Assekuranz Garantiezins im Weichspülgang

Auf die Prozente kommt es an: Die Versicherer streiten über den Garantiezins
Foto: CorbisHamburg - Die seit Jahren niedrigen Kapitalmarktzinsen machen den Lebensversicherern schwer zu schaffen. Vor allem leistungsschwächere Anbieter ächzen unter der Last älterer Verträge, die mit einem hohen Garantiezins die Kundenguthaben noch über Jahrzehnte verzinsen müssen. Im Neugeschäft wenden sie sich zusehends von der klassischen, lebenslangen Garantie ab.. Zugleich kursieren zahlreiche Ideen, die Garantiezusagen aufzubrechen. Nicht zufällig sind es Vorstände schwächerer Versicherer, die der klassischen Lebensversicherung wenig Zukunft einräumen und öffentlich über neue, abgespeckte Garantiemodelle nachdenken.
Diese Unternehmen haben mit der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) nun offenbar einen Mitstreiter an ihrer Seite. Denn die DAV schlägt vor, einen zweistufigen Höchstrechnungszins zu wählen, der für die ersten 15 Jahre eines Vertrags anders ausfallen kann als für die Folgejahre.
Zum Hintergrund: Der Höchstrechnungszins ist der Zinssatz, den Versicherer maximal für ihre Deckungsrückstellungen ansetzen dürfen. Letztere bilden in der Bilanz eines Lebensversicherers den Wert der Verpflichtungen ab, die er gegenüber seinen Kunden eingegangenen ist. Mit den Rückstellungen erhält der Kunde quasi eine Garantie, dass seine vertraglichen Ansprüche auch erfüllbar sind.
Solvency II: Höchstrechnungszins könnte bald Vergangenheit sein
Der Höchstrechnungszins für die Deckungsrückstellungen, den das Bundesfinanzministerium festlegt, wird als Synonym für den so genannten Garantiezins verwendet, mit dem die Anbieter den Sparbeitrag des Kunden verzinsen müssen. Dieser bei der Kalkulation des Beitrags verwendete Zins ist oft identisch mit dem Höchstrechnungszins.
Das in Zukunft geltende neue europäische Aufsichtsrecht Solvency II sieht keinen Höchstrechnungszins mehr vor, mit dem die Versicherer ihre Verpflichtungen maximal abzinsen dürfen. Ein Garantieversprechen gilt in diesem System als Risiko, das mit Kapital zu unterlegen ist. Je mehr und je höhere Garantien ein Versicherer seinem Kunden gibt, desto mehr Kapital muss er dafür bereitstellen.
Die DAV möchte den Höchstrechnungszins unter Solvency II beibehalten, schlägt für die Bilanzierung aber das erwähnte zweistufige Modell vor.
Demnach soll sich der Bundesfinanzminister für die ersten 15 Jahre an der beobachtbaren Zinsentwicklung orientieren, danach soll ein volkswirtschaftlich ermittelter Zins greifen. Konzeptionell entspreche dies dem Ansatz von Solvency II, für kürzere Laufzeiten auf vorhandene Marktdaten zurückzugreifen, während für längere Laufzeiten, für die zuverlässige Marktdaten fehlten, ein "ökonomisch fundierter" Zins angesetzt werden soll.
Um der aktuelleren Marktzinsentwicklung ein größeres Gewicht zu verleihen, schlagen die Mathematiker vor, für die Ermittlung des Rechnungszinses künftig die durchschnittlichen Umlaufrenditen fünfjähriger Euro-Staatsanleihen statt zehnjähriger Papiere heranzuziehen. Damit könnte der Garantiezins durchaus unter die derzeit gültigen 1,75 Prozent fallen, wie die DAV auf Anfrage von manager magazin online einräumt.
Darüber hinaus fordert die DAV, für neue Produktformen an Stelle der bilanziellen Bewertung mit einem Rechnungszins die "Bildung von Bewertungseinheiten zwischen Aktiv- und Passivseite zuzulassen".
