Clerical Medical Anwälte erwarten neue Klagewelle gegen CMI

Erfolg für deutsche Kunden des britischen Lebensversicherers Clerical Medical: CMI-Mutter Lloyds muss nun damit rechnen, dass Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe fällig werden. Ob bereits gebildete Rückstellungen ausreichen, ist offen
Foto: ? Stefan Wermuth / Reuters/ REUTERSKarlsruhe/Hamburg - Zunächst sah es nicht nach dem erhofften Durchbruch aus. Als die Richter des Bundesgerichtshofes nach einer längeren Verhandlungspause am frühen Mittwochabend dann aber ihre Entscheidungsgründe darlegten, dürfte so mancher Anlegeranwalt im Saal heimlich vor Freude die Faust geballt haben.
Denn in den fünf verhandelten Verfahren gegen den britischen Lebensversicherer Clerical Medical (CMI) haben die geschädigten Anleger deutlich mehr erreicht, als zu erwarten war.
"Die Urteile hätten für die Anleger nicht besser ausfallen können. Das ist der Durchbruch", sagt Anja Appelt von der Münchener Kanzlei KAP Rechtsanwälte. Die Begeisterung und Genugtuung über die Urteile des höchsten deutschen Zivilgerichts ist auch noch einen Tag danach in ihrer Stimme zu hören. "Der BGH hat kräftig aufgeräumt."
Die Richter des IV. Zivilsenats erkennen sowohl Schadensersatzansprüche gegen den britischen Lebensversicherer als auch die Leistungsverpflichtung aus den Verträgen an. Sie bestätigen damit praktisch sämtliche für den Anleger positiven Urteile, die zahlreiche Oberlandesgerichte im Vorfeld gefällt haben.
Feststellungen zur Haftung: "Der BGH hat kräftig aufgeräumt"
Zwar verweist der Bundesgerichtshof die fünf Urteile (Az.: IV ZR 122/11, 151/11, 164/11, 271/10 und 286/10) zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an die jeweiligen Oberlandesgerichte zurück. "Dies tut er aber mit eindeutigen Feststellungen zur Haftung des Versicherers. Daran werden die untergeordneten Gerichte nicht mehr vorbeikommen", ist Appelt überzeugt.
Gute Stimmung auch beim Münchener Wettbewerber, der Kanzlei Lachmair. Ihre Experten haben zwei der fünf Verfahren vor den BGH gebracht. Die Anwälte sprechen von "wegweisenden Entscheidungen", bezeichnen die Richtersprüche als "großen Erfolg". Für die meisten der bei deutschen Gerichten anhängigen Klagen gegen Clerical Medical seien die Erfolgsaussichten jetzt "nochmals erheblich gestiegen".
Hans Witt von der gleichnamigen Heidelberger Kanzlei, der für seinen Mandanten Schadensersatzansprüche vor dem BGH geltend gemacht hat, ist jedenfalls überzeugt, dass das OLG Stuttgart diesen Ansprüchen in der nächsten Verhandlung stattgeben wird. Am Tag nach den BGH-Urteilen spricht der Experte von einer "unglaublichen" Entwicklung. "Der BGH ist in allen Punkten unserer Argumentation gefolgt", sagt der Anwalt.
Erfolgsaussichten für deutsche Kunden "erheblich gestiegen"
Als kleine Sensation galt bereits, dass die Verhandlung überhaupt stattfand. "Wir hatten das bis zur letzten Sekunde nicht für möglich gehalten", sagt Tobias Pielsticker von Lachmair. Mehrfach habe CMI Urteile des BGH verhindert, indem der Konzern sich kurz vor dem Revisionstermin mit der Gegenseite einigte. Folglich groß war am Mittwoch das Interesse. Die Richter mussten ins Foyer der BGH-Bibliothek umziehen, um dem Andrang von knapp 200 Zuhörern Herr zu werden.
Bundesweit sind etwa 1000 Gerichtsverfahren gegen Clerical Medical anhängig, 40 davon beim BGH. Der Mutterkonzern Lloyds hat nach eigenen Angaben Rückstellungen in Höhe von umgerechnet 220 Millionen Euro für Prozesse und Anlegeransprüche allein in Deutschland gebildet. Ob das ausreicht, gilt unter Experten mittlerweile aus unsicher.
Denn bemerkenswert finden Anwälte an den Entscheidungen, dass sie sich nicht nur auf die kreditfinanzierten, so genannten Hebelmodelle beziehen, sondern auf jeden bei Clerical Medical abgeschlossenen "Wealthmaster Noble"-Vertrag Anwendung finden könnten.
"Der BGH hat keinerlei Unterscheidung zu den unterschiedlichen Modellen getroffen", sagt Anwältin Appelt. Auf den Lebensversicherer werde daher eine Welle von Schadensersatzforderungen in Deutschland zurollen.
Lloyds hat bereits 220 Millionen Euro Rückstellungen gebildet
Witt sieht dies ähnlich. Nach den Ausführungen der BGH-Richter besteht für den Experten kein Zweifel daran, "dass Clerical Medical in hunderten, wahrscheinlich tausenden Verfahren vor Gericht unterliegen wird". Die Schäden werden sich auf mehrere hundert Millionen Euro belaufen, schätzt Witt. "Für Clerical Medical ist das der Super-GAU."
Seite Ende der 90er Jahren haben rund 20.000 Anleger in Deutschland bis zu zwei Milliarden Euro in kreditfinanzierte Rentenverträge investiert, schätzen Klägeranwälte. Sie waren dabei mit einer Kombination aus zumeist einer Tilgungs-, einer Rentenversicherung, Aktieninvestments und einem Darlehensvertrag eine gefährliche Wette eingegangen - die Wette nämlich, dass die Zinsen aus der Police und ihren angegliederten Investments dauerhaft höher sind als die Kreditzinsen. Ein Risiko, über das die Versicherer und Vermittler nur unzureichend aufklärten.
Clerical Medical hätte seine bestehenden Aufklärungspflichten vor allem auch dadurch verletzt, weil das Unternehmen seinen Kunden ein "unzutreffendes, zu positives Bild der zu erwartenden Rendite gegeben hat", stellt der BGH fest. So warb CMI in Prognoserechnungen mit Renditen von 8,5 Prozent, obwohl der Versicherer selbst nur eine Rendite von 6 Prozent als realistisch angesehen habe.
Nach den aus Anlegersicht überraschend positiven Ausführungen des BGH raten Fachanwälte CMI-Geschädigten dringend dazu, mögliche Ansprüche prüfen zu lassen. Gerade die vom Gericht anerkannten Ansprüche auf Erfüllung des Vertrags samt ausgelobter Renditen seien vor allem für jene Kunden "von immenser Bedeutung", deren Schadensersatzansprüche inzwischen verjährt sind, sagt Witt. Die Aussichten für die gerichtlichen Verfahren bezeichnet er als "sehr gut", denn die "Begründung ist nicht auf den Einzelfall zugeschnitten". Auch bei KAP Rechtsanwälte heißt es: "Besser könnten die Vorzeichen nicht stehen."