Altersvorsorge Experten zerreißen neue Riester-Studie

Lohnt die Riester-Rente? Der Expertenstreit über diese Frage ist voll entbrannt
Foto: DPAHamburg - Hätte Walter Riester geahnt, dass die nach ihm benannte Rente einmal so viel Aufruhr erzeugen würde, er hätte den Medien vermutlich verboten, seinen Namen mit schnöden Policen in Verbindung zu bringen. So aber tourt der Ex-Bundesminister als Vortragsreisender durch die Lande, verteidigt das Modell samt Namen - und verdient nebenbei daran.
Die Auftritte sind rarer geworden. Jenen in der Bundespressekonferenz vor wenigen Tagen wollte sich der 68-Jährige nicht entgehen lassen. Schließlich gab es positive Nachrichten zu verkünden. "Mehr als 7 Prozent Rendite sind drin. Riestern lohnt sich", fasste Mark Ortmann die zentrale Botschaft seiner Analyse zusammen. Sein Institut für Transparenz in der Altersvorsorge (ITA) hatte Riester-Kontrakte der ersten Stunde untersucht.
Dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein paar Monate zuvor befand, im "Sparstrumpf" sei das Geld der Riester-Sparer genauso gut aufgehoben, wies der Ex-Minister barsch zurück: "Unsinn, Fehlinformation, völlig irreführend." Die Studie habe Millionen Menschen verunsichert, viele hätten ihre Police verlustreich gekündigt.
Der Streit um die DIW-Studie ist eskaliert. Zuletzt angeheizt durch den Assekuranz-Verband GDV soll nun am 1. Juni ein mit hochkarätigen Vertretern aus Politik und Wissenschaft besetzter Krisengipfel hinter verschlossen Türen die Wogen glätten und für eine mögliche Riester-Reform Vorschläge erarbeiten.
"Nicht seriös" und "wissenschaftlich ungenügend"
Doch auch die riester-freundliche ITA-Studie ist mittlerweile heftig umstritten. Allen voran werfen der Bund der Versicherten (BdV) und die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg der Studie "schwere handwerkliche Mängel" vor. "Wer einen transparenten Einblick in Riesterangebote bekommen will, dem hilft die Studie nicht. Sie hilft letztlich nur den Anbietern, schlechte Produkte besser unters Volk zu bringen", zieht BDV-Chef Axel Kleinlein ein Fazit. "Die Studie entkräftet die öffentliche Kritik an der Riester Rente nicht", erklärt auch Altersvorsorge-Experte Niels Nauhauser von der VZ Baden-Württemberg.
Grundsätzlich stößt beiden Kritikern sauer auf, dass das ITA aus lediglich acht untersuchten Fällen verallgemeinernde Aussagen zur Riester-Rente ableite. "Das ist nicht seriös und sagt nichts über den Markt aus", kritisiert Nauhauser. Beste Angebote aus dem Jahr 2002 könnten eine ordentliche Rendite abwerfen, wirft Kleinlein ein. Das habe auch die DIW-Studie gezeigt. "Doch acht Fälle sind weder repräsentativ, noch lässt sich daraus folgern, dass heutige Angebote rentabel sind", sagt Kleinlein.
Der Versicherungsmathematiker kritisiert vor allem, dass ITA-Chef Ortmann wichtige Aspekte wie die Verrentungsphase und die dafür anfallenden Kosten nicht berücksichtigt hat. "Es wird so getan, als könne ein Kunde einfach das angesparte Kapital abrufen. Er kommt aber nur mit Abzügen an das Geld wieder heran."
"Das war nicht unser Ziel", verteidigt Ortmann seinen Ansatz gegenüber manager magazin online. Bei allen Rentenprodukten müsse ein Lebensversicherer die Sterbewahrscheinlichkeit einschätzen, entsprechend Renten und Prämien festsetzen. "Aber das ist nicht typisch für Riester. Uns interessierte konkret die Rendite dieser Verträge", so Ortmann. Kleinlein kritisiert dieses Vorgehen als "aus wissenschaftlicher Sicht ungenügend".
"Man kann die Versteuerung nicht einfach ausblenden"
Ohne Auszahlungsphase mache eine Renditebetrachtung für Riester-Renten keinen Sinn, wendet ebenso Nauhauser ein. Aus Verbrauchersicht nenne das ITA auch deshalb fehlerhafte Renditezahlen, weil die spätere Besteuerung der Rente in der Studie völlig unter den Tisch falle. "Man kann Zulagen nicht wie Zinsen und Erträge behandeln und die Versteuerung ausblenden. Steuern und Zulagen, das sind zwei Taschen derselben Jacke. Und in diese Taschen greift später die Hand des Fiskus", kritisiert der Experte.
Zur Entlastung der ITA-Studie ist zu festzuhalten, dass Ortmann für die Ansparphase die Rendite auch ohne die Zulagen berechnet hat. Demnach liegen die Renditen der untersuchten Riester-Renten ohne den Fördereffekt zwischen 1,52 und 3,54 Prozent.
Mit einem im Jahr 2002 abgeschlossenen Banksparplan ohne Förderung wäre der Kunde vermutlich aber besser gefahren. Nach einer Analyse Nauhausers unterschiedlicher Banksparpläne hätte der Sparer nämlich damit eine Rendite zwischen 3,58 und 4,96 Prozent erreichen können.
Ungeförderter Banksparplan hätte wohl mehr gebracht
Dieselben Zahlungen in Form eines Sparplans in den Dax investiert, hätte der Kunde zum Jahresende 2011 damit eine Rendite von rund 1,6 Prozent erzielt. Insofern sei Ortmanns These stimmig, dass die untersuchten Riester-Renten in diesem Zeitraum mehr Ertrag als ein Dax-Investment abgeworfen haben.
Doch stehen und fallen solche Betrachtungen mit dem ausgewählten Zeitraum, gibt Nauhauser zu bedenken. Ende 2010 nämlich hätte die Rendite desselben Dax-Sparplans bei 6,72 Prozent gelegen. "Das zeigt die starke Abhängigkeit der Rendite des Sparplans aufgrund steigender Kapitalbindung vom Ausstiegszeitpunkt", analysiert der Experte.
Ein Ergebnis der ITA-Studie ist auch, dass Riester-Fondssparpläne schlechter abschneiden als klassische Rentenversicherungen der Versicherer. Die schwache Performance der "DWS TopRente Plus" und der "DWS TopRente Balance" führt Ortmann darauf zurück, dass diese fondsbasierten Produkte unter den Aktiencrashs und laufend fallenden Zinsen deutlich stärker gelitten hätten als Riester-Policen.
Verbraucherschützer Nauhauser zweifelt das nicht an, glaubt mit Blick auf das Thema Kosten aber erhebliche Unregelmäßigkeiten in der Studie zu entdecken, die die errechneten Renditen zweifelhaft erscheinen lassen. Schließlich können Kosten die Rendite einer Riester-Rente erheblich beeinflussen.
Steigende Anbieterkosten, Probleme der Altersgruppen
So weist die Studie bei der "DWS Toprente Plus" auf den Untersuchungszeitraum verteilte Abschlusskosten von 9,85 Euro jährlich aus. "Üblich sind hier Ausgabeaufschläge, die hätten wegen der steigenden Beiträge aber steigen müssen", moniert Nauhauser.
Die Abschlusskosten bei der "DWS Toprente Balance" gibt die ITA-Studie ebenfalls konstant an - mit jährlich 21,15 Euro. Nauhauser findet das "irritierend". Denn das Produkt sei - je nachdem ob Aktien oder Rentenfonds gekauft wurden - mit einem Ausgabeaufschlag aufgelegt worden. Bei einer Mischung dürfte der Aufschlag bei rund 3 Prozent gelegen haben. "Anfangs also wären das Kosten von rund 14,61 Euro, zum Schluss aber 63 Euro", rechnet der Experte vor. Beide Zahlen ließen sich mit den angegebenen 21,15 Euro nicht in Einklang bringen.
Auch bei den vom ITA berücksichtigten Kapitalanalgekosten sieht Nauhauser Unregelmäßigkeiten. "Das ITA vernachlässigt Kapitalanlagekosten auf Fondsebene bei den Gesamtkosten. Die Fondskosten sind zwar bereits in der Wertentwicklung berücksichtigt, aber sie sind ganz wesentliche Kostenbestandteile und hätten angeführt werden müssen, wenn man 'Kostenquoten' angeben will."
"Studie vernachlässigt die Kapitalanlagekosten"
Eine ganze Reihe von Schlussfolgerungen der Studie über Kosten der ausgewählten DWS-Fondsparpläne hält der Experte daher für "nicht korrekt". Gleiches gelte für Aussagen Ortmanns über den Zusammenhang von Rendite und Kosten.
Der Verbraucherschützer bemängelt indes nicht nur "handwerkliche Fehler" der Studie, sondern kritisiert auch ihre methodische Herangehensweise. So hatte Ortmann Vertragsdaten von 50jährigen Riester-Testkunden abgefragt, die im Alter von 60 Jahren in Rente gehen sollen.
"Im Alter von 50 Jahren ist der Einfluss von Abschlusskosten bei Riester-Versicherungen viel geringer", stellt Nauhauser fest. Dies gelte um so mehr, als das ITA unterstellt hat, dass diese Kosten auf zehn Jahre verteilt wurden. Wäre der Testkunde unter heutigen Umständen der Kostenverrechnung 30 Jahre alt gewesen, wäre er nach zehn Jahren noch im Minus, hat Nauhauser nachgerechnet. "Die Sparstrumpfthese wäre für die Momentaufnahme zumindest nicht widerlegt", glaubt Nauhauser.
Das ITA hätte besser Daten für verschiedene Altersgruppen erheben lassen. Dies habe Autor Ortmann aber nicht gemacht und dennoch daraus Schlussfolgerungen für alle Altersgruppen gezogen - unzulässigerweise, wie Nauhauser sagt.
Mehr Transparenz mit Einheits-Riester-Rente möglich
Die Kritik der Experten Kleinlein und Nauhauser ist umfangreich und reicht noch in viele andere Details der ITA-Studie hinein. Schon von daher unterscheidet sie sich deutlich von dem, was umgekehrt bislang zu der angegriffenen Studie des DIW veröffentlicht worden ist.
Ob Verbraucher diesen Spezialisten-Diskurs verstehen oder noch länger verfolgen wollen, ist unsicher. Unzweifelhaft ist aber, dass der Streit um die "richtige" Leistungsbewertung der Riester-Rente noch lange nicht zu Ende ist - zu viel hängt für die Vorsorgeindustrie davon ab, als dass sie die Interpretationshoheit dauerhaft ihren Kritikern überlassen würde.
Für den Verbraucher kommt erschwerend hinzu, dass die Produkte durch ihre zusehends komplexere Konstruktion und tief versteckten Fallstricke sich immer mehr einem echten Vergleich entziehen. Der Gesetzgeber könnte dem abhelfen, indem er die Anbieter verpflichtet, mindestens ein Produkt anzubieten, das auf einheitlichen Kalkulations- und Überschussgrundlagen beruht. Damit könnte echter Wettbewerb und echte Transparenz entstehen, ist Professor Hermann Weinmann von Fachhochschule Ludwigshafen überzeugt.
Ein Walter Riester würde das sicherlich begrüßen. In der Politik deutet aber nichts darauf hin.