Lebensversicherer Allianz und Ergo krempeln Garantiewelt um

Weniger Garantie, mehr Risiko: Im Kern werden sich neue Produkte der Lebensversicherer in diese Richtung entwickeln
Foto: CorbisHamburg - Die Bundesregierung hat ihr Versprechen zur Unantastbarkeit der Spareinlagen erneuert: "Es ist das Merkmal einer Garantie, dass sie gilt." Der Satz könnte auch von einem Lebensversicherer stammen, ist so aber nicht gemeint. Nein: Eine Zwangsabgabe wie in Zypern müssen Sparer hierzulande nicht fürchten, bemüht sich Berlin, die Sorge der Bürger zu entkräften.
Die Sorge, dass sich der Krisenvirus von Zypern aus wieder verbreitet und die EZB erneut die Feuerwehr spielen muss, kann immer wieder aufbrechen. Wie zu Wochenbeginn, als die Risikoaufschläge für Bonds aus Krisenländern in die Höhe schnellten und die Renditen zweijähriger deutscher Staatsanleihen wegen des Ansturms gar kurz unter 0 Prozent fielen.
Die Lage in Europa bleibt fragil, die Krise ist nicht ausgestanden, eine Pleite Zyperns nicht auszuschließen. Dass in diesem Umfeld die EZB die Zinsen anhebt - manche Experten fordern gar Zinssenkungen -, ist wenig wahrscheinlich. Auch deshalb, weil Notenbanken längst unter politische Zwänge geraten sind und ihre Geldpolitik eine billige Entschuldung der Staaten ermöglicht.
Verzicht auf die klassische, lebenslange Zinsgarantien
Lebensversicherer reagieren auf das anhaltende Zinstief mit stetig fallenden Gutschriften. 2013 rutschte die Gewinnbeteiligung im Schnitt auf 3,6 Prozent ab. Weil die Branche vielen älteren Kunden aber lebenslang 4 Prozent garantiert hat und sie ein Ende der Niedrigzinsen nicht erwartet, verzichten mittlerweile mehrere Anbieter im Neugeschäft auf die klassische, lebenslange Zinsgarantie. Sie bieten verstärkt fondsbasierte Produkte ohne oder mit flexiblen Garantien an. Kritiker bezweifeln deren Werthaltigkeit. Sie halten auch die Absicherung dieser Garantien für intransparent.
Dabei legen die Kunden mehr denn je Wert auf lebenslange Zinsgarantien und feste Rentenzusagen. Der Anteil der Policen mit klassischer Garantie kletterte zwischen 2008 und 2012 von 59 auf 76 Prozent. Zeitgleich rutschte der Anteil der Fondspolicen, die das Anlagerisiko großteils auf den Kunden abwälzen, von 41 auf 24 Prozent ab.
Ein klares Votum, möchte man meinen. Gleichwohl bereitet die Branche mit Hochdruck Produkte mit neuen Zinsgarantien vor. Im Juli wollen der Marktführer Allianz Leben und die Ergo damit auf den Markt kommen. Verbraucherschützer und Wissenschaftler verfolgen die Entwicklung mit Skepsis.
Allianz verzichtet auf Garantiezins, Ergo will volle Prämie garantieren
Mit genauen Informationen halten sich die beiden Anbieter noch zurück. Sicher scheint aber folgendes: Das neue Modell der Allianz verzichtet auf einen definierten Garantiezins (aktuell 1,75 Prozent) in der Ansparphase. Sie garantiert dem Kunden zu Vertragsbeginn aber eine Mindestrente, die die Allianz aus den um die Kosten verminderten Beiträgen berechnet, wie Sprecher Udo Rössler erläutert. Diese Rente werde dann mit Ablauf des Vertrags auf Basis des aktuellen Zinsniveaus neu berechnet.
"Das Modell bietet dem Kunden zu Rentenbeginn mehr Chancen auf eine höhere Rendite", sagt der Sprecher. Denn die Allianz könne jenen Teil der Sicherheitsmittel, mit denen sie sonst die lebenslange Garantiezusage unterlegen muss, flexibler am Kapitalmarkt anlegen. "Wir haben damit mehr Möglichkeiten renditeträchtiger zu investieren."
Die klassische Lebensversicherung mit einer festen, lebenslangen Zinszusage werde die Allianz nicht aufgeben, versichert Rössler. "Die wird es weiterhin geben. Wir wollen Kunden aber ein zusätzliches Angebot unterbreiten, die mit ihrer Lebensversicherung höhere Renditeziele verfolgen." Nähere Details, etwa wie die Allianz die Garantien in der Anspar- und Rentenphase genau abbilden will, nennt der Sprecher "aus Wettbewerbsgründen" nicht.
Dem Vernehmen nach soll ein herkömmlicher Deckungsstock einen Teil der Garantien absichern. In diesen bringen die Versicherer nach strengen Regeln bestimmte Vermögenswerte ein. Bei neuartigen Rentenprodukten - etwa veränderlichen Renten ("Variable Annuities") - können Hedging-Geschäfte die Garantien bis zu 100 Prozent über derivate Finanzinstrumente absichern. Ihr Einsatz hatte die letzte Finanzkrise beschleunigt. Sollten die neuen Garantieprodukte den Charakter von "Variable Annuities" haben, dürften hiesige Versicherer sie nur über ausländische Töchter in Deutschland anbieten.
Ergo verspricht Bruttobeitragsgarantie in der Ansparphase
Die Ergo will ihr neues Produkt Anfang Juni vorstellen und zum 1. Juli in den Verkauf geben, erklärt eine Sprecherin. Nach ihren Aussagen wird es sich um eine Rentenversicherung auf Fondsbasis handeln, die ebenfalls mit Garantien ausgestattet ist. Der Kunde soll zwischen verschiedenen Varianten wählen können, eine Riester-Version soll es vorerst nicht geben.
Im Gegensatz zu der Allianz wolle Ergo dem Kunden in der Ansparphase "sämtliche Beiträge, die er einzahlt" zum Auszahlungstermin garantieren - also nicht nur die um Kosten für Verwaltung und Risikoabsicherung verminderte Prämie, wie die Sprecherin erläutert. Für die Anlagemanager der Ergo bedeutet dies: "Um das auszugleichen, müssen wir auch eine ordentliche Rendite erzielen."
Wie sich aus dem angesammelten Kapital die garantierte Rente berechnen wird oder mit welchen Instrumenten die Anlagemanager die Garantien absichern werden, sagt die Sprecherin nicht. Nach früheren Aussagen von Vorstandschef Torsten Oletzky wolle Ergo die Garantien am Kapitalmarkt aber auch über den Mutterkonzern Münchener Rück absichern. Munic-Re-Chef Nikolaus von Bomhard kündigte in diesem Kontext vor einer Woche einen "Paradigmenwechsel" in der Lebensversicherung an, ohne Details zu nennen. Die klassische Lebensversicherung mit lebenslanger, fester Garantie will Ergo aber auch weiter anbieten, versichert die Sprecherin.
Neue Garantien erfordern neue Gesetze, Abschlusskosten könnten sinken
Ob die neuen Garantieprodukte von Erfolg gekrönt sein werden, bleibt abzuwarten. Sie entlasten zweifelsohne die Bilanz der Anbieter, weil sie dafür weniger Sicherungsmittel bereitstellen müssen. Vom Kunden wiederum fordern sie mehr Risikobereitschaft ein, wie Allianz-Leben-Chef Markus Faulhaber unlängst äußerte. Dafür spricht derzeit wenig.
Viele Kunden würden eine weitreichende Aufweichung der Zinsgarantien wohl nicht mitmachen, glaubt Hermann Weinmann. Verzichtete die Branche auf die klassische Garantie, beraubte sie sich ihres wichtigsten Wettbewerbsvorteils im Vergleich zu anderen Kapitalanlageprodukten, warnt der Professor für Versicherungsbetriebslehre an der Hochschule Ludwigshafen.
Weinmann und Axel Kleinlein, Versicherungsmathematiker und Chef vom Bund der Versicherten (BdV), halten die jetzt diskutierten Modelle mit zeitlich begrenzten Garantien oder abweichenden Garantienzinsätzen in der Anspar- und Auszahlungsphase auch aus Transparenzgründen für problematisch. Garantienleistungen und Verträge seien damit nicht mehr vergleichbar, warnen sie.
Zudem ist Weinmann davon überzeugt, dass die neuen Modelle auch einer neuen gesetzlichen Grundlage bedürfen. Passt ein Lebensversicherer zum Beispiel nach zehn Jahren den Rechnungszins dem dann aktuellen Zinsumfeld an, veränderten sich damit elementare Vertragsgrundlagen. "Insbesondere für den Fall, dass eine Absenkung des Garantiezinses erfolgt, wird man dem Kunden einen Anbieterwechsel einräumen müssen", schlussfolgert Weinmann.
Abschnitts- und getrennte Garantien erfordern neue Gesetze
In diesem Fall dürften die Abschlusskosten zu Vertragsbeginn auch nicht für die gesamte mögliche Vertragsdauer erhoben werden. Vielmehr dürften sie dann nur anteilig für den ersten Garantieabschnitt anfallen, da bei einem Anbieterwechsel ja neue Abschlusskosten anfallen würden. "Die Abschlusskosten zu Vertragsbeginn wären damit deutlich reduziert", nennt der Experte eine mögliche Konsequenz der neuen Garantiewelt.
Das gleiche Problem stelle sich, wenn der Garantiezins in der Auszahlungsphase von dem der Ansparphase abweichen sollte. Auch hier müsste der Gesetzgeber einen reibungslosen Anbieterwechsel ermöglichen. Denn normalerweise ist die Portabilität der Basisrente ("Rürup-Rente") nicht vorgesehen. Bei den nicht direkt geförderten Rentenverträgen der dritten Schicht funktioniert ein Anbieterwechsel zu Beginn des Rentenbezugs bislang nur in der Form, dass eine versteuerte Kapitalleistung in einen Rentenvertrag bei einem anderen Anbieter eingebracht wird, hebt Weinmann hervor.
Einige der jetzt nahenden Garantiemodelle ziehen also eine Reihe von Fragen nach sich, die der Gesetzgeber beantworten sollte. Bei wechselnden Garantiezusagen erscheint ein erweitertes Recht des Kunden, dann auch problemlos seinen Anbieter zu wechseln, plausibel. Ebenso einsichtig ist, dass in diesem Fall die Regeln für Abschluss- und Stornokosten neu geregelt werden sollten.
Insofern bieten neue Garantieprodukte womöglich auch die Chance, den fortwährenden Streit über Abschlusskosten zu Vertragsbeginn und Stornokosten bei Vertragsabbruch in neue Bahnen zu lenken. Für Versicherer wiederum, die diese neuen Produkte anbieten, könnte ein gesondertes Kündigungsrecht des Kunden im Zuge neuer Vertragsgarantien sich aber auch als zweischneidiges Schwert erweisen, wie Weinmann zu Recht anmerkt.