerte manch einen an die Grätsche von Argentiniens Javier Mascherano gegen Arjen Robben im WM-Halbfinale 2014.

Déjà-Vue II: Wie schon Jérôme Boateng im Viertelfinale verschuldete auch Schweinsteiger einen vermeidbaren Elfmeter, als er im Anschluss an einen Eckball den Ball mit dem Unterarm spielte.

Da half auch alles Reklamieren nicht mehr: Schweinsteiger sah in seinem 120. Länderspiel für das Handspiel die Gelbe Karte.

Griezmann ließ sich nicht zwei Mal bitten, verlud Neuer und versenkte den Strafstoß in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit zum französischen Führungstreffer.

Der Stürmer von Atlético Madrid setzte sich mit nun fünf Toren an die Spitze Torschützenliste dieser EM.

In der zweiten Halbzeit war Deutschland zwar lange feldüberlegen, ohne sich jedoch zwingende Torchancen erspielen zu können. Auch Toni Kroos konnte kaum Impulse setzen.

Das DFB-Team musste nach einer Stunde einen weiteren Rückschlag hinnehmen: Abwehrchef Boateng, der im ersten Durchgang noch mit vielen langen Diagonalbällen das Offensivspiel belebt hatte, musste verletzungsbedingt ausgewechselt werden (61.). Er war auf dem ramponierten Rasen ohne Einwirkung eines Gegenspielers weggerutscht.

Deutliches Signal: Als Deschamps in der 71. Minute Flügelspieler Payet für den defensiven Mittelfeldspieler N'Golo Kanté auswechselte, dachten viele: Frankreich will den Vorsprung über die Zeit retten.

Doch weit gefehlt: Frankreich konnte unmittelbar darauf sogar erhöhen. Pogba hatte von einem Kimmich-Fehler profitiert, anschließend den eingewechselten Mustafi vernascht und den Ball in die Mitte gechippt. Neuer konnte nur unzureichend klären, sodass Griezmann keine großen Probleme mehr hatte zum 2:0 einzuschieben.

Griezmanns sechster Turniertreffer war gleichbedeutend mit der Vorentscheidung in dieser Partie. Frankreich ist übrigens die erste Mannschaft überhaupt, die bei einer EM-Endrunde drei Torschützen mit mindestens drei Treffern stellt.

Deutschland stemmte sich gegen das Aus: Doch weder Kimmich mit einem Pfosten-Treffer (74.) noch der insgesamt unauffällige Julian Draxler mit einem direkten Freistoß (76.) konnten den Anschlusstreffer erzielen.

Weil Lloris auch in der Nachspielzeit einen vielversprechenden Kopfball von Kimmich entschärfen konnte (93.), besiegelt der Europameister von 2000 den Einzug ins EM-Finale im eigenen Land.

Damit mussten die Deutschen ihren Traum begraben, nach 1974 abermals gleichzeitig die Titel als amtierende Welt- und Europameister zu führen.

Die Franzosen treffen nun am Sonntag im Endspiel in Saint-Denis auf Portugal.

Für die deutschen Nationalspieler ist der Traum vom EM-Titel geplatzt.

Die DFB-Spieler verließen enttäuscht den Platz. "Das Halbfinale einer EM ist der dümmste Moment, um ein Spiel zu verlieren", lautetet das Fazit von Manuel Neuer.