Neue Modelle wie eine "Ehe auf Zeit"
Was aber bedeuten die Vorschläge der einflussreichen DAV, sollte der Gesetzgeber diesen im Zuge der Umsetzung von Solvency II tatsächlich folgen? Hat die klassische Lebensversicherung, mit ihrem lebenslang garantierten Zins keine Zukunft mehr, wie unlängst der Deutschland-Chef von Swiss Life, Klaus Leyh, im Interview voraussagte?
Hermann Weinmann, Professor für Versicherungsbetriebslehre an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein, verfolgt die Diskussion über das vermeintliche Ende der klassischen Lebensversicherung mit Sorge. "Das wird herbeigeredet und entspricht nicht den Kundenwünschen", widerspricht er vehement den Aussagen einzelner Versicherungsvorstände in Deutschland.
Als Folge der Finanzkrise hätte die konventionelle Police ihre Marktanteile zulasten der fondsbasierten Lebensversicherung, die auf Garantien weitgehend verzichtet und das Kapitalanlagerisiko auf den Kunden abwälzt, stark ausbauen können. Eine weitreichende Aufweichung der Zinsgarantien, wie sie sich bereits abzeichne und immer stärker diskutiert wird, "werden viele Kunden nicht mitmachen", ist Weinmann überzeugt. Die Lebensversicherung würde sich dadurch zu anderen Kapitalanlageprodukten auch ihres wichtigsten Wettbewerbsvorteils berauben, warnt der Experte.
Die Kunden bevorzugen konventionelle Policen
Den Vorschlägen der Deutschen Aktuarvereinigung bringt Weinmann nur wenig Verständnis entgegen. "Eine Garantie ist eine Garantie, und wenn ein Kunde sich lebenslang bindet, dann will er auch die lebenslange Ehe mit allen Rechten und Pflichten." Die neuen Modelle muteten dagegen wie eine "Ehe auf Zeit" an. "Es fehlen dann nur noch Zinsabschnitte mit wechselnden Partnern", stichelt Weinmann gegen die DAV. "Dieses Kundenrecht kann ich aber aus dem Vorschlag nicht herauslesen."
Auch Axel Kleinlein, Vorsitzender vom Bund der Versicherten (BdV), kritisiert die Vorschläge der DAV und warnt vor zwei möglichen Entwicklungen, die einen Vergleich der Produkte dann noch schwerer machen könnten, als er jetzt ohnehin schon ist.
So sieht der Versicherungsmathematiker die Gefahr, dass Anbieter ihre Beiträge und Produkte künftig grundsätzlich mit unterschiedlichen Zinsen kalkulieren. "Dann sind die Garantieleistungen nicht mehr vergleichbar. Die Intransparenz steigt in hohem Maße an." In die gleiche Richtung wirke ein zweistufiger Höchstrechnungszinssatz, mit einem abweichenden Rechnungszins für die ersten und die zweiten 15 Jahre der Vertragslaufzeit. "Die Verträge können dann rechnerisch nicht mehr nachvollzogen werden", warnt der unabhängige Experte.
Die Gefahr sieht auch Weinmann. "Mit der Einführung des Zweistufenmodells und Bewertungseinheiten zwischen Aktiv- und Passivseite geht ein Gradmesser für die Leistungsverpflichtung des Versicherers vor Vertragsabschluss verloren, und Vergleiche werden erschwert." Nur im Nachhinein ließe sich feststellen, wie weitreichend die Garantie tatsächlich war.
Intransparenten Produkten würde Tür und Tor geöffnet
Die Forderung der DAV, für neuartige Produkte die Bildung von Bewertungseinheiten zwischen Aktiv- und Passivseite der Versicherungsbilanz zuzulassen, beurteilt Kleinlein besonders kritisch. Käme der Gesetzgeber dieser Forderung nach, sei damit zum Beispiel "Variable Annuities" Tür und Tor geöffnet in Deutschland.
Klassische Garantien fußen auf real existierendem Kapital in einem Deckungsstockvermögen, bei "Variable Annuities" sollen Hedging-Geschäfte diese Garantien bis zu 100 Prozent über derivate Finanzinstrumente absichern.
"Diese Produkte sind aber hochgradig intransparent und ihre Garantien nicht über den Protektor gesichert", warnt Kleinlein. In Deutschland wurden sie bislang über ausländische Versicherer angeboten, galten als nicht sonderlich erfolgreich und standen besonders in der Krise erheblich stärker unter Druck als die klassischen deutschen Garantiepolicen, sagen Experten.
"Anzeichen von Panik" unter den Mathematikern
So wie Solvency II noch nicht in seiner endgültigen Fassung vorliegt und die Umsetzung in nationales Recht im Detail noch offen ist, wird die Diskussion um den Höchstrechnungszins und neue Garantiemodelle in der deutschen Lebensversicherung anhalten. Die Vorschläge und Forderungen der Versicherungsmathematiker der DAV sollte man als einen Beitrag dazu verstehen, ihren Einfluss aber auch nicht unterschätzen.
Auch wenn die DAV zusammen mit der Finanzaufsicht Bafin lediglich eine Empfehlung abgibt, waren es rückblickend oft ihre Mathematiker, die den Höchstrechnungszins und damit indirekt auch den Garantiezins entscheidend beeinflusst haben, sagen unabhängige Beobachter.
Manche von ihnen, wie der Chef des Branchendienstes Map-Report, Manfred Poweleit, sehen hinter den Vorschlägen der DAV gleichwohl auch "Anzeichen von Panik", weil die Mathematiker bei der Bewältigung der Folgen der Finanz- und Schuldenkrise mittlerweile an "die Grenze ihrer handwerklichen Möglichkeiten" stießen. Die für die Versicherer so wichtigen Rentenmärkte, seien mit der Technik der Mathematik eigentlich nicht mehr berechenbar, "denn halbwegs sichere Rahmenbedingungen gibt es nicht mehr", sagt Poweleit.
Bei allem Verständnis für die problematische Situation einer ganzen Reihe von Lebensversicherern lehnt gleichwohl auch Poweleit Vorschläge der DAV ab, die eine weitere Aufweichung des klassischen Garantiemodells in der Lebensversicherung zur Folge haben könnten.
Starke Anbieter werden zweistufigen Höchstrechnungszins nicht nutzen
Seiner Interpretation nach könnten die Vorschläge womöglich auch von dem Gedanken geleitet sein, vor allem den schwächeren Anbietern der Branche neue Möglichkeiten zu verschaffen. Auffällig sei jedenfalls, dass sieben DAV-Vorstandsmitglieder zugleich amtierende oder ehemalige Vertreter von Unternehmen sind, "die am Markt nicht mehr mithalten können und deshalb jetzt händeringend nach Auswegen suchen".
Weinmann, der aus seiner Sympathie für die klassische Lebensversicherung ebenfalls keinen Hehl macht, glaubt, dass der Gesetzgeber den zweistufigen Höchstrechnungszins nicht als einzige Alternative vorschreiben wird und "starke Unternehmen ihn nicht nutzen werden", wenn er alternativ möglich ist.
"Der Gesetzgeber sollte nicht aus Rücksichtnahme auf Unternehmen, die ihre Hausaufgabe in der Kapitalanlage verfehlen, ein Geschäftsmodell erzwingen", bezieht der Experte klar Position. Wer nicht in der Lage sei, seinen Kunden die Zinsgarantien über die gesamte Vertragslaufzeit zu bieten, könne ja wie bisher schon das Kapitalanlagerisiko dem Kunden aufbürden und sein Geschäft auf fondsbasierte Produkte umstellen. Mit wohl vergleichsweise geringer Aussicht auf Erfolg, wie die erwähnten Marktverschiebungen zum Vorteil der klassischen Policen ja zeigen.
Experten halten es daher für wahrscheinlich, dass sich die Zukunft eines Lebensversicherers auch an der Frage entscheiden wird, ob er künftig noch klassische, lebenslange Garantien gewähren kann oder nicht. Leistungsstarke Anbieter, ist auch Poweleit überzeugt, würden jedenfalls nicht darauf verzichten